Kaiser, Könige und ein Lenin-Kopf
Mitglieder der Schadow Gesellschaft Berlin besuchten das Lapidarium auf der Spandauer Zitadelle
Das kurbrandenburgische Wappen mit schwarzen Adler an den Seiten prangt über dem s Eingangsgebäude. Dahinter erhebt sich der aus der Erbauungszeit stammende Juliusturm, der in der Kaiserzeit den Reichskriegsschatz beherbergte.
Das preußische Königspaar Friedrich Wilhelm III. und Luise sowie die Denkmäler von Bülow und Scharnhorst (rechts) begrüßen die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung „Enthüllt“ und laden zu einem ganz besonderen Rundgang durch die Geschichte Berlins ein.
Mit der marmornen Siegesallee wollte Kaiser Wilhelm II. den Berlinern eine Freude machen und sie an seine Dynastie binden. Doch hatte er sich verrechnet, denn die Ahnengalerie aus Marmor erntete als Puppenallee, Marmorameer oder Neue Invalidenstraße vielSpott.
Die Reste der aus der Kaiserzeit stammenden, aus Mitgliedern der Hohenzollern-Dynastie und ihren Paladinen bestehenden Siegesallee werden, leicht gereinigt,so gezeigt, wie sie im Bezirk Tiergarten den Zweiten Weltkrieg überstanden haben.
Die Ausstellung „Enthüllt“ zeigt Reste der Berliner Siegesallee aus der Zeit Kaiser Wilhelms II. Sie wurden bei der Neuaufstellung nur vorsichtig gereinigt. Nichts wurde restauriert, und auch fehlenden Köpfe, Nasen, Hände und andere Details hat man nicht hinzugefügt.
Die 1902 fertig gestellte Siegesallee musste manchen Spott aushalten. Hier fragen Besucher aus der Provinz, wie es kommt,dass sogar Vogelscheuchen aus Marmor sind. Daneben ist Markgraf Otto der Faule, ein Liebling der Berliner Schuljugend, für ein kleines Schläfchen vom Sockel gestiegen.
Nach einer abenteuerlichen Reise von einem sowjetischen Armeesportplatz quer durch die DDR über die deutsch-deutsche Grenze in die Bundesrepublik sowie umfangreichen Ermittlungen der Kriminalpolizei und einer Verständigung mit einem Sammler von NS-Kunst kehrte 2023 die so genannten Thorak-Pferde zurück nach Berlin und werden in der Dauerausstellung „Enthüllt“ und – auf diesem Foto – in der Bastion Königin der Spandauer Zitadelle gezeigt.
Der Kopf vom 1991 abgerissenen Ost-Berliner Lenindenkmal und die Ewige Flamme aus der Neuen Woche sind weitere Hingucker in der „Enthüllt“-Ausstellung.
Die DDR ehrte die auf ihrer Seite an der Grenze ums Leben gekommenen Soldaten mit einem sie heroisierenden Denkmal. Der zahllosen Mauertoten wurde nur auf westlicher Seite gedacht.
Fotos/Repro: Caspar
Die Schadow Gesellschaft Berlin lud unlängst zu einem Besuch der Spandauer Zitadelle ein. Geführt von der Museumsleiterin Dr. Urte Evert lernten die Gäste im Schnelldurchlauf kennen, was die alte Festung der brandenburgischen Kurfürsten und preußischen Könige an Bauten und Ausstellungen zu bieten hat. Im Lapidarium gab es ein Wiedersehen mit den von Christian Daniel Rauch geschaffenen Marmordenkmälern der Feldherrn der Befreiungskriege Gerhard Johann David von Scharnhorst und Friedrich Wilhelm von Bülow, die bis vor ein paar Jahren Unter den Linden standen und jetzt „unter Dach“ und damit vor Regen und Frost geschützt sind.
Für den von Schadow geschaffenen Münzfries besteht die Aussicht, Teile in einer Schauwerkstatt in der Bastion Königin zu restaurieren und angemessen aufzustellen. Die Räume müssen allerdings noch von marmornen Trümmerteilen befreit, renoviert, neu beleuchtet und als Werkstatt hergerichtet werden. Die Schadow Gesellschaft hält 63 000 Euro für den Transport und die Restaurierung der zur Zeit immer noch in den Katakomben des Kreuzbergdenkmals ungünstig lagernden Reliefs bereit und hofft gemeinsam mit den Staatlichen Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz und ihrer Alten Nationalgalerie, das dieser einzigartige Schatz eines Tages der Öffentlichkeit im Rahmen eines Rundgangs auf der Zitadelle präsentiert werden kann. Die Schadow Gesellschaft Berlin wirbt jetzt Spenden ein und erstellt einen Maßnahme- und Kostenplan.
Bunte Veranstaltungen unter freiem Himmel
Beim Rundgang stellte Urte Evers verschiedene Ausstellungen vor und beschrieb die vor allem militärisch genutzten Bauwerke, die im Laufe der vergangenen Jahrhunderte errichtet wurden und heute für Ausstellungen, als Archiv, Büros, Werkstätten, Ateliers und Magazine genutzt werden. Die vom italienischen Festungsbaumeister Rochus Graf zu Lynar Spandau. Ende des 16. Jahrhunderts erbaute und danach immer wieder erweiterte Zitadelle besitzt als Ort für Konzerte und Lesungen sowie für „bunte“ Veranstaltungen einschließlich Ritterspiele und Popkonzerte unter freiem Himmel einen hervorragenden Ruf. In einer ehemaligen Kaserne wird moderne Kunst gezeigt, im Zeughaus können historische Kanonen und andere Waffen besichtigt werden. In einem weiteren Gebäude aus der Schinkel-Zeit dokumentiert die Zitadelle „100 Jahre Museum Spandau“.
Das Museum präsentiert darüber hinaus archäologische Fundstücke und aus dem Mittelalter stammende jüdische Grabsteine, die nur deshalb alle Zeiten überstanden haben, weil man sie als Baumaterial eingesetzt hatte. Sehenswert ist auch der aus der Erbauungszeit stammende Juliusturm mit dicken Panzertür, weil dieses Gebäude mit Zinnen nach Entwürfen von Karl Friedrich Schinkel während der Kaiserzeit als Depot des für außerordentliche Militärausgaben bestimmten und 120 Millionen Mark in Gold umfassenden Reichskriegsschatzes genutzt wurde. Damals gab es die Redewendung „An den Juliusturm gehen“ für den Zwang, letzte Reserven angreifen zu müssen. Nach dem Ersten Weltkrieg musste das Deutsche Reich den 1913 mit Blick auf kommende Konflikte um 120 Millionen Mark aufgestockten Reichskriegsschatz aufgrund des Versailler Vertrags an Frankreich abgeben, das nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 Entschädigungen im Wert von fünf Milliarden Francs an das neue deutsche Kaiserreich hatte abliefern müssen.
Wiedersehen mit Feldherrn der Befreiungskriege
Ein wahres Erlebnis war für die Mitglieder der Schadow Gesellschaft Berlin der Rundgang durch die Ausstellung „Enthüllt“, in der von Berliner Straßen und Plätzen entfernte Skulpturen neu präsentiert werden. Gleich eingangs gab es ein Wiedersehen mit den Feldherren der Befreiungskriege von 1813 bis 1815, Scharnhorst und Bülow. Die Marmordenkmäler waren noch vor einigen Jahren Unter den Linden in Berlin, der Neuen Wache gegenüber, den Unbilden der Witterung ausgesetzt. Jetzt stehen die Monumente klassizistischer Bildhauerkunst trocken und sicher in einem geschützten Raum. Rauch hatte es gut verstanden, den in zeitgenössischen Uniformen steckenden Militärs antikes Flair zu verleihen, indem er sie in einen Feldherrnmantel nach Art einer römischen Toga hüllte.
Am Beginn der neu aufgestellten Siegesallee erhebt Markgraf Albrecht der Bär das Kreuz. Obwohl er nicht zum Haus Hohenzollern gehört, sondern aus askanischen Dynastie stammt, nahm Wilhelm II. ihn für sich in Anspruch. Die Berliner hatten zu des Kaisers Gabe ein gespaltenes Verhältnis. Die einen lobten die Aufreihung von brandenburgischen Markgrafen und Kurfürsten sowie preußischen Königin und einem deutschen Kaiser als gelungenen Versuch des kaiserlichen Denkmalstifters Wilhelm II., sich und seine Dynastie aufzuwerten und als gleichberechtigt mit anderen Herrscherfamilien darzustellen. Andere meinten, der Kaiser hätte das viele Geld lieber in Krankenhäuser und karitative Einrichtungen stecken sollen.
Die Beine der Hohenzollern
Um 1902 ließ ein Berliner Gymnasiallehrer seine Schüler einen Aufsatz über die Beinstellung der Figuren auf der Siegesallee schreiben. Sie registrierten bei dem einen Herrscher stramme Schenkel und bei anderen schlaffe Waden, und bei Otto dem Faulen – bei dem Beinamen! - einen grämlichen und müden Gesichtsausdruck. Der kaiserliche Stifter las bei einer seiner Nordlandfahrten einig herbei geschafften Betrachtungen und fand sie „ganz leidlich“ bis „für einen Unterprimaner auffallend vernünftig und für ein solches Thema.“ Was die Schüler schrieben, mag den Kaiser getröstet haben, denn seine Siegesallee war heftigem Spott ausgesetzt. Seine abfällige Bemerkung, die Kunst jenseits der von ihm favorisierten Formen und Themen sein „Rinnsteinkunst“. „Eine Kunst, die sich über die von m i r bezeichneten Gesetze und Schranken hinwegsetzt, ist keine Kunst mehr, ist Fabrikat, ist Gewerbe, und das darf die Kunst nie werden“, ließ der Kaiser, der sich als oberster Kunstrichter im Reich empfand, seine Untertanen wissen. Die eher harmlosen, vom Kaiser jedoch quasi geadelten Kladden kamen ins Archiv und wurden in den 1950er Jahren und später publiziert und kommentiert.
Im Zweiten Weltkrieg zum Teil stark beschädigt, hat man danach die wie aus der Zeit gefallenen, von bedeutenden und am kaiserlichen Hof angesehenen Bildhauern wie geschaffenen Statuen nicht kurz und klein geschlagen, sondern im Garten des Schlosses Bellevue wie in einem Massengrab der Erde übergeben. Als das ehemalige Hohenzollernschloss als Sitz des deutschen Bundespräsidenten in den 1970er Jahren renoviert und restauriert wurde, hat man die Bildwerke wieder ausgegraben und sie in den Katakomben des Kreuzbergdenkmals, in einem ehemaligen Wasserwerk und an anderen Orten mehr recht als schlecht aufgestellt. Es ist auch vorgekommen,dass sich Privatleute den einen oder anderen Kopf oder andere Souvenirs aus Marmor mitgenommen haben.
Bronzepferde aus Hitlers Reichskanzlei
Wenn man die stattlichen Reste der Siegesallee hinter sich gelassen hat, kommt man in einen Raum, in dem Zeugnisse der Bildhauerei aus der Zeit des Nationalsozialismus aufgestellt sind. Ins Auge fällt eines von zwei Bronzepferden, die der bei Hitler hoch angesehene Bildhauer Josef Thorak für den Innenhof der Neuen Reichskanzlei in Berlin geschaffen hat. Urte Evert erzählte von der abenteuerlichen Geschichte um dieses Pferd und ein weiteres im Schaudepot in der Bastion Königin nebenan.
Der Rundgang durch das Lapidarium mit Bildhauerarbeiten aus der NS-Zeit und der DDR endete nebenan im Schaudepot und in der Bastion Königin, in der eines Tages, wenn alles nach Wunsch und Plan geht, Johann Gottfried Schadows Münzfries wieder in einen vorzeigbaren Zustand versetzt und dem staunenden Publikum gezeigt werden soll und einen neuen Blick auf einen Künstler eröffnet, den wir als Schöpfer der Quadriga auf dem Brandenburger Tor und der Prinzessinnengruppe in der Alten Nationalgalerie auf der Museumsinsel, aber auch als Gestalter des Wittenberger Lutherdenkmal und des Rostocker Blücherdenkmals sowie von zahlreichen Bildnisbüsten schätzen. Nicht zu vergessen sind Schadows herrliche Porträtzeichnungen und Charakterstudien sowie Karikaturen gegen die französischen Besatzer, die 1806 auf Befehl Kaiser Napoleons I. die kupferne Figurengruppe vom Brandenburger Tor nach Paris entführt hatten und sie erst 1814 an Preußen zurück gaben.
7. November 2024