Massenmörder auf Silbermünze
Nach dem Tod von Josef Stalin 1953 wurden dessen Verbrechen als Personenkult beschönigt



Partisanen, die sich um die Verteidigung der Heimat im Großen Vaterländischen Krieg gegen Hitlerdeutschland verdient gemacht haben, wurden mit einer Medaille ausgezeichnet, die Lenin und Stalin gemeinsam abbildet. Dass Lenin seine Partei vor Stalin gewarnt hat, dürften die wenigsten Träger gewusst haben.



Die Tschechische Republik brachte 1949 eine silberne Gedenkmünze zum 70. Geburtstag ihres damaligen Idols Josef Stalin heraus. Da die DDR noch keine Erinnerungsmünzen besaß, konnte sie ihr Idol nicht in ähnlicher Weise ehren.





Josef Stalin und Wilhelm Pieck auf einer Auszeichnungsmedaille und einem Anstecker, die die Freie Deutsche Jugend in den frühen DDR-Jahren verliehen.



Widerwillig räumte die SED nach dem XX-Parteitag der KPdSU 1956 ein, dass Stalin kein "Klassiker des Marxismus-Leninismus" mehr ist, wie diese Porträtgalerie glauben macht. Im Herzen blieben Ulbricht, Honecker und ihresgleichen mehr oder weniger verbohrte Stalinisten.



Wer möchte, kann sich in der 1946 bis 1949 errichteten Gedenkstätte mit dem riesigen Rotarmisten mit dem geretteten Kind auf dem Arm im Treptower Park in Berlin in Stalin-Zitate vertiefen.



Die einen sehen Stalin als skrupellosen Machtmenschen und Massenmörder, die anderen feiern ihn als Überwinder des Faschismus und Retter des Weltfriedens. Diejenigen, die den auch auf einer Briefmarke abgebildeten Stalinpreis erhielten, mochten sich nach der so genannten Entstalinisierung nicht mehr mit ihm schmücken. Einer war der Staatsdichter Johannes R. Becher, ein anderer der Physiker und Erfinder Manfred von Ardenne, ein dritter Bertolt Brecht. (Fotos/Repros: Caspar)

Als der sowjetische Diktator Josef Stalin am 5. März 1953 starb, verfiel die kommunistische Welt in tiefe Trauer und einen Schockzustand. Die SED- und Staatsführung schickte ein geradezu kriecherische Beileidstelegramm nach Moskau, in dem es heißt: "Im Kampf um den Aufbau einer neuen demokratischen Ordnung, um die Errichtung der volksdemokratischen Grundordnung der Staatsmacht und die Schaffung der Grundlagen des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik waren und sind Rat und Hilfe J. W. Stalins die sicherste Basis der Erfolge." Die Festigung und Stärkung der DDR, deren Bildung einen Wendepunkt in der Geschichte Europas bedeutete, begründe sich auf die weisen Lehren Stalins. "Das deutsche Volk dankt Lenin und Stalin, dass sie das größte geistige Erbe der deutschen Nation, die Lehre von Marx und Engels, in ihrem wahren Inhalt wiederhergestellt haben."

Johannes R. Becher, der Dichter der DDR-Hymne, schrieb in seiner Danksagung an Stalin schwülstig Reime wie diese "Allüberall, wo wir zu denken lernen / Und wo man einen Lehrsatz streng beweist. / Vergleichen wir die Genien mit den Sternen, / So glänzt als hellster der, der Stalin heißt. [...] Vor Stalin neigt euch, Fahnen, lasst euch senken! / Eis soll ein ewiges Gedenken sein! / Erhebt euch, Fahnen, und weht im Gedenken / An Stalin bis hinüber an den Rhein." Man geht nicht fehl in der Annahme, dass sich Becher später ungern an dieses Machwerk erinnern ließ. Nach einer längeren Denkpause musste SED-Chef Walter Ulbricht widerwillig einräumen, dass Stalin nicht mehr zu den "Klassikern des Marxismus-Leninismus" zu zählen sei, und er machte sich über "junge Genossen" lustig, die die Lehren des Genossen Stalin auswendig lernen und nicht den eigenen Kopf gebrauchen.

Kotau vor "Lenin unserer Zeit"

Da die DDR erst ab 1966 Gedenkmünzen herausgab, konnte sie 1949 den 70. Geburtstag des lange als Befreier vom Faschismus und ideologischen Leitstern gefeierten Josef Stalin nicht mit einer Sonderprägung ehren. Das tat die von Stalinisten beherrschte Tschechoslowakische Republik mit einer silbernen Gedenkmünze im Wert von 100 Kronen. Dargestellt auf diesem numismatischen Kotau ist Stalin in Militäruniform, wie man es aus feudalen Zeiten bei Bildnissen von Kaisern und Königen kannte. Die in Prag sitzende Partei- und Staatsführung bekundete mit dieser Ausgabe ihre besondere Hörigkeit gegenüber ihrem in Moskau herrschenden Befehlsgeber.

Es dauerte nicht lange, bis in der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten, darunter auch in der DDR, bröckchenweise die Wahrheit über den hymnisch als "Lenin unserer Zeit" verehrten Diktator im Rang eines Generalissimus und seine Verbrechen ruchbar wurden. Auf dem XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion kritisierte Stalins Weggefährte und Nachfolger Nikita Chruschtschow 1956 in einer nicht geheim gebliebenen Geheimrede Personenkult, Dogmatismus und Vergehen gegen die sozialistische Gesetzlichkeit unter Stalin. Mit diesen Begriffen wurden die Massenmorde an Menschen verharmlost, die das Sowjetregime als angebliche Verräter und Volksfeinde umbringen ließ, und die Unterdrückung jedweder Opposition im Auftrag des Diktators. Er witterte überall Spione und Attentäter und zögerte nicht, auch engste Mitarbeiter mit haltlosen Anschuldigungen vor Gericht zu stellen und zu liquidieren. Ein von ihm vorbereiteter Prozess gegen Mediziner kam durch Stalins Tod nicht mehr zustande. Der Diktator hatte behauptet, Mediziner würden ihm nach dem Leben trachten.

Putins Rolle rückwärts

Stalin starb in der Zeit des Kalten Kriegs, einer höchst gefährlichen Konfrontation zwischen Ost und West. Doch nicht die instabile Weltlage hielt die neuen Kreml-Herren davon ab, ehrlichen Herzens mit ihrem bisherigen Halbgott ins Gericht zu gehen. Sie wussten, dass jedes klärende Wort auf sie selber zurückfallen würde. Doch ließ sich die Wahrheit auf Dauer nicht unter der Decke halten. In internen Parteizirkeln nahm man mit wachsendem Erschrecken zur Kenntnis, dass Lenin, der Gründer des Sowjetstaates, vor dem intoleranten, aufbrausenden, machtgierigen und misstrauischen Politiker gewarnt hatte. Er sei für seine Nachfolger in der Parteiführung ungeeignet, schrieb Lenin. Erst unter Michail Gorbatschow, der 1985 Parteichef wurde, wagte man im Zuge von "Glasnost und Perestroika", auch öffentlich auf diese selbstverständlich von Stalin unterdrückten Warnungen hinzuweisen und die Millionen Toten zusammenzuzählen, die auf sein Schuldkonto gingen. Im heutigen, unter Wladimir Putins Herrschaft stehenden Russland wird im Sinne einer "Rolle rückwärts" versucht, das Stalinsche Blutregime klein zu reden und sogar in Abrede zu stellen und die Rolle des Diktators als "entscheidender Sieger" über das Hitlerregime im Zweiten Weltkrieg in den Himmel zu heben.

Bald nach Stalins Tod begann in der Sowjetunion und seinen Satellitenstaaten eine Art Tauwetter mit politischen und kulturellen Lockerungsübungen. In der DDR wurde am 17. Juni 1953 der Volksaufstand von der im Land stationierten Roten Armee blutig niedergeschlagen. Statt Politik f ü r das Volk zu machen, wie es im SED-Programm und der Verfassung stand, haben Parteichef Walter Ulbricht und Genossen g e g e n die eigenen Leute gearbeitet und in ihrer ideologischen Verblendung, aber natürlich ungewollt, eine nie dagewesene Fluchtwelle in den Westen provoziert, die erst durch den Bau der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze am 13. August 1961 gestoppt, aber bis zu deren Fall am 9. November 1989 nie ganz aufgehalten wurde.

Jahrzehntelang hatte die kommunistische Propaganda das Bild vom menschenfreundlichen, allwissenden "Väterchen Stalin" gemalt und behauptet, seinem Genie sei der Sieg über Hitlerdeutschland zu verdanken. Wer nicht persönlich von den Verbrechen des Diktators betroffen war, mag an die Legende vom menschenfreundlichen, gütigen, weisen und nimmermüde im Kreml tätigen Genossen Stalin geglaubt haben. Die vielen anderen aber, die unter seiner Herrschaft gelitten hatten, hofften vergeblich auf ein neues, besseres Leben und Wiederherstellung ihrer Ehre und der ihrer ermordeten oder im Gulag ums Leben gekommenen Verwandten und Freunde.

Geheimrede von 1956 blieb nicht geheim

Wer sucht, wird Abzeichen aus der frühen DDR finden, auf denen Stalin und der DDR-Präsident Wilhelm Pieck gemeinsam abgebildet sind. Eigentlich war das eine Anmaßung, denn wer war Stalin, der Nachfolger von Marx, Engels und Lenin und weise Führer der internationalen Arbeiterklasse, wie man damals sagte, und wer war dieser als Präsident und Vorsitzender der SED in der sowjetisch besetzten DDR agierende Pieck? Aber solche Überlegungen behielt man vorsichtshalber für sich. Stalin, Pieck und weitere "führende Genossen" durch den Kakao zu ziehen und an ihnen Kritik zu üben, war nur im Westen möglich.

Josef Stalin, der unsterbliche Lenin unserer Tage und weise Führer aller Werktätigen, wie er sich gern nennen ließ, hatte seine Nachfolge nicht geregelt, um die sich nun mehrere Personen aus seiner Umgebung bemühten. Aus dem Gerangel um die Macht kristallisierte sich schon bald Nikita Chruschtschow heraus, einer der engsten Mitarbeiter des Diktators und drei Jahre später auch sein erster Kritiker. Der ehemalige KP-Chef der Ukraine war Mitglied des Politbüros und damit an sowjetischer Innen-, Außen- und Sicherheitspolitik unmittelbar beteiligt. Er bootete den langjährigen Geheimdienstschef Lawrentij Berija aus, der sich bei den Stalinschen Verfolgungen die Hände besonders blutig gemacht hatte.

Übermensch mit gottähnlichen Eigenschaften

In seiner Geheimrede sprach der neue Parteiführer Nikita Chruschtschow am 25. Februar 1956 vorsichtig nur von. Dass die Rede in Moskau nicht sofort veröffentlicht, sondern nur auf Umwegen ins westliche Ausland gelangte und dort zum Entsetzen der Sowjetführer publiziert wurde, spricht Bände. Der neuen Führungsriege war nicht daran gelegen, eine ehrliche und offene Abrechnung mit den Verbrechen des toten Diktators vorzunehmen. Sie wusste, dass die Wahrheit tödlich sein würde. Chruschtschow behandelte das Problem theoretisch, zitierte in der üblichen Manier die "Klassiker" und betonte, es sei unzulässig und dem Geist des Marxismus-Leninismus fremd, "eine einzelne Person herauszuheben und sie in eine Art Übermensch mit übernatürlichen, gottähnlichen Eigenschaften zu verwandeln. Dieser Mensch weiß angeblich alles, sieht alles, denkt für alle, vermag alles zu tun, ist unfehlbar in seinem Handeln. Eine solche Vorstellung über einen Menschen, konkret gesagt über Stalin, war bei uns viele Jahre lang verbreitet", erklärte der Redner, der selber an dem Mythos gearbeitet hatte.

Die selbst gestellte Frage, "wie sich allmählich der Kult um die Person Stalins herausgebildet hat, der in einer bestimmten Phase zur Quelle einer ganzen Reihe äußerst ernster und schwerwiegender Entstellungen der Parteiprinzipien, der innerparteilichen Demokratie und der revolutionären Gesetzlichkeit wurde", beantwortete Stalins früherer Handlanger nicht. Chruschtschow hätte ja bei sich anfangen und seine Rolle in der Parteiführung beschreiben müssen. Dass das "System Stalin" auf Terror und Gewalt basierte und weiterhin unter anderem Namen auch nur so funktioniert, nämlich auf der Unterdrückung des Individuums und ganzer Völkerschaften, war Basis des Machterhalts aller Sowjetführer und daher für sie kein Thema.

Bloß keine Fehlerdiskussion

Ungeniert verband der neue Parteichef seine Ausführungen mit Avancen an den toten Sowjetführer, über dessen Verdienste "noch zu seinen Lebzeiten eine völlig ausreichende Anzahl von Büchern, Broschüren, Studien verfasst (wurde). Allgemein bekannt ist die Rolle Stalins bei der Vorbereitung und der Durchführung der sozialistischen Revolution, während des Bürgerkrieges sowie im Kampf um die Errichtung des Sozialismus in unserem Lande. Darüber wissen alle gut Bescheid", sagte Redner, den offenbar Zweifel an dieser mit hohen Menschenopfern verbundenen Politik nicht anfielen. Die ganze Wahrheit, die Wahrheit der Schauprozesse und Massenhinrichtungen, die Bolschewisierung der Landwirtschaft und Industrie, die Liquidierung der geistigen Elite des Landes, die Umsiedlung von ganzen Völkerschaften, der Fehler des "Feldherrn" Stalin vor allem zu Beginn des Zweiten Weltkrieg sowie die Annexion und Unterdrückung jener Länder, die unter seine Fuchtel gerieten - das durfte nicht angesprochen werden. Da in der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten einschließlich der DDR der Grundsatz "Bloß keine Fehlerdiskussion" galt, bestand auch offiziell kein Interesse zu ergründen, woran das kommunistische System krankt und wie es aus seiner Dauerkrise heraus kommen kann. Ab und zu kommen Stalin-Medaillen und Abzeichen bei Auktionen zum Aufruf, sind aber auch auf Münzmessen anzutreffen. An der Spitze steht der Stalinpreis, die höchste zivile Auszeichnung der Sowjetunion. 1941 gestiftet, wurden mit der tragbaren Medaille und einer Geldprämie herausragende Leistungen auf wissenschaftlichem, literarischem, künstlerischem oder musikalischem Gebiet gewürdigt. Der Preis wurde nach 1954 als Leninpreis bezeichnet, als Nachfolger wurde 1966 der Staatspreis der UdSSR vergeben. Bertolt Brecht war einer der Träger des Stalin-Friedenspreises. Er habe die Hälfte des Preisgeldes auf sein Schweizer Konto überweisen lassen, heißt es in der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, die 2018 eine Ausstellung über den "Roten Gott Josef Stalin" veranstaltet und die Preismedaille mit anderen Devotionalien zeigte.

15. Januar 2022

Zurück zur Themenübersicht "Münzen und Medaillen"