Gift in Newtons Haaren
Experimente des berühmten Gelehrten mit Schwermetallen waren nicht ungefährlich



Das menschliche Haar ist bestens als Informationsträger für den körperlichen Zustand seines Trägers geeignet und spielt in der Rechtsmedizin eine herausragende Rolle. Da war es nur natürlich, dass auch einige Strähnen des berühmten Gelehrten näher inspiziert wurden, um einigen auffälligen Verhaltensweisen auf den Grund zu gehen.



Die Grafik aus dem 19. Jahrhundert zeigt Newton, wie er vornehmen Gästen ein optisches Experiment erläutert. Daneben ein 1726 in London veröffentlichtes Buch, das sich der damals üblichen lateinischen Gelehrtensprache bedient.



Seine Untersuchungen über Metalle aller Art – der Holzschnitt zeigt ein Labor, in dem Metalle geschmolzen und verarbeitet werden - prädestinierten Newton, den vielgerühmten Professor an der Universität in Cambridge und seit 1672 Mitglied beziehungsweise von 1703 bis zum Tod Präsident der Royal Society, auch zu praktischer Arbeiten im Dienst der britischen Krone.



Das 1726 in London veröffentlichte Buch von Nerwton ist, wie damals üblic,in der lateinischen Gelehrtensprache verfasst.



Newton wurde durch Medaillen geehrt, die Ausgabe auf seinen Tod im Jahr 1726 zeigt sein prunkvoll gestaltetes Grabmal in der Westminster Abbey London.



Da die Kapazitäten der im frühen 19. Jahrhundert erbauten Royal Mint in London nicht mehr ausreichten, richtete sie 1980 in Llantrisant, etwa 15 Kilometer nordwestlich von Cardiff, ein neues Werk ein. Die letzten Münzen wurden im November 1975 in London geprägt. Die Medaille zeigt die antike Göttin Moneta bei der Hammerprägung sowie das klassizistische Münzgebäude mit einem Gitter davor. (Fotos/Repros: Caspar)

Mit geschmolzenen Metallen zu experimentieren und überhaupt in einer Münzstätte zu arbeiten, war in alter Zeit mit Risiken behaftet, wie das Beispiel des englischen Physikers, Mathematikers und Astronomen Isaac Newton (1643-1727) zeigt, der 1696 an die Königliche Münze zu London berufen und dafür gut bezahlt wurde. Die Analyse von erhalten gebliebenen Haaren des Gelehrten zeigt, dass er an den Folgen von Metallvergiftungen litt. Trotzdem erreichte der hochangesehene Master of the Mint und Präsident der Royal Society das für damalige Verhältnisse biblische Alter von 84 Jahren. Wissenschaftler fanden Erstaunliches in den Haaren von Sir Isaac, dem wir die Differential- und Integralrechnung, das Spiegelteleskop, die Gravitationsgesetze, die Definitionen für Masse, Gewicht und Kraft sowie bedeutende Forschungen auf optischem Gebiet und viele andere wissenschaftliche Leistungen verdanken. Mit spurenanalytischen Verfahren wurden Locken untersucht, die mit weiteren Erinnerungsstücken und Newton’schen Manuskripten von Generation zu Generation in der mit dem Gelehrten verwandten Familie des Earl of Porthmouth aufbewahrt wurden und zum Teil als Schenkung an Newtons Arbeitsstätte, das Trinity College in Cambridge, gelangten.

Gefahren waren kein Thema

Schlaflosigkeit, Depressionen, Gedächtnisschwund und Verfolgungswahn, an denen Newton zeitweilig litt, hatten offenbar „handfeste“ Ursachen. Die in seinen Haaren gefundenen hohen Konzentrationen schädlicher Substanzen werden von Spurenanalytikern mit Metallvergiftungen erklärt. Verwunderlich sei allerdings bei Newton das Fehlen sonst typischer Symptome wie Ausfallen der Zähne und Haare, Zahnfleischbluten und Magenkoliken in seiner Krankengeschichte passt. Ins Bild passe hingegen, dass den Professor Lähmungen und Hirnerkrankungen befielen. Bleivergiftungen waren etwa bei Schriftsetzern und Malern an der Tagesordnung, die mit Bleilettern beziehungsweise bleihaltigen Farben zu tun hatten. Das gleiche widerfuhr zu Newtons Zeiten auch Hutmachern und Herstellern von Perücken.

Die Gefahren, die von Metallen wie Blei, Quecksilber und Kupfer sowie Metalloiden Antimon und Arsen ausgehen, waren kein Thema. Im Gegenteil war es üblich, die Eigenschaft dieser Stoffe mit allen Sinnesorganen zu prüfen, sie anzufassen und ihren Geschmack zu testen. In Newtons Zeichnungen sind Ergebnisse von Geschmacksproben vermerkt. Sie reichen von geschmacklos bis salzig, süßlich bis „streng vitriolartig“. Dass sie auch giftig sein könnten, scheint dem Gelehrte nicht aufgefallen zu sein.

Wie viele seiner Zeitgenossen, darunter auch der früh verstorbene Goldmacher, Erfinder des europäischen Hartporzellans und erster Direktor der Meißener Porzellanmanufaktur Johann Friedrich Böttger, befasste sich Newton mit der Frage, ob und wie man unedle Metalle in Gold verwandeln kann. Dem „Stein der Weisen“ waren nicht nur Scharlatane auf der Spur, die goldgierigen Fürsten zur Hand gingen, sie mit allerlei Hokuspokus leimten und manchmal dafür an den Galgen kamen, sondern auch ernstzunehmende Gelehrte wie Newton oder gekrönte Häupter wie König Friedrich II. von Preußen. In zahlreichen Traktaten hat man den Weg zum vermeintlichen Erfolg beschrieben. Natürlich funktionierte die Goldmacherei nicht, sondern kostete nur viel Geld. Dem Chemiker und Glasmacher Johann Kunckel, einem Zeitgenossen von Newton und Böttger, gelang auf der Pfaueninsel in der Nähe von Berlin, durch Hinzufügen von Goldstaub in geschmolzenes Glas das überaus begehrte und teuer bezahlte Rubinglas zu erschaffen.

Schlafstörungen und okkulte Neigungen

Von Isaac Newton wird berichtet, er habe am offenen Feuer mit den genannten Metallen und anderen Stoffen experimentiert. Gut vorstellbar, dass die schädliche Dämpfe seinen Geist zeitweilig verwirrten. Die von etwa 1666 bis zur Berufung nach London im Jahre 1696 durchgeführten „ungeschützten“ Arbeiten sind durch eigenhändige Aufzeichnungen belegt. Ebenso die Auswirkungen auf seine Gesundheit. An den Arzt, Philosophen und Vorkämpfer der Aufklärung John Locke schrieb er: „Da ich während des letzten Winters nur allzu oft nahe meiner Feuerstelle schlief, begann ich an Schlafstörungen zu leiden. Außerdem hat mich eine seelische und körperliche Verstimmung, die in diesem Sommer geradezu chronisch wurde, noch weiter aus dem Gleichgewicht gebracht, so dass ich, als ich Dir schrieb, vierzehn Tage lang in jeder Nacht nicht eine Stunde, ja während fünf Nächten sogar überhaupt nicht schlafen konnte.“ Offenbar schadete ihm nicht, dass er nach Erlangung der hohen und einträglichen Position des Masters of the Mint in London seine Wohn- und Arbeitsräume mit dunkelroter Farbe streichen ließ. Sie bestand, wie man inzwischen weiß, aus giftigem Quecksilbersulfid, das man als Zinnober kennt. Dass sich Newton auch mit okkulten Dingen befasste, wird in den Lobeshymnen auf ihn gern übersehen. Ihm selber war es offenbar nicht angenehm, wenn Außenstehende von seinen „Kochkünsten“ erfuhren. Zeitgenossen fiel an ihm auf, dass er leicht erregbar und argwöhnisch ist, keinen Widerspruch duldet und niemanden neben sich gelten lässt. Das konnte und kann man aber auch bei anderen Genies und solchen, die sich dafür halten, feststellen und war keine Besonderheit von Newton. Ihm wird auch nachgesagt, er habe eine panische Angst vor Kritik an seiner Person und wissenschaftlichen Leistung gehabt, sei ängstlich gewesen und wäre Gelehrtenstreit aus dem Weg gegangen. Nur auf äußerstes Drängen seiner Freunde sei er bereit gewesen, seine Forschungsergebnisse zu veröffentlichen. Vielleicht hat bei diesem wenig selbstbewussten Verhalten die Furcht eine Rolle gespielt, Kollegen aus der streitsüchtigen Gelehrtenzunft könnten seine Theorien widerlegen.

Durch Fürsprache eines Schülers am Trinity College, des Schatzkanzlers Charles Montague, erhielt Newton im Jahre 1696 das gut dotierte Amt eines Aufsehers der Königlichen Münze (Warden of the Mint) im Tower zu London. Der Professor lehnte zunächst den mit beachtlichen 500 bis 600 Pfund Sterling im Jahr dotierten Posten ab, ließ sich aber von Montague überreden. Sicher mag bei dem Entschluss, sein bisheriges eher beschauliches Gelehrtenleben dieser neuen Tätigkeit mit unbekannten Herausforderungen zu opfern, auch das Gehalt eine Rolle gespielt haben, das höher war als das Salär, das Newton in Cambridge empfing. Außerdem versprach das neue Amt auch größeres Ansehen, das der von einigen seiner Kollegen angefeindete Gelehrte durchaus gebrauchen konnte. „Der König (William III.) hat mir vorgeschlagen, Mr. Newton zum Aufseher der Münze zu machen. Das Amt ist höchst geeignet für Sie. (...) Es ist fünf oder sechshundert Pfund pro Jahr wert und hat nicht so viel Aufgaben, um mehr Aufwand zu erfordern, als Sie aufbringen können“, schrieb der Schatzkanzler dem ihm freundschaftlich verbundenen Professor.

Schatzkanzler engagiert Gelehrten

Montague hoffte, nicht nur Newtons Kenntnisse auf dem Gebiet der Chemie und Metallurgie nutzen zu können, sondern ihn auch ganz praktisch bei der dringend nötigen Finanzreform einsetzen zu können. Deren Ziel war es, Ordnung und Übersicht in das zerrüttete Geldwesen Englands zu bringen. Durch hohe Kriegsausgaben und Zahlung von Hilfsgeldern (Subsidien) den an verschiedene ausländische Monarchen war es zur Inflation gekommen, und die Preise für Lebensmittel stiegen ins Unermessliche, so dass soziale Unruhen waren zu befürchten waren. Noch waren die revolutionären Ereignisse des 17. Jahrhunderts nicht vergessen, die König Karl I. den Kopf gekostet hatten. Überall kursierten falsche oder am Rand beschnittene, also im Gewicht verminderte Münzen. Sie waren kein spezifisches englisches Problem, sondern kursierten auch in anderen Ländern, denken wir nur an die Umtriebe der Kipper und Wipper im 17. Jahrhundert in Deutschland. Die zum Teil noch recht einfache Art der Münzfertigung leistete Betrügern aller Art Vorschub. Komplizierter Stempelschnitt, die Prägung auf Spindelpressen und die Markierung des Randes durch Inschriften und Muster schien das einzige Mittel zu sein, der Plage Herr zu werden. Das wurde in allen europäischen Staaten mit wechselndem Erfolg praktiziert.

Der Schatzkanzler setzte eine umfassende Reform in Gang, er schuf ein System von Staatsanleihen und Schuldverschreibungen und gründete die Bank von England. Er ließ das alte, minderwertige Geld einziehen, einschmelzen und in neue Münzen umprägen. Nach einem bestimmten Kurs hat man die alten gegen neue Münzen umgetauscht. Bei den neuen Münzen hat man durch Randschriften oder -muster verhindert, dass sie befeilt oder beschnitten werden. Ob und wie der ehrgeizige Plan realisiert wird, hing wesentlich davon ab, wie schnell die englischen Prägefabriken arbeiten würden. Daher setzte Montague große Hoffnungen in das Organisationstalent von Newton. Bevor dieser sein Amt als Aufseher der Londoner Münze antrat, betrug deren wöchentliche Kapazität 15 000 Pfund Silbermünzen. Unter seiner Regie steigerte die Fabrik ihre Leistung auf 120 000, also auf das Achtfache. Hinter den Gärten des Schatzamtes wurden zehn Öfen aufgestellt, in denen man das eingezogene Geld schmolz. In den streng abgeschirmten Gewölben des Tower wurde das Metall weiterverarbeitet. Eine neue, mit Pferdekräften arbeitende Prägemaschine spuckte vollkommen gleichförmige Münzen aus.

Hier Dank, dort Missgunst

Die Reform reichte allerdings nicht aus, die Mängel im englischen Geldwesen zu beheben, denn natürlich haben die Leute die neuen Münzen einbehalten und mit alten bezahlt. Außerdem grassierte die Münzfälschung weiter, und Betrüger ließen sich weder durch Todesstrafen noch durch andere Drohungen davon abhalten. Um bei der Umgestaltung erfolgreich zu sein, warb Newton ausländische Arbeiter an und richtete außer in London auch an anderen Orten Prägefabriken ein. Weiterhin waren englische Münzen Angriffen von Betrügern im In- und Ausland ausgesetzt. Ende des 18. Jahrhunderts wurden in England sogar preußische Kleinmünzen nachgeprägt, die in großen Mengen auf den Kontinent geschmuggelt wurden und großen Schaden anrichteten. Die Preußische Münzverwaltung hielt es für möglich, dass hinter den Fälscherbanden hochstehende Kreise in London stehen, die an den Machenschaften beteiligt sind und ihre Hände schützend über die Gauner halten.

Newton wurde nicht nur Dank für seinen unermüdlichen, auch für andere Münzstätten im Land vorbildlichen Einsatz zuteil. Missgünstige Leute verdächtigten den Kämpfer für Recht und Ordnung, Edelmetall veruntreut und minderwertiges Geld geprägt zu haben. Solche Vorwürfe waren bei leitenden Mitarbeitern von Geldfabriken üblich und wurden auch in Deutschland regelmäßig erhoben. Allzu gern hätten die Tories den agilen Gelehrten, der mit großer Einsatzbereitschaft die ihm erteilten Aufträge anging, durch einen Mann aus ihren Reihen ersetzt. Man schreckte auch nicht davor zurück, Newton Bestechungsgelder anzubieten.

Für seine Verdienste wurde der ehemalige Cambridger Professor, der bei Hofe inzwischen großes Ansehen erlangte, im Jahre 1699, als die Umprägung beendet war, mit dem Titel „Master of the Mint“ auf Lebenszeit bedacht. Das Jahresgehalt betrug ansehnliche 2000 Pfund. Queen Anne, die 1702 den Thron bestieg, erhob ihn 1705 in den Adelsstand. Sir Isaac hatte inzwischen auf das Gehalt für seinen Lehrstuhl in Cambridge verzichtet und auch eine Pension des französischen Königs Ludwig XIV. ausgeschlagen. Da der Münzdirektor ein vergleichsweise bescheidenes Leben mit seiner als Schönheit gerühmten Base und Haushälterin Catherine Barton führte und das ihm gezahlte Gehalt von etwa 2000 Pfund nicht ausgeben konnte, hinterließ er ein beträchtliches Vermögen. Es sollen 32 000 Pfund Sterling gewesen sein. Montague und Newtons Verwandte sollen zeitweise ein inniges Liebespaar gewesen sein. Erwähnt sei, dass Zar Peter der Große im Jahre 1698 mehrfach die Tower-Münze besuchte. Denkbar wäre es, dass der wissbegierige, reiselustige und reformfreudige Herrscher aller Reußen auch mit Newton gesprochen hat. Allerdings sind Belege für eine solche Begegnung nicht bekannt, ebenso müsste in russischen Archiven geprüft werden, ob die in London gesammelten Informationen vom Zaren für die Reformierung des russischen Münzwesens genutzt wurden.

Unberechenbare Dummheit

Nicht immer agierte Newton, was seine eigenen Finanzen betraf, glücklich. So verlor er 1720 bei der Südsee-Spekulation rund um den Handel mit exotischen Waren, Pflanzen und Gewürzen und in der Hoffnung auf märchenhafte Gewinne t die riesige Summe von 20.000 Pfund, was etwa drei Millionen Euro entsprach.Er könne die Bewegung der Sterne berechnen, aber nicht die Dummheit der Menschen, klagte er, blieb aber bis zu seinem Tod ein wohlhabender Mann. Mit Hingabe nahm er, von Jahr zu Jahr immer wieder in seinem Amt bestätigt, als Präsident der Royal Society seine Verpflichtungen gegenüber dieser angesehenen Gelehrtenvereinigung wahr.

Als er in der Nacht vom 20. auf den 21. März 1727 in Kensigton außerhalb von London starb, richtete die Regierung ihm in der Westminster Abbey ein Staatsbegräbnis aus, damals eine ungewöhnliche Ehrung für einen Gelehrten. Verwandte widmeten ihm ein barockes Monument, dessen Inschrift seine Leistungen für das englische Münzwesen leider nicht erwähnt und in deutscher Übersetzung so lautet: „Hier ruht Sir Isaac Newton, welcher als Erster mit nahezu göttlicher Geisteskraft die Bewegungen und Gestalten der Planeten, die Bahnen der Kometen und die Fluten des Meeres durch die von ihm entwickelten mathematischen Methoden erklärte, die Verschiedenheit der Lichtstrahlen sowie die daraus hervorgehenden Eigentümlichkeiten der Farben, welche vor ihm niemand auch nur geahnt hatte, erforschte, die Natur, die Geschichte und die Heilige Schrift fleißig, scharfsinnig und zuverlässig deutete, die Majestät des höchsten Gottes durch seine Philosophie darlegte und in evangelischer Einfachheit der Sitten sein Leben vollbrachte. Es dürfen sich alle Sterblichen beglückwünschen, dass diese Zierde des Menschlichen Geschlechts ihnen geworden ist“.

17. Dezember 2023