„Dies Buch gehört dem König“
Wovor Bettina von Arnim die Mächtigen ihrer Zeit warnte / Berliner Armutsbericht interessierte Friedrich Wilhelm IV. nicht



Auf dem Arnimplatz im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg steht unter alten Bäumen seit Oktober 1997 das überlebensgroße, von Michael Klein geschaffene Bronzedenkmal des Dichterpaars Bettina und Achim von Arnim.







Die sozialen, politischen und ökonomischen Probleme spitzten sich unter König Friedrich Wilhelm IV. zu und brachen sich in der Revolution von 1848/49 gewaltsam Bahn. Die Karikatur zeigt, wie der „Butt“, wie sich der König selber nannte, mit der deutschen Kaiserkrone spielt, die er mit beleidigenden Worten ablehnte. Daneben ein Porträt der Bettina von Arnim und darunter eine Gedenktafel im Foyer der Berliner Kongresshalle.



Das Schloss Wiepersdorf war in DDR-Zeiten Arbeits- und Erholungsstätte für Schriftsteller und Künstler und Erholungsstätte der Intelligenz. 2019 gründete das Land Brandenburg die öffentlich-rechtliche Kulturstiftung Schloss Wiepersdorf. Ihr Zweck ist die Förderung von Stipendiatinnen und Stipendiaten sowie die Pflege von Kunst, Kultur und Wissenschaft.



Die auf dieser Grafik von 1846 vorgeführte biedermeierliche Gemütlichkeit in der Zeit des Vormärz hatte tiefschwarze Seiten. Den meisten „kleinen Leuten“ ging es, wie Grunholzer schrieb, ausgesprochen schlecht.



Viele Bewohner des Voigtlands und an anderen Orten verdienten als Weber kärglichen Lohn und konnten sich und ihre vielen Kinder kaum über Wasser halten. Die Einführung mechanischer Webstühle war für sie und andere Gewerbetreibende eine existenzielle Bedrohung, weshalb es zur Maschinenstürmerei und – wie 1844 in Schlesien - zu Aufständen kam, die mit Waffengewalt niedergeschlagen wurden. Die Karikatur von 1848 schildert einen Bürgerschreck, der schwer bewaffnet auf die gottgewollte Ordnung los geht.



Nach dem Motto „Gegen Demokraten helfen nur Soldaten“ ließ Preußens König Friedrich Wilhelm IV. 1844 den Weberaufstand in Schlesien mit Waffengewalt niederschlagen und ging auch gewaltsam gegen die Barrikadenkämpfer der Märzrevolution 1848 vor. Das Gemälde zeigt, wie ein Textilfabrikant die mühsam gewebten Stoffe zurück weist und die Weber ihrem Schicksal überließ. (Fotos/Repros: Caspar)

Wer ist auf den deutschen Fünfmarkscheinen abgebildet, die 2002 mit der Einführung des Euro eingezogen wurden? Schon vergessen, nie in der Hand gehabt? Richtig, der grüne Fünfer war selten anzutreffen, obwohl man ihn in Millionenauflage gedruckt hat. Dargestellt ist die Schriftstellerin Bettina von Arnim (1785-1859). In ihrem Glauben an die Vernunft unerschüttert, empfahl sie ihrer Mitwelt, die Zeichen der Zeit zu erkennen, um Katastrophen vorzubeugen. Dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV., ihrem Landesherrn, schrieb sie, wie es wirklich um um die Ärmsten der Armen unter seinen Untertanen bestellt ist und dass die Ungerechtigkeit überwunden werden muss, um Schlimmeres zu verhüten.

Das Arnim-Denkmal würdigt zwei herausragende Schriftsteller der Romantik und des Vormärz. Der Bildhauer Michael Klein zeigt ein sitzendes Paar, das sich liebevoll umfasst. Bettina (eigentlich Bettine) von Arnim, die Schwester des Dichters Clemens Brentano, kam aus einem musischen Haus und verehrte den wesentlich älteren Goethe, dem sie ein – allerdings nicht realisiertes – Denkmal widmete. Den Ertrag aus dieser Freundschaft hat sie in dem Buch „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde“ publiziert, mit dem ihre Karriere als Schriftstellerin begründete. Das Dichterpaar lebte abwechselnd in Berlin und in Wiepersdorf (Landkreis Teltow-Fläming), wo es im Gutshaus einen Musenhof unterhielt.

Gebrechen der Zeit klar erkannt

Bettina von Arnim erkannte klarsichtig die Gebrechen ihrer Zeit und bedrängte die damals Herrschenden und namentlich den 1840 auf den preußischen Thron gelangten König Friedrich Wilhelm IV., das überlebte Feudalsystem zu reformieren und Macht mit dem Volk und einem von ihm gewählten Parlaments zu teilen. Die Dichterin war alles andere als eine Revolutionärin, und sie trug ihre Forderungen in moderatem Ton und verklausuliert vor. Sie widmete dem auch Romantiker auf dem Thron genannten Monarchen 1843 eine Streitschrift mit dem ungewöhnlichen Titel „Dies Buch gehört dem König“. Es enthält ein langes fiktives Gespräch mit Goethes Mutter, die angeblich die preußische Königin Luise trifft. Der Obrigkeit mögen ihre Forderungen nicht gefallen haben: ass die Reichen und Mächtigen irgend etwas abgeben und ihre Paläste mit den Armen und Entrechteten teilen – das war ein frommer Wunsch, auch nicht die Vision, dass man sich selber durch Hilfe „empor“ bringt, hat kaum jemand interessiert.

Wichtiger als die Schilderungen bürgerlichen und höfischen Lebens und moralischer Appelle sind die Betrachtungen über Freiheit und Moral und die von dem jungen Schweizer Lehrer und Journalisten Heinrich Grunholzer (1819-1873) verfasste Buch mit Beschreibungen im Anhang der menschenunwürdigen Zustände in den Berliner Armenquartieren. Bettina von Arnim hatte ihn im Februar 1843 kennen gelernt und seine Erkenntnisse spontan in ihr Buch aufgenommen, als es schon im Druck war. Grunholzer war Verfasser der ersten Sozialreportage der deutschen Literatur. Er hatte sich abseits der prunkvollen Fassaden und glänzenden Paraden in Berlin umgeschaut und mit Bewohnern der Armenkolonie im so genannten Vogtland vor dem Hamburger Tor gesprochen. Dort hausten die Ärmsten der Armen in schrecklichen Verhältnissen, auf wenig Raum zusammen gepfercht und von der übrige Bevölkerung in Familienhäusern untergebracht.

Menschenunwürdige Zustände

In der Rosenthaler Vorstadt von Familie zu Familie und Zimmer zu Zimmer gehend, lernte er Alte und Kranke, Ausgestoßene und Entrechteten kennen, die in der feudalen Gesellschaft keine Perspektive haben und sich, wenn überhaupt, mühevoll über Wasser halten. „Sie sind in viele kleine Stuben abgeteilt, von welchen jede einer Familie zum Erwerb, zum Schlafen und Küche dient. In vierhundert Gemächern wohnen zweitausendfünfhundert Menschen. Ich besuchte daselbst viele Familien und verschaffte mir Einsicht in ihre Lebensumstände“, schrieb Grunholzer. „In Nr. 92, Stube 27 wohnte der Arbeitsmann Weber. Seine Frau ist auf einige Jahre wegen Betteln eingesperrt, die Familie also von der Polizei auseinandergerissen. – (Wer einmal beim Betteln ertappt wird, kommt auf vier Wochen ins Arbeitshaus. Den ersten Rückfall straft man mit acht Wochen, den zweiten mit einem Jahre Arrest usf. bis auf vier Jahre.) Solche Strenge gegen das Betteln ist unmenschlich, wo man den Klagen der Armen nicht durch genaue Untersuchung und Abhülfe der Lage dürftiger Familien zuvorkommt. Vor einigen Tagen ging Weber, durch Hunger getrieben, mit einem sechsjährigen Knaben in die Stadt. Dieser mußte im Hause betteln und der Vater wartete vor der Türe. Jener wurde von den Polizeidienern erwischt, und dieser wollte ihn nicht verlassen. Man hat beide nach dem Arbeitshause gebracht. Ein Mädchen von zwölf Jahren und ein Knabe von acht Jahren sind unter Aufsicht des Verwalters der Familienhäuser gestellt und treiben sich bei guten Bekannten herum, bis der Vater losgelassen wird.“

Nur Kartoffeln und Hafergrütze

Im sogenannten Voigtland habe sich eine förmliche Armenkolonie gebildet, schreibt Grunholzer. Die Familienhäusern seien in viele kleine Stuben abgeteilt, von welchen jede einer Familie zum Erwerb, zum Schlafen und Küche dient. Das Buch erinnert daran, dass hier Invaliden aus den Befreiungskriegen vegetieren, um die sich keiner mehr kümmerte, obwohl sie geholfen hatten, dass die Hohenzollern wieder fest im Sattel saßen, aber auch um Leute, die nach Arbeitsunfällen auf Almosen angewiesen waren. Viele „Voigtländer“ leiden, weil der Vater durch Krankheit, Unfall oder Verwundung im Krieg nicht mehr arbeiten und Geld verdienen kann oder weil Maschinen das für ihn tun. Viele Mütter haben oft zehn Kinder und mehr zu Welt gebracht, sind krank und abgezehrt und können kaum etwas zum Lebensunterhalt beitragen. Oft genug sterben die Kinder im Säuglingsalter. Das wenige Geld reicht kaum zum Leben, und wer Schulden macht, kann sie kaum tilgen. Zu essen gibt es bestenfalls Kartoffeln und Hafergrütze, und in ihrer Not wird die letzte Habe für ein paar Silbergroschen verkauft. Als Tagelöhner und Heimarbeiter sind sie der Willkür ihrer Arbeitgeber ausgesetzt, die die Preise bestimmen und keine Gnade kennen.Wer keine Miete zahlen kann, fliegt auf die Straße.

In den von Grunholzer besuchten Wülcknitzschen Familienhäusern an der Gartenstraße in Berlin hausten hunderte Menschen auf kleinstem Raum. Die 1820 bis 1824 vom Baron v. Wülcknitz unter Ausnutzung der allgemeinen Wohnungsnot errichteten Behausungen im Scheunenviertel waren Brennpunkte sozialen Elends und gelten als Vorläufer der Berliner Mietskasernen. Wer hier lebte, stand in der gesellschaftlichen Stufenleiter ganz unten, war Armut, Hunger und Krankheiten ausgesetzt und wurde von Kriminellen terrorisiert. Die gemeinsamen Toiletten waren ein besonderes Problem, denn etwa 50 Bewohner kamen auf einen „Abtritt“. Die stinkenden Abwässer flossen in Senkgruben und weiter die Panke. Die Familienhäuser wurden 1881/82 abgerissen und durch neue Wohnhäuser ersetzt, die zum Teil noch stehen. Das Leben in den nach der Reichsgründung von 1871 überall in der neuen Reichshauptstadt massenhaft errichteten Mietskasernen war ähnlich bedrängt, elend und ohne Hoffnung auf Besserung.

Armenbuch blieb auf der Strecke

Zwar hat der König, der ein Musensohn und verhinderter Architekt war, den Eingang des Aufsehen erregenden Buches bestätigt, doch ob er es gelesen und verstanden hat, steht dahin. Außerdem dürfte er es als Unbotmäßigkeit empfunden haben, dass ihn eine seiner Untertanen aufforderte, „ein guter König des Volkes“ zu sein, dessen oberste Aufgabe es ist, seinen Untertanen Glück und Wohlstand zu bringen und es vor dem Untergang zu retten. Mit einem solchen Ansinnen hat Bettina von Arnim den „Romantiker auf dem Thron“ herausgefordert und überfordert, denn das von ihm und seinesgleichen vertretene „monarchische Prinzip“ sah zwar Volksnähe, aber keine wirkliche Volksbeteiligung an der Macht und auch nicht die Behebung der verzweifelten Lage der Proletarier vor.

Der Dichter und Publizist Achim von Arnim (1781-1831) begann seine berufliche Laufbahn als Naturwissenschaftler. Doch bewirkte die Bekanntschaft und Zusammenarbeit mit Clemens Brentano, Bettinas Bruder, eine verstärkte Hinwendung zur Literatur. Mit ihm veröffentlichte Arnim 1805 die Volksliedsammlung „Des Knaben Wunderhorn“. In der Zeit von Preußens Niedergangs und Erneuerung engagierte er sich für die Stein-Hardenberg’schen Reformen. Nach den Befreiungskriegen (1813-1815) zog sich das Paar nach Wiepersdorf zurück, wo Achim von Arnim Novellen und Erzählungen schrieb.

Nach dem Tod ihres Mannes hielt sich Bettina von Arnim, Mutter von sieben Kindern, nur noch selten in Wiepersdorf auf. Berlin lag ihr als Schauplatz politischer und sozialer Entwicklungen näher, und hier unterhielt sie einen berühmten Salon, in dem sich, wie schon in Wiepersdorf, die geistige Elite Preußens traf. Bettina in die längst fällige Ehrung ein. Bettina von Arnim, die über ein stattliches Vermögen verfügte, das ihr ein sorgenfreies Leben ermöglichte, ließ das Elend nicht kalt, sie dokumentierte, kommende Katastrophen vorausahnend, auch die erbärmliche Lage der schlesischen Weber, die sich 1844 gegen ihre Ausbeuter und Bedrücker erhoben. Das von ihr geplante „Armenbuch“ wurde nie gedruckt, weil die Autorin, deren Familie am preußischen Hof großes Ansehen genoss, die berechtigte Sorge hatte, für eine Anführerin des „Weberkriegs“ von 1844 in Schlesien gehalten zu werden.

28. Januar 2024