Schatzkammer des Wissens und der Kunst
Berliner Staatsbibliothek zeigt nach dreizehnjähriger Vorbereitungszeit im neuen Kulturwerk eine bemerkenswerte Auswahl ihrer Bestände





Wer die Löwenklinke an der Tür der Staatsbibliothek Unter den Linden 8 in Berlin drückt, gelangt in eine Schatzkammer des Wissens, wie sie kaum woanders auf der Welt zu finden ist.



Am Rande des heutigen Bebelplatzes und der Staatsoper gegenüber ließ König Friedrich II. eine großartig gestaltete Bibliothek errichten. Die vergoldete Inschrift NUTRIMENTUM SPIRITUS (Nahrung des Geistes) haben die Berliner in "Sprit is ooch Nahrung" umgedeutet. (Kupferstich aus dem späten 18. Jahrhundert)



Die Staatsbibliothek freut sich auf regen Besuch der neuen Kulturwelt rechts neben der Freitreppe. Die Exponate werden aus konservatorischen Gründen von Zeit zu Zeit ausgetauscht, so dass man immer wieder etwas Neues sieht.



In den abgedunkelten Räumen lernt man viel über die Bibliothek und ihre Geschichte, diese Vitrine berichtet von Gründung 1661 durch den Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg.



In fünf Zeitabschnitten zeigt das neue Kulturwerk der Staatsbibliothek bibliophile Kostbarkeiten wie die um 1454/55 in Mainz gedruckte Gutenberg-Bibel, deren Gestaltung sich an mittelalterlichen Handschriften orientierte. Das Berliner Exemplar mit fast 1300 Seiten gehört zum Altbestand der Staatsbibliothek und ist eines von 49 bekannten Stücken der ursprünglichen Auflage, die mit etwa 180 angegeben wird.



Autographen wie die h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach sind in der Schatzkammer zu sehen. Da der Thomaskantor für seine Noten eine Tinte benutzte, die sich mit dem Papier schlecht verträgt, müssen sie in einem aufwändigen Verfahren Seite für Seite restauriert werden. Diese vor einigen Jahren begonnene Arbeit ist noch lange nicht abgeschlossen.



In der DDR verbotene Spottschriften wie die in West-Berlin gedruckte "Tarantel" (rechts neben einem Pamphlket gegen den CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß) wurden in der Staatsbibliothek zwar gesammelt, man hat sie aber bis zum Ende des SED-Regimes im "Giftschrank" separiert. Eine Sonderausstellung verbotener Literatur ist geplant.



Zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften lagern im Depot der Staatsbibliothek im Berliner Westhafen. Da viele Ausgaben digital erschlossen sind, können sie auch vom häuslichen Arbeitsplatz eingesehen werden. Das Foto zeigt drei Zeitungen aus den Revolutionsjahren 1848/49. (Fotos/Repro: Caspar)

Nach 13 Jahren Vorbereitungszeit hat die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Unter den Linden 8 in Berlin am 13. Juli 2022 ihre Kulturwerk genannte Schatzkammer eröffnet. In abgedunkelten Räumen rechts neben der Haupttreppe werden auf 1000 Quadratmetern bei schwacher Beleuchtung von nur 50 Lux wegen der Empfindlichkeit der Objekte zahlreiche Bücher und Handschriften, aber auch Autographe berühmter Komponisten, ferner Briefe und Manuskripte, Zeitungen, Zeitschriften und Flugblätter, Landkarten und Globen, des weiteren Porträts und Stadtansichten, Grafiken und Fotografien und viele andere Objekte aus den Sammlungen der 1661 vom Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm gegründeten und danach von den Hohenzollern geförderten "Schatzkammer des Wissens" dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr und donnerstags bis 20 Uhr bei freiem Eintritt gezeigt. Hinzu kommen Bilder und Dokumente zur Geschichte der Bibliothek und ihrer Standorte in der preußisch-deutschen Hauptstadt von den Anfängen im kurfürstlichen Schloss bis zur Gegenwart. An zwei Standorten Unter den Linden in Berlin-Mitte und an der Potsdamer Straße bietet die Bibliothek mehrere Fachinformationsdienste für die Forschung und Lehre an, in zunehmendem Maße werden die Bestände und damit auch der Inhalt des neuen Stabi Kulturwerks digital erschlossen und sind einsehbar, ohne dass man ein Buch aufschlagen oder eine Seite umwenden muss.

Kultur- und Wissenschaftsmeile Museumsinsel/Unter den Linden

Mit der Eröffnung des Stabi Kulturwerks durch Kulturstaatsministerin Claudia Roth findet eine der größten Kulturbaumaßnahmen des Bundes der letzten Jahrzehnte ihren Abschluss. Die Kultur- und Wissenschaftsmeile Museumsinsel/Unter den Linden erfährt mit der Generalsanierung und Modernisierung des Stammhauses 1 der Staatsbibliothek eine bedeutende Ergänzung. In mehreren Etappen war das denkmalgeschützte Gebäude aus der Kaiserzeit Leitung des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung umfassend saniert, modernisiert und erweitert sowie mit moderner Gebäudetechnik ausgestattet worden. Das Haus besitzt einen Erweiterungsbau mit dem Allgemeinen Lesesaal und weitere Lesesäle mit insgesamt 660 Arbeitsplätzen. Es verfügt über ein leistungsfähigen Digitalisierungszentrum sowie klimatisierte Magazine. Außerdem ist für einen schnellen Transport der Bücher aus diesen gesorgt. Vor dem Umbau des Hauses war das ein großes Problem.

Berlins jüngstes Museum lädt ein zu einer spannenden Zeitreise von der barocken, mit Büchern und allerlei Kuriositäten gefüllten Wunderkammer des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg über die Königliche Bibliothek bis zur Staatsbibliothek von heute mit ihren vielen Millionen Büchern, Bildern, Manuskripten und anderen Objekten. Ursprünglich im Apothekerflügel des Berliner Schlosses untergebracht, erlebte die Sammlung dank der Förderung durch den preußischen und deutschen Staat einen Höhenflug ohnegleichen, war jedoch in Kriegs- und Krisenzeiten manchen Gefahren und Verlusten ausgesetzt. Die deutsche Wiedervereinigung machte es möglich, die über Ost- und Westberlin verteilten Bestände zusammen zu führen.

Schauräume zwischen Tresormagazinen und Lesesälen

Vor 13 Jahren wurde im Rahmen eines Architekturwettbewerbs der Entwurf der Berliner Arbeitsgemeinschaft Astrid Bornheim Architektur mit DKO Architekten zur Realisation für die neuen Schauräume neben der Haupttreppe ausgewählt. Ziel war es, ein neues Museum zwischen Tresormagazinen und Lesesälen in die Struktur des im Zweiten Weltkrieg beschädigten, in DDR-Zeiten mühevoll sanierten und nach 1990 mit großem Aufwand denkmalgerecht um- und ausgebauten und modernisierten Hauses einzubinden.

Vom hell gestrichenen Foyer geht es hinein in das Stabi Kulturwerk, das über zwei parallel verlaufende Erzählstränge verfügt. Auf der linken Seite lädt die stark abgedunkelte Dauerausstellung auf etwa 1000 Quadratmetern zu einem Parcours durch fünf chronologisch gegliederte Kapitel ein. Sie stellen große Abschnitte der Berliner Buch- und Schriftensammlung in Bild und Schrift vor. Ein ausgeklügeltes Klimakonzept sorgt dafür, dass die sparsam ausgeleuchteten Exponate keinen Schaden nehmen. Die Raumtemperatur geht nicht über 20 Grad, darüber hinaus herrscht in Vitrinen mit besonders kostbaren Ausstellungsstücken eine gesonderte, auf sie zugeschnittene konstante Feuchtigkeit und Temperatur.

Nibelungenlied, Gutenbergbibel, h-Moll-Messe

Vertreten in der Ausstellung ist sowohl wissenschaftliche Literatur etwa im Gestalt von Wörterbüchern und mathematischen Berechnungen als auch Belletristik in seltenen, manchmal kostbar gebundenen Ausgaben. Man kann persische Handschriften betrachten oder auch historische Karten studieren. Zu sehen sind ein Buch mit Darstellungen von Segelschiffen sowie astronomische Karten und sogar Modezeitschriften und Theaterzettel, um die Bandbreite anzudeuten. Nicht zuletzt zeigt die Ausstellung Propagandaschriften aus dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg und auch ein Flugblatt mit dem Aufruf der Widerstandsgruppe Weiße Rose zum Sturz des Hitler-Regimes.

Hingucker der besonderen Art sind in der eigentlichen, über eine Wendeltreppe erreichbaren Schatzkammer reich illuminierte Handschriften und Drucke auf Pergament wie das Nibelungenlied aus der Zeit um 1440 sowie die Gutenberg-Bibel aus der Zeit um 1454/55, die wie Bachs h-Moll-Messe in das UNESCO-Register "Memory of the World" aufgenommen wurde. Man sieht der Bibel an, dass sich der Drucker Johannes Gutenberg bei der Gestaltung von zeitgenössischen Handschriften leiten ließ. Weitere Kostbarkeiten in der Schatzkammer sind eine persische Handschrift aus der Zeit um 1605 mit farbenfreudigen Miniaturen, die aus dem Leben früherer Könige erzählt, aber auch ganz frühe Fotografien (Daguerretypien) aus der Zeit um 1850.

Wirken nach außen und bürgerschaftliche Beteiligung

Manche Stücke im Stabi Kulturwerk stammen aus Nachlässen bekannter Künstler, Schriftsteller, Wissenschaftler und Verleger. Die Briefe, Manuskripte, Drucke, Fotografien und andere Hinterlassenschaften haben in der Staatsbibliothek ein gutes und sicheres Zuhause gefunden, harren aber noch der Auswertung. Dr. Achim Bonte, der Generaldirektor der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, und Kuratorin Carola Pohlmann sind sich sicher, dass das neue Buch- und Schriftenmuseum bei den Berlinerinnen und Berlinern und Gästen der Hauptstadt gut ankommt. Der Name "Staatsbibliothek" sollte niemand vor dem Besuch abschrecken, und wer einmal dort gewesen ist, wird gern wiederkommen, zumal die Exponate aus konservatorischen Gründen nach Ablauf weniger Monate gegen ähnliche Stücke ausgewechselt werden und daher immer etwas Neues zu sehen sein wird. In der Regel werden Originale gezeigt, und wo es Faksimiles sein müssen, ist das in den Vitrinen vermerkt. Der Bibliotheksdirektor sieht große Chancen für externe Mitarbeit. "Wir legen Wert auf die Einbeziehung unserer Leser und von Experten im Lande, die spezielles Wissen besitzen und über manche Dinge besser Bescheid wissen als wir Bibliothekare. Wenn unser Kulturwerk die bürgerschaftliche Beteiligung fördern würde, wäre eines seiner Ziele schon erreicht, denn die Staatsbibliothek sendet Wissen nach draußen und nimmt Wissen von dort sehr gern hinein."

Der abgedunkelte Schauraum wird in seiner ganzen Länge von wechselnden Bildern durchzogen, die an die Wand projiziert werden. Sie erzählen aus der Geschichte der Bibliothek und zeigen Bilder markanter Persönlichkeiten, die in der Bibliothek gearbeitet oder sie gefördert haben. Neben der Ausstellung gibt es noch eine 200 Quadratmeter große Fläche für Wechselausstellungen. Am 17. August 2022 wird hier die Sonderausstellung "Unheimlich fantastisch" zur Erinnerung an den Berliner Schriftsteller, Komponist und Kammergerichtsrat E. T. A. Hoffmann eröffnet, der vor 200 Jahren starb und wegen zeitkritischer Erzählungen Ärger mit der preußischen Zensur bekam.

Empfindliche Lücke in der Museumslandschaft geschlossen

Das Stabi Kulturwerk füllt eine empfindliche Lücke in der Berliner Museumslandschaft, und es macht neugierig, was auf diesem Gebiet weiter zu erwarten ist. Konkret wird das Kollwitzmuseum im Langhansbau neben dem Schloss Charlottenburg eingerichtet. Hinter der Ruine des Anhalter Bahnhofs entsteht ein Exilmuseum, für das die Staatsbibliothek das eine oder andere Stück bereit stellen kann. Zehn international renommierte Architekturbüros waren eingeladen, Vorschläge für den Neubau zu erarbeiten. Gefordert war ein Gebäude mit etwa 3500 Quadratmetern Fläche für das eigentliche Museum, darüber hinaus sollen auf etwa 700 Quadratmetern Räume für Freizeit und Kultur entstehen, die separat erschlossen werden. Aus neun eingereichten Arbeiten wurde der Entwurf des Büros von Dorte Mandrup aus Kopenhagen zum Sieger gekürt.

In der Staatsbibliothek, und nicht nur dort, wird darüber nachgedacht, wie die national und international bedeutende Geschichte Berlins als Standort von zahlreichen Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen sichtbar gemacht wird. Das Stabi Kulturwerk kann in seiner Ausstellung schon aus Platzgründen nur andeuten, welche Bedeutung dieses weite Feld, um mit Theodor Fontane zu sprechen, auf die geistige und mediale Entwicklung unseres Landes hatte und hat. So kommt auf die Staatsbibliothek, deren Zeitungs- und Zeitschriftenbestände in einem Depot im Berliner Westhafen sicher aufbewahrt und dort auch eingesehen werden können, viel Arbeit zu, um diesen umfangreichen, wegen des verwendeten Papiers auch sehr fragilen Bestand aus dem Dornröschenschlaf zu holen und in einer repräsentativen Auswahl der Öffentlichkeit nahe zu bringen.

14. Juli 2022

Zurück zur Themenübersicht "Ausstellungen, Museen, Denkmalpflege"