Gegen Bauhausstil und Formalismus
In der frühen DDR gab es einen Glaubenskampf darüber, welchen Weg die sozialistische Baukunst gegen soll



Die Hochhäuser auf der Ostberliner Stalinallee waren beliebte Motive auf Plakaten, mit denen in der frühen DDR für das Nationale Aufbauprogramm und Bauberufe geworben wurde. Manche Bauarbeiter-Familien bekam en eine Wohnung auf der „Magistrale des Sozialismus“, wie die 1961 in Karl-Marx-Allee umbenannte Prachtstraße hieß. Dass man im Westen die auch für Militärparaden und Demonstrationen genutzte Prachtstraße als „Zuckerbäckerstil“ verspottete, ist schon längst Geschichte. Sie steht unter Denkmalschutz und wurde in den vergangenen Jahren aufwändig saniert und restauriert.



Bloßes funktionales Bauen von vielen Wohnungen ohne Schnörkel und sozialistischen Bombast fand in der Stalinallee nicht statt. Die Laubenganghäuser im Bauhausstil wurden nur an der Weberwiese errichtet, weil sie der DDR-Führung nicht gefielen.



Die Hochhäuser auf der Ostberliner Stalinallee waren beliebte Motive auf Plakaten, mit denen in der frühen DDR für das Nationale Aufbauprogramm und Bauberufe geworben wurde. Manche Bauarbeiter-Familien bekam en eine Wohnung auf der „Magistrale des Sozialismus“, wie die 1961 in Karl-Marx-Allee umbenannte Prachtstraße hieß.







Die mit der „Kraft der ganzen Republik“ erbaute Stalinallee sollte nicht nur die Pflege des Nationalen Baukulturerbes, sondern auch die Überlegenheit des Sozialismus beweisen, den man damals auch im deutschen Westen errichten wollte. Die breite Avenue verlor erst 1961, fünf Jahre nach der spektakulären Entlarvung des Generalissimus durch Chruschtschow 1956 auf dem XX. Parteitag der KPdSU den Namen Stalinallee und heißt seither Karl-Marx-Allee. Die Fotos zeigen oben eine Grundsteinlegung mit DDR-Prominenz sowie darunter , wie im Rahmen des Nationalen Aufbauwerks Ziegelsteine von Abrisshäusern für Neubauten genutzt werden.



Bei der Stalinallee/Karl-Marx-Allee wurde großer Wert auf skulpturalen Schmuck sowie Propaganda auf Keramiktafeln gelegt. Da das Bauensemble komplett unter Denkmalschutz steht, wurden auch sie vor einigen Jahren gereinigt und restauriert.



Propagandakunst wie der zum Kampf gegen Imperialismus und Nazigefahr aufrufende Ernst Thälmann war ganz nach dem Geschmack der SED-Führung, die auch das Leben des von den Nazis ermordeten KPD-Vorsitzenden verfilmen ließ. Der schwebende Friedensengel des von den Nazis u n d den Kommunisten abgelehnten Bildhauers und Grafikers Ernst Barlach schmückt den Güstrower Dom und andere Kirchen.



Als die von der SED und Regierung gehätschelten Bauarbeiter von der Stalinallee am 17. Juni 1953 für bessere Bezahlung protestierten und sich ihnen überall in der DDR weitere Unzufriedene anschlossen, kam es zu einem Volksaufstand, der das kommunistische System ins Wanken brachte und nur mithilfe sowjetischer Panzer blutig niedergeschlagen werden konnte. Bis zum Ende der DDR fürchteten deren Führer einen „neuen 17. Juni“, der dann in Gestalt der friedlichen Revolution weitgehend eintrat. (Fotos/Repros: Caspar)

Nach den Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg lagen zahlreiche deutsche Städte in Schutt und Asche. Zahllose Familien hausten auf engem Raum ohne sanitären Komfort und suchten verzweifelt nach einer besseren Bleibe. Eine intakte Wohnung war für viele Menschen ein kaum zu erfüllender Traum. Das durch die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs und durch mangelnde Pflege der Bausubstanz verschärfte Wohnungselend glich oft den von Heinrich Zille gezeichneten Verhältnissen. Während auf der Ostberliner Stalinallee, der späteren Karl-Marx-Allee, werbewirksam und prestigeträchtig so genannte Arbeiterpaläste in die Höhe schossen, ließ die Bautätigkeit in den anderen Städten des zweiten deutschen Staats zu wünschen übrig. Ungeachtet gegenteiliger Propaganda herrschte überall Wohnungsnot , und so reimte in den frühen 1950-er Jahren die Ostberliner Zeitschrift „Zeit im Bild“ treffend: „Wen Gott auf dieser Welt verdammt, / Den schickt er auf das Wohnungsamt, / Doch eine Wohnung kriegt er ganz bestimmt, / Wenn Gott ihn wieder zu sich nimmt; / Drum prüfe, wer sich ewig bindet, / Ob er auch wirklich eine Wohnung findet.“

Wohnungsbauprogramm als Hauptaufgabe

Der SED-Chef und Staatsratsvorsitzende Erich Honecker versprach 1971 auf dem VIII. Parteitag der SED, die außerordentlich angespannte Wohnungsfrage durch Schaffung von zwei Millionen Neubauwohnungen zu lösen. Im Rahmen der von ihm ausgerufenen „Hauptaufgabe“ wurden in Berlin und zahlreichen anderen Städten sowie an deren Peripherie neue Siedlungen in Plattenbauweise aus dem Boden gestampft. Damit wurde viel Dampf aus dem innenpolitischen Kessel gelassen, aber die sozialpolitischen Maßnahmen konnten knapp 20 Jahre später dank der friedlichen Revolution 1989 den Einsturz der Mauer und das Ende der SED-Herrschaft nicht verhindern. Ungeachtet blumiger Verkündungen auf allen Kanälen und täglicher Erfolgsnachrichten über Planerfüllungen und Selbstverpflichtungen wuchs die Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Sie manifestierte sich in den 1980-er Jahren unter anderem in einer zunehmenden Zahl von Ausreiseanträgen, aber auch in regimefeindlichen Aktivitäten von kirchlichen und anderen Oppositionsgruppen. Um den Lebensstandard zu halten und zu verbessern, musste die DDR hohe Kredite aufnehmen, vor allem solche in der sonst verhassten Bundesrepublik Deutschland. Da sich der zweite deutsche Staat auf dem internationalen Parkett etabliert hatte, wurden ihm diese Milliarden quasi auf dem silbernen Tablett serviert. Der Schuldendienst allerdings entwickelte sich zu einer immer größer werdenden Belastung für die Volkswirtschaft und war einer der Gründe für den Staatsbankrott, der Ende 1989 auch für den Letzten sichtbar wurde.

NATRITRADI und NABAKU

Zurück in die frühen 1950er Jahre, als in der DDR ein Glaubenskrieg zwischen Tradition und Moderne, zwischen NATRITRADI und NABAKU tobte, womit Architekten, Bauleute und Denkmalpfleger die Belebung „Nationaler Traditionen in der Baukunst“ und die „Nationale Baukunst“ meinten. Es ging um Neubau und Stadtplanung im Geiste des preußischen Architekten Karl Friedrich Schinkel und seiner Nachfolger in Verbindung mit Stalinscher Monumentalarchitektur. Nach Moskau und andere Städte der Sowjetunion gereiste SED-Funktionäre und Minister hatten sie kennen und lieben gelernt. An prominenter Stelle sollte in der DDR-Hauptstadt ein riesiger Kulturpalast errichtet werden, für den die monumentale Lomonossow-Universität in Moskau als Vorbild diente. Realisiert wurden an der überbreiten Stalinallee zahlreiche Hochhäuser, Restaurants, Kino, Buchhandlung und Läden, ferner eine Sporthalle, ein Kinderkaufhaus und andere Pracht- und Prunkbauten. Außer den bis 145 Quadratmeter großen Wohnungen mit Parkettfußböden, Doppelfenstern und Klingelanlagen gab es Fahrstühle, Müllschlucker, Warmwasserversorgung und Zentralheizung. Wer hier eine Wohnung zu mäßig teurer Miete bekam, hatte es im Arbeiter-und-Bauern-Staat zu etwas gebracht.

Die Berufung auf nationale Bautraditionen war verbunden mit der Verteufelung des Bauhausstils der 1920er Jahre als Unkunst. Darin waren sich SED-Funktionäre unter Führung von Walter Ulbricht sich mit den Nationalsozialisten einig, natürlich ohne je einen Bezug auf deren Kunstdiktatur und Bauweise zu ziehen. Der Kampf gegen die Moderne stand unter der Parole „Wider den Formalismus“. Der Begriff wurde mit der Schändung der großen Kunsttraditionen und der Vernichtung von Kunst überhaupt gleichgesetzt. Dem „Kleinen Kulturpolitischen Wörterbuch“ (Berlin 1970) zufolge ging es um den humanistischen Grundinhalt der Kunst und „ihre historisch entwickelten formalen Errungenschaften“. In diesem Geist wurde die „Formenzertrümmerung und der Kultus des Hässlichen und Widerwärtigen“ bekämpft. Bei ihrem Urteil vermieden die kommunistischen Kunstrichter tunlichst das von den Nationalsozialisten verwendete Verdikt „entartete Kunst“, meinten aber das gleiche.

Dekadenz und Formalismus als Totschlagargumente

Dekadenz und Formalismus waren Vorwürfe, mit denen alles totgeschlagen wurde, was nicht in das Menschenbild und das kleinbürgerliche, geradezu piefige und kleinbürgerliche Kunstverständnis der SED-Führung und ihrer kulturpolitischen Nachbeter passte. Deshalb wurden Werke des Impressionismus und Expressionismus, der Bauhausstil und abstrakte Kunst wie schon bei den Nationalsozialisten als „Unkunst“ verteufelt und mit Hilfe der gleichgeschalteten Medien der Lächerlichkeit preisgegeben. Für den SED-Chef Walter Ulbricht etwa waren Vasen ohne Bauch und Blumendekor ein Graus, ebenso Nierentische mit schräg gestellten Beinen. In den Augen der SED war der Formalismus Ausdruck amerikanischer und sonst wie kapitalistischer Unkultur. Ihr stellte man den sozialistischen Realismus gegenüber und bemängelte, dass Erscheinungen des Formalismus auch in Arbeiten einheimischer Künstler vorkommen. Ihnen wurden Schwächen im ideologischen Gehalt der Kunstwerke und damit verbunden handwerklichen Mängel vorgeworfen. So wurde dem von den Nazis als „entartet“ verteufelten Bildhauer und Grafiker Ernst Barlach 1952 im SED-Organ „Neues Deutschland“ vorgeworfen, er sei ein Beispiel dafür, „wie ein wirklich großes künstlerisches Talent infolge des Fehlens der Orientierung auf diejenige Klasse, der die Zukunft gehört, trotz der besten subjektiven Absichten in den Sumpf des Mystizismus gerät.“

In seinem Beschluss gegen Formalismus und Kosmopolitismus vom 17. März 1951 stellte das Zentralkomitee der SED fest: „In der Architektur, die im Rahmen des Fünfjahrplans vor großen Aufgaben steht, hindert uns am meisten der sogenannte ,Bauhausstil' und die konstruktivistische funktionalistische Grundeinstellung vieler Architekten an der Entwicklung einer Architektur, die die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse in der Deutschen Demokratischen Republik zum Ausdruck bringt. (…) Die meisten Architekten gehen abstrakt und ausschließlich von der technischen Seite des Bauens aus, vernachlässigen die künstlerische Gestaltung der Bauwerke und lehnen das Anknüpfen an Vorbilder der Vergangenheit ab. In der gleichen Lage befindet sich die Innenarchitektur der Wohnungen, Verwaltungsgebäude, Klubhäuser, Kinos und Theater. Ebenso verhält es sich mit den Entwürfen für die serienweise Herstellung von Möbeln und anderen Gebrauchsgegenständen für das tägliche Leben. Die Produktion an Steingut und Porzellan ist weder künstlerisch noch praktisch und entspricht nicht den Berechtigten Anforderungen, die unser Volk an künstlerische Produktion stellt.“ Durch das Studium des Marxismus-Leninismus werde es den Kunstschaffenden am besten möglich, das Leben in seiner Aufwärtsentwicklung richtig darzustellen.

SED bestimmt Grenzen der Freiheit

Deutlicher wurde der führende Kulturpolitiker der SED, Anton Ackermann, der am 3. Februar 1946 auf der 1. Zentralen Kulturkonferenz der KPD erklärte und dabei vor Nazi-Vokabular nicht zurück schreckte: „Wenn dann aber irgendein Pseudokünstler herkommt, um Zoten über den Humanismus, die Freiheit und Demokratie oder über die Idee der Völkerfreundschaft zu reißen, dann soll er das ,gesunde Volksempfinden' ebenso empfindlich spüren wie der Pseudowissenschaftler, der mit anderen, aber nicht weniger verwerflichen Mitteln dasselbe versuchen sollte. Hier sind die Grenzen der Freiheit gezogen über die hinauszugehen den Tod aller Freiheit und Demokratie bedeuten würde. Das haben wir von 1918 bis 1933 bitter genug erfahren. (…) Aber es genügt, einmal gewisse Gemäldeausstellungen zu besuchen, um die bedauerliche Feststellung treffen zu müssen , dass mitunter Ismen gewählt werden, die schon nach dem ersten Weltkrieg versucht worden sind und heute offensichtlich nichts Besseres hervorzubringen vermögen, als damals. Solche Pseudokunst kann nicht erwarten, dass sie von unserem verarmten Volke eine besondere materielle Förderung erfährt. Denn das hieße, die kargen Mittel am falschen Objekt verschwenden, und so etwas können wir uns heute am allerwenigsten leisten.“ Architekten und Bauleute, die gegen den Strom schwammen und nicht wie der so sehr geschätzte Schinkel oder wie im Reich des Josef Stalin bauen wollten, hatten es schwer. Manche beugten sich dem Diktat der übermächtigen SED, andere gingen in die innere Opposition oder verließen das Land in Richtung Westen.

Angst vor neuem 17. Juni 1953

Der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 brachte die SED-Herrschaft ins Wanken. Über eine Million Menschen beteiligten sich an den Protestaktionen, die als Streik der Arbeiter von der Stalinallee begannen und binnen Stunden das ganze Land erfassten. Auslöser war eine von der Regierung verfügte Erhöhung der Normen. Mit dieser Maßnahme wollte man von den Arbeitern mehr Leistung erzwingen, war aber nicht bereit, dafür auch mehr Geld zu bezahlen. Da Walter Ulbricht und die anderen DDR-Machthaber auf die Forderungen der aufgebrachten Arbeiter nach Rücknahme der Normenerhöhung sowie nach freien, geheimen Wahlen nicht eingingen und, ihr Ende bereits vor Augen sehend, nach sowjetischen Truppen riefen, eskalierten die Ereignisse. Der sowjetische Stadtkommandant erklärte den Ausnahmezustand über den Ostteil der Viersektorenstadt und erklärte, Zuwiderhandlungen würde „nach den Kriegsgesetzen“ behandelt, mit anderen Worten, es würden Standgerichte in Aktion treten und kurzen Prozess machen. Auf beiden Seiten der Barrikaden kamen viele Menschen ums Leben. Die westlichen Besatzungsmächte und die Bundesregierung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer waren von den Ereignissen überrascht. Um nicht einen bewaffneten Konflikt mit der Sowjetunion und sogar einen Dritten Weltkrieg zu riskieren, erlegten sie sich große Zurückhaltung auf und kamen den bedrängten Ost-Berliner Arbeitern nur verbal zu Hilfe. Für Bundeskanzler Konrad Adenauer waren blutige Ereignisse ein weiterer Grund, die „Westbindung“ der Bundesrepublik Deutschland zu verstärken. Der schnell von der SED verkündete Neue Kurs brachte nur wenig Entlastung. Die massive Fluchtwelle konnte erst am 13. August 1961 durch den Bau der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze gestoppt werden.

23. April 2024