Erholung im Meer und auf den Bergen
Mondäne Staatsbäder kamen im 19. Jahrhundert in Mode, einige stehen seit 2021 auf der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes



Die Inschrift auf dem riesigen Findling ehrt Friedrich Franz I. als Gründer des Seebades Heiligendamm. Viele Bauten aus dem 19. Jahrhundert sind noch erhalten.





Die Medaille von 1793 mit einem Obelisken und einer Gebäudedarstellung würdigt Doberan als Kur- und Badeort. Das mittelalterliche Münster zu Bad Doberan ist die Grablege mecklenburgischer Landesfürsten. Hier ist in einem aus einem Granitfindling in zehnjähriger Arbeit gefertigten Sarkophag der 1837 verstorbene Großherzog Friedrich Franz I. bestattet. Die Medaille von 1900 zeigt ihn und seine Nachfolger.



Die prächtigen Kuranlagen mit einem Marmordenkmal König Ludwigs I. von Bayern davor verschafften Bad Kissingen 2021 einen Platz auf der UNESCO-Liste des Weltnaturerbes. Sie waren zwischen 1834 und 1838 von Friedrich von Gärtner errichtet worden. Da sie aber nicht mehr der ständig steigenden Zahl der Gäste genügten, wurden sie später durch weitere repräsentative Bauten ergänzt.





Die Wandelhalle mit Brunnenhalle geht auf Max Littmann zurück und beeindruckt durch ihre Ausstattung im Jugendstil. Sie wurde in nur acht Monaten von 400 Arbeitern errichtet, kostete 700.000 Mark und ist der größte Bau dieser Art in Europa. Der Grüne Saal im Regentenbau dient als Konzertzimmer.



Das im alten Jagdschloss untergebrachte Bismarck-Museum berichtet nicht nur aus dem Leben und Schaffen von Otto von Bismarck, sondern auch aus der Vergangenheit und Gegenwart des Staatsbades.



Für Reichskanzler Otto von Bismarck war das Attentat von 1874 ein Grund, sich außerhalb von Kissingen für weitere Kuraufenthalte ein sicheres Domizil zu suchen. Erhalten sind im Bismarck-Museum seine Wohn- und Arbeitsräume.



Die von Bismarck benutzte Waage durften auch ganz normale Kurgäste bei Abwesenheit des Kanzlers besteigen, jetzt sieht sie im Museum.



Eine Serie von Postkarten schildert im Museum auf Weise, wie sich die Gäste jenseits des Kurbetriebs feucht-fröhlich die Zeit vertreiben. (Fotos: Caspar)

Von den alten Römern wissen wir, dass sie oft und gern gebadet haben. Das Wasser haben sie von weit her über Kanäle und Viadukte in die Thermen geleitet. Die imposanten, manchmal prunkvoll ausgestatteten Anlagen haben Archäologen überall in Europa entdeckt, ihre Reste schmücken die Museen. Auch im Mittelalter war den Menschen das Badevergnügen nicht fremd, wie Chroniken und Bilder berichten. Doch so richtig kam das Thema erst im ausgehenden 18. Jahrhundert in Fahrt. Dabei spielte das Herzogtum, ab 1815 Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin eine Vorreiterrolle. Dessen adlige und bürgerliche Eliten kamen in Bad Doberan nahe der Ostseeküste zum Baden im Meer und geselligem Vergnügen zusammen und ließen sich den Aufenthalt in feinen Hotels viel Geld kosten.

Eine Medaille mit der Jahreszahl 1793 dokumentiert die Gründung des ersten deutschen Seebades in Doberan. Die Vorderseite des von Meyer Löser geschaffenen und mit seinem Namen signierten Silberstücks zeigt einen Obelisken mit dem gekrönten Monogramm von Herzog Friedrich Franz I., verbunden mit der ins Deutsche übersetzten Umschrift „Aus dem Wohl der Bürger zieht er seinen Ruhm“. Die Rückseite bildet das älteste, nach Plänen von Johann Christoph Heinrich von Seydewitz errichtete Badehaus ab. Wenn man genau hinschaut, findet man auf dem Dach zwei Blitzableiter, die damals eine Novität waren. Das spätbarocke Haus mit doppelläufiger Freitreppe steht schon lange nicht mehr, es wurde bereits im frühen 19. Jahrhundert durch ein prächtiges klassizistisches Kurhaus ersetzt, wie sich überhaupt die Gestalt von Doberan und Heiligendamm seit damals stark verändert hat.

„Great Spa Towns of Europe“

Auch in anderen Gegenden am Meer und in den Bergen wurden nach und nach mondäne Staatsbäder errichtet, in denen sich hochadlige Herrschaften, aber auch Politiker, Künstler, Gelehrte und andere Personen ein Stelldichein gaben. Insgesamt stehen seit 2021 elf europäische Städte als „Great Spa Towns of Europe“ auf der UNESCO-Liste Welterbe aufgenommen. Drei befinden sich in Deutschland, und zwar Baden-Baden, Bad Kissingen und Bad Ems. Der „UNESCO-Adel“ verpflichtet die Kurorte, die architektur- und kulturhistorisch wertvollen Sanatorien, Hotels und Trinkhallen, die Konzertsäle und Gärten sorgsam zu erhalten und zu pflegen.

In der Zeit der französischen Revolution bekam der Physiker und Schriftsteller Georg Friedrich Lichtenberg mit der in einem Aufsatz formulierten Frage „Warum hat Deutschland kein öffentliches Seebad?“ viel Aufmerksamkeit. Herzog Friedrich Franz I. von Mecklenburg-Schwerin wurde von seinem Leibarzt Samuel Vogel auf die Problematik hingewiesen, obwohl sich der auch als Aphoristiker bekannte Lichtenberg eigentlich an König Friedrich Wilhelm II. gewandt und die preußische Ostseeküste gemeint hatte. Doch nicht der durch diverse Amouren und Kriege gegen das revolutionäre Frankreich beschäftigte Monarch griff die Anregung auf, sondern Friedrich Franz I., der seit 1785 auf dem Thron in Schwerin saß. Ihm gefiel die Aussicht, in der offenen See ganz ohne höfische Etikette baden zu können. Das Motto „Zurück zur Natur“ lag im Trend der Zeit, in der man empfindsame Romane las, Landschaftsgärten anlegte, Klosterruinen restaurierte und sich mit offenem Kragen in der freien Natur verlustierte.

Vornehme Villen statt Fachwerkbauten

Für das mecklenburgische Herzogshaus besaß Doberan große Bedeutung, denn in der mittelalterlichen Klosterkirche wurden zahlreiche Fürsten mit ihren Gemahlinnen einschließlich des Gründers des Seebades Friedrich Franz I. bestattet. Der Ort wenige Kilometer von der Ostseeküste entfernt erfreute sich als Feriendomizil des Schweriner Hofes großer Beliebtheit. Hier war erlaubt, was anderswo in Mecklenburg verboten war – das Glücksspiel. Denn der Herzog und – ab 1815 – Großherzog war dem teuren Zeitvertreib verfallen, und außerdem fühlten sich manche Hasardeure von auswärts angelockt und ließen im Casino viele harte Taler, was der Staatskasse zugute kam.

Für Heiligendamm unweit von Bad Doberan brachen ab 1793, als sich der Herzog mit seinen Höflingen mutig ins Meer stürzte, aufregende Zeiten an. Strohbedeckte Fachwerkbauten, die häufig Feuer fingen und auch wenig ansehnlich waren, wurden abgetragen und durch repräsentative Steinhäuser ersetzt. Nach Plänen des Architekten Carl Theodor Severin entstand ein Sommerpalais, ferner wurden schicke Villen, Logierhäuser, Pavillons und anderes im klassizistischen Stil gebaut. Da die Staatskasse infolge der Belastungen durch die napoleonische Fremdherrschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts stark belastet war, konnten viele erst nach den Befreiungskriegen von 1813 bis 1815 errichtet oder vollendet werden. Um bei der Einrichtung Kosten zu sparen, hat man Möbelstücke aus anderen Schlössern herbeigeschafft.

Kissingens Heilwasser überall begehrt

Blicken wir nach Bad Kissingen, das . Mineral- und Salzablagerungen des Zechsteinmeers bilden die Grundlage für die Mineralquellen der Südrhön und ihrer Heilbäder. Ursprünglich nur zur Salzgewinnung genutzt, dienen sie auch&xnbsp;therapeutischen Zwecken. Vom Kissinger Kurviertel ziehen sich auf acht Kilometer nach Norden entlang der Fränkischen Saale Salinen und Heilbrunnen über den Stadtteil Hausen bis in den Kurvorort Bad Bocklet hin. In Kissingen ließen der baufreudige König Ludwig I. von Bayern und seine Nachfolger repräsentative Kuranlagen für sich, ihren Hofstaat sowie prominente und zahlungskräftige Gäste errichten. Umsäumt werden diese Bauten von einem herrlichen Landschaftspark.

Um 1900 kamen großartigen Erweiterungen der Kuranlagen, die Prinzregent Luitpold 1910 als Vertreter des für wahnsinnig erklärten und in Isolation lebenden Königs Otto dem renommierten Münchner Architekten Max Littmann übertrug. Er plante eine Umklammerung der bestehenden Gebäude und sah großartige Neubauten vor - den Regentenbau und ein neues Brunnenhaus für die Quellen Rakoczy und Pandur mit anschließender Wandelhalle, in der man auch heute zu bestimmten Zeiten das Heilwasser ganzjährig trinken kann. Kissinger Heilwasser war so berühmt und begehrt, dass es in Tonkrügen in alle Welt verschickt wurde.

Bismarck beugte sich seinem Arzt

Im Bismarck-Museum einige Kilometer vor der Stadt und gut zu Fuß oder mit einem keinen Schiff auf der Saale zu erreichen wird berichtet, dass der gesundheitlich angeschlagene und schwergewichtige Reichskanzler Otto von Bismarck, kaum dass er dort mit seine Kur begonnen hatte, 1874 von einem Anarchisten angeschossen, aber nicht tödlich getroffen wurde. Das Museum dokumentiert nicht nur dieses Attentat und die regelmäßigen Erholungskuren des Politikers, sondern schildert auch die Entwicklung des berühmten Badeortes und wie man hier Bismarcks Namen gewinnbringend vermarktet hat. Karikaturen nehmen den offenbar recht ausgelassenen, feucht-fröhlichen Kurbetrieb satirisch auf die Schippe.

Bismarcks Arzt Ernst Schweninger sorgte dafür, dass der Reichskanzler und preußische Ministerpräsident die Badekuren ernst nimmt und auch seine Lebensgewohnheiten bezüglich der Ernährung, Trinken, Rauchen, Bewegung, Arbeit, Ruhe und Schlaf ändert. Zwar mokierte sich der Politiker über die „Tyrannei dieses Dämons in ärztlicher Spielart“, aber er wusste auch, dass er „überhaupt der einzige Mensch in meinem Leben gewesen (ist), der Macht über mich gewonnen hat und dem ich nahezu unbedingt Gehorsam leiste. O, ich bin dem Mann zu größtem Dank verpflichtet. Nächst Gott verdanke ich mein gutes Befinden und meine Gesundheit meinem Schweninger und Kissingen“.

Heimliche Reichshauptstadt

Otto von Bismarck gönnte sich während seiner 15 Aufenthalte bis zur Entlassung 1890 in Bad Kissingen keine Ruhe, sondern war auch hier politisch aktiv. Er empfing und bewirtete Besucher, denn de facto war das ehemalige Jagdschloss der Würzburger Erzbischöfe an der Fränkische Saale für wenige Wochen heimliche Hauptstadt des Deutschen Reichs. Hier wurden weitreichende politische Entscheidungen wie das „Kissinger Diktat“ von 1877 getroffen, das Bismarck seinen Sohn Herbert in die Feder diktierte und Grundzüge der deutschen Außenpolitik enthält. Das Dokument beschreibt eine politischen Gesamtsituation, „in welcher alle Mächte außer Frankreich unser bedürfen, und von Koalitionen gegen uns durch ihre Beziehungen zueinander nach Möglichkeit abgehalten werden.“ Bismarck schwebte eine Politik der freiwilligen Machtbeschränkung, um einen Krieg in Mitteleuropa zu vermeiden.

In malerischer Idylle gab Bismarck 1880 der staatlichen Sozialpolitik mit der Arbeiterversicherung eine neue Richtung. Über eine eigene Postzentrale und einen Kurierdienst hielt er Verbindung zu Kaiser Wilhelm I. und anderen Mächtigen seiner Zeit. König Ludwig II. von Bayern ließ dem Reichskanzler ihm jede erdenkliche Hilfe und größtmöglichen Schutz zukommen und unterhielt mit ihm einen regen Briefwechsel. Bad Kissingen war seinem prominenten Gast zu größtem Dank verpflichtet und ehrte ihn bereits 1877 mit einen Standbild in der Nähe seines Sommersitzes außerhalb. Er ließ sich gut bewachen, denn der Kanzler hatte nicht nur Freunde und Verehrer.

25. November 2023