Neue Aufgaben für Gipsformerei
Traditionsbetrieb der Staatlichen Museen zu Berlin erhält neue Räume in modernem Anbau





Der Staatlichen Gipsformerei an der Sophie-Charlotte-Straße 17-18 im Bezirk Charlottenburg stehen neuen Aufgaben und eine Generalsanierung bevor. Im Hinterhof, in den man vom S-Bahnhof Westend blicken kann, bekommt der Traditionsbetrieb einen Anbau, in dem Objekte der ins 19. Jahrhundert zurück reichenden Sammlung zu sehen sein werden.





Abgüsse müssen aus vielen Einzelstücken zusammengesetzt werden, damit sie ein großes Ganzes bilden. Eine Auswahl steht im Schauraum der Gipsformerei zur Ansicht und zum Verkauf zur Verfügung.



Stücke aus dem einzigartigen Fundus der Staatlichen Gipsformerei waren 2019/20 in der Sonderausstellung „Nah am Leben“ anlässlich zur Eröffnung der James-Simon-Galerie auf der Berliner Museumsinsel zu sehen.





Aus der Gipsformerei stammt diese mit kräftigen Schnüren zusammengehaltene Form. Im Depot aufbewahrte Gussformen und vollplastische Figuren tun gute Dienste bei der Wiederherstellung von Denkmälern wie hier Friedrich der Große oder Reparatur von verloren gegangenen Details.



Am Beispiel des Gipsabgusses von der Wagenlenkerin und weiteren Relikten erläutert Sandro di Michele in der Schauwerkstat der Gipsformerei, wie historische Gipsmodelle von 1957 gesichert und rekonstruiert werden. (Fotos: Caspar)

Seit mehr als 200 Jahren stellt die Gipsformerei der Staatlichen Museen hochwertige Repliken von Bildhauerarbeiten aller Art her. Von Zeit zu Zeit finden Führungen durch die Werkstätten statt, bei denen man Nachbildungen von Reliefs, Büsten und vollplastischen Figuren betrachten kann. Die ältesten Gussformen stammen noch aus der Zeit des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III., der 1819 das anfangs von dem Bildhauer Christian Daniel Rauch geleitete Institut gründete. Das traditionsreiche Haus ist die weltweit größte Kunstwerkstatt dieser Art und steht mit Museen und Sammlern auf allen Kontinenten in Verbindung, die hier Repliken berühmter Skulpturen bestellen. Nach den Gussformen können antike, mittelalterliche und neuzeitlicher Kunstwerke in einem komplizierten Verfahren in Gips Kopiert werden.

Als weltweit größte, noch heute aktive Museumsformerei verfügt die Königliche, seit 1918 Staatliche Gipsformerei mit Sitz an der Sophie-Charlotte-Straße 17-18 unweit des S-Bahnhofs Westend im Berliner Bezirk Charlottenburg über mehrere tausend Mastermodelle, Gussformen und andere zur Herstellung und farblichen Fassung nötigen Utensilien. 2019/20 fand die Ausstellung „Nah am Leben“ in der James-Simon-Galerie auf der Berliner Museumsinsel mit Gipsabgüssen antiker, mittelalterlicher und neuzeitlicher vollplastischer Skulpturen sowie Reliefs statt. Zu sehen waren Gussformen und Details von Figuren, Totenmasken bekannter und unbekannter Persönlichkeiten sowie Tierfiguren. Besondere Schaustücke sind Abgüsse der 1506 in Rom gefundene Marmorgruppe des Laokoon, das von Johann Gottfried Schadow geschaffene Doppelbildnis der aus Mecklenburg-Strelitz stammenden Prinzessinnen Luise und Friederike von Preußen sowie antike und mittelalterliche Bildhauerarbeiten, die auf flachen Sockeln oder in Regalen stehen.

Nofretete ist der Star

Mit der Ausstellung kehrte die Gipsformerei zu ihren Wurzeln zurück, denn die 1819 gegründete Königlich-Preußische Gipsgussanstalt war in den 1830er-Jahren im Sockelgeschoss des nach Schinkels Plänen erbauten Alten Museums am Lustgarten untergebracht. Die Manufaktur belieferte das Neue Museum, die Skulpturensammlung und andere Berliner Institute und solche weiter entfernt mit ihren Erzeugnissen. Star unter den Gipskopien war die berühmte Büste der altägyptischen Königin Nofretete, deren vielbewundertes, seinerzeit von James Simon den Berliner Museen gestiftetes Original im Neuen Museum bewundernde Blicke auf sich zieht. In der Gipsformerei wird das Porträt der „berühmtesten Berlinerin“, wie man manchmal sagt, in einem komplizierten Verfahren so genau nachgeformt und bemalt, dass man Mühe hat, das Original von der Kopie zu unterscheiden.

Nach dem Sieg in den Befreiungskriegen von 1813 bis 1815 gegen das napoleonische Frankreich wurden in Preußen Kunst, Wissenschaft, Bildung und Wirtschaft in der Erwartung gefördert, daraus einen Profit für den Staat sowie seine Wirtschaft und Kultur zu schlagen. In der Zeit des Klassizismus war das Interesse an antiken Skulpturen groß. Da Gipsabgüsse damals teuer aus Italien importiert werden mussten, hoffte die Regierung, mit der Herstellung von Abgüssen eine neue Einnahmequelle zu erschließen. Das anfangs „Königlich Preußische Gipsgussanstalt“ genannte Institut wurde 1830 den Königlichen Museen angegliedert. Die Zusammenarbeit mit der Akademie der Künste, der Berliner Universität und weiteren Institutionen im In- und Ausland sowie archäologischen Forschungsprojekten zu Erwerb und Herstellung einmaliger Formen. In den ersten Jahrzehnten nach seiner Gründung war das Institut noch Teil der Rauch‘schen Werkstatt und hatte keinen eigenständigen Produktionsort. Nach Umzügen in das Sockelgeschoss des Alten Museums am Lustgarten beziehungsweise in das Gießhaus in der Münzstraße wurde 1891 ein eigens für die Gipsformerei errichteter Neubau in Charlottenburg bezogen, wo sich bis heute Formwerkstatt, Malerateliers, das Lager für die historischen Formen und Modelle sowie ein Verkaufsraum befinden.

In die Jahre gekommen

Die Gipsformerei mit einem Fundus von mehr als 7000 unterschiedlich großen, zum Teil noch aus dem 19. Jahrhundert stammenden Gussformen ist in die Jahre gekommen. Sie wird einer Grundinstandsetzung unterzogen und erhält einen Anbau. Ein vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) ausgelobter Wettbewerb für die und Erweiterung der Gipsformerei der Staatlichen Museen zu Berlin ist entschieden. Das Preisgericht unter dem Vorsitz von Frank Kasprusch zeichnete den Entwurf des Architekturbüros von Gerkan, Marg und Partner (gmp) mit dem 1. Preis aus. Aufgrund des erschöpften Raumpotentials des Altbaus und dessen baulichen Zustands wird das Haus grundsaniert sowie von derzeit rund 5.000 Quadratmetern auf insgesamt rund 13.000 Quadratmeter Brutto-Grundfläche durch einen Neubau auf der Liegenschaft erweitert. Mit dem zukunftsweisenden Fertigungs- und Depotgebäude soll auch die Wahrnehmung der Gipsformerei in der Öffentlichkeit verbessert werden.

In der Vergangenheit hatte sich die Gipsformerei auf die Fertigung hochwertiger, großer und komplizierter Reproduktionen spezialisiert, was eine neue Montagehalle erforderlich macht. Im Neubau werden zudem erstmals Restaurierungswerkstätten entstehen, die einen optimalen konservatorischen Umgang mit dem einmaligen historischen Sammlungsgut ermöglichen. Der erstplatzierte Entwurf sieht einen fünfgeschossigen Erweiterungsbau vor, dessen L-förmiger Baukörper das Grundstück nach Norden und Westen abgrenzt und der klaren Form des Altbaus mit seiner markanten Klinkerfassade neue Akzente hinzufügt. Um möglichst wenig in den denkmalgeschützten Bestand eingreifen zu müssen, sieht der Entwurf vor, die Verwaltungs-, Verkaufs- und Ausstellungsflächen sowie den Showroom und die bereits bestehenden Depots im Altbau zu verorten. Die Werkstätten und Ateliers sowie besondere Depoträume werden im Neubau platziert, um den Anforderungen hinsichtlich Klimatisierung, Be- und Entlüftung, vorbeugendem Brandschutz und Arbeitsschutz gerecht zu werden.

Reibungslose Betriebsabläufe

Der Neubau wird auf allen Ebenen weitgehend schwellenlos an den Altbau angebunden, um reibungslose Betriebsabläufe zu gewährleisten. Mithilfe eines Lowtech-Konzepts und einer Optimierung der Gebäudehülle sollen der Energieverbrauch minimiert und die CO2-Emissionen sowie der Ressourceneinsatz reduziert werden. Dies erfolgt etwa durch eine materialminimierte Deckenkonstruktion mit Fertigteil-Kappendecken sowie eine natürliche Lüftung zur energieoptimierten Grundklimatisierung des Gebäudes, heißt es in einer Pressemitteilung der Staatlichen Museen zu Berlin. Darüber hinaus sollen überwiegend recycelbare Materialien zum Einsatz kommen, zudem wird auf irreversible Verbindungen verzichtet, um die Rückbaufähigkeit zu erhöhen. Die Innenwände werden aus Lehmziegeln erstellt, die ohne energetischen Mehraufwand ein sehr stabiles Raumklima schaffen. Ab 12. Januar 2023 werden die Entwürfe der Architektinnen und Architekten im Ernst-Reuter-Haus, dem Berliner Dienstsitz des BBR, der Öffentlichkeit präsentiert; ab Februar dann am Kulturforum.

In den vergangenen Jahren haben Mitarbeiter der Gipsformerei im Marie-Luise-Lüders-Hauses des Deutschen Bundestags die 1957 angefertigten Abformungen der Quadriga vom Brandenburger Tor gesichert, restauriert und zu einem Großen und Ganzen zusammenzusetzen. Der Besuch der Schauwerkstatt bot eine gute Gelegenheit, die Existenz und Arbeit des Traditionsbetriebs besser als bisher der Öffentlichkeit nahe zu bringen und auch deren Wertebewusstsein zu schärfen.

11. Januar 2023

Zurück zur Themenübersicht "Berlin, Potsdam, Land Brandenburg"