Herrin der Lieblichkeit nur mit einem Auge
Vor einhundert Jahren löste die im Neuen Museum auf der Museumsinsel ausgestellt Büste der Nofretete Begeisterung aus



Die Büste der Nofretete im Neuen Museum und als originalgetreue Kopie in der Staatlichen Gipsformerei. Nach Kriegsauslagerung und jahrzehntelanger Präsentation im West-Berliner Ägyptischen Museum in Charlottenburg befindet sich die Büste seit 2009 wieder im Neuen Museum auf der Berliner Museumsinsel Berlin.



Nach James Simon benannt ist das am Kupfergraben gelegene Eingangsgebäude auf der Museumsinsel, daneben das im 19. Jahrhundert erbaute Neue Museum und rechts die Alte Nationalgalerie.



Die von James Simon und seiner Familie bewohnte Villa Tiergartenstraße 15 a wurde im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt und danach abgerissen. An ihn erinnern die Medaillen.



Im Bode-Museum wurde 2019 das James-Simon-Kabinett so eingerichtet, wie es schon einmal ausgesehen hat, bevor die Nationalsozialisten dieses beseitigten und überall Hinweise auf den jüdischen Stifter und Mäzen tilgen.





Die Medaillen ehren James Simon, dessen finanzielle Hilfe es erst möglich machte, dass in Amarna gegraben wurde.





Das Neue Museum hat den Zweiten Weltkrieg nur als Ruine überstanden, wurde aber nicht abgerissen. In DDR-Zeiten gab es Pläne zum Wiederaufbau, die aber erst 1999 bis 2009 von David Chipperfield vereinfacht realisiert werden konnten. Wo es möglich war, hat man Fragmente der Ausstattungen wie hier im Zypernsaal in den Neubau einbezogen.





Die Tafel an der heutigen Landesvertretung von Baden-Württemberg in der Tiergartenstraße 15 am ehrt James Simon, der hier einmal gewohnt hat. Dass das Stadtbad in der Gartenstraße (Bezirk Mitte) 1880 als Volksbadeanstalt von Simon gestiftet wurde, erzählt die Porzellantafel. (Fotos/Repros: Caspar)

Was wären die Staatlichen Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz und andere Einrichtungen ohne jene jüdischen Mäzene, die die Sammlungen in der Kaiserzeit und der Weimarer Republik großzügig unterstützten und ihnen bedeutende Kunstwerke und Dokumente zukommen ließen? Sie folgten einem jüdischen Gebot, von seinem Reichtum etwas abzugeben und anderen zu beschenken. Reiche und kunstbegeisterte Unternehmer und Kaufleute, aber auch Bankiers und Verleger wie Eduard Arnhold, Ludwig Darmstaedter, Rudolf Mosse, die Rothschilds, James Simon und viele andere hätten ihr Geld auch für ein aufwändiges Leben verprassen können, wie es von anderen Vertreter der Großbourgeoisie geführt wurde. Doch sie setzten es uneigennützig für karitative und kulturelle Zwecke ein, wurden in ihrer Zeit als Wohltäter verehrt und verkehrten in allerhöchsten Kreisen.

Viele Namen sind nur noch Historikern und Kunstexperten ein Begriff, doch einer ist der größeren Öffentlichkeit bekannt: James Simon (1851-1932). Der Bauwollhändler stiftete Schulen, Schwimmbäder und Waisenhäuser. Er schenkte den Königlichen Museen, von deren Generaldirektor Wilhelm von Bode beraten und stets von neuem ermuntert, Gemälde, Skulpturen, kunstgewerbliche Erzeugnisse sowie Münzen und Medaillen und überließ ihnen auch die Büste der altägyptischen Königin Nofretete, die gleichsam zur Ikone der Berliner Museen wurde. Erinnert sei an Ludwig Darmstaedter, der der Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin seine weltberühmte Sammlung von Handschriften vermachte, Eduard Arnhold förderte Künstler der Moderne und ließ dem Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut, aus dem die heutige Max-Planck-Gesellschaft hervor ging, namhafte Beträge für Forschungszwecke zukommen. Diese und weitere Mäzene halfen bei Kunstankäufen und Restaurierungen und finanzierten archäologische Expeditionen. Ohne diese Unterstützung hätte die Berliner Museums- und Wissenschaftslandschaft gewiss nicht diese Weltgeltung erlangt, die sie vor und nach 1900 hatte, und auch andere deutsche Kunststädte stünden ohne diese mäzenatische Hilfe weniger blendend da.

Vorlage für weitere Porträts

Seit sie im Jahre 1912 in Amarna, 300 Kilometer südlich von Kairo, entdeckt und von ihren Ausgräbern nach Berlin gebracht wurde, zählt die Büste der altägyptischen Königin Nofretete zu den großen Berühmtheiten der Staatlichen Museen. Dass der Bildhauer Thutmosis nur ein Auge bemalt hat, tut ihrer Ausstrahlung keinen Abbruch. Das Porträt der Gemahlin des Pharao Echnaton besteht aus Kalkstein mit einem bunt und lebensecht bemalten Überzug aus Gips, der bis auf einige Beschädigungen gut erhalten ist. Offenbar handelt es sich um ein Arbeitsmodell, nach dem weitere Büsten angefertigt werden sollten. Die „Herrin der Lieblichkeit“, wie man die Königin nannte, starb im Jahre 1338 vor Christus. Gefunden wurde das 48 Zentimeter hohe Bildnis bei Ausgrabungen deutscher Archäologen in Amarna, der ehemaligen Residenz des königlichen Paares. Aufgrund von Absprachen zwischen der ägyptischen und der deutschen Regierung gelangte es nach Berlin, wo es zunächst im Haus von Simon stand, denn er hatte die Grabungen der Deutschen Orient-Gesellschaft finanziert und konnte die Büste für sich auswählen. Ihm verdanken die damaligen Königlichen und ab 1918 Staatlichen Museen zu Berlin bedeutende Zuwendungen und Schenkungen. Eine Freifläche nahe der Museumsinsel und das 2019 eröffnete Eingangsgebäude für die einzelnen Häuser der Museumsinsel ist nach diesem großartigen Menschen- und Kunstfreund benannt.

Als die Büste 1924, vor nunmehr einhundert Jahren, im Neuen Museum auf der Museumsinsel öffentlich gezeigt wurde, löste sie Begeisterungsstürme aus, und die sind bis jetzt nicht abgeebbt. Für die Grabungen in Tell el-Amarna, einem abgelegenen Ort am Ostufer des Nil in Mittelägypten, gab es eine Vereinbarung zwischen dem Deutschen Reich und dem mit Kaiser Wilhelm II. befreundeten türkischen Sultan. Sie sah die Fundteilung als Gegenleistung für die Finanzierung der Forschungsarbeiten vor. Bis zum Zweiten Weltkrieg waren Nofretete und ihr Hofstaat sowie die vielen anderen Ausgrabungsstücke aus dem Land am Nil im Neuen Museum ausgestellt. Aus Sicherheitsgründen wurden sie 1943 verpackt und sicher in Depots in und außerhalb der Reichshauptstadt eingelagert. Nach dem Krieg wurde die schöne Königin mit weiteren Objekten im Salzbergwerk Merkers (Thüringen) untergebracht und von dem amerikanischen Kunstschutz-Offizier Walter Farmer entdeckt. Auf verschlungenen Pfaden gelangten die Büste und die anderen Kostbarkeiten in die Obhut der Stiftung Preußischer Kulturbesitz im damaligen West-Berlin, die sie im Ägyptischen Museum gegenüber dem Schloss Charlottenburg zeigte.

Rückkehr ins Neue Museum

Nach der Wiedervereinigung (1990) und der Zusammenlegung der über beide Stadthälften verteilten Altertümer war klar, dass Nofretete und die anderen Sammlungsstücke an ihren Ausgangspunkt, die Museumsinsel, zurückkehren. Drei Jahre wurde der Umzug der Königin Nofretete mit dem ins Deutsche übersetzten Namen „Die Schöne ist gekommen“ und der anderen Hinterlassenschaften aus dem Land am Nil ins Alte Museum vorbereitet; drei Millionen Euro stellten Sponsoren dafür bereit. Nach der Eröffnung des Neuen Museums Anfang 2009 können dort außer Nofretete auch andere Götter- und Pharaonenfiguren, ferner bunt bemalte Mumien und mit Hieroglyphen bedeckte Inschriftentafeln, des weiteren Arbeiten aus Terrakotta, Bronze und Gold sowie aufgerollte Papyri betrachtet werden.

Die Staatlichen Museen sehen keinen Grund, die „schönste Berlinerin“, wie das berühmte Bildwerk manchmal genannt wird, nach Ägypten zurückzubringen. Die Direktorin des Ägyptischen Museums und der Papyrussammlung, Friederike Seyfried, reagierte vor einigen Jahren auf Medienberichte, wonach sie in Kairo mit Zahi Hawass, dem Generaldirektor der Ägyptischen Antikenverwaltung, über den Verbleib der Büste der Nofretete in Berlin verhandeln werde. Dergleichen Gerüchte entbehrten jeglicher Grundlage, erklärte sie damals, wohl aber strebe sie eine enge Zusammenarbeit auf wissenschaftlicher und musealer Ebene mit den ägyptischen Museologen und gemeinsame Ausstellungen an. „Die schon 1924 geäußerte Prognose, dass ‚die Eröffnung dieses neuen Saales sicher das Interesse an der ägyptischen Kunst und besonders an ihren Porträten neu beleben wird‘, hat sich bewahrheitet – und für hundert Jahre Amarna-Kunst im Neuen Museum war und ist die bunte Büste die schönste Botschafterin“, sagte Seyfried. Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz stellt klar: „Seit Jahren befinden wir uns mit Ägypten in gutem Austausch, sind an Grabungen vor Ort beteiligt und arbeiten zum Beispiel auch für Ausstellungen zusammen. Entgegen anderslautender Berichte gibt es keine Rückgabeforderung der ägyptischen Regierung für die Büste der Nofretete – und auch keine neuen Dokumente, die die Rechtmäßigkeit ihres Verbleibs in Berlin in Zweifel ziehen würden.“

Extra-Saal für Funde aus Amarna

Für die Präsentation der Altertümer aus Amarna mussten im Neuen Museum einige Umbauten vorgenommen werden. Im Griechischen Hof wurden die Apsis abgetragen und ein Glasdach eingezogen, an den Seiten des Raumes hat man kleine Kabinette eingebaut. Der hinter dem Griechischen Hof liegende Raum wurde für die Aufnahme der Sarkophage umgestaltet. Die Planungen für diesen Umbau hatten schon 1918 begonnen, nachdem der ursprünglich für das Ägyptische Museum vorgesehene Neubau, ein an das Pergamonmuseum nach Süden anschließender Flügel zwischen Neuem Museum und Kupfergraben, aufgrund finanzieller Probleme auf unabsehbare Zeit zurückgestellt worden war. Bereits 1919 wurde das Glasdach über dem Griechischen Hof eingezogen, die weiteren Arbeiten konnten aber erst 1921 fortgesetzt werden. Ende 1923 waren dann die architektonischen Umgestaltungen abgeschlossen, und die neue Ausstellungsfläche konnte bezogen werden. Der zentrale Mittelgang nahm monumentale Skulpturen auf, während die seitlichen Kabinette für die Präsentation der Objekte der Amarna-Zeit vorgesehen waren. Sie stammten nicht nur aus der Grabung von 1912/13, sondern auch aus früheren Kampagnen sowie aus Ankäufen.

Im Herbst 1913 wurde in einer Sonderausstellung bedeutende Funde aus der Grabungskampagne von 1912/1913 im Neuen Museums gezeigt, bevor sie nach Kairo zurückgebracht wurden. Die Schau erregte „solches Aufsehen in Berlin (…), dass mehrere Monate lang beständig die Besucherscharen in die sonst leeren Säle unsres ägyptischen Museums strömten“, schrieb die Kölnische Zeitung am 2. April 1924. Die Schau im nun Amarna-Hof genannten ehemaligen Griechischen Hof war ein großes Medienereignis, bei dem die Presse „die Schöne“ zunächst links liegen ließ.

Die für diese Objekte konzipierten acht Kabinette waren in gleicher Form gestaltet, jedes zeigte – mittig platziert – ein bedeutendes Kunstwerk. Die bunte Büste stand – in einer gegenüber der heutigen Präsentation sehr bescheiden anmutenden kleinen Vitrine – im zweiten Kabinettabteil einem Statuenkopf ihres Gemahls gegenüber. Heinrich Schäfer berichtet in den Mitteilungen der Deutschen Orientgesellschaft, Bd. 63, 1924, S. 32, dass sie mit ihrer „kühlen, sicheren Schönheit die Besucher am meisten zu fesseln pflegt“, betont aber zugleich, „so herrlich diese Büste ist, so kann sich doch als Kunstwerk der unscheinbare gipserne Königskopf gegenüber wohl mit diesem Meisterstück messen.“

Mäzen und jüdischer Weltbürger

Die Büste der Nofretete wurde 1912 im Rahmen einer von Ägypten genehmigten wissenschaftlichen Ausgrabung in Tell-el-Amarna gefunden. Finanziert von dem Berliner Kaufmann und Mäzen James Simon, wurde die Grabung der Deutschen Orientgesellschaft von Professor Dr. Borchardt vom Kaiserlichen Deutschen Institut für Ägyptische Altertumskunde geleitet. Eine Vereinbarung mit der ägyptischen Seite sah von Anfang an die damals übliche, hälftige Fundteilung als Gegenleistung für die Finanzierung vor. Dieses System der Fundteilung war bis Anfang des 20. Jahrhunderts ein weit verbreitetes Vorgehen als Gegenleistung für die Finanzierung einer Grabung. Die Fundteilung wurde von dem Ägyptologen und Grabungskommissar Gustave Lefèbvre im Januar 1913 durchgeführt. Als Vertreter der ägyptischen Regierung wählte Lefèbvre eine Hälfte aus, während die andere Hälfte einschließlich der Nofretete nach Berlin kam. James Simon wies ihr in seiner Villa einen Ehrenplatz zu.

Es gehört zur Tragik im Leben von James Simon, dass es im und nach dem Ersten Weltkrieg mit seinem Unternehmen, das einmal führend im europäischen Baumwollhandel war, bergab ging. So sah sich der Sammler zu Kunstverkäufen an die Staatlichen Museen veranlasst. Als die Nazis 1933 an die Macht kamen, wurden alle Hinweisschilder auf ihn entfernt, weil er Jude war. Da Simon schon 1932 gestorben war, musste er diese Schmach nicht mehr erleben. Seine Familie allerdings war rassistischer Verfolgung ausgesetzt. Nach dem Untergang des Nazireiches blieb der auf dem Jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee in Berlin bestattete Mäzen lange Zeit weitgehend vergessen. Die Landesvertretung von Baden-Württemberg, die vor ein paar Jahren auf dem Grundstück der Villa Simon an der Tiergartenstraße errichtet wurde, hat sich seiner angenommen und ehrt ihn mit einer Gedenktafel. Unter dem von Berliner Maler und Grafiker Johannes Grützke gestalteten Bildnismedaillon werden die Verdienste des Mäzens, Wohltäters, Patrioten und jüdischen Weltbürgers, wie es in der Inschrift heißt, betont und hervorgehoben, dass die Berliner Museen ihm die Nofretete und viele andere unermessliche Schätze verdanken. „Er gründete die erste Volksbadeanstalt, förderte die Bildung breiter Schichten und half den sozial Schwachen“. Simon habe für Gemeinsinn gestanden, „der 1933 gewaltsam zerstört wurde“.

1. April 2024