Blutrausch in Folterhöllen der SA
Braune Mordkommandos verbreiteten vor 90 Jahren in Köpenick Angst und Schrecken





Hinter den dicken Ziegelmauern des zum Köpenicker Amtsgericht am Mandrellaplatz/Puchanstraße gehörenden Zellengefängnisses berichtet eine Ausstellung über die Blutwoche und zeigt, wer die Opfer und die Täter waren. Im früheren Gefängnis wird der Widerstand gegen das NS-Regime dokumentiert und gezeigt, wie im Untergrund Juden geholfen wurde, die Verfolgungen zu überstehen. Die von der Puchanstraße aus erreichbare Gedenkstätte ist jeweils am Donnerstags von 10 bis 18 Uhr bei freiem Eintritt geöffnet.







In dem ehemaligen, in eine Gedenkstätte verwandelten Gefängnis, das sich dem Gerichtsgebäude anschließt, werden die Verbrechen der Nationalsozialisten und der Widerstand gegen sie dokumentiert. Die Tafel an der Fassade des Gerichtsgebäudes am Mandrellaplatz ehrt den Sportler und Widerstandskämpfer Werner Seelenbilder, der 1944 im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet wurde.





In der Gedenkstätte wird – so weit möglich – mit Bildern an die Opfer der Köpenicker Blutwoche und weiterer Naziverbrechen erinnert (Aufnahme aus dem Jahr 2015).



Auf dem Platz des 23. April im ehemaligen Stadtpark von Köpenick, der nach dem 23. April 1945 als Tag des Einzugs der ersten Gardepanzerarmee und der achten Gardearmee der Roten Armee benannt ist, erhebt sich seit 1970 die zur Faust geballte Hand eines Widerstandskämpfers als Symbol für die Kraft des Widerstandes, der über Terror und Unmenschlichkeit triumphiert. (Fotos: Caspar)

Solange die Nationalsozialisten an der Macht waren, pflegten sie den Mythos von der Volksgemeinschaft und behaupteten, die Deutschen stünden „wie ein Mann“ hinter ihrem Führer. Das traf ohne Zweifel für große Teile der Bevölkerung zu, aber im Untergrund gab es auf vielen Ebenen antifaschistischen Widerstand. Um ihn zu brechen, erließ das Regime gleich nach dem 30. Januar 1933 zahlreiche Gesetze und Verordnungen, um jegliche Opposition zu unterdrücken und Menschen auszugrenzen, die nicht den rassistischen Vorstellungen der Nazis entsprachen. Ein weit verzweigter Terror- und Spitzelapparat wurde auf- und in den folgenden Jahren umfassen ausgebaut. Wer konnte, floh ins Ausland oder ging in die innere Emigration. Im Untergrund bildeten sich Widerst andsgruppen, deren Angehörige, wenn sie erkannt und zerschlagen wurden, vor Gericht und in die Zuchthäuser kamen beziehungsweise in die neu eingerichteten Konzentrationslager eingeliefert wurden. Das Regime konnte sich auf eine breite Mehrheit in der Bevölkerung stützen, ja es schwamm, weil diese sich willig auf die massive Goebbels-Propaganda einließen und Hitlers Verheißungen glaubten, auf einer Woge der Begeisterung.

"Ein Volk, ein Reich, ein Führer"

Nicht von ungefähr haben die Nationalsozialisten den 1. Mai zum Tag der Arbeit erhoben und gesetzlich festgeschrieben. Das geschah mit dem klaren Ziel, ihn für eigene Zwecke und zur Festigung der Volksgemeinschaft nach dem Motto „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“ zu nutzen. Selbstverständlich war den oppositionellen, von Verbot betroffenen Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschaften und anderen Gruppen die Teilnahme an den Maifeiern untersagt. Diese wurden von den unter Vormundschaft der Nazis stehenden Medien als Volksschädlinge und Volksfremde verteufelt. Die Ausrufung des 1. Mai zum nationalen Feiertag war ein raffinierter Schachzug, er sollte signalisieren, dass sich die von Hitler geführte Reichsregierung voll und ganz der Anliegen der einfachen Arbeiter annimmt und kein höheres Ziel als Wohlstand, Vollbeschäftigung und Sicherheit für alle kennt.

Von der NS-Führung ausdrücklich vor Strafverfolgung geschützt, nahmen zu Hilfspolizisten ernannte SA-Schläger überall in Berlin und im ganzen Reich so genannte Säuberungen vor. Aufgrund von „Schwarzen Listen“ oder Denunziationen wurden wirkliche oder vermeintliche Regimegegner verhaftet. Viele Männer und Frauen überlebten die Folter in den Gefängnissen und den Konzentrationslagern, die in Berlin und dann im ganzen Reich angelegt wurden, nicht. Zu den ersten Opfern des braunen Terrors gehörten Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Juden sowie Künstler, Wissenschaftler, Schriftsteller, Journalisten und andere Personen, die sich schon vor der so genannten Machtübernahme oder Machtergreifung, wie manche sagen, kritisch bis feindlich über die Machenschaften von Hitler, Goebbels und ihren Leuten ausgesprochen hatten und auf deren Schwarzen Listen standen. Geistliche, die gegen die neue Gottlosigkeit im Zeichen des Hakenkreuzes protestierten, wurden ebenfalls drangsaliert, mit Predigtverbot belegt, angeklagt, verurteilt und in vielen Fällen auch ermordet. Wer die Torturen überlebte, unterlag polizeilicher Überwachung und konnte nicht mehr in seinem alten Beruf arbeiten, und auch die jeweiligen Familien unterlagen der Sippenhaft und bekamen die ganze Wut der neuen Herren zu spüren.

Orgie der Gewalt und Stadz in Angst

Eine Orgie der Gewalt überzog im Juni 1933 den Berliner Bezirk Köpenick, der seit 1920 Teil von Groß-Berlin war. Schlagartig wurden Männer und Frauen aus ihren Wohnungen geholt und ins örtliche Gefängnis, aber auch in die Sturmlokale der SA gebracht. Zu Staatsfeinden erklärt, wurden sie gefoltert, um Namen von weiteren Oppositionellen zu erpressen, aber auch um Angst und Schrecken zu verbreiten. Namen und Zahl der Opfer der vom SA-Sturmbann 15 angezettelten Blutwoche stehen nicht genau fest, es wird von mindestens 24 Ermordeten und weiteren Vermissten gesprochen. Einige Leichen wurden nach Wochen, in Säcke eingenäht, aus den Gewässern rund um Köpenick geborgen. Erstes Angriffsziel war die&xnbsp;Wohnsiedlung&xnbsp;Elsengrund&xnbsp;am&xnbsp;S-Bahnhof Köpenick. In den Gaststätten&xnbsp;Demuth&xnbsp;in Köpenick und&xnbsp;Seidler&xnbsp;im Siedlungsviertel Uhlenhorst, im ehemals dem Reichsbanner gehörenden Wassersportheim in der&xnbsp;Wendenschlossstraße&xnbsp;sowie Bootshäusern in&xnbsp;Grünau&xnbsp;und im&xnbsp;Amtsgerichtsgefängnis&xnbsp;an der Puchanstraße wurden Antifaschisten&xnbsp;gefoltert.

An der von SA-Sturmbannführer Herbert Gehrke geleiteten Aktion waren SA-Sturmführer 1/15 Friedrich Plönzke (SA-Lokal&xnbsp;Seidler), SA-Sturmführer Herbert Scharsich (Demuth-Sturm 2/15), SA-Sturmführer Toldi Draeger 4/15 (SA-Lokal Jägerheim), SA-Sturmführer Reinhold Heinz (Wendenschloss-Sturm 3/15), SA-Sturmführer Werner Mau 5/15 (SA-Heim Müggelseedamm) sowie Mitglieder eines SA-Sturms aus Charlottenburg beteiligt. Die Todesopfer aus der SA wurden als Helden verehrt und begraben, über die ermordeten Antifaschisten breitete das NS-Regime eisiges Schweigen aus. Die Angaben zu den Todesopfern schwanken. In der DDR war von 91 Todesopfern die Rede;doch erwies sich diese Angabe als zu hoch, heute wird von mindestens 24 Todesopfern ausgegangen. Einige Leichen gelangten in das Leichenschauhaus in der Hannoverschen Straße in Berlin-Mitte, andere wurden in umliegende Gewässer geworfen oder im Schmöckwitzer Wald aufgehängt. Nach dem Ende der NS-Diktatur hat man den Mördern, so weit man ihrer habhaft wurde, in Ostberlin den Prozess gemacht. Sechs von ihnen wurden 1951 in Frankfurt an der Oder hingerichtet, die anderen erhielten hohe Zuchthausstrafen. Die DDR-Staatssicherheit kniff bei einigen Tätern die Augen zu und stellte sie, wie nach dem Ende des SED-Regimes bekannt wurde, unter ihren Schutz und ließ sie als Spitzel und andere Dienste für sich arbeiten. Selbstverständlich wurde dieses dunkle Kapitel beim Gedenken an die Blutwoche nicht erwähnt.

Namen der Mörder sind bekannt

In dem zum Köpenicker Stadtgericht gehörenden früheren Zellengefängnis an der Puchanstraße dokumentiert eine Ausstellung den Verlauf und die Folgen des von den Nazis als „Maßnahme zum Schutz von Volk und Reich“ deklarierten Massenmords und zeigt zugleich, dass sich mutige Köpenicker gegen die Gleichschaltung und den Rassenwahn zur Wehr setzten, gefährdeten Juden wie der Familie der späteren Schauspielerin Inge Meysel halfen und dabei vielfach ihr Leben riskierten oder auch verloren. Die in ehemaligen Gefängniszellen und einer kleinen Kapelle eingerichtete Dokumentation zeigt Bilder von den Mordopfern und Beweisstücke für die Terroraktion. Interesse verdienen hier Informationen darüber, wie in der frühen DDR die Erinnerung an die Ereignisse im Sommer 1933 missbraucht wurde, um im Zeichen des Kalten Kriegs Front gegen den, wie es hieß, westdeutschen Imperialismus zu machen und ihn als direkten Nachfolger des NS-Regimes zu denunzieren.

Eine riesige Betonfaust erhebt sich auf dem Platz des 23. April in Köpenick, gleich an der Bahnhofstraße. Die dort eingemeißelten Gestalten sind Sinnbilder für den Sieg der Geschichte über die Mächte der Finsternis und Gewalt. Die von dem Bildhauer Walter Sutkowski gestaltete Plastik zur Erinnerung an die Opfer der Blutwoche wurde 1970 enthüllt. Auf der Rückseite der Stele liest man ein Zitat von Karl Liebknecht, dem Mitbegründer der Kommunistischen Partei Deutschlands Ende 1918: „Und ob wir dann noch leben werden, wenn es erreicht wird – leben wird unser Programm. Es wird die Welt der erlösten Menschheit beherrschen. Trotz alledem!“

Hand zur Faust geballt

Kundgebungen am Mahnmal dienten nicht nur der Ehrung der Toten von damals, sondern auch der Propaganda für den zweiten deutschen Staat und seine führende Partei, die SED. So erklärte der damalige Berliner Parteichef und spätere „Maueröffner“ Günter Schabowski nach einem Bericht im „Neuen Deutschland“ vom 22. Juni 1988, die Opfer der antifaschistischen Helden seien nicht vergebens gewesen, ihr Kampf sei Teil des Fundamentes unseres Arbeiter-und-Bauernstaates. Antifaschisten, die durch die Hölle der faschistischen Verbrecher gegangen sind, stünden heute an der Spitze der DDR, die für alle Zeiten dem Friedenswillen der Völker verpflichtet ist.

Nach dem Ende der DDR gab es Versuche, das Monument zu beseitigen. Anstoß erregt nicht, dass das Denkmal an die brutale Verfolgung und Ermordung von Antifaschisten erinnert. Vielmehr hat man die sich bedrohlich in die Höhe reckende Faust als brutal und als „typische DDR-Kunst“ kritisiert. Auch die bogenartig angeordneten Stelen im Hintergrund, die den Alltag in der DDR mit fleißigen Arbeitern, Bauern und Wissenschaftlern sowie glücklichen Familien und die Segnungen des Sozialismus, finden wenig Anklang und werden als Hohn empfunden. Bisher hat sich im Bezirk und im Senat keine Mehrheit gefunden, die den Abbau durchgesetzt hätte.

13. Februar 2023