Karl Marx und der Kapitalismus
Deutsches Historisches Museum würdigt einen bedeutenden Denker und Warner und zeigt, was er uns heute bedeutet



Karl Marx, seine Zeit, seine Kapitalismuskritik und sein Nachwirken stehen im Mittelpunkt einer bis 21. August 2022 im Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums laufenden Ausstellung. Sie ist von 10 bis 18, am Donnerstag bis 10 Uhr geöffnet.



Zahlreiche Exponate aus dem 19. Jahrhundert wie ein Webstuhl, eine Nähmaschine und eine Dampfmaschine schildern die Auswirkungen der Industrialisierung auf Menschen und Länder, und sie zeigen, wie sich zu Marx' Zeiten und danach die ohnehin schon weite Schere zwischen Oben und Unten, Arm und Reich noch mehr öffnete.





Auf einem besonders drastischen Bild ist zu sehen, dass die schamlose Ausbeutung von Menschen in damaligen Kolonien in Europa sehr wohl wahrgenommen und kritisiert wurde. Genutzt hat die Empörung allerdings wenig. Die zweite Karikatur zeigt, wie das finanzelle Desaster auch Börsianer und Unternehmer erwiswchen kann.



Karl Marx wurde am 17. März 1883 in einem schlichten Grab in Anwesenheit von elf Personen beigesetzt. 1954 ließ die Kommunistische Partei Großbritanniens mit sowjetischer Hilfe das von Laurence Bradshaw geschaffene Grabdenkmal an einem anderen Standort in der Nähe errichten. Am 23. November 1954 wurden die sterblichen Überreste von Karl Marx, seiner Frau Jenny von Westphalen sowie seines Enkels Harry Longuet und seine Haushälterin Helena (Lenchen) Demuth wurden am 23. November 1954 exhumiert und in einem neuen Grab neu bestattet.



In der Ausstellungsabteilung über die Judenemanzipation und Antisemitismus zeigt eine Büste, wie Karl Marx in jungen Jahren, vielleicht als Student an der Berliner Universität, ausgesehen haben könnte. Das im Februar 1848 in London publizierte Kommunistische Manifest besitzt bis heute Sprengkraft. Wie der belgische Grafiker und Pazifist Frans Masereel die Mahnungen und Forderungen interpretierte, zeigt ein Bilderzyklus. Das Kommunistische Manifest wurde 2013 mit "Das Kapital" (Band 1) in das Weltdokumentenerbe der UNESCO aufgenommen.





Das Gemälde von Carl Wilhelm Hübner "Die schlesischen Weber" aus dem Revolutionsjahr 1848 , bei dem zu sehen ist, wie ein reicher Fabrikant die Stoffe einer armen Weberfamilie brüsk zurückweist, hat laut Friedrich Engels wirksamer für den Sozialismus agitiert als hundert Flugschriften. Der Münchner Maler Robert Koehler schuf 1886 das Bild "Der Streik" zu einer Zeit, als überall in Europa und den USA Arbeitsniederlegungen die Regierungen und Unternehmer in Rage brachten und oft brutale Gegenreaktionen auslösten. Beide Bilder befinden sich im Besitz des DHM, das über eine bedeutende Gemälde- und Grafiksammlung verfügt.



Während Leute aus dem Volk Mühe haben, sich und ihre Familien über Wasser zu halten, befragt auf der Karikatur ein gut bezahlter Professor der Nationalökonomie für sein neues Buch einen armen Schlucker, was ihm denn fehle und warum er denn hungert. Das "Lied vom Reichtum und der Not" aus dem Jahr 1843 endet mit den Worten: "Das ist das Ende von dem Liede, / vom Reichtum und der Noth: / An einem schönen Morgen / Schlug sie ihren Bruder todt." (Fotos/Repros: Caspar)

Das Ende des kommunistischen Weltsystems und mit ihm auch der DDR vor über 30 Jahren ließ einen dort strahlenden Stern sinken- Karl Marx, mit seinem Freund und Kampfgefährten Friedrich Engels Verfasser des "Kommunistischen Manifests" von 1848 und Autor des Mammutwerks "Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie" von 1867, dessen zweiter und dritter Band 1885 und 1894 von Friedrich Engels aus dem Nachlass herausgegeben wurde, sowie weiterer das 19. und 20. Jahrhundert beeinflussender Schriften. Das Deutsche Historische Museum (DHM) würdigt in seinem Pei-Bau mit der Ausstellung "Karl Marx und der Kapitalismus" den 1818 in Trier geborenen und 1883 in London verstorbenen Philosophen und Visionär, Journalisten und politischen Aktivisten, der bis heute und darüber hinaus in vielen Köpfen und unzähligen Schriften präsent ist und angesichts aktueller Krisen und Umstürze wieder neu gelesen und interpretiert wird.

Ikone im Kampf gegen Imperialismus und Kolonialismus

Parallel zu der Marx-Ausstellung erinnert das DHM in einer weiteren, vom 8. April bis 11. September 2022 laufenden Dokumentation mit dem Titel "Richard Wagner und das deutsche Gefühl" an einen seiner Zeitgenossen, den Komponisten Richard Wagner. Der Präsident der DHM-Stiftung, Rafael Gross, wies bei der Eröffnung darauf hin, dass beide Persönlichkeiten und ihre Anhänger unter Kapitalismus jeweils etwas anderes verstanden und auf unterschiedliche Weise von mörderischen Regimes in Anspruch genommen wurden. "Wir gehen gewissermaßen drei Schritte zurück, wir beleuchten Marx in der Zeit, bevor sein Werk durch seinen Freund und Mitautor Friedrich Engels eine starke Verbreitung fand", sagte Groß. Die Ausstellung gehe vor die Zeit zurück, in der Karl Marx vom Führer der Bolschewiki, Wladimir Iljitsch Lenin, zum ideologischen Vater der Oktoberevolution von 1917 erhoben und von der Kommunistischen Internationale im Kampf gegen Imperialismus und Kolonialismus oder wie man auch sagte im Klassenkampf zur Ikone gemacht wurde.

In der von Sabine Kritter nach einem Projektentwurf von Jonathan Sperber kuratierten Ausstellung wird gezeigt, wie Karl Marx auf einen umfassenden sozialen und kulturellen Wandel seiner Zeit nach der Französischen Revolution von 1789 reagierte, durch die ständische Privilegien und religiöse Hierarchien auf den Prüfstand gestellt wurden. Sie zeigt, dass in vielen Teilen Europas neben der Landwirtschaft und dem Handwerk neue Formen der mit Maschinen arbeitenden Produktion und der Verteilung von Gütern entstanden, wie neue Eliten Macht und Einfluss bekamen und alte in den Hintergrund gedrängt wurden, aber verbissen um ihre gesellschaftliche Stellung kämpften.

Als roter Halbgott verehrt und missbraucht

Dass Karl Marx in der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten einschließlich der DDR bis zum Erbrechen wie ein roter Halbgott zitiert und gefeiert sowie als Alibi für schreckliche Verbrechen missbraucht wurde, kann man ihm nicht anlasten. Unbestritten ist seine Rolle als wortgewaltiger Kritiker des Kapitalismus und der Ungerechtigkeiten seiner Zeit. Auf der anderen Seite haben die Nationalsozialisten den fanatische Antisemiten Richard Wagner als Stichwortgeber für ihre Hetze gegen die Juden und andere "Untermenschen" ausgenutzt, wie die Goebbels-Propaganda tagtäglich in die Welt schrie. Wagners Beliebtheit als Musiker hat dies auch nach 1945 nicht geschadet. So ist es bemerkenswert, dass die wieder aufgebaute Staatsoper im Ostteil von Berlin, also unter kommunistischer Herrschaft, 1954 mit den "Meistersingern von Nürnberg" eröffnet wurde, und dies in Kenntnis der Vorliebe der Nazis und speziell ihres Anführers Adolf Hitler für diesen exzentrischen Musiker. Das Thema wird demnächst im DHM behandelt.

Anhand von Gemälden und Grafiken sowie Büchern, Zeitungen, Plakaten und Manuskripten, aber auch Maschinen aus dem Industriezeitalter, die viele Arbeiter brotlos machten, und vielen anderen Objekten aus dem Bestand des DHM und aus anderen Museen und Archiven berichtet die Ausstellung, welchen Einfluss ein Denker wie Karl Marx auf seine Zeit hatte und wie er versuchte, deren Abgründe zu überwinden und eine menschenfreundliche Gesellschaft aufzubauen. In sieben Themenkomplexe gegliedert, schildert die Dokumentation im Pei-Bau religions- und gesellschaftskritische Kontroversen im 19. Jahrhundert, aber auch die Wirkungen des sich entwickelnden Antisemitismus und wie Marx dazu stand. Gut inszeniert wird ferner das Aufflammen von Revolutionen und Freiheitsbewegungen sowie von Streiks und Gewalt, das Umsichgreifen neuer Maschinen und Technologien und ihre Wirkung auf die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Menschen von damals, aber auch von heute. Schließlich geht es um globale Wirtschaftskrisen und die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. Die Ausstellung wäre unvollständig, würde sie auch auf die damals nicht unumstrittene Emanzipation der Frauen und auf die durch Schriften von Marx, Engels und Gesinnungsgenossen befeuerten Protestbewegungen in Deutschland, Europa und der Welt ein. Das alles sind Themen, die auch heute nichts von ihrer Sprengkraft verloren eingehen. Indem sie Ausstellung Karl Marx und sein Jahrhundert zurück blickt, stellt und beantwortet sie Fragen nach der Aktualität seine Werkes und wirft einen kritischen Blick auf die Rezeption seiner Theorien im 20. Jahrhundert und heute.

Für deren Gestalter war die Frage, was gezeigt und erläutert werden kann und was weg gelassen werden muss, schwierig zu entscheiden. Gern hätten sie bei mehr Räumlichkeiten noch mehr Objekte berücksichtig. So hätte man gern auch das wenige Geld betrachtet, mit dem die zum Aufstand gegen das kapitalistische System aufgerufenen Proletarier abgespeist wurden, oder die menschenunwürdigen Lebens- und Wohnverhältnisse kennengelernt, zu denen Arbeiter-, Handwerker und weitere am unteren Ende der gesellschaftlichen Stufenleiter stehenden Familien mit ihren vielen Kindern verdammt waren.

Ein Gespenst geht um in Europa

Angesichts verheerender und bösartiger Auswüchse des Kapitalismus, einer weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise sowie gefährlicher Rechtstendenzen und des Wiederauflebens von rassistischen und nationalsozialistischem Gedankengut sind Erkenntnisse von Karl Marx als des Begründers des wissenschaftlichen Sozialismus, wie man in der DDR sagte, wieder gefragt. Manch ein Zeitgenosse schaut in seine Hauptwerke "Zur Kritik der politischen Ökonomie" und "Das Kapital" oder in das von ihm und Friedrich Engels 1847 im Auftrag des Bundes der Kommunisten verfasste und im Februar 1848 in London veröffentlichte "Manifest der Kommunistischen Partei". Aus einer Einleitung und vier Kapiteln bestehend, erschien es am Vorabend der Februarrevolution in Frankreich und der Märzrevolution in Deutschland in sechs Sprachen, darunter auch in deutsch. Zu geflügelten Wörtern wurden Aufrufe am Anfang und Ende der auch im DHM ausgelegten schmalen Schrift, nämlich "Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Kommunismus" und "Proletarier aller Länder, vereinigt euch!" Alle Mächte des alten Europa hätten sich zur heiligen Hetzjagd gegen dieses Gespenst verbündet. Es sei hohe Zeit, dass die Kommunisten dem Märchen vom Gespenst des Kommunismus ein Manifest entgegenstellen. Marx und Engels zufolge ist die Befreiung der Menschheit von Ausbeutung und Unterdrückung Sache des modernen Proletariats und kann nur durch Zusammenschluss der Arbeiter über Ländergrenzen hinweg erreicht werden. Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft sei die Geschichte von Klassenkämpfen. Unterdrücker und Unterdrückte hätten stets gegeneinander gestanden, hätten einen Kampf geführt, "der jedes Mal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endet oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen".

So einprägsam der Kampfruf formuliert ist, so oft es von Marx, Engels und anderen Autoren verbreitet und interpretiert wurde - der Zusammenschluss der Arbeitermassen gegen ihre Unterdrücker fand nicht statt. Länderübergreifende Organisationen zerbrachen zu Beginn des Ersten Weltkriegs beziehungsweise wurden im Falle der Kommunistischen Internationale sowjetischen Sonderinteressen untergeordnet. Die Ideen von Marx und Engels wurden in den von Moskau beherrschten Staaten zwar als unsterblich erklärt, "weil sie wahr sind", erwiesen sich aber als nicht durchführbar. Das hindert heutige Philosophen, Politiker und Ökonomen nicht daran, über die Verwendbarkeit der Ideenwelt von Marx und Enges neu nachzudenken, etwa wenn es um die Enteignung von Banken und Konzernen und die Regulierung von ökonomischen und sozialen Prozessen durch den Staat geht.

Übervater mit mächtigem Bart

"Das Kapital" und andere Schriften, von denen die Ausstellung alte Drucke und einige Handschriftenproben zeigt, lesen sich alles andere als einfach. Und diejenigen, die sich nach Marx' Tod durch die Texte kämpfen mussten, verstanden unter den Aussagen je nach politischem Standort stets etwas anderes. Gleich am Beginn der Ausstellung begegnen wir Karl Marx als eine Art Übervater mit wallendem Haupthaar und mächtigem Bart. Daneben zwei Bilder von seinem Grab auf dem Highgate Cemetery in London - einmal mit einfacher Inschriftenplatte ohne Kreuz und zum anderen mit einer imposanten Büste und dem Motto auf dem Kommunistischen Manifest "Proletarier aller Länder vereinigt euch". Die Ausstellung zeigt beispielhaft an den Bildern, wie man Karl Marx im 19. Jahrhundert sah und wie man ihn später in der kommunsitischen Welt zum "Klassiker des Marxismus-Leninismus" erhob und so wie er auch in Gestalt des Marx-Engels-Denkmals im damaligen Ost-Berlin gefeiert wird.

10. Februar 2022

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