Mexikanische Bilderhandschriften
Staatsbibliothek zeigt Schätze, die Alexander von Humboldt aus der Neuen Welt nach Berlin gebracht hat



Gleich hinter der Tür geht es in der Staatsbibliothek Unter den Linden 8 in das vor einigen Monaten eröffnete Stabi Kulturwerk, das die umfangreichen Sammlungen der im 17. Jahrhundert angelegten Bibliothek vorstellt und eine Schatzkammer mit besonders wertvollen Druck- und Handschriften besitzt. In weiteren Räumen finden Wechselausstellungen statt. Bis zum 26. Februar 2023 dreht sich hier alles um die „Manuscripta americana“.



Alexander von Humboldt als Entdecker unbekannter Pflanzen, die er nach Europa schickte, und in Marmor gemeißelt vor der Berliner Humboldt-Universität. Hier hält er mit seinem Bruder, dem Bildungsreformer und Diplomaten Wilhelm von Humboldt, freundlich auf die Passanten blickend Wache.



Angeblich brachten die Spanier, so deren Propaganda, den unterworfenen Völkern nur Glück und Zufriedenheit. In Wirklichkeit aber sahen sie in ihren Kolonien nichts als ein Reservoir zur eigenen Bereicherung und und Festigung ihrer Stellung in der Welt. Die Grafik links zeigt, wie ein "Eingeborener" von den Kolonialherren misshandelt wird.



Die Humboldt-Scheibe kann nur als Replik gezeigt werden, da das Original Kriegsverlust ist. Dargestellt ist der von einem Strahlenkranz umgebene aztekische Sonnengott Tonatiuh mit Pfeilen und einem Wurfbrett in den Händen.



Im Dorfbuch von San Martin Ocoyacac hat man im 18. Jahrhundert indigene Ansprüche auf Landbesitz festgehalten. Das war wichtig, weil viele Unterlagen verloren gegangen waren. Die Zeichnungen und Inschriften auf Amate-Papier sind absichtlich „auf alt“ gemacht. Die so genannten Techialoyans sind bis heute für die indigene Bevölkerung von großem historischem und emotionalem Wert. Das ausgestellte Buch mit der Signatur Ms. americ. 7 fol. stammt aus der Sammlung von Carl Adolph Uhde, die 1861 mit zahlreichen anderen Hinterlassenschaften von König Wilhelm I. für rund 10 000 Taler erworben und der Berliner Bibliothek übergeben wurde.



Ausschnitt aus einer Klageschrift einer indigenen Gemeinde gegen die Spanier. Es geht um unbezahlte Rechnungen und Übergriffe der Besatzer und die Erpressung von unbezahlten Dienstleistungen.



Der Ritualkalender, hier das Faksimile als Geschenk aus Mexiko an die Staatsbibliothek, besteht aus zwei miteinander verzahnten Reihen aus 20 Tageszeichen und 13 Zahlen und ergibt 260 Kombinationen. Jedes Blatt zeigt eine 13-tägige Woche mit dem Namen der Tage und den Schutzgottheiten.



Der Ausschnitt einem anderen Codex schildert die Versuche der Eroberer, die indigene Bevölkerung zu christianisieren. Die Kirche setzte alles daran, Bildhandschriften der „Heiden“ und andere Objekte systematisch zu vernichten, was ihr aber nicht ganz gelungen ist. (Fotos/Repros: Caspar)

Das Kulturwerk der Staatsbibliothek Unter den Linden zeigt bis zum 26. Februar 2023 die Ausstellung „Manuscripta americana – Den Azteken auf der Spur“. Gleich neben einer wegen der Lichtempfindlichkeit der Hand- und Druckschriften abgedunkelten Ausstellung über die Geschichte der Staatsbibliothek und ihre Schätze geht die neue Dokumentation der Frage nach, was indigene Bilderschriften und steinerne Artefakte über das Leben in Mexiko vor und nach der Kolonisierung durch die Spanier zu Beginn des 16. Jahrhunderts uns zu sagen haben. Geschildert wird auch, wie sich Ausbeutung und Widerstand gegen die Kolonialherren in den fragmentarisch erhaltene Bilderhandschriften niederschlagen. Die Codices waren der systematischen Vernichtung durch die Eroberer entgangen und von Alexander von Humboldt und anderen Forschungsreisenden gesammelt worden. Das älteste Fragment ist etwa 500 Jahre alt und dokumentiert auf einer Länge von vier Metern, welche Abgaben die Azteken benachbarten Königreichen abforderten, bevor sie selbst von den Spaniern unterworfen wurden.

Hommage an Alexander von Humboldt

Die Ausstellung ist eine Hommage an den Weltreisenden Alexander von Humboldt und seine Kollegen, die um 1800 und danach die Neue Welt, also den amerikanischen Kontinent bereisten und dabei nicht nur Pflanzen und Mineralien sammelten, sondern auch nach kulturellen und sprachlichen Zeugnissen der indigenen, das heißt der einheimischen Bevölkerung Ausschau hielten und vieles in ihre Heimatländern brachten.Die Schriftensammlung befindet sich, bedingt durch Auslagerungen im Zweiten Weltkrieg, in der Staatsbibliothek zu Berlin und der Biblioteka Jagiellonska in Kraków. Die Berliner Handschriften werden durch virtuelle Ansichten der Krakauer Handschriften ergänzt. Gezeigt wird im hinteren Teil der Ausstellung, wie in der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung das Alter der Objekte ermittelt, ja auch wie die Stücke einzelnen Werkstätten und Künstlern anhand des Designs sowie der verwendeten Papiere und Farben zugeordnet werden können. Dokumentiert werden auch Untersuchungen zur Frage, wie man Fälschungen von den Originalen unterscheiden kann.

Alexander von Humboldt traf am 22. März 1803 an Bord der Fregatte Orue in Acapulco ein. König Carlos IV. von Spanien knüpfte wirtschaftspolitische Interessen an dieForschungsreise, denn er hoffte, neue Rohstoffquellen erschließen und nutzen zu können und unbekannte Pflanzenarten in Europa heimisch werden zu lassen. Humboldt und der Botaniker Aimé Bonpland sammelten exotische Pflanzen, machten sie in Form von Herbarien transportfähig und schickten tausende Exemplare nach Berlin, Paris, London und Madrid. Die Sendungen nach Berlin bildeten die Grundlage für das 1879 gegründete Königliche Botanische Museum. „Die Pflanzen der Neuen Welt zählen zu den zahlreichen Entdeckungen Humboldts in Amerika, die er wissenschaftlich bearbeitete. Er setzt sie in Beziehung mit bekannten Exemplaren, versucht, sie systematisch zu erfassen, benennt sie und veröffentlicht sie mit farbig gezeichneten Abbildungen“, schreibt Baltazar Brito Guadarrama in dem von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung und der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz herausgegebenen Begleitheft zur Ausstellung (119 Seiten, zahlreiche Abb., ISSN 2567-1251).

Ähnlichkeiten bei Hochkulturen im Blick

Humboldt schaute sich auch nach altamerikanischen Kultobjekten um und sammelte schriftliche Hinterlassenschaften der Azteken und verglich diese Objekte mit denen anderer Hochkulturen und machte auf Ähnlichkeiten aufmerksam. Ihre Integration in die Erkenntnisse über die Alte Welt faszinierte ihn, er sah darin eine Bereicherung der naturgegebene Einheit einer globalen Welt. Die nach Berlin gelangten sogenannten Humboldt Fragmente stammen aus indigenen Gemeinden in Zentral und Südmexiko aus dem 16 Jahrhundert. Mit diesen Bruchstücken mexikanischer Bilderhandschriften initiierte Alexander von Humboldt, so ist in der Ausstellung zu erfahren, die wissenschaftliche Beschäftigung mit den indigenen Kulturen Amerikas.

Kommunikation über Grenzen hinweg

Die Fragmente gehören zum jüngsten Zweig der alt-mexikanischen Schriftentwicklung, die etwa 3000 Jahre zurückreicht und unterschiedliche Schriftsysteme ausgebildet hat. Während die älteren Hieroglyphenschriften wie die der Maja nur von Sprechern und Sprecherinnen einer bestimmten Sprache gelesen werden konnten und verstanden wurden, ermöglichten die jüngeren Schriften Zentral und Südmexikos eine Kommunikation über ethnische und sprachliche Grenzen hinweg.

Die Humboldt-Fragmente 9 bis 12 gehören wahrscheinlich zu einer Klageschrift einer indigenen Gemeinde gegen die Spanier. Wer die Streitenden waren, ist nicht bekannt. Es ging um unbezahlte Rechnungen und physische Übergriffe zur Erpressung von unbezahlten Trägerdiensten. Diese körperlich schwere Arbeit forderte viele Todesopfer unter den indigenen Männern und durfte bereits um 1530 nur noch auf freiwilliger Basis gegen Entgelt ausgeführt werden. Außerdem stellen die Fragmente individuelle Handwerksleistungen den Kolonialherren in Rechnung.

Ausbeutung, Unterdrückung, Widerstand

Bei den Schriftfragmenten geht es immer wieder um Ausbeutung und Widerstand der unterworfenen Menschen, aber auch um Landbesitz und den Kampf der indigenen Eliten um ihre soziale und politische Stellung. Nachzulesen und zu betrachten sind auch schriftlich fixierte Versuche der Eroberer, die als „Heiden“ angesehene Bevölkerung zu christianisieren.

Im Jahr 1892 zeigte die Königliche Bibliothek zu Berlin Bruchstücke mexikanischer Bilderhandschriften, die Alexander von Humboldt ihr 1806 geschenkt hatte. Anlass war der 400. Jahrestag der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus. Das älteste Fragment ist ein mehr als vier Meter langes Register auf Papier, das aus dem Rindenbast der Feigenbäume gewonnen hat.Es geht darin um Naturalabgaben, die vor 500 Jahren an die Azteken entrichtet werden mussten. Der Codex markiert den Beginn der Kolonialzeit Mexikos, das damals Neuspanien hieß.

In Berlin stießen die Neuerwerbung auf großes Interesse, und schon bald kamen weitere Stücke aus Schenkungen, Nachlässen und Ankäufen hinzu. Die Ausstellung zeigt nicht nur Stücke aus der Sammlung von Alexander von Humboldt und weiteren Sammlern. So kam es 1862 zur Auktion der Uhdeschen Sammlung, die König Wilhelm I. für rund 10.000 Taler ankaufte. Die Objekte wurden auf die Königliche Bibliothek, die heutige Staatsbibliothek und andere Institutionen aufgeteilt. Die zu dem Ankauf gehörenden Dokumente mit der Unterschrift Wilhelms I., der 10 Jahre später deutscher Kaiser wurde, sind in der Ausstellung ausgelegt.

10. Dezember 2022

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