„Haltet mir die Gipse rein“
Alte Nationalgalerie würdigt Johann Gottfried Schadow als Vater der Berliner Bildhauerschule und zeigt seine bedeutendsten Werke



Etwa 400 bildhauerische Werke und 2300 Zeichnungen von Schadows Hand sind überliefert, die Ausstellung in der Alten Nationalgalerie auf der Berliner Museumsinsel zeigt davon bis zum 19. Februar 2023 eine repräsentative Auswahl.



Die Ausstellung "Schadow - Berührende Formen" über den „Vater der Berliner Bildhauerschule“, sowie Zeitgenossen, die er ausgebildet hat oder die von ihm inspiriert wurden, findet großen Zuspruch. Schadows wichtigste Auftraggeber waren das Königspaar Friedrich Wilhelm III. und Luise, die bereits 1810 starb.



Wenig Sympathie empfand Friedrich Wilhelm III. für einige Werke von Schadow wie das Grabmal seines Halbbruders Alexander Graf von der Mark, ein illegitimer Sohn von Friedrich Wilhelm II. und der Gräfin Lichtenau.





Höhepunkte der Schadow-Ausstellung sind die mecklenburgischen Prinzessinnen aus Marmor (oben) und Gips. Ausdrücklich wird betont dass die an dem Gipsmodell entwickelten Restaurierungsmethoden zerstörungsfrei sind und sich gut auch auf andere Objekte dieser Art übertragen lassen.





Arbeiten in Stein, Marmor und Bronze sowie Zeichnungen wie hier für ein Denkmal Friedrichs II., des Großen, das nicht realisiert wurde, ziehen in der Alten Nationalgalerie bewundernde Blicke auf sich.





Posthum wurde Johann Gottfried Schadow 1850 mit einer Medaille geehrt, die mit den Schicksalsgöttinnen vom Grabmal des Grafen von der Mark Beginn, Höhepunkt und Ende des menschlichen Lebens symbolisiert. Der Maler und Grafiker Johannes Grützke ehrt mit der Medaille den Namensgeber der vor 30 Jahren gegründeten Schadow Gesellschaft Berlin, die sich umfassend um das Erbe des Künstlers kümmert, es in ihrer Schriftenreihe publiziert und dafür sorgt, dass einige seiner Bildwerke auf öffentlichen Plätzen in Berlin und in Kirchen außerhalb der Stadt zu Ehren kommen.



Schadows auf die französischen Besatzer zielenden Karikaturen hätten es verdient, dass man sich ihrer erinnert. (Fotos/Repro: Caspar)



Es hat lange gedauert, bis die Alte Nationalgalerie der Staatlichen Museen dem großen Bildhauer, Grafiker und Direktor der Berliner Akademie der Künste Johann Gottfried Schadow (1764 bis 1850) eine repräsentative, von Yvette Deseyve kuratierte Ausstellung „Schadow - Berührende Formen“ gewidmet hat. Überall sind in dem Kunsttempel auf der Museumsinsel seine Werke zu sehen, jetzt sind die wichtigsten gemeinsam mit Leihgaben bedeutender Sammlungen in der obersten Etage ausgestellt – Skulpturen, Modelle, Zeichnungen, Gemälde, Handschriften und weitere Objekte. Gleich im Eingang empfängt Schadows berühmte Prinzessinnengruppe die Besucherinnen und Besucher, jedoch nicht als das dort aufgestellt Original aus Marmor, sondern als eine von Hans Peter Feldmann gestaltete knallbunte Nachbildung der aus Mecklenburg-Strelitz stammenden Schwestern, die gut in das Straßenbild des heutigen Berlin passen würden.

Johann Gottfried Schadow war vor über 200 Jahren einer der berühmtesten Künstler in Preußen. Er verstand es wie kaum ein anderer, so erfährt man gleich am Eingang der Ausstellung, die herausragende Stellung des Hofbildhauer mit unternehmerischem Erfolg und einer soliden bürgerlichen Existenz zu verbinden und dabei sein Netzwerk über die Landesgrenzen zu pflegen und auszubauen. Schadows Werk war von einer enormen Produktivität geprägt. Er modellierte und meißelte, er zeichnete und studierte menschliche Physiognomien, er verfasste kunsttheoretische Traktate und beeinflusste als Direktor der Berliner Kunstakademie das Kunst- und Kulturleben in der preußischen Hauptstadt, er war Gastgeber zahlloser Besucher und veröffentlichte 1849 kurz vor seinem Tod unter dem Titel „Kunstwerke und Kunstansichten“ seine Lebenserinnerungen. Das Quellenwerk zur Berliner Kunst- und Kulturgeschichte vor und nach 1800 wurde 1997 von Götz Eckardt in drei Bänden als kommentierte Neuausgabe mit vielen Illustrationen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

König fand Prinzessinnen fatal

In elf Themenräumen stellt die Alte Nationalgalerie der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz die bildhauerischen und grafischen Hauptwerke des !1788 mit erst 24 Jahren zum Hofbildhauer ernannten Ausnahmekünstlers vor und schöpft dabei aus den eigenen Beständen, zeigt aber auch Skulpturen und Grafiken internationaler und nationaler Leihgeber. So bietet die Ausstellung Einblicke in das Leben des Künstlers und seiner Familie und macht mit seinen Freunden und Schülern bekannt. Im Mittelpunkt steht die Entstehungsgeschichte der berühmten Prinzessinnengruppe, deren Gipsmodell von 1795 und die marmorne Ausführung von 1797 in einem mit Spiegeln an der Wand versehenen Saal man von allen Seiten betrachten kann,, was vom Meister auch beabsichtigt war. Ergänzend dazu sind das verkleinerte Doppelstandbild der mecklenburgischen Prinzessinnen Luise und Friederike zu sehen, die bis heute in der Königlichen Porzellanmanufaktur Berlin (KPM) aus vielen Einzelteilen gefertigt wird, sowie Entwurfszeichnungen, Modelle und Vorbilder für die damals ungewöhnliche Doppelstatue zu sehen. Die keineswegs hoheitsvolle Darstellung der Schwestern, von der eine 1797 Königin Luise von Preußen wurde, und die andere, Friederike, den preußischen Prinzen Friedrich heiratete, der schon 1796 starb, entsprach ganz und gar nicht den Vorstellungen des 1797 auf den preußischen Thron gelangten Königs Friedrich Wilhelm III., der einen bürgerlichen Lebensstil pflegte und sich lieber mit Akten befasste als mit Kunst. Er nannte die Ikone klassizistischer Bildhauerei nur „fatal“, also peinlich und unangenehm, und verbannte sie in einen abgelegenen und schlecht beleuchteten Raum des Berliner Schlosses. Aus diesem Exil hat man sie ein Jahrhundert später ans Tageslicht geholt und sofort als herausragendes Werk von Schadow gefeiert.

Die Doppelstatue war nicht das einzige Werk, das Friedrich Wilhelm III. missfiel. In seinem Lebenserinnerungen schreibt Schadow, der stets in der dritten Person von sich spricht: „Für unseren Künstler hatte es die Folge, dass drei seiner Werke von dem Könige, seinem Herrn, als Fatalitäten angesehen worden. Se. Majestät bediente sich nämlich des Ausdrucks: ,Ist mir fatal!' Dies waren das Denkmal des Grafen von der Mark, die Marmorgruppe der beiden Prinzessinnen und das beabsichtigte Denkmal im Dom [gemeint das Grabmonument für den Prinzen Friedrich Ludwig, für dessen Verzicht Schadow entschädigt werden sollte,H. C.]. Damals hörte man auch den König sagen, wie verdrießlich es sei, viel Geld ins Ausland zu schicken für Kunstwerke, welche Frau Gräfin Lichtenau [die Geliebte des 1797 verstorbenen Königs Friedrich Wilhelm II., H. C.] in Italien gekauft habe. Sonst sah unser Herr Kunstarbeiten mit Vergnügen, kaufte auch der gleichen von solchen, die grade nicht als Meister bekannt waren, und hatte eine stille Vermutung, dass die Meister seines Landes doch wohl nicht so hoch ständen, als die Enthusiasten solche anpriesen. Alle Anträge jedoch, den Kauf von Kunstwerken betreffend, die zum Unterrichte dienen sollten, wurden genehmigt.“ Mit anderen Worten hat der Thronwechsel und bald darauf die kriegerischen Zeiten Schadow und anderen Künstlern machen Verdruss eingebracht, wovon die Ausstellung auch berichtet.

Schädliche Anstriche auf empfindlichem Material

Auf seinem Sterbebett soll Wilhelm von Humboldt,.1835 seinen Kindern ans Herz gelegt haben: „Seid heiter und haltet mir die Gipse rein, denn das ist die Hauptsache“, womit der der Gründer der Berliner Universität und berühmte Bildungsreformer seine Wertschätzung für Gipsabgüsse antiker Figuren meinte, aber auch die Schwierigkeit bei ihrer Erhaltung. Denn das wasserlösliche und hochempfindliche Material reagiert auf Druck und Reibung, weshalb bei den Prinzessinnen und ähnlichen Objekten herkömmliche Verfahren gegen Verschmutzungen nicht mehr in Betracht kommen. Vielfach wusste man sich früher nicht anders zu helfen als die Gipse hell zu übermalen. Dass man das tat, stellt heutige Restauratoren vor große Probleme. Ausführlich berichtet die Ausstellung über die langjährige Restaurierung des Gipsmodells der Prinzessinnengruppe, das als Vorlage für die, wie Untersuchungen zeigen, millimetergenaue Ausführung in Marmor diente. An dem Gips waren Schäden die aufgrund mindestens sieben Übermalungen entstanden. Diese Anstriche hatten für Oberflächenspannungen und Abschalungen gesorgt. Frühere Restaurierungen haben schwere Schäden an der Gipsoberfläche hinterlassen, ist auf einer Tafel zu lesen. Darüber hinaus wurde Luises Hand, die das so genannte Überspieltuch statt eines zunächst beabsichtigten Blumenkörbchens hält, falsch angesetzt und der Faltenwurf stark verändert. Mit Hilfe eines 3D-Modells wurden jetzt alle „Rückveränderungen“ digital simuliert, um sie dann anschließend real auszuführen. Auch das von Schadow aus einem in Gips und Bier getauchten Tuch aus Flachs modelliert hatte, konnte stabilisiert werden. Durch Abnahme der Übermalungen sind die ursprüngliche Form und Farbgebung des Doppelstandbildes nun wieder ablesbar.

Johann Gottfried Schadow war ein großartiger Zeichner, das belegen viele ausgestellte Grafiken, darunter auch solche, die er seinem Besuch in Rom von 1785 bis 1787 angefertigt hatte. Darunter befinden sich tanzende Grazien und die mythischen Brüder Castor und Pollux, von denen die antike Ildefonso-Gruppe zeugt. Sie schildern Zusammengehörigkeit ebenso wie individuelle Eigenständigkeit, und dies drückt auch die Prinzessinnen aus. In Rom lernte Schadow die berühmte Singularetantum kennen, deren Kopfdrapierung für Luises Schal unter Kinn und Hals Pate stand. An anderer Stelle der Ausstellung wird gezeigt, dass und wie sich Schadow dem Studium der Natur verpflichtet fühlte. Ergebnisse seiner jahrelangen Forschungen zu Proportionen der Menschen hat der Meister unter dem Titel „Polyclet oder von den Maassen des Menschen nach dem Geschlechte und Alter mit Angabe der wirklichen Naturgrösse nach dem rheinländischen Zollstocke und Metermasse“ von 1834 veröffentlicht. Er nutzte alle sich bietenden Gelegenheiten, um Menschen zu vermessen. Johann Wolfgang von Goethe soll eine diesbezügliche Anfrage lachend abgelehnt haben. Hingegen durfte der Bildhauer die Gesichtszüge der preußischen Prinzessinnen aufnehmen und hat damit für höchsten Realismus gesorgt. An an einer anderen Stelle der Ausstellung wird gezeigt, wie Skulpturen entstehen. Der Weg führt von ersten Entwurfsskizzen und plastischen Modellen, den so genannten Bozzetti, bis zum großen Modell als Vorlage zur Ausführung in Stein oder Metall. Mit ihnen können Besucherinnen und Besucher quasi einen Blick über die Schulter des Bildhauers tun.

Bei aller Freude über die Ausstellung sollte eine kritische Anmerkung nicht fehlen. Schadows größtes und bekanntestes Bildwerk, die Quadriga auf dem Brandenburger Tor, kommt nicht vor, seines Lutherdenkmals in Wittenberg wird anhand eines Modells gedacht. Der berühmter Münzfries, um dessen Restaurierung und öffentliche Aufstellung sich die Schadow Gesellschaft Berlin und die Nationalgalerie mühen und von von dem aktuell eine Platte im Knoblauchhaus im Nikolaiviertel gezeigt wird, spielt als Beispiel für die hohe Kunst, die Schadow bei Monumentalskulpturen an den Tag gelegt hat, keine Rolle. Kaum zu verstehen ist, dass verschiedene Medaillen und Gedenkmünzen mit dem Porträt des Altmeisters fehlen. Im Abschnitt über das Nachleben des großen Meisters hätten sie einer Vitrine zusätzlichen Glanz verliehen.



28. Oktober 2022

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