Kopie oder Neuschöpfung?
Schlösserstiftung investiert weitere Millionen in ihre Bauten und bereitet Ausstellung über Wiederaufbau von Charlottenburg vor



Margarete Kühn, die Direktorin der Schlösserverwaltung, kannte die Hohenzollernresidenz mit dem auffälligen Kuppelturm noch vor seiner Zerstörung, und sie empfand es als unerträglich, dass die Ruine dem Erdboden gleich gemacht werden könnte, denn solche Pläne gab es damals. Das Foto zeigt rechts den unter Friedrich dem Großen erbauten Neuen Flügel, in dem sich auch der Weiße Saal mit dem ungewöhnlichen Deckengemälde von Hann Trier befindet.





Dem unermüdlichen Drängen der Kunsthistorikerin Margarete Kühn ist die Rettung des Schlosses Charlottenburg nach dem Zweiten Weltkrieg zu verdanken. Auf dem Foto ist hinter ihr die Ruine zu sehen, davor das 1952 aufgestellte Reiterdenkmal des Großen Kurfürsten. Die von Joachim Dunkel 1975 geschaffene Kühn-Büste steht im Weißen Saal.



Unter https://artsandculture.google.com/partner/schloss.charlottenburg sind dieser Entwurf von Hann Trier für die Decke des Weißen Saals und weitere Bilder und Informationen über die Hohenzollernresidenz zu finden.



Der modernen Ausmalung des Weißen Saals war eine langjährige Diskussion über eine mögliche Rekonstruktion des vom Hofmaler Antoine Pesne geschaffenen barocken Deckenbildes vorausgegangen. Eine Wiederherstellung wäre aufgrund von Fotografien und Beschreibungen durchaus möglich gewesen, doch wurde anders entschieden.



Figuren der Barockzeit nachempfunden ist der Attikaschmuck auf der Gartenseite des Schlosses. Ihnen fehlen die Gesichter.







Das kleine Lustschloss auf der Pfaueninsel sowie die Römischen Bäder und die Villa Liegnitz im Park von Sanssouci stehen auf der Liste der Baumaßnahmen im Bereich der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten ganz oben. (Fotos/Repros: Caspar)

Wie das erste so hat auch das zweite Corona-Jahr hat den preußischen Schlössern in Berlin und Brandenburg bei Besucherzahlen und Einnahmen Einbußen beschert. Doch es konnten wichtige Bau- und Sanierungsvorhaben realisiert werden, und weiter sind für 2022 und danach geplant. Dazu gehören das Schloss auf der Pfaueninsel, die Meierei und die Villa Liegnitz im Park Sanssouci sowie das Schloss Charlottenburg. Aus dem bis 2030 laufenden Sonderinvestitionsprogramm des Bundes und der beiden Bundesländer seien im laufenden Jahr rund 23,3 Millionen Euro für Bau- und Planungsleistungen vorgesehen, sagt Generaldirektor Christoph Martin Vogtherr. Zu den größeren Vorhaben im laufenden Jahr gehört auch eine Ausstellung über den Wiederaufbau von Schloss Charlottenburg nach dem Zweiten Weltkrieg und den im damaligen Westberlin ausgetragenen Streit über die von dem Maler Hann Trier geschaffenen moderne Deckengemälde. Mit ihnen wurden die bei den Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg verloren gegangenen barocken Deckenbilder im Auftrag von König Friedrich II. von Antoine Pesne geschaffenen Deckengemälde ersetzt. Überdies soll 2023 eine große Ausstellung zum Thema "Kolonialismus und Kunst in Preußen" zu sehen sein. Geplant ist ferner eine Dokumentation über die "NS-Verstrickung des Hauses Hohenzollern", die auch Gegenstand von Ermittlungen namhafter Historiker und eines Gerichtsverfahrens sind.

Debatten um eine traurige Ruine

Bis zum Ende der Monarchie im Jahre 1918 hatten die Hohenzollern vor allem in Berlin und Potsdam, aber auch im Schloss Charlottenburg residiert, das Preußens erster König Friedrich I. für seine Gemahlin Sophie Charlotte im frühen 18. Jahrhundert als Sommerresidenz hat errichten lassen. Dem im 18. und 19. Jahrhundert um- und ausgebauten und von Friedrich II., dem Großen, gleich nach dessen Thronbesteigung 1740 durch den Neuen Flügel ergänzten Palast erging es im Zweiten Weltkrieg schrecklich wie unzähligen anderen Bauten in der Reichshauptstadt. Das Schloss inmitten eines weitläufigen Parks wurde am 23. November 1943 und noch viel schlimmer im Februar 1945 durch Fliegerbomben zerstört. Danach war es nur noch eine traurige Ruine, und es war nicht klar, was aus ihr werden soll.

Wer das Berliner Schloss Charlottenburg besucht, wird nicht gleich wissen, dass es im Wesentlichen eine sehr präzise Rekonstruktion aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist. Sie beruht auf alten Archivunterlagen, Bauplänen und Fotografien sowie Beschreibungen. Einbezogen wurden auch zahlreiche seinerzeit aus den Trümmern geborgene Reste aus Stein, Holz und Stück einbezogen. Da große Teile von Berlin in Trümmern lagen und Wohnraum sowie Wirtschafts- und Verkehrsbauten dringend benötigt wurden, war es bei Politikern im damaligen Westberlin und in der Bevölkerung nicht einfach, die Trommel für den Wiederaufbau der Hohenzollernresidenz zu schlagen. Doch genau dieses Ziel machten sich die Kunsthistorikerin Margarete Kühn und weitere Visionäre zur Aufgabe.

Margarete Kühns Kampf war erfolgreich

Margarete Kühn und Kollegen suchten in den Trümmern nach verwertbaren Relikten und stellten sie für den geplanten Wiederaufbau sicher. Außerdem wurden alle greifbaren Bilder und Dokumente für den geplanten Wiederaufbau gesammelt. Die Diskussion um den Wiederaufbau wurde befördert, nachdem 1950 in Ostberlin das ebenfalls von Bomben getroffene, aber immerhin besser erhaltene Stadtschloss auf Befehl der SED abgerissen wurde, ein Bau, der als Humboldt Forum seine Wiedergeburt erlebt hat. So lag es nahe, für den Wiederaufbau des Charlottenburger Schlosses auch mit dem Argument zu werben, dass man sich damit von den kommunistischen Machthabern und Kulturvernichtern im Osten abzuheben, so die damalige Diktion auf westlicher Seite. vorläufigen Abschluss, doch waren damit die Arbeiten außen und innen noch lange nicht beendet.

Die unerschrockene Kunsthistorikerin Kühn und ihre Mitstreiter fanden in Vertretern der britischen Besatzungsmacht Fürsprecher, und so konnte der Wiederaufbau mit der Sicherung der Ruine und der Bergung aller Überreste beginnen. Die Rekonstruktion fand 1957 mit der Wiederherstellung der Schlosskuppel ihren vorläufigen Abschluss, doch gingen die Arbeiten weiter. Aktuell steht die Außensanierung des Bauwerks an. Wer sich heute über die damals heiß umstrittenen und heute als große Kunst der Moderne anerkannten Hann-Trier-Gemälde und weitere Baumaßnahmen informieren will, kann das in der Online-Ausstellung "StilBRUCH? Die Moderne im Wiederaufbau von Schloss Charlottenburg" tun.

Bekannte und bisher unbekannte Aufnahmen und neu entdecktes Archivmaterial, die die einstige Sommerresidenz der Hohenzollern von einer weitgehend unbekannten Seite zeigen, wobei das von Hann Trier 1972 für den Weißen Saal des unter Friedrich dem Großen erbauten Neuen Flügels geschaffene Deckenbild steht. Die Ausstellung liefert einen Beitrag zur Rekonstruktionsdebatte, die seit der Wiedervereinigung 1990 mit Bauprojekten wie dem Berliner Humboldt Forum oder zuletzt den Paradezimmern im Dresdner Schloss entfacht wurde. Nicht nur die neuen Erkenntnisse aus Archivmaterialien der 1940er bis 1970er Jahre und der Fund der großen Entwürfe zum Deckenbild erlauben einen Einblick in die spannende Zeit des Wiederaufbaus, sondern auch Interviews mit Zeitzeugen.

Online-Ausstellung lädt zum Rundgang ein

Die Online-Ausstellung lädt zu einem Gang durch die Geschichte des Schlosses Charlottenburg ein. Sie beginnt mit dem Thema "Zerstörung. Wiederaufbau?" und widmet sich der nach 1945 gestellten Frage, ob es angesichts des Elends und der Zerstörungen in der Viersektorenstadt sinnvoll und vertretbar ist, den durch zwei Luftangriffe nur noch in seinen Außenmauern stehenden Palast wieder aufzubauen oder auf dem Gelände etwas anderes zu errichten. Es folgt das Kapitel "Wie weit soll man gehen?", in dem teilweise ungewöhnliche denkmalpflegerische Lösungen am und im Schloss Charlottenburg vorgestellt werden. Der Abschnitt "Im Fokus: der Weiße Saal" thematisiert den Verlust des Deckenbildes von Antoine Pesne, beschreibt die Wiederherstellung des zerstörten Raumes und wirft einen Blick auf den Umgang mit verlorenen Deckengemälden auch in anderen Schlössern und Bauten in Deutschland. Es geht weiter mit "Eine Decke als Problem: Der Weg zu Trier", wo die heftigen Kontroversen und die langjährigen, öffentlich geführten Entscheidungsprozesse von den Entwürfen bis zur Ausführung geschildert werden. Das Kapitel "Der Weiße Saal und die Folgen: Die Moderne beim Wiederaufbau" fasst die Auswirkungen der Debatte um weitere Maßnahmen im Schloss Charlottenburg und über die Kunst von Hann Trier zusammen und wirft einen Blick in die DDR und nach Potsdam zum dortigen Umgang mit zeitgenössischer Kunst. Im Schlussteil kommen Persönlichkeiten zu Wort, die sich in Theorie und Praxis sowie in den Medien mit dem Umgang mit Lücken im historischen Umfeld und der Frage beschäftigen, welche Rolle der Moderne bei der Rekonstruktion historischer Bauten zukommt.

Zeitzeugen berichten vom Wiederaufbau

Zur Online-Dokumentation mit ihren höchstauflösenden Fotografien von Deckenbildern und interaktiven Google Street View-Aufnahmen gehören Aussagen von Zeitzeugen, die zu den Vorgängen der 1960er und 1970er Jahre befragt wurden. Dazu gehören der Kunsthistoriker Helmut Börsch-Supan, der seit 1961 für die damalige Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten in Berlin gearbeitet hat und deren Stellvertretender Direktor er von 1983 bis 1995 war. Zu Wort kommt sein Kollege Heinz Schönemann, der seit 1963 bei den Staatlichen Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci als Schlösserdirektor tätig und bis 1999 Stiftungskonservator bei der Preußischen Schlösserstiftung Berlin-Brandenburg war. Interesse verdienen auch die Aussagen der Soziologin Renate Mayntz Trier. Die Witwe von Hann Trier ist Soziologin war 1985 Gründungsdirektorin des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln. Der Kunsthistoriker Adrian von Buttlar schließlich forscht unter anderem zu Theorie, Politik und Geschichte der Denkmalpflege. Sein Vater Herbert von Buttlar, ehemaliger Generalsekretär der Akademie der Künste in Berlin und Direktor der Hamburger Kunsthochschule, war mit Carl Timner befreundet, der einen Entwurf für das Deckenbild im Weißen Saal schuf.

15. April 2022

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