Kunst als Beute

Ausstellung im Berliner Humboldt Forum zeigt, warum Paläste geplündert wurden und wie Unrecht wieder gut gemacht wird



Der originale Pferdekopf von Schadows Quadriga wanderte aus dem Märkischen Museum (alte Aufstellung im Foto links) ins Humboldt Forum und wird als Beispiel für den Kunstraub unter Napoleon I. gezeigt.





Fragen rund um aus jüdischem Besitz stammendes Kinderspielzeug aus Silber und die barocke Kommode aus Frankreich sind nach wie vor nicht geklärt, aber Fachleute der Stiftung Stadtmuseum Berlin mühen sich und legen in der Beutekunst-Ausstellung Ergebnisse ihrer Recherche vor.



Die in Italien geraubten Kunstwerke wie die aus dem Vatikan in Rom stammende Laokoongruppe und der Apollo Belvedere sowie die Venus Medici, die man in den Uffizien zu Florenz bewundern konnte, waren Napoleon I. so wichtig, dass er Medaillen mit Innenansichten des Louvre und der Venus, kombiniert mit dem Motto AUX ARTS LA VICTOIRE (Den Künsten der Sieg) prägen ließ.





Der Einzug Napoleons I. am 27. Oktober 1806 durch das Brandenburger Tor wurde durch eine Medaille gefeiert, für die Dominique Denon als Chef der Pariser Medaillenmünze und der Stempelschneider Louis Jaley verantwortlich zeichneten. Zahlreiche Medaillen mit dem Kopf des Kaisers der Franzosen sind mit dem Namen DENON signiert.



Die Rückführung der Figurengruppe 1814 nach der Entmachtung des Kaisers geriet zum Triumphzug. Das Relief auf dem von Christian Daniel Rauch geschaffenen Blücher-Denkmal im Prinzessinnengarten an der Straße Unter den Linden in Berlin schildert die Rückkehr der Figurengruppe.



In der Ausstellung des Humboldt-Forums spielen die aus einem Königspalast geraubten Benin-Bronzen und die Diskussion über die Rückgabe dieser wichtigen Zeugnisse afrikanischer Kultur und Identität eine große Rolle. Kolonialmächte hatten diese und weitere Objekte vor über hundert Jahren in Afrika, Asien, Amerika und Ozeanien ihren „Völkerkunde“-Museen zugeschlagen.



Die Staatlichen Museen zu Berlin entschlossen sich vor einiger Zeit, die Artefakte an Nigeria zurückzugeben. Im Humboldt Forum werden einige im Hohlgussverfahren hergestellte Objekte als nigerianische Leihgaben sowie weitere Kunstwerke aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Ozeanien gezeigt. (Fotos/Repros: Caspar)

Es ist noch nicht lange her, dass laut und kontrovers über Kunstraub und Kunstzerstörung in Kriegszeiten diskutiert und deutsche und andere Museen nach und nach in ihrem Besitz befindliche Kunstwerke an die Ursprungsländer zurück gegeben werden. Die bis 25. Januar 2025 im Berliner Humboldt Forum laufende Ausstellung macht deutlich, wie schwierig die so genannte Provenienzforschung und wie wichtig die Rückgabe unrechtmäßig außer Landes entführter Kunstwerke für die kulturelle und politische Identität ehemals kolonial unterdrückter und ausgebeuteter Länder ist. Die Ausstellung wurde vom Mauritshuis in Den Haag in Zusammenarbeit mit den Gastkuratoren und Creative Directors Jongsma + O’Neill entwickelt und gemeinsam mit der Stiftung Humboldt Forum, dem Stadtmuseum Berlin und dem Ethnologischen Museum und Museum für Asiatische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin realisiert.

Anhand von zehn Fallstudien befasst sich die Dokumentation mit dem komplexen Thema Raubkunst in der Kolonialzeit, während der napoleonischen Eroberungen im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert und in der Zeit des nationalsozialistischen Regimes von 1933 und 1945. Die Objekte stammen aus dem Mauritshuis, den Staatlichen Museen zu Berlin und der Stiftung Stadtmuseum Berlin sowie aus dem Musée des Beaux-Arts de Rennes. Zu sehen sind unter anderem der originale Pferdekopf der Quadriga, ein Selbstbildnis Rembrandts, das für Hitlers „Führermuseum Linz“ bestimmt war, sowie Repliken und Gussformen der Benin-Bronzen aus Gips.

Rundgang durch das „Führermuseum Linz“

Gleich eingangs wird gezeigt, welche Probleme Identifizierung, Zuordnung und Rückgabe von silbernem Objekten bereiten, die die Nationalsozialisten Berliner Juden geraubt hatten und von denen manche Stücke ins Märkische Museum Berlin gelangten. Das zur Stiftung Stadtmuseum gehörende Haus möchte sie an die Nachkommen der ehemaligen Besitzer zurück geben und hofft, dass sich welche auch nach dem Besuch der Ausstellung melden. Am Beispiel einer reich verzierten Kommode aus der Barockzeit, die in Zweiten Weltkrieg unter nicht geklärten Umständen in den Besitz der deutschen Reichsbank gelangte und danach dem Märkischen Museum übergeben wurde, wird gezeigt, wie schwierig und in diesem Fall auch erfolglos die Recherchearbeit ist, denn bisher haben sich Besitzer nicht gemeldet.

Mit Hilfe der Virtual-Reality-Technik (VR) regt die Ausstellung zum Nachdenken über das Thema Raub- und Beutekunst an, etwa wenn man in einen fiktiven Lagerraum mit Gemälden und anderen Kunstwerken schaut, die Hitler für sein „Führermuseum“ in Linz quer durch Europa zusammenraffen ließ. Im Rahmen des „Führerauftrags Linz“ haben seine Leute Gemälde, Skulpturen, historische Waffen und sogar Münzen und Medaillen aus öffentlichen und privaten Sammlungen für die Präsentation in dem geplanten, aber nicht gebauten Kunstmuseum an der Donau herbeigeschafft. Die meisten wurden nach Kriegsende aufgespürt und an die Besitzer zurück gegeben. Gleich darauf kann man, eine VR-Brille vor Augen, vom Brandenburger Tor aus zuschauen, wie am 24. Oktober 1806 Kaiser Napoleon I. auf einem weißen Pferd als Triumphator durch dieses Tor nach Berlin reitet und von den Bewohnern bejubelt wird, was historisch aber nicht verbürgt, ist, denn die Stimmung der meisten Zuschauer war nach Aussagen von Zeitzeugen in Erwartung von Bedrückungen durch die Besatzer ängstlich und abweisend.

Beutezüge keine Erfindung unserer Zeit

Die Ausstellung geht der Frage nach, in welchen Kontexten Kunstobjekte geraubt wurden, wie Museen heute mit ihnen umgehen und was zukünftig zu tun ist. Beim Rundgang wird gezeigt, dass der Raub von Gemälden, Skulpturen, Büchern, Dokumenten, Juwelen und vielen anderen Objekten keine „Erfindung“ unserer Zeit. Auch in früheren Zeiten wurde nach dem Motto „Dem Sieger gehört die Kunst“ alles gestohlen, was gut und wertvoll ist und sich gut verkaufen lässt. Wir kennen das von umfangreichen Raubzügen, bei denen sich schwedische Soldaten im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) kostbare Sammlungen deutscher Fürsten angeeignet haben, oder wie preußische Soldaten ein Jahrhundert später Meißner Porzellan nach Berlin und Potsdam entführten, weil ihr König Friedrich II. ein besonderer Liebhaber des Weißen Goldes war.

Am Beispiel von zwei Gemälden schildert das Mauritshuis in Den Haag, wie im späten 18. Jahrhundert zahllose Gemälde und andere Kunstwerke im Rahmen eines Friedensschlusses zwischen Frankreich und den Niederlanden dem Louvre in Paris einverleibt wurden und nicht alles nach Napoleons Sturz 1814/15 zurück kam. Nach der Schlacht von Jena und Auerstedt im Oktober 1806, als Preußen von französischen Truppen vernichtend geschlagen wurde, schwärmten in Berlin, Potsdam und anderen besetzten Städten Kunsträuber aus und nahmen aus den königlichen Schlössern alles mit, was ihnen in die Hände fiel. Auch hier war es nicht leicht, das Raubgut nach dem Ende der napoleonischen Ära nach Preußen zurück zu schaffen. Bei der Quadriga gelang das, sie wurde unter begeisterten Rufen der Berliner schon 1814 wieder auf das Brandenburger Tor gehievt.

Die Plünderung Berliner und Potsdamer Schlösser wurde von einem Kunstkenner organisiert, dem auf vielen französischen Medaillen genannten Chef der Monnaie des Médailles (Medaillenmünze) und Generaldirektor des Musée Napoléon in Paris, Dominique Vivant Denon (1747 bis 1825). Der weltgewandte Lebemann und Frauenheld, Kenner der antiken Kunstgeschichte und Grafiker begleitete als Sachverständiger General Napoleon Bonaparte beim Feldzug in Ägypten und betätigte sich einige Jahre später im Auftrag seines zum Kaiser aufgestiegenen Herrn als Trophäenjäger. Betroffen waren neben den preußischen Kunstschätzen auch die aus Rom verschleppte Laokoongruppe und die in Florenz befindliche Venus Medici, ferner die Pferde vom Markusdom und der Löwe vom Markusplatz in Venedig sowie Aachener Marmorsäulen und der Sarkophag Kaiser Karls des Großen, als dessen Nachfolger und Vollender sich Napoleon I. betrachtete.

Ohnmächtig beobachteten die Berliner Ende 1806 die Demontage der von Johann Gottfried Schadow geschaffenen Friedensgöttin samt Pferdegespann. Des Bildhauers Hinweis auf mögliche Schäden an dem dünnen Kupferblech wurden von den Besatzern vom Tisch gewischt. Das nackte Tor war eine ständige Erinnerung an die Niederlage und wirkte wie ein Pfahl im Fleisch. Die Rückführung der Figurengruppe im Jahre 1814, nach der Entmachtung des Kaisers, geriet zum Triumphzug.

Benin-Bronzen zurück nach Nigeria

Zur Geschichte des Kolonialismus gehört der Versuch der Eroberer, mit Feuer und Schwert angeblich „unzivilisierten Wilden“ christliche Kultur und europäisches Wissen beizubringen. Um den unterworfenen Völkern ihre kulturelle Identität zu nehmen, hat man ihre Paläste und Tempel zerstört und ihre Kulturgüter geraubt.Das Thema wird im Humboldt Forum angesprochen und ist in der Beutekunst-Ausstellung präsent. Die so genannten Benin-Bronzen waren 1897 von britischen Truppen bei der Eroberung des altehrwürdigen Königreichs von Benin gestohlen worden. Mehr als 3000 Bronzefiguren und andere Artefakte wurden nach Europa verschleppt, um sie an Sammler und Museen zu verkaufen. Deutlich wird die hohe Kunstfertigkeit der Bewohner von Benin, die die Legende europäischer Kolonialmächten von der Kulturlosigkeit der unterworfenen Menschen klar widerlegen. Die gewaltsamen Ereignisse von 1897 spielen im kollektiven Gedächtnis der heutigen Zwei-Millionen-Stadt Benin City und von Nigeria eine bedeutende Rolle. Auch heute werden Bronzearbeiten nach Vorlagen von damals gestaltet. Das Berliner Ethnologische Museum untersucht mit indigenen Organisationen und Bildungseinrichtungen die Geschichte und Gegenwart der Objekte, ihre Bedeutung und Funktion und holt sie auf dies Weise zurück ins Leben. Die Ausstellung im Humboldt Forum ist dafür ein gutes Beispiel.

11. April 2024