Erich der Letzte im Blutrausch
Bei einem Besuch im Jagdmuseum Schloss Groß Schönebeck mitten in der Schorfheide notiert





Groß Schönebeck mit dem aus dem 16. Jahrhundert stammenden und im 19. Jahrhundert umgebauten Schloss und der Museumsscheune ist einen Besuch wert. Wer wissen will, wie Potentaten aller Art in der Schorfheide ihrer Jagdleidenschaft nachgingen, aber auch wie sich Natur- und Tierschützer um das Waldgebiet und seine Bewohner kümmerten und es heute tun, ist hier an der richtigen Adresse.



Die Figur eines Jägers, wie sie vor dem sächsischen Schloss Moritzburg steht, erinnert im Museum daran, dass Fürsten in feudalen Zeiten allein das Jagdrecht besaßen und niemand an ihm teilnehmen ließen.



Eine Auswahl von Jagdwaffen sowie Bilder, Grafiken und Briefe berichten, wie die Jagd in Zeiten der Monarchie ausgeübt wurde.



Selbstironisch teilt König Friedrich Wilhelm IV. 1852 seiner Frau Elisabeth mit, dass er nichts getroffen, aber enorm viel gesehen habe. Am linken Rand ist das unter seiner Herrschaft im "Bayernstil" errichtete Schloss Hubertusstock zu sehen.



Die Schorfheide wurde nach 1945 erst von den Russen - hier mit einem amerikanischen Gast - und dann von der DDR-Prominenz rücksichtslos bejagt.



Erich Honecker und sein sowjetischer Amtskollege Leonid Breshnew, der ihm 1971 bei Ulbrichts Entmachtung half, fühlten sich besonders wohl, wenn sie auf wehrlose Tiere schießen konnten. Dass und Genossen ihre Macht missbrauchten, um privaten Leidenschaften auf Kosten der Allgemeinheit zu befriedigen, durfte, solange die SED-Herrschaft bestand, nicht laut ausgesprochen werden. Umso heftiger fegte der Sturm der Entrüstung nach dem Ende der SED-Herrschaft durch das Land.



Angeblich gehöre die "Jagd dem Volke", doch das war angesichts der gegen alle Jagdgesetze und -traditionen ausgeübte Wilderei von Honecker und Genossen eine einzige Lüge.







In Groß Schönebeck wird die Schorfheide als Tummelplatz Hohenzollern mit Bildern, Waffen, Dokumenten und Jagdtrophäen vorgeführt. Breiten Raum nehmen Kaiser Wilhelm II. und Hermann Göring ein, aus dessen Residenz Carinhall einige Relikte wie Säulen und Bronzefiguren des Bildhauers Arno Brecker zu sehen sind.

Neben dem Schloss ist die "Nymphe von Fontainebleau" zu sehen. Es handelt sich um den Bronzeabguss eines von Benvenuto Cellini geschaffenen Reliefs, das im Pariser Louvre gezeigt wird. Göring wollte seine zusammen geraubte Kunstsammlung in einer langen Galerie zeigen, kam aber zum Glück nicht dazu. (Fotos: Caspar)

Die Schorfheide nördlich von Berlin war schon zu Zeiten der brandenburgischen Kurfürsten, preußischen Könige und deutschen Kaiser ein beliebtes, nur ihnen vorbehaltenes Jagdgebiet. Nach Abschaffung der Monarchie im November 1918 schossen hier Politiker der Weimarer Republik auf Tiere. Doch richtig ging es damit los, als nach der Errichtung der Nazidiktatur 1933 der preußische Ministerpräsident und Reichsjägermeister Hermann Göring wie ein Herrscher aus feudaler Zeit von der Schorfheide Besitz ergriff und hier seiner Bau-, Jagd- und Sammelleidenschaft nachging und für sich und seine Gäste die Residenz Carinhall errichtete. Davon und wie es dem dicht bewaldeten Gebiet nach dem Ende der Naziherrschaft erging und wie es sich hier schießwütige SED- und DDR-Prominenz gut gehen ließ, berichtet die Ausstellung "Jagd und Macht" im Jagdschloss Groß Schönebeck.

Reichsmarschall und Reichsjägermeister Hermann Göring frönte hier seiner Jagdleidenschaft, und es wird berichtet, dass er den deutschen Luftkrieg gegen die Alliierten von Carinhall aus befehligte. Vertreten ist die Nazizeit unter anderem durch Relikte aus der 1945 auf Görings Befehl gesprengten Residenz, aber auch durch überlebensgroße Bronzeskulpturen des damaligen Starbildhauers Arno Breker sowie einem Modell von Carinhall, die Göring in seiner Gigantomanie mitten im Wald bauen ließ auch mit dem Ziel, hier in einem Museum seine aus den von der Wehrmacht besetzten Ländern zusammen geraubten und Juden abgepressten Kunstschätze zeigen zu können. Die Ausstellung spricht von imperialem Größenwahn, der sich in der Bau-, Jagd- und Sammelwut des nach Hitler zweitmächtigsten Mannes im Deutschen Reich äußerte. Mit anderen Hauptkriegsverbrechern wurde er im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess zum Tod verurteilt wurde, konnte sich aber am 1. Oktober 1946 sich aber durch Gift der Hinrichtung durch den Strang entziehen.

Vogelgezwitscher und Donnergrollen

Dass in der Schorfheide seit fast tausend Jahren "Jagd und Macht" miteinander verwoben, zeigen die Ausstellungen mit diesem Titel im Schloss und der Museumsscheune nebenan an Beispielen aus der Geschichte und der Gegenwart. Das Schloss ist ein Bau auf fast quadratischen Grundriss und besitzt eine wertvolle Stuckdecke mit kurbrandenburgischen Wappen. Dokumentiert wird die Zeit der Kurfürsten, Könige und Kaiser sowie deren vielfältigen Einfluss auf die Entwicklung der Schorfheide. Präsentiert werden historische Porträts und Jagszenen, aber auch Briefe, Waffen und andere Hinterlassenschaften. Die Museumsscheune gewährt einen Blick in die Zeit nach dem Sturz der Monarchie 1918 bis heute auf zwei Etagen. Dabei erfährt man, begleitet von Vogelgezwitscher und Donnergrollen und ergänzt durch Videoprojektionen und Audioinstallationen, interessante Informationen über die letzten hundert Jahre in der Geschichte der Region. Dazu gehört, dass nach 1945 die sowjetische Besatzungsmacht ohne Rücksicht auf den Wald und seine Bewohner auf Tiere schoss und den Bestand deutlich dezimierte.

Zum Sonderjagdgebiet erklärt, tummelte sich nach Abzug der Sowjets in der Schorfheide die DDR-Führung unter Ulbricht und Honecker. Dass es in den Jagdschlössern und auf der Jagd zu wichtigen Weichenstellungen im deutsch-deutschen Verhältnis kam, schildert die Ausstellung anhand der Besuche von Politikern, Militärs und Diplomaten, die hier zu vertraulichen Gesprächen außerhalb des Protokolls zusammen kamen. In der Remise schließlich stimmt eine multimediale Inszenierung auf den Rundgang durch die Ausstellungen ein und lässt die Geschichte der Region lebendig werden.

Honecker und Genossen verprassten Millionen

Nach Aussagen von Insidern sollen zur Versorgung der Waldsiedlung Wandlitz aber auch zur Absicherung von sogenannten Freizeitobjekten von Mitgliedern des SED-Politbüros und der Jagdreservate 650 hoch bezahlte Stasi Leute beschäftigt gewesen sein. Honeckers Behauptung, er habe mit keinem Pfennig auf Kosten des Staates gelebt, ist, wie auch die Ausstellung unterstreicht, eine riesengroße Lüge. Kaum jemand hat wie er zur Befriedigung seines Jagdfiebers so viele Millionen DDR-Mark und West Devisen verprasst wie er. Mit erheblichen, anderswo besser angelegten Steuergeldern wurden die Jagdschlösser für seine Zwecke und die seiner Genossen eingerichtet. Für den hochgeheimen Bau und den Unterhalt der Residenzen war das Ministerium für Staatssicherheit zuständig. Während die SED-Führung die Devise "Spare mit jedem Gramm, mit jeder Mark und jedem Pfennig" ausgab, wurden für die Bedürfnisse der Elite riesige Summen vergeudet.

Kenner der Szene haben nach 1990 erklärt, dass die 18 Staatsjagdgebiete 98.921 Hektar Fläche umfassten, dazu habe es elf Wildforschungsgebiete mit rund 82.000 Hektar gegeben. Hinzu kamen Sonderjagdgebiete von Erich Honecker in der Schorfheide (20.550 Hektar) und Stasiminister Erich Mielke in Wolletz (23.000 Hektar). Insgesamt standen rund zwei Prozent der Jagdfläche der DDR der Partei- und Staatsführung zur alleinigen Verfügung. Außerdem nutzten die sowjetischen Besatzer weitere 6,9 Prozent der Fläche. Nach seinem Aufstieg zum SED Generalsekretär (1971) und Staatsratsvorsitzenden (1976) konnte Honecker in der zum Staatsjagdgebiet erklärten Schorfheide schalten und walten. Das Gebiet wurde weiträumig eingezäunt, man hat Autostraßen durch die schönsten Abschnitte gebaut sowie Hochsitze und Fütterungsplätze eingerichtet.

Nur die Zahl der Abschüsse zählte

Honecker ging nicht nur am Wochenende zur Jagd, sondern auch nach Sitzungen im Zentralkomitee mitten in der Woche. Da er von Wirtschaftspolitik wenig verstand, lieh er allzu gern dem zur Pirsch mitgenommenen Wirtschaftssekretär Günter Mittag sein Ohr und ließ sich von seinen Versprechungen und gefälschten Zahlen einlullen. Wie nach dem Sturz des SED-Regimes bekannt wurde, stand die DDR im Wendeherbst 1989 vor dem Bankrott. Um seinen Chef bei Laune zu halten, schenkte Mittag ihm teure Jagdwaffen und umschmeichelte ihn als großartigen Jägermeister. Beide in unheilvoller Allianz verbundene Spitzenfunktionäre und ihresgleichen missachteten ihre eigenen Jagdgesetze. Gegen alle Regeln legten sie auf Rotwild an, das sich an speziellen Futterplätzen versammelte und in der Nacht durch Lampen und Scheinwerfer angelockt und geblendet wurde.

Wie Peter Przybylski, der im DDR-Fernsehen die Sendereihe "Der Staatsanwalt hat das Wort" moderiert hatte, in seinem 1991 erschienenen Buch "Tatort Politbüro - Die Akte Honecker" berichtet, zählte bei den Jagdfrevlern aus dem Politbüro, wie er schreibt, nur die Zahl der Abschüsse. Mit ihnen konnte man sich vor anderen im obersten Kreis der Macht brüsten und diejenigen "alt" aussehen lassen, die sich an der Wilderei nicht beteiligten, denn die gab es auch. Pro Mann acht bis zehn Hirsche ohne Rücksicht auf ihr Alter waren bei Honecker und Mittag keine Seltenheit. Wie man in der Schorfheide vor und nach 1945 mit dem Wald und seinen Tieren umgegangen ist und wer sich in den verschiedenen Jagdschlössern tummelte war ein offenes Geheimnis. Ausgesprochen widerlich ist in der Ausstellung zu lesen ist, wie der SED- und Staatschef Honecker, genannt Erich der Letzte, in der Pose des großen Waidmanns mit größtem Vergnügen extra gemästete Tiere abknallte, als wäre er ein barocker Landesfürst. In seinem Blutrausch missachteten er und seine Kumpanen in ihren eigenen Jagdgebieten alle Regeln des Waidhandwerks. Bei seiner Einvernahme durch die Justiz im vereinigten Deutschland behauptete der entmachtete Honecker, sich streng nach den Jagdgesetzen der DDR gerichtet zu haben. Dabei ist bekannt, dass er und seine Genossen auf alles schossen, was ihnen vor die Flinte kam oder extra vorgeführt wurde. Vor Ort wird erzählt, dass sie sogar im Winter vom Schlitten aus schossen und auch Kühe auf der Weide trafen.

Rücksichtsloser und brutaler Umgang mit Tieren

Der rücksichtslose und brutale Umgang mit Tieren brachte den Generalforstmeister und stellvertretenden Minister für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft der DDR, Rudolf Rüthnick, in Rage. Dem Untersuchungsausschuss der Volkskammer teilte er am 21. Dezember 1989, jetzt ohne Angst vor Repressalien zu haben, in einem von Peter Przybylski zitierten Brief mit, Honecker habe alle jagdlichen und sonstigen Einrichtungen der Jagdgebiete unentgeltlich genutzt, das Wild sei durch andere für ihn und seine Genossen gehegt und zum Abschuss vorgeführt worden. "Ihre privaten Leidenschaften haben dem Staat hohe Kosten verursacht. Die persönlich durchgeführten Abschüsse, die mehr mit Wildschlächterei als mit Jagdausübung zu tun hatten, entbehren jeder Moral und Ethik." Erich Honecker habe nicht nur die Regeln des Waidmanns gering geschätzt, er habe auch nicht die Menschen geachtet, die mit ihm zu tun hatten, schrieb Rüthnick weiter. Sie seien für ihn nur Zutreiber und willfährige Diener wie zu Zeit der Fürsten gewesen.

Im Museum ist zu erfahren, dass in der Schorfheide im Verlauf der 1980er Jahre ein unverhältnismäßig hoher Bildbestand "erzeugt" wurde. Sein Ziel bestand einzig und allein darin, viel Wild für die Jagd der hohen Funktionäre und deren Gäste zur Verfügung zu stellen. Am Ende der DDR habe sich der Wildbestand auf etwa das Vierfache der normalen Dichte erhöht. Der "Wildaufbau" habe das ökologische Gleichgewicht gestört, hinzu seien Landwirtschaftsschäden vor allem zu starken Verbiss und Schälen von Baumrinden entstanden. Nach der politischen Wende in der DDR 1989/90 befasste sich ein Untersuchungsausschuss mit der Jagd(miss)wirtschaft in der DDR. Bürgerinitiativen sorgten dafür, dass die Folgen der Staatsjagdpraxis öffentlich und grundlegende Veränderungen vorgenommen wurden. Alle mit den Sonderjagdgebieten befassten Einrichtungen wurden aufgelöst. Die Folge war, dass viele in der Umgebung lebende und beruflich von der Staatsjagd abhängige Leute sich nach einer neuen Beschäftigung umsehen mussten. Spricht man mit Menschen vor Ort, dann mischen sich mit Blick auf die "Honecker-Ära" Spott, Hohn und Zorn mit stiller Wehmut angesichts angeblich verloren gegangener besserer Zeiten. .

10. 6. 2022

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