„Der Reichstag brennt!“
Die Nationalsozialisten nutzten vor 90 Jahren den Anschlag auf das Berliner Parlamentsgebäude für den Ausbau ihres Terrorregimes



Der Anschlag auf das Berliner Reichstagsgebäude war das Fanal, die „rote Pest“, wie Goebbels formulierte, mit Stumpf und Stiel auszurotten.



Die Topographie des Terrors in Berlin zeigt Bilder und Texte über den Aufstieg der Nationalsozialisten, welche Verbrechen sie zu verantworten haben und unter welchen Umständen ihr Regime zu Fall gekommen ist.



Die Nazis warnten auf üble Weise die „braven Bürger“ im Lande vor Kommunisten und Sozialdemokraten, die zerschmettert und zerstampft gehören. Antifaschisten und Emigranten haben 1933 „Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror“ Enthüllungen und Augenzeugenberichten über den Terror und die Morde im Reich des Adolf Hitler. Mit Auszügen aus der Presse, Erklärungen von Politikern und vielen Bildern von verfolgten geschundenen Menschen versehen, erschien die 383seitige Dokumentation in Basel. Einer der besonders schlimmen Einpeitscher braunen Ungeistes war Propagandaminister Goebbels, dem man nur im Ausland die Maske vor dem Geeicht reißen konnte.



Der preußische Ministerpräsident und spätere Reichsmarschall Hermann Göring in Reitstiefeln spielte sich beim Prozess vor dem Reichsgericht in Leipzig als v erfolgte Unschuld auf und drohte den Angeklagten und den Richtern, wenn das Verfahren nicht so verläuft, wie es sich Hitler und die anderen Naziführer wünschen.



Bilder von Rotarmisten, die auf dem Reichstagsgebäude die rote Fahne schwenkten, gingen Ende April 1945 um die Welt.



Nach der spektakulären Verhüllung begann 1995 der Umbau des Reichstagsgebäudes. Das Haus mit der 1916 angebrachten Inschrift DEM DEUTSCHEN VOLKE ist Sitz des Deutschen Bundestags und ein viel besuchter Touristenmagnet.



Eine Bürgerinitiative errichtete 1992 vor den Stufen eine aus Eisentafeln bestehende Gedenkstätte mit den Namen von 96 zwischen 1933 und 1945 ermordeten Reichstagsabgeordneten. Eine in den Boden eingelassene Tafel nennt die Bürgerinitiative „Perspektive Berlin“, die das Denkmal schon vor dem Fall der Mauer am 9. November 1989 angeregt hatte, sowie den Deutschen Gewerkschaftsbund, das Bezirksamt Tiergarten, den Senat von Berlin und Bürgerinnen und Bürger, die sich für das Projekt eingesetzt hatten. (Fotos/Repros: Caspar)

In der Nacht vom 27. zum 28. Februar 1933 rückten 15 Löschzüge und zwei Löschboote aus, um Feuer im Berliner Reichstagsgebäude zu bekämpfen. Für die Nationalsozialisten, die erst einen Monat an der Macht waren, war klar, dass nur die Kommunisten den Brand gelegt haben können. Ungeachtet intensiver Nachforschungen fehlt allerletzte Klarheit über das dramatische Geschehen in jener Nacht sowie über den oder die Brandstifter. Eines steht fest, dass Hitler, Reichstagspräsident Göring, Propagandachef Goebbels und andere NS-Funktionäre den Anschlag auf den Sitz des höchsten deutschen Parlaments nutzten, um ihr Terrorregime auszubauen und Jagd auf Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter und andere so genannte Reichsfeinde zu machen und das Aufsehen erregende Ereignis zum Anlass zu nehmen, die demokratischen Errungenschaften der Weimarer Verfassung auszuhebeln und die Grundlage für den „Führerstaat“ zu legen.

Der preußische Ministerpräsident und spätere Reichsmarschall Hermann Göring gab die Parole aus, dass der brennende Reichstag Ergebnis einer kommunistischen Verschwörung gegen das „neue Deutschland“ ist. Das Nazi-Blatt „Völkischer Beobachter“ behauptete, der Anschlag sei „das Zeichen zur Entfesselung des kommunistischen Aufstandes“ und kündigte „schärfste Maßnahmen gegen die Terroristen“ an. In seinem für die Öffentlichkeit und Selbstdarstellung verfassten und in hoher Auflage gedruckten Tagebuch „Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei“, im ganzen Reich würden keine marxistischen Zeitungen mehr erscheinen, Göring habe in Preußen einen großen Feldzug gegen die roten Parteien eröffnet, er werde mit ihrer vollständigen Vernichtung enden. „Das Kabinett hat eine sehr scharfe Verordnung gegen die KPD beschlossen. Diese Verordnung sieht die Todesstrafe vor. Das ist auch notwendig. Das Volk verlangt das jetzt. Es erfolgen Verhaftungen über Verhaftungen. Nun wird die rote Pest mit Stumpf und Stiel ausgerottet. Widerstand zeigt sich nirgendwo. Das gegnerische Lager scheint durch unser plötzliches und scharfes Durchgreifen so verblüfft zu sein, dass es sich gar nicht mehr zu wehren wagt. Ich schaue mir im Reichstag die Folgen der Brandnacht an. Das Plenum bietet ein einziges Bild der Verwüstung. Trümmer über Trümmer. Das wird der KPD teuer zu stehen kommen. Im ganzen Volk herrscht eine unbeschreibliche Empörung über dieses feige Attentat. (…) Es ist wieder eine Lust zu leben."

Verhaftung, Folter und Mord

Kommunistische Abgeordnete und Funktionäre der Kommunistischen Partei sowie der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und aus den Gewerkschaften wurden verhaftet und in die gerade erst errichteten Konzentrationslager und in Nazi-Folterstätten geworfen. Viele Menschen überstanden die ihnen dort mit Folter zugefügten Torturen nicht. Am 23. März 1933 stimmte der am 5. März neu gewählte Reichstag gegen die Stimmen der SPD dem „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“, dem so genannten Ermächtigungsgesetz, zu. Es setzte alle bisher geltenden bürgerlichen Rechte und Freiheiten auf unbestimmte Zeit außer Kraft und erteilte dem neuen Diktator, Reichskanzler Adolf Hitler, unbeschränkte Machtbefugnisse. Das in der Krolloper gegenüber dem ausgebrannten Reichstagsgebäude tagende Parlament hatte sich damit selber entmachtet.Am 23. März 1933 erteilte der SPD-Vorsitzende Otto Wels diesem Gesetz eine klare Absage mit den Worten „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“, worauf 94 anwesenden SPD-Abgeordneten stimmten gegen das Gesetz. Die 81 Mandate der KPD waren zuvor am 8. März annulliert worden. Hitler antwortete Wels mit diesen höhnischen Worten: „Ich will auch gar nicht, dass Sie dafür stimmen. Deutschland soll frei werden, aber nicht durch Sie.“

Als angebliche Brandstifter wurden der niederländische Kommunist Marinus van der Lubbe und andere Personen vor dem Reichsgericht in Leipzig angeklagt, mussten aber, von van der Lubbe abgesehen, aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden. Der Holländer wurde zum Tode verurteilt und 10. Januar 1934 hingerichtet. Das Berliner Landgericht hat 1980 das Urteil aufgehoben und den Niederländer posthum frei gesprochen. Der Reichstagsbrand und das Gerichtsverfahren erregten große internationale Aufmerksamkeit. Von antifaschistischer Seite wurde in einem in der Schweiz veröffentlichten „Braunbuch“ und vielen anderen Publikationen der Nachweis versucht, wonach die Nazis selber den Brand gelegt haben, um ihn ihren Gegnern in die Schuhe schieben zu können. Letzte Sicherheit über diese Version fehlt, weil einschlägige Dokumente fehlen und Zeugen mundtot wenn nicht gleich ganz tot gemacht wurden.

Bibliothek und Luftschutzbunker

Das Reichstagsgebäude bis auf den ausgebrannten Plenarsaal saniert und für Propagandaausstellungen wie „Bolschewismus ohne Maske“ und „Der ewige Jude“ missbraucht. Hitler brauchte den aus der Kaiserzeit stammenden, nach Plänen von Paul Wallot errichteten Bau nicht mehr. Bis 1941 waren hier die Bibliothek und das Archiv des Reichstages untergebracht. Während des Kriegs suchten in dem zum Luftschutzbunker umfunktionierten Reichstagsgebäude Berliner Familien Schutz vor alliierten Bomben, und es wird berichtet, dass in den Kellergewölben auch Kinder zur Welt kamen. Bei den Kämpfen in den letzten Kriegstagen wurde das Reichstagsgebäude schwer in Mitleidenschaft gezogen, blieb aber stehen. Für Stalin und die Rote Armee besaß es einen hohen Symbolwert. Fotos von Sowjetsoldaten, die auf der Kuppel des Reichstages die Fahne des Sieges schwingen, gingen um die Welt.

Der Wiederaufbau des stark zerstörten Reichstagsgebäudes im westlichen Teil der Viersektorenstadt Berlin verlief in mehreren Etappen und war erst 1999 mit der Errichtung der neuen Glaskuppel nach Plänen des britischen Stararchitekten Sir Norman Foster abgeschlossen. In guter Erinnerung ist die spektakuläre Verhüllung im Sommer 1995 durch die Aktionskünstler Christo und seine Frau Jeanne Claude. Der Bundestag hatte dazu nach heftiger Debatte seine Zustimmung gegeben. Hunderttausende Menschen kamen und bestaunten den in der Sonne silbrig glänzenden Baukörper, dem damals noch die Kuppel fehlte.

Gleich nach dem Ende dieses Spektakels begannen die Umbauten. Sie bescherten dem Deutsche Bundestag ein Haus, das allen Anforderungen an einen gut funktionierenden Parlamentsbetrieb entspricht. Auf Grund der strengen Auflagen des Denkmalschutzes hat man Graffiti, die 1945 von Soldaten der Roten Arme an einigen Wänden angebracht wurden und interessante Zeitzeugnisse darstellen, nicht beseitigt. Während die Fassade des Reichstagegebäudes so gut wie möglich wiederhergestellt und ergänzt wurde, ist vom kaiserzeitlichen Prunk im Inneren kaum etwas noch zu sehen. Zu stark waren die Kriegszerstörungen, zu radikal auch die Eingriffe in den Jahren danach.

1. Februar 2023

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