„Üb immer Treu und Redlichkeit“
Ein Besuch des Turms der Potsdamer Garnisonkirche lohnt sich wegen der Ausstellung und des fantastischen Rundblicks


Von der Potsdamer Garnisonkirche haben nur der Turm und die Umfassungsmauern des Kirchenschiffs den britischen Bombenangriff und Feuersturm vom 14. April 1945, drei Wochen vor Kriegsende, überstanden. Der 2017 begonnene Wiederaufbau des Turms wurde acht Jahre später abgeschlossen. Im kommenden Jahr soll das Gotteshaus seine Spitze mit dem Glockenspiel zurück bekommen. Die Rekonstruktion des riesigen Kirchenschiffs steht in den Sternen.

Die prunkvolle Innenarchitektur ging durch den Bombenangriff vom 14. April 1945 verloren. Während des Zweiten Weltkriegs waren die Särge der Könige Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs II. in der Gruft hinter dem Altar in Sicherheit gebracht worden. In den 1950-er Jahren wurde im Erdgeschoss des Turms die Heilig-Kreuz-Kapelle für den Gottesdienst eingebaut. Ihren letzten Gottesdienste feierte die Gemeinde hier im Juni 1968 kurz der Sprengung auf Befehl der SED und ihres Anführers Walter Ulbricht. In der schlichten Kapelle finden Gottesdienste und Konzerte statt.

Von Aussichtsplattform des Kirchturms hat man einen fantastische Rundblick auf Potsdams Alt- und Neubauten sowie die die brandenburgische Landeshauptstadt umgebenden Gewässer.



Das von 1731 bis 1735 nach Plänen von Philipp Gerlach erbaute Gotteshaus besaß innen und außen einen reichem, seine Funktion als Hof- und Garnisonkirche unterstreichenden Skulpturenschmuck. In preußisch-deutschen Kriegen eroberte Fahnen dienten monarchistischer und militaristischer Traditionspflege. Von der 1968 abgerissenen Kirche blieb wenig übrig. Buchstaben von der Inschrift über dem Portal und weitere Spolien sind in der Ausstellung im Kirchturm zu sehen.

Die 1934 in hoher Auflage geprägten Gedenkmünzen aus Silber zum Tag von Potsdam am 21. März 1933 und das Zehn-Mark-Stück von 1995 zur Tausendjahrfeier von Potsdam liegen in vielen Sammlungen. Zu sehen sind auf ihm Schloss Sanssouci, der Einsteinturm, die Nikolaikirche und als Draufsicht das Neue Palais. Der Wiederaufbau der Garnisonkirche lag damals noch in weiter Ferne.

Zahlreiche Zeugnisse aus der Zeit vor und nach 1933 sind in der 3. Etage des Turms ausgelegt, dazu gibt es prägnante Texte, die diese Hinterlassenschaften von der Monarchie bis heute erläutern. (Fotos: Caspar)
Mitglieder des Numismatischen Arbeitskreises Berlin-Brandenburg haben bei bestem Sonnenwetter am 15. September 2024 den wieder aufgebauten Turm der Potsdamer Garnisonkirche besucht. Vom Hauptbahnhof der brandenburgischen Landeshauptstadt ging es über die Lange Brücke in Richtung Stadtschloss, das mit der barocken Außenarchitektur vor einigen Jahren wieder aufgebaut wurde. Aktuell entstehen rund um den Alten Markt einige beim britischen Bombenangriff vom 14. April 1945 zerstörte Häuser. Begonnen hatte die Rekonstruktion von Potsdams Mitte mit der Wiedergeburt des als Kunstgalerie genutzten Palais Barberini und anschließender Häuser. Der Weg führte weiter durch den leider sehr unwirtlichen, ja kahlen Lustgarten, der in der Zeit der preußischen Könige und deutschen Kaiser ein staubiger Exerzier- und Paradeplatz war und es verdiente, dass er beiderseits einer stark befahrenen Autotrasse gärtnerisch „zum Wohle der Einwohner“ gestaltet wird, wie es eine Giebelinschrift am verloren gegangenen Stadttheater heißt.
Etwa 20 Vereinsmitglieder versammelten sich in der Heilig-Kreuz-Kapelle der Garnisonkirche. Sie erhielten einen kurzen Überblick über die Baugeschichte des Gotteshauses, weil die Führung ausgefallen war. Weiter ging es zur Ausstellung in der 3. Etage, die sich mit der Geschichte der 1735 geweihten Garnisonkirche sowie des preußischen Militärs befasst, das in Potsdam stationiert war und hier die Gottesdienste besuchte. Dargestellt wird in der eindrucksvollen Dokumentation die unheilvolle Einheit von Thron und Altar unter den Hohenzollern und die Rolle, die die Garnisonkirche in der nationalsozialistischen Propaganda spielte.
Hindenburg „segnet“ Hitler
Am 21. März 1933, dem „Tag von Potsdam“ hatte der greise Reichspräsident Paul von Hindenburg in der Uniform eines kaiserlichen Generalfeldmarschalls vor den Gräbern der preußischen Könige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. offiziell die Macht an den Führer der Nazipartei und neuen Reichskanzler Adolf Hitler übergeben und ihm, damit seinen „Segen“ erteilt. Dieser im Rundfunk übertragene und den Medien ausgeschlachtete Staatsakt wurde von Hitler, der sich an Nachfolger seines Idols Friedrich der Große verstand, und seinem Propagandaminister Joseph Goebbels als „Einheit von alter und neuer Kraft“ gepriesen. Symbolisch grüßte Hindenburg den leeren Sessel, auf dem Kaiser Wilhelm II. bei Gottesdiensten saß, dies aber nicht mehr tun konnte, nachdem er sich im November 1918 ins niederländische Exil geflüchtet hatte. Statt seiner ließen sich preußische Prinzen feiern, und Hitler nutzte die Gelegenheit, sich in ihrem Licht als Wahrer bester deutscher Traditionen zu sonnen. Triumphierend notierte Joseph Goebbels am 22. März 1933 in seinem Tagebuch: „Ein unvergesslicher Augenblick. Der Schild der deutschen Ehre ist wieder reingewaschen. Die Standarten mit den Adlern steigen hoch. Hindenburg legt an den Gräbern der großen Preußenkönige Lorbeerkränze nieder. Draußen donnern die Kanonen.“
Während der „Tag von Potsdam“ zelebriert wurde, füllten sich die Folterhöhlen der SA und der Polizei sowie die ersten Konzentrationslager, wo Antifaschisten, Gewerkschafter und andere Oppositionelle gequält und ermordet wurden. Am 1. April 1933 organisierten die Nazis im ganzen Reich den Boykott jüdischer Geschäfte, mit dem die Ausgrenzung und Verfolgung aller Bürger eingeleitet wurde, die nicht ins rassistische und völkische Konzept der neuen Machthaber passten. Die Diktatur etablierte sich in atemberaubender Geschwindigkeit, Hitler hatte die Masse der in einen nationalistischen und völkischen Rausch verfallenen Deutschen hinter sich, bis sich das Kriegsglück wendete und das Land und halb Europa in einem Meer von Blut, Tränen und Trümmern versunken waren.
Ulbrichts Griff nach Kirchen und Schlössern
Da die SED-Machthaber unter Walter Ulbricht von Kirchen und Schlössern und vor allem nichts von der mit Deutschlands schwärzester Vergangenheit verbundenen Garnisonkirche hielten, wurde 1968 gegen Proteste der Bevölkerung und von Denkmalpflegern ihr Abriss befohlen. Das zog sich über mehrere Tage hin. Auf einem Foto in der Ausstellung ist zu sehen, wie beherzte Potsdamer vergoldeter Buchstaben von der Inschrift aus dem Jahr 1735 über dem Eingangsportal und weitere bauliche Reste aus den Trümmern klauben. Diese werden in der Garnisonkirche, aber auch im Potsdam-Museum am Alten Markt gezeigt. Nach den Buchstaben konnte die Inschriften rekonstruiert werden.
Die Ausstellung in der dritten Etage des Turms steht unter dem Motto „Geschichte erinnern, Verantwortung lernen, Versöhnung leben.“ Sie dokumentiert die wechselvolle Geschichte Brandenburg-Preußens und des Deutschen Reichs sowie der Glanz und Elend der ehemaligen Residenz- und Garnisonsstadt Potsdam und ihrer Garnisonkirche. Der Wiederaufbau des Turms erfolgte ab 2017 nach einem Beschluss des Deutschen Bundestages und wird vom Bund mit 12 Millionen Euro unterstützt. Zahlreiche Spender und Sponsoren unterstrichen seither mit großen und kleinen Summen und dem Kauf von Ziegelsteinen für die Mauern im Inneren und Metallschildern an den Treppenstufen mit ihren Namen ihre Sympathie für den Wiederaufbau.
Einigkeit und Recht und Freiheit
Die mit vielen Bildern, Plakaten Sachzeugen und einigen Münzen und Medaillen bestückte Schau macht auch aufmerksam, dass Potsdamer im Herbst 1989 mit Demonstrationen und Forderungen nach „Einigkeit und Recht und Freiheit“, wie es im Lied der Deutschen heißt, Anteil an der friedlichen Revolution in der DDR hatten. Dass viele Regimegegner unter der SED-Herrschaft und der Bespitzelung durch die Staatssicherheit litten, muss man sich beim Anblick der Fotos und Dokumente hinzu denken. Aufschluss über dieses dunkle Kapitel neuer Geschichte vermittelt eine Ausstellung im ehemaligen Stasi-Gefängnis in der Lindenstraße, nur wenige hundert Meter von der Garnisonkirche entfernt.
Das Gotteshaus war für die von Hitler geführte und mit brutalen Terrormaßnahmen befasste „Regierung der nationalen Revolution“ so wichtig, dass sie 1934, zum ersten Jahrestag des „Tags von Potsdam“, silberne Zwei- und Fünf-Mark-Münzen mit der Gebäudeansicht prägen ließ. Auf dem Rand ist die aus dem Programm der NSDAP von 1920 entnommenen Inschrift „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ zu lesen. Mit der Parole sollte die so genannte Volksgemeinschaft nach dem Motto „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“ geschmiedet werden. Außerdem erklang im Reichsrundfunk regelmäßig das Glockenspiel der Garnisonkirche mit der von Wolfgang Amadeus Mozart komponierten Melodie zum Choral „Üb immer Treu und Redlichkeit“ als Pausenzeichen.
Ort der Versöhnung und Friedensarbeit
Den Beschluss von 2017 zum Wiederaufbau der Garnisonkirche beziehungsweise ihres das Stadtbild bestimmenden Turms begrüßte der Vorsitzende des Kuratorium der Stiftung Garnisonkirche und damalige Bischof Wolfgang Huber als wichtig, weil hier ein Ort der Versöhnung und Friedensarbeit entsteht. Im November des gleichen Jahres begannen die Gründungsarbeiten. Eine riesige Bohrmaschine trieb 38 Betonpfeiler in das Erdreich, darauf wurde eine 50 cm dicke Platte aus Stahlbeton als Fundament für den gut 90 Meter hohen Turm mit 1200 Quadratmetern Nutzfläche gegossen.
Bei dem Für und Wider ging und geht es um die Frage, ob die Kirche nicht auch von Neonazis und anderen rechtsextremen Gruppen als Symbol für ein „neues Deutschland“ zwar nicht mehr unterm Hakenkreuz, aber doch als Diktatur und von Ausländern „gereinigter“ Staat herhalten muss oder ob sie nicht viel besser ein Ort des Friedens und der Versöhnung wird. Je länger der Turm steht und je mehr Menschen ihn besuchen, um so mehr wird er auch als Teil unseres christlichen und kulturellen Erbes mit all seinen Höhen und Tiefen angenommen. Diese Entwicklung haben wir auch beim Wiederaufbau des 1950 auf Weisung der SED abgerissenen Berliner Stadtschlosses als Humboldt Forum und des Potsdamer Stadtschlosses als Landtagsgebäude beobachten können, und kaum jemand erinnert sich noch an die mit mit den Baumaßnahmen verbundenen Diskussionen.
Aufstand des Gewissens
Am 5. Mai 2018 erinnerte ein Gottesdienst an den letzten Gottesdienst vor der Sprengung vor 50 Jahren. Die Gemeinde hörte einer Originalaufnahme von dieser Feier zu. Niemand konnte sich 1968 vorstellen, dass das Gotteshaus irgendwann „aus Ruinen“ wieder auferstehen würde, wie es in der DDR-Hymne heißt. Die Stiftung, die Kirchgemeinde und verschiedene Bürgerinitiativen und Vereine machten sich für die Wiedergeburt des Gotteshauses stark. Die Ausstellung würdigt dieses Engagement und schildert das kirchliche Leben in Potsdam zwischen Kaiserträumen, Demokratieversuchen und Untergang.Versehen mit zahlreichen Sachzeugen wie historischen Bibeln, Leuchtern und einem Kruzifix nach Schinkels Entwürfen, Uniformen, Helmen und Waffen, ferner handschriftlichen und gedruckten Dokumenten, Grafiken, Gemälden, Fotos und Plakaten das Auf und Ab der Geschichte Potsdam sowie die Rolle, die das Militär dabei spielte.
In einer der Vitrinen wird an den „Aufstand des Gewissen“ erinnert, den Offiziere des Infanterieregiments 9, von manchen wegen der vielen dort dienenden Adligen auch „Regiment von 9“ genannt, im Zweiten Weltkrieg wagten und dabei ihr Leben verloren. Einer der Vertreter des „anderen Potsdam“ war Henning von Tresckow, Wehrmachtsoffizier und Mitverschwörer des 20. Juli 1944. Er erkannte früher als andere die unmenschlichen Praktiken von Wehrmacht, SS und SD in den besetzten Gebieten und war einigen Kameraden entschlossen, eine mutige Tat gegen die Kriegsverbrechen und Massenmorde zu unternehmen.Klaus Schenk Graf von Stauffenberg,Henning von Tresckow und ihre Mitstreiter wollten mit dem Attentat auf Hitler das NS-Regime beenden und die Macht in einem der Freiheit und Demokratie verpflichteten Reich übernehmen. Kurz vor dem Anschlag wurde Tresckow versetzt und fiel für die konkrete Planung und Durchführung des Attentats aus. An seiner Stelle erhielt Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg durch die Teilnahme an einer Lagebesprechung in Hitlers Hauptquartier Wolfsschanze die einmalige Gelegenheit, das Attentat am 20. Juli 1944 auszulösen. Noch am gleichen Tag erfuhr Tresckow von seinem Misslingen. Da er ahnte, dass seine Beteiligung sicher aufgedeckt würde, tötete er sich am 21. Juli 1944 an der Front bei Ostrow.
Die Ausstellung widmet einen besonderen Abschnitt der preußischen Katastrophe von Jena und Auerstedt im Oktober 1806 und ihren Folgen. König Friedrich Wilhelm III. sah sich zu Reformen genötigt, die ohne die Niederlage seines Heeres im kurzen Krieg gegen Frankreich so nicht oder erst viel später zustande gekommen wären. So bekommen Besucherinnen und Besucher einen Geschichtsunterricht der besonderen Art und erleben auf eindrucksvolle Weise Etappen der preußischen, deutschen und speziell der Potsdamer Geschichte und gehen sicherlich mit einigen Gewinn aus der Kirche.
Bombenangriff kurz vor Kriegsende
Der Bombenangriff vom 14. April 1945 legte Teile de Residenz- und Garnisonstadt in Schutt und Asche. Tausende Menschen starben im Feuersturm, wertvolles Kulturgut ging zu Grunde. Bei der Erstürmung der von den Nationalsozialisten kurz vor Toresschluss noch zur „Festung“ erklärten Stadt durch die Rote Armee wurden Ende April 1945 weitere Gebäude in Grund und Boden zerschossen. Zwar begann in den Fünfzigerjahren der zaghafte Wiederaufbau der barocken Innenstadt, doch wurden diese Arbeiten einschließlich der Herstellung von barocken Attikafiguren aus Sandstein auf Häuser in der Hoditzstraße aus ideologischen Gründen vom SED-Chef Walter Ulbricht gestoppt. In der „sozialistischen Bezirkshauptstadt“ Potsdam sollte nach dem Willen des sächsischen Bilderstürmers nichts mehr an die alte Preußenzeit erinnern. Der Abriss des Stadtschlosses und der Garnisonkirche wurde von der SED als Schlag gegen den preußischen Militarismus und den Faschismus begründet. In der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung, die formal über den Abriss der Garnisonkirche abstimmen musste, regte sich nur verhaltener Widerstand. Um so lauter waren die Proteste im deutschen Westen. Ulbricht hatte bereits 1959 den Abriss des von brandenburgischen Kurfürsten und preußischen Königen erbauten Stadtschlosses veranlasst, das seine Wiedergeburt als Landtagsgebäude erlebte.
Seither verändert sich die Innenstadt, die einen Teil ihrer barocken Pracht zurück erhält. Das nach holländischem Vorbild unterm Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. erbaute Holländische Viertel, das in DDR-Zeiten so heruntergekommen war, dass an seinen Abriss bis auf wenige Eckbauten gedacht war, entwickelte sich zu einem erstklassigen Touristenmagneten. Das gilt auch für die Potsdamer Schlösserlandschaft, die vor neuen Herausforderungen durch den Klimawandel steht und, wie ähnliche Anlagen überall in unserem Land und darüber hinaus, mit Hitze, Kälte, Trockenheit und anderen Phänomenen konfrontiert ist. Leider hat es die Stadt nicht geschafft, den historischen Kanal vom Kellertor bis zur Neustädter Buch zu rekonstruieren. Nur ein kleines Stück wurde ausgegraben.
17. September 2024