Justizterror am Rodeliusplatz

Neu gestalteter Stadtraum in Lichtenberg erinnert mit einem Mahnmal Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft





Das am 7. Oktober 2023 eingeweihte Denkmal aus betonartig beschichtetem Aluminiumguss mit einer Inschriftentafel davor erinnert an die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft zwischen 1945 und 1989.



Rund um den von der Glaubenskirche dominierten Rodeliusplatz sprachen die sowjetischen Besatzungsorgane zahlreiche Todesurteile und langen Lagerhaftstrafen aus. Das Mahnmal „Einschlüsse“ unweit der Glaubenskirche - im Foto vorn - erinnert an das Wüten der politischen Justiz in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR.



Im neobarock gestalteten Gerichtsgebäude ist heute das Amtsgericht Lichtenberg tätig.



Bild-Text-Tafeln am Rodeliusplatz berichten über die industrielle Entwicklung der damaligen noch weit außerhalb der Reichshauptstadt befindlichen Gemeinde Lichtenberg um 1900 und wie sich der starken Bevölkerungszuwachs in Wohn- und Verwaltungsbauten manifestiert.



Bild-Text-Tafeln rund um die Normannenstraße und Ruschestraße erläutern Struktur und Tätigkeit des Mielke-Ministeriums, in dessen Räumen nach 1990 eine Mahn-, Gedenk- und Forschungsstätte eingerichtet wurde.





Was im Ministerium für Staatssicherheit an der Ruschestraße in Berlin-Lichtenberg ausgeheckt wurde, wird heute in der Mahn- und Gedenkstätte sorgsam dokumentiert. Gut vor allem auch von Schulkassen besucht ist auch die ehemalige Untersuchungshaftanstalt des MfS mit ihren erschreckenden Einsichten in den Alltag der Gefangenen und ihrer Verhörer im Ortsteil Hohenschönhausen, nur wenige Kilometer von Mielkes Amtssitz entfernt. (Fotos: Caspar)



An der Fassade des Frauengefängnisses in der Alfredstraße berichtet eine Gedenktafel aus dessen mit Unterdrückung und Gewalt gegen Andersdenkende verbundener Geschichte. (Fotos: Caspar)

Unweit des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) an der Ruschestraße im Stadtbezirk Lichtenberg erinnert auf dem Rodeliusplatz eine Stele an die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft von 1945 bis 1989. Im Gerichtsgebäude aus der Kaiserzeit sprachen Stalins Militärrichter zahlreiche Todesurteile und lange Haftstrafen in Straflagern aus. Nach ihrem Auszug standen bis zum Ende der SED-Herrschaft (1989/90) politische Gefangene vor Richtern, die die Weisungen der Staatspartei ausführten. Das von Roland Fuhrmann geschaffene Denkmal „Einschlüsse“ an einer Ecke des neu gestalteten Platzes, in dessen Mitte sich die 1903 bis 1905 im neoromanischen Stil erbaute Glaubenskirche erhebt, besteht aus vier zusammen gestellten Gefängnistüren, in die man durch 50 linsenförmige Okulare schauen und Bilder und Texte aus der Geschichte des Ortes und dem Schicksal derer betrachten kann, die hier Leid und Unrecht erfahren haben. Eine in das Straßenpflaster eingelassene Inschriftenplatte ruft zum Kampf für Menschenwürde und gegen Diktatur auf und berichtet aus der Schreckensgeschichte dieses Ortes.

Dort saßen fast 10.000 Personen nacheinander ein, bevor man sie zum Stasi- Untersuchungsgefängnis in im Berliner Ortsteil Hohenschönhausen brachte. Die dort nach dem Ende der DDR eingerichtete Gedenkstätte dokumentiert in Bild und Schrift sowie zahlreichen Objekten aus der Hinterklassenschaft der Stasi, was hier politische Häftlinge erlitten haben. An keinem anderen Ort in Berlin waren hier so viele „Organe“ kommunistischer Repression versammelt wie hier am Rodeliusplatz. Seine jetzt abgeschlossene Neu- und Umgestaltung ruft nach langem Vergessen dieses dunkle Kapitel ostdeutscher Nachkriegsgeschichte schmerzhaft ins Gedächtnis.

Firma VEB Horch & Guck

Am Rodeliusplatz und in benachbarten Straßen erinnern Foto-und-Texttafeln daran, dass hier das von Erich Mielke geleitete Ministerium für Staatssicherheit als verlängerter Arm der SED und deren Schild und Schwert die Überwachung und Unterdrückung der DDR-Bevölkerung organisierte und darüber hinaus in der so verhassten Bundesrepublik Deutschland mit Spionage und Sabotage aktiv war. An dem nach Adalbert Rodelius, dem ersten Gemeindevorsteher des Amtsbezirks Lichtenberg, benannten Platz gab es ein Zellengefängnis der Besatzungsorgane, zwei Polizeiinspektionen und das Stadtbezirksgericht, in dem auch politische Prozesse stattfanden. In der benachbarten Normannenstraße hatte das Ministerium für Staatssicherheit seine Hauptadresse, und in der Magdalenenstraße gab es ein weiteres Gefängnis. Der Bürgerrechtler und Schriftsteller Jürgen Fuchs hat in seinem Roman „Magdalena: MfS, Memfisblues, Stasi, Die Firma, VEB Horch & Guck“ und weiteren Werken aus eigenem Erleben geschildert, welcher Methoden sich die Stasi hier und in anderen Haftanstalten bediente, um die in ihrer Gewalt befindlichen Regimegegner zu „zersetzen“ und gefügig zu machen.

Der Gedenkort am Rodeliusplatz geht auf eine Initiative von 2017 des „Bürgerkomitee 15. Januar“, dessen Name auf die Erstürmung des Mielke-Ministeriums am 15. Januar 1990 weist. Es wurde von der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft unterstützt und im Wesentlichen aus ehemaligen SED-Geldern finanziert. Das Bezirksamt hatte einen künstlerischen Wettbewerb ausgeschrieben, bei dem Roland Fuhrmanns Entwurf ausgewählt wurde. Bei der Weihe wurde betont, dass es sich um erste Denkmal für die Leidtragenden der kommunistischen Gewaltherrschaft von 1945 bis 1989 handelt, das seit der Wiedervereinigung in Berlin entstanden ist. „Da sich das Denkzeichen auf Ereignisse in vier umstehenden Gebäuden bezieht, wählte ich eine vierseitige Grundform, die in deren Richtungen weist. Das stärkste Symbol der Freiheitsberaubung in diesen Gebäuden sind die Türen der Zellen und Kellerverschläge. Ich drehte ihre Innenseiten nach außen, denn das Blatt der Geschichte hat sich gewendet. Die Innenseiten der Türen ohne Klinken sind das, was die Verurteilten sahen und was ihren Weg in die Freiheit versperrte“, beschreibt Roland Fuhrmann sein Werk.

Erschreckendes und Banales

Im Haus 1 der ehemaligen Stasizentrale an der Lichtenberger Ruschestraße sieht es aus, als hätte der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke gerade seinen Arbeitsplatz verlassen. Seit dem Fall der Mauer und der Entmachtung des obersten Sicherheitschefs der DDR hat sich in den Amtsräumen kaum etwas verändert. Die Dokumentation verbindet erschreckende Zeugnisse für die Terrorisierung und Überwachung der Bevölkerung mit Banalem und Alltäglichem. Eine ganze Industrie war ganz im Geheimen beschäftigt, um all die in Koffern, Gießkannen und sogar in Schlipsen versteckten Überwachungskameras und Mikrofone, die Funkgeräte und Dechiffriermaschinen herzustellen. Ergebenheitsadressen, Geburtstags- und Staatsgeschenke, Marx-, Lenin- und Dzierzinski-Büsten,

Hinter vielen Exponaten stehen traurige Lebensgeschichten, manche reizen aber auch zum Lachen. Da gibt es zum Beispiel eine witzig gemeinte, aber todernste Abschlusszeitung eines Studiengangs der Juristischen Hochschule des MfS in Potsdam. Unter dem Motto „Wir sind überall“ schildern Karikaturen und flotte Sprüche, was Mielkes Leute hier am Rand von Potsdam gelernt haben – abhören, aushorchen, mitschreiben, erpressen, denunzieren und im richtigen Moment brutal zuschlagen. Hier erübrigt sich jeder Kommentar, die bunten Blätter, ergänzt durch Dienstanweisungen und Ministerreden sprechen für sich. Sie und die vielen anderen Exponate sind wichtige Erinnerungshilfen und machen DDR-Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes erfahr- und begreifbar, und sie unterstreichen die Gefährlichkeit von Verklärung der zweiten deutschen Diktatur, ist in der Ausstellung zu erfahren.

Der Platz wird von der St. Antonius & St. Shenouda Kirche mit ihren beiden, 61 Meter hohen Türmen dominiert. Als evangelische Glaubenskirche erbaut, wurde sie in den 1990er Jahren von der Koptisch-Orthodoxen Kirche in Deutschland erworben und dient heute, nach zwei Heiligen benannt, als ihr Bischofssitz.

10. Oktober 2023