Stillstand an der Einheitswippe

Mit der Weihe im Oktober 2024 wird nicht gerechnet, zu viele Probleme sind noch lösen



In einer Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau wurden 2010 Entwürfe und Modelle für das zu bauende Einheitsdenkmal vorgestellt. Nicht zur Ausführung bestimmt wurden die vergrößerte und vergoldete Quadriga vom Brandenburger Tor und ein farbig gefasster kniender Mann. Er fand kein Gefallen, weil er als Sinnbild für Unterwerfung gedeutet wurde. In der Ausstellung war Fotografieren nicht erlaubt, die Aufnahmen entstanden in einem unbeobachteten Moment und sind daher leicht unscharf.



Was mit den Mosaiken wird, die im Zusammenhang mit dem Bau des Einheitsdenkmals freigelegt wurden, ist nicht klar. Nach der Weihe des Nationaldenkmals am 22. März 1797 dauerte es noch rund 20 Jahre, bis die dabei zur Schau gestellte Kaiserherrlichkeit im Orkus der Geschichte verschwunden war. Wilhelm II. verabschiedete sich im November 1918 ins niederländische Exil, wo er 1941 starb. Das Modell mit der Bauakademie hinter dem Reiterdenkmal zeigt die Situation um 1900.



In der Animation wird das sich zum Humboldt Forum öffnende Einheitsdenkmal gut angenommen. Nur mit der Umsetzung gibt es Probleme, von der Kostensteigerung ganz zu schweigen. Repro aus Berliner Zeitung vom 27. 2. 2024





Wann Schinkels Bauakademie ihre Wiedergeburt erlebt, steht nach wie vor in den Sternen. Der Blick geht von der Baustelle hinüber zur Ecke aus roten Ziegeln, die wie ein Menetekel wirkt und dazu aufruft, den Plan Wirklichkeit werden zu lassen. (Fotos/Repros: Caspar)

Der Deutsche Bundestag beschloss 2007, vor nunmehr 17 (!) Jahren, den Bau eines Denkmals zur Erinnerung an die friedliche Revolution 1989 in der DDR und die Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990. Politiker, Stadtplaner und Journalisten starteten nach dem Wettbewerb für das Berliner Denkmal für die ermordeten Juden Europas die Initiative „Denkmal Deutsche Einheit“ und schrieben der Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, dem Bundeskanzler Helmut Kohl, dem Bundesratsvorsitzenden Gerhard Schröder und den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen, das Bürgerdenkmal möge an einem zentralen Ort in Berlin den Mut der Menschen würdigen, sich dem DDR-Staatsapparat entgegen zu stellen und „die befreiende Freude“ zum Ausdruck bringen, die der Mauerfall ausgelöst hat. Sie sprachen von einem „Denkmal des historischen Glücks und der Freudentränen“.

Als Ort wurde der Sockel des ehemaligen Nationaldenkmals für Kaiser Wilhelm I. vorgeschlagen, weil in der Umgebung tausende Demonstranten im „Wendeherbst“ 1989 rund um den Palast der Republik „Wir sind das Volk“ skandierten und das Ende der SED-Herrschaft forderten. Als markante Punkte dieser Entwicklung wurden das Kronprinzenpalais Unter den Linden, in dem am 31. August 1990 der Einigungsvertrag&xnbsp;unterzeichnet wurde, und der Palast der Republik genannt, in dem die erstmals am 18. März 1990 demokratisch gewählte Volkskammer am 23. August 1990 den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik beschloss. Die Ortswahl ist nach wie vor umstritten und ist für den Bau des Einheitsdenkmal wenig hilfreich.

Bürger in Bewegung

In diesem Jahr ist kaum zu erwarten, dass von der Stuttgarter Agentur für Kommunikation im Raum Milla & Partner in Zusammenarbeit mit der Choreografin Sasha Waltz entworfene Denkmal mit der im Wendejahr 1989 skandierten Inschrift WIR SIND DAS VOLK. – WIR SIND EIN VOLK. enthüllt wird. Das „Bürger in Bewegung“ genannte Monument ist begehbar, und wenn sich genügend viele Besucher auf die eine Seite stellen, wird sich die Schale wie eine Wippe auf der anderen Seite nach oben bewegen. In der Vergangenheit gab es bei der „Einheitswippe“, so ihr volkstümlicher Name, viele Probleme und Pannen, und diese werden sich nicht in Luft auflösen. Da musste eine seltene Fledermauskolonie, die in den Katakomben des ehemaligen Kaiserdenkmals lebte, umgesiedelt werden. Ungeklärt ist auch, was mit den Mosaiken aus der Kaiserzeit wird, die von Denkmalpflegern und Kunsthistorikern als schützens- und erhaltenswert eingestuft werden, wohin sie kommen und ob das normale Volk sie betrachten kann.

Das seinem Großvater Kaiser Wilhelm I. gewidmete Nationaldenkmal wurde von Wilhelm II. mit großem Pomp am 22. März 1897 enthüllt, dem einhundertsten Geburtstag des offiziell „Wilhelm der Große“ genannten Heldenkaisers, wie man am Hof zu sagen pflegte. In einem Bericht über die Zeremonie heißt es, Matrosen hätten die Hülle mit größter Schnelligkeit fallen lassen. „In das Hurrah der Truppen mischte sich das donnernde Hurrah der unzähligen Menge. Die Tambours schlugen, die Musikchöre spielten ,Heil Dir im Siegerkranz’, und die im Lustgarten aufgestellte Batterie des 1. Garde- Feld- Artillerie- Regiments gab die vorgeschriebenen 101 Salutschüsse ab.“ Im Weißen Saal des Königlichen Schlosses fand eine Galatafel statt, bei der Wilhelm II. sagte: „Es ist nicht Meines Amtes, hier Meines großen Vorfahren, Meines Herrn Großvaters Verdienste zu feiern. Was wir eben erlebt, und wie unser Volk sich benommen, kündet, wie lebendig alle Seine Werke, wie lebendig die gesamte Persönlichkeit des Verewigten vor Aller Augen steht.“

Fledermäuse und Mosaiken

Gravierender als Fledermäuse und Mosaiken sind die Querelen zwischen den beteiligten Firmen. Wie die Berliner Zeitung am 27. Februar 2024 berichtete, haben das Stahlbauunternehmen Heinrich Rohlfing in Sternwede-Niedermehnen (Nordrhein-Westfalen) und der Stuttgarter Agentur Miller & Partner unter dem Vorwurf des Vertragsbruchs ihre Zusammenarbeit beendet. Rohlfing fordert ausstehende Zahlungen auch mit Blick auf zusätzliche Arbeiten am Denkmal, die den Vertragsrahmen gesprengt hätten. Ständig seien neue Statik-Vorgaben eingegangen, was zur Verunsicherung und Verzögerung führte. Nicht einmal der Farbton stehe fest, in dem sich das neue Denkmal zeigen soll. Miller & Partner werfen der Stahlbau-Firma unberechtigte Forderungen vor und betonen, sie habe weder vertragsgerecht noch termingerecht geliefert. Nun soll die halbfertige Schale aus der Werkshalle geholt werden, und es wird ein anderer Betrieb gesucht, der das Werk vollenden soll. Wann und wie es damit weitergeht, ist unklar, schreibt die Berliner Zeitung, doch seien die Stuttgarter zuversichtlich, Ende dieses Jahres fertig zu sein. Inzwischen wurde bekannt, dass Heinrich Rohlfing in Bielefeld einen Insolvenzantrag gestellt hat. Ob dieser Schritt mit dem Streit um mehr Geld zusammenhängt ist nicht bekannt.

Wie unklar vieles bei dem Denkmal ist, geht unter anderem aus der Frage nach der Heizung der Metallschale bei Schnee und Eis hervor. Erst jetzt kam sie auf die Tagesordnung, dabei war vielen Beobachtern wie auch dem Verfasser dieses Beitrags schon vor Jahren klar, dass das ein Problem sein wird und man noch vor dem Bau des Denkmals an Sicherheitsrisiken denken muss. Im Übrigen ist auf Animationsbildern nicht klar zu sehen, ob das Denkmal ein Geländer bekommt. Denn es ist zu befürchten, dass Besucher und Skateboarder von der Wippe fallen, sofern sie keine Barrieren hat. Der Zugang zu ihr soll über eine kleine Treppe gewährleistet werden, die aber Gehbehinderten und Rollstuhlfahrern den Besuch unmöglich macht. Es sieht so aus, als wenn sich Künstler, Architekten und Techniker um solche intern auch „Kleinigkeiten“ genannten Details nicht gekümmert haben. Wichtiger war wohl der „glatte“ Eindruck, den Animationen vermitteln. Dass man an naheliegende Dinge wie Frostvorsorge, Zugang und Geländer nicht gedacht hat, stellt den Machern dieses Denkmals und den Politikern hinter ihnen ein Armutszeugnis aus.

Milla & Partner kontern alle Vorhaltungen so. „Es gab erhebliche Sicherheitsprobleme zu lösen, die das Denkmal teurer machen und seinen Bau verzögerten. Richtig ist, dass bereits bei der Wettbewerbseinreichung alle Sicherheitsfragen bedacht und beantwortet waren. Schon bei der Entwurfsplanung war der TÜV Süd einbezogen und hat die Konstruktion positiv bewertet. Eine Verteuerung oder Verzögerung aufgrund Sicherheitsfragen liegt nicht vor.“ Zur Frage der Barrierefreiheit erklärte die Agentur, der Entwurf habe auch sie gelöst und entspreche den gesetzlichen Anforderungen. Im Laufe der Weiterentwicklung habe Milla & Partner der Baubehörde des Landes Berlin einen Vorschlag über eine Rampe gemacht, den diese zunächst ablehnte. Daraufhin sei dieser Vorschlag überarbeitet worden, so dass das Amt zugestimmt hat.

Zum Gespött geworden Wer heute an der Baustelle auf der ehemaligen Schlossfreiheit gegenüber dem Portal III des Humboldt Forums vorbei geht, sieht wieder einmal Stillstand. Zwar ist dort schon viel geschehen, aber das Wichtigste an dem Projekt, die wie eine Obstschale wirkende Einheitswippe, lässt auf sich warten. Das damals und auch heute gut gemeinte Projekt ist wegen der politischen und technischen Querelen zum Gespött geworden, und es wird gefragt, ob die Schale noch in die Zeit passt. Nach wie vor wird in Zweifel gezogen, dass der Aufstellungsort angemessen ist und nicht ein anderer besser wäre, etwa an den ehemaligen Grenzübergängen Bornholmer Straße und Invalidenstraße oder am Brandenburger Tor, weil dort am 9. November 1989 der Fall der Berliner Mauer begann, und nicht am Spreekanal unweit der Museumsinsel und des Humboldt Forums.

Die von Milla & Partner geplante Gründung des Bauwerkes im schwierigen Baugrund am Spreeufer sah vor, sieben 1,50 Meter starke Betonpfeiler in den Boden zu treiben, um der Wippe die erforderliche Standsicherheit zu verschaffen. Niemand könne abschätzen, wie sich das Gewicht von tausenden Besuchern auf die Standfestigkeit der „wackelige Schale auf schwabbeligen Grund“ auswirken wird, wandten Kritiker ein. Denn die Pfahlgründungen müssten nicht nur die vertikalen Kräfte des von einer neobarocken, mit allerhand Getier aus Bronze geschmückten Steinkolonnade umgebenen Kaiser-Denkmals aushalten, sondern auch horizontale Schwankungen. Der „Tisch“ für die Gelenke der Wippe müsste frei stehen, damit die Bewegungen die darunter liegenden Gewölbe nicht beschädigen. Ein Gutachten des Landesdenkmalamtes wies überdies darauf hin, dass der denkmalgeschützte Sockel und die historischen Gewölbe mit etwa fünf Millionen öffentlicher Mittel saniert und restauriert wurden. Dieses Geld wären bei Bau des Denkmals verloren. Die Stellungnahme des Landesdenkmalamtes macht deutlich, dass der Bau der Einheitswippe doch nicht so einfach zu bewerkstelligen war und ist, wie manche ihrer Befürworter es erhofften.

Bauakademie lässt auf sich warten

Um die Errichtung des Freiheits- und Einheitsdenkmals auf der Schlossfreiheit vor dem Humboldt Forum gab es von Anbeginn Streit. Während die damalige Kulturstaatsministerin Monika Grütters die Parole „Einheitsdenkmal jetzt oder nie“ ausgab und mit ihren Streitern auf die schnelle Realisierung der Baupläne drang, warnte das Landesdenkmalamt vor unkalkulierbaren Risiken. Die 2015 erteilte Baugenehmigung wurde von ihm als baurechtlich „schwebend unwirksam“ bezeichnet, weil nicht alle Voraussetzungen für die Ausführung vorlägen. Die Denkmalschützer betonten, der Verzicht auf die Rückführung der geborgenen, gut erhaltenen, wertvollen Mosaiken des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmals hätten einen schweren Verlust für den historischen Ort zur Folge. Das sei umso unverständlicher, als der Sockel das einzige noch in seiner originalen Substanz erhaltene Gebäudefragment des ehemaligen Schlosskomplexes auf der Spreeinsel ist. Man darf nun gespannt sei, wie sich der Bau weiter entwickelt und was mit den Relikten aus der Kaiserzeit wird, auf dem er errichtet wird. Wie das Einheitsdenkmal und seine Inschrift erklärt und was von seiner quälend-lange Vorgeschichte erzählt wird, ist bisher nicht bekannt. Zu hoffen ist, dass sich mit dem Thema involvierte Behörden auch damit befassen und sich keine Fehler erlauben, über die man irgendwann berichten müsste.

Angemerkt sei an dieser Stelle, dass nur wenige hundert Meter entfernt die Schinkelsche Bauakademie auf ihre Wiedergeburt wartet. Auch für sie gab es nach der Herstellung der deutschen Einheit optimistische Ankündigungen aus Politikermund, doch geschehen ist bisher nicht viel. Wenigstens aber sieht man auf Computeranimationen die Einheitswippe im Vordergrund und dahinter Karl Friedrich Schinkels berühmten Roten Kasten, wie die Berliner den im Zweiten Weltkrieg zerstörten und danach abgerissenen Experimentalbau aus den 1830er Jahren liebevoll nannten. Auch hier besteht Hoffnung, dass Berlin sich eines Tages wieder mit der Bauakademie schmücken kann.

1. März 2024