„Ulk aus der Sauregurkenzeit?“
Nach der Reichseinigung von 1871 gab es abenteuerliche Pläne, das Großherzogtum Baden in ein Königreich umzuwandeln



Wilhelm I. und Otto von Bismarck tragen im Beisein des französischen Kaisers Napoleon III. und des österreichischen Kaisers Franz Joseph den Deutschen Bund zu Grabe.



Großherzog Friedrich I. von Baden ruft am 18. Januar 1871 den preußischen König Wilhelm I. im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles zum deutschen Kaiser aus. Voran gegangen war ein zähes Gerangel um Sinn und Zweck der Aktion. Den „Deal“ hatte Bismarck (rechts in heller Uniform) eingefädelt.





Otto von Bismarck behauptete von sich „Im Dienst für das Vaterland zehre ich mich auf“, doch wenn es hart auf hart kam, vertrat er zäh und unnachgiebig die Interessen seines Kaisers und Königs Wilhelm I. Die Grafik zeigt den Reichskanzler unter Seinesgleichen beim Parlamentarischen Frühschoppen iS







Dem blutbesudelten Kaiser Wilhelm II., so die Sicht der Kriegsgegner, weiter zu dienen, war Reichskanzler Max von Baden nicht mehr möglich, weshalb er aus eigener Machtvollkommenheit am 9. November 1918 seine Abdankung verkündete.



Seine Entmachtung hat der ins Exil gegangene Kaiser Wilhelm II., genannt der Letzte, seinem Cousin Max von Baden niemals verziehen, und er musste den Spott seiner Untertanen hilflos ertragen. (Fotos: Caspar)

Um 1881 kam, vom großherzoglichen Hof in Karlsruhe lanciert, das Gerücht au, dass Baden in ein Königreich verwandelt werden soll. Es war so hartnäckig, dass sich der damalige Kronprinz Friedrich Wilhelm, der 1888 für 99 Tage als Friedrich III. deutscher Kaiser und König von Preußen war, bei Reichskanzler Fürst Otto von Bismarck erkundigte hat, was an den von einem badischen Minister lancierten Redereien dran ist und ob es sich nur um eine Zeitungsente oder einen „Ulk der sauren Gurkenzeit“ handelt. Nach einigem Hin und Her wurde die an den damaligen Höfen und in den Medien diskutierte Frage ad acta gelegt.

Die Geschichte wäre vermutlich vergessen, hätte Bismarck nicht jenen Brief des Kronprinzen Friedrich Wilhelm vom 17. August 1881 in den Anhang des 3. Bandes der „Gedanken und Erinnerungen“ aufgenommen (siehe S. 147). Misstrauisch geworden, weil die „Sache“ immer wiederholt wird, schrieb der Sohn von Kaiser Wilhelm I., er habe eine gute Meinung von seinem Schwager, dem Großherzog Friedrich I. von Baden, „als dass ich es für möglich hielte, er könne sich in solchen Unsinn einlassen. Mit Blick auf die drei Königreiche Sachsen, Bayern und Württemberg, „die wir in schmachvollster Zeit von Napoleon I. erhielten, damit die Zerstücklung Deutschlands für immer befestigt sei. Aus eigener Erfahrung wissen Sie besser als ich, welche Schwierigkeit, ja welchen täglichen Ärger jene, von ihrem leeren Titel erfüllten Kabinette dem Reichswohl bereiten. Sollte da noch eine Krone nicht etwa mehr geduldet werden, welche jene Verlegenheiten verstärkte?“ Der Kronprinz forderte von Bismarck: „Sollte aber, was der Himmel verhüten möge, etwas im Gange sein, so sind Sie schon jetzt berechtigt, mein entschiedenes ;Nein' gegen die badische Königs-Erhöhung kund zu geben.“

Schwere Konflikte zu erwarten

Man kann davon ausgehen, dass der Reichskanzler ganz im Sinne des Kronprinzen und seines greisen Vaters, Kaiser Wilhelm I., gehandelt hätte, wenn der „Königsplan“ konkrete Formen angenommen hätte. Ein weiteres Königreich in Deutschland, das war ein unmöglicher Gedanke. Man wusste, dass Friedrich I. und seine Regierung nur allzu gern ihr Herrschaftsgebiet auf Kosten von Bayern und und Württemberg vergrößert hätte. Das hätte zu schweren innenpolitischen Konflikten geführt, und die konnte niemand angesichts anderer Spannungen, vor allem solchen mit der katholischen Kirche im Rahmen des Kulturkampfes und der aufstrebenden Arbeiterbewegung nicht gebrauchen.

Großherzog Friedrich I. von Baden hatte am 18. Januar 1871 in Versailles seinen Schwiegervater, den preußischen König Wilhelm I., zum deutschen Kaiser ausgerufen und musste sehr zu seinem Ärger im neuen Deutschen Reich weitgehend auf angestammte Souveränitätsrechte verzichten. Beim Zoll und der Währung, im Presse- und Vereinsrecht, in der Militär- und Strafgesetzgebung und vielen anderen Bereichen musste sich Baden wie die anderen deutschen Fürstentümer und die Freien Städte dem Reichsrecht unterordnen, und das passte vielen auf ihre Selbstständigkeit pochenden Badenern nicht. In der Erinnerung war in Baden noch die blutigen Niederschlagung der Revolution von 1848/49 durch preußische Truppen, weshalb es latente Stimmung gegen den Kaiser und „die Preußen“ gab, die sich allerdings aber nennenswerten Aktionen gegen Berlin manifestierte. In einem Kapitel, das er Friedrich von Baden in jenem 3., erst nach dem Ende der Monarchie veröffentlichten Band widmete gibt Bismarck eine wenig schmeichelhafte Charakteristik des badischen Landesherrn ab, der mit vielen seiner Untertanen nur allzu gern partikulare Interessen über die des Reiches und damit auch über die Preußens als dominante Macht gestellt hätte.

Selbstbedienung auf Kosten anderer

Schon 1866 war bei den Friedensverhandlungen nach dem Deutschen Krieg von badischer Seite durch den Minister Franz von Roggenbach an den damaligen preußischen Ministerpräsident Otto von Bismarck der Vorschlag heran getragen worden, die beiden Königreiche Bayern und Württemberg zu Gunsten von Baden zu verkleinern und aus dem Großherzogtum ein weiteres Königreich zu machen. Da Hannover in jenem Krieg zwischen Preußen und seinen Verbündeten und einer von Österreich angeführten Allianz, zu der auch Bayern und Sachsen gehörten, durch Preußen annektiert und als Königreich ausgeschaltet war, so war die Überlegung in Karlsruhe, könnte Baden ohne Weiteres in ein Königreich erhoben werden. Dieser Plan wurde 1881 von Roggenbach und den Seinen wieder aufgegriffen und bald wieder fallen gelassen. Auch hatte die Idee, dass Baden sich in Elsass-Lothringen bedient, das Frankreich nach dem Deutsch-französischen Krieg von 1870/71 an das Deutsche Reich hatte abtreten müssen, keine Aussicht auf Erfolg. Preußen, das von Berlin aus mit Hilfe eines Statthalters das „Reichsland“ beherrschte, war nicht bereit, irgend etwas an diesem Zustand zu verändern.

Wie die Stellung des Großherzogtums Baden im Reich beschaffen war und wie es sich zu Preußen verhielt, zeigte die Stimmenverteilung im Bundesrat, der Vertretung der Bundesstaaten; der wichtigen Gesetzen zustimmen musste. Während das übermächtige Preußen 17 von 58 Stimmen besaß, legte das kleine Baden mit gerade einmal 1,6 Millionen Einwohnern (1885) beziehungsweise 2,1 Millionen (1905) nur drei Stimmen in die Waagschale. Ungleich größer war das wirtschaftliche Gewicht, das Baden um 1900 aufbrachte. Hier hatte die Industrialisierung und Verstädterung große Schritte voran getan. Das bisher weitgehend agrarisch Großherzogtum wurde durch neue Straßen und Eisenbahnlinien erschlossen. Die Maschinenbau-, Schmuckwaren- und Lebensmittelindustrie, aber auch der Automobilbau und die Elektrotechnik erzielten bedeutende Zuwachsraten und sicherten den Beschäftigten ausreichende Bezahlung. Archivstudien könnten ergeben, wie die Angelegenheit ausgegangen ist. Jedenfalls blieben die Großherzöge von Baden was sie waren, und so mussten auch keine Wappen, Münzen und Medaillen verändert werden.

Abdankung gegen den Kaisers Willen

Dem letzten Reichskanzler der Kaiserzeit, Prinz Max von Baden, fiel die für einen Mann seiner Herkunft zweifelhafte Rolle zu, am 9. November 1918 die Abdankung Kaiser Wilhelms II. Entgegen dessen Willen zu verkünden. Als Maximilian Alexander Friedrich Wilhelm von Baden in Baden-Baden geboren, war dem Prinzen ursprünglich vorbestimmt, irgendwann einmal die Thronfolge seines seit 1907 regierenden Onkels, Großherzogs Friedrich II., anzutreten, der keine Kinder hatte. Der als umsichtig und liberal denkend geschilderte Prinz schied alsbald als Generaloberst aus dem preußischen Militärdienst aus und übernahm repräsentative Aufgaben als badischer Thronfolger. Während des Ersten Weltkrieges kümmerte sich der gesundheitlich angeschlagene Prinz vor allem um die Betreuung der Kriegsgefangenen und sprach sich für einen Versöhnungsfrieden aus. Damit allerdings stieß er bei der Obersten Heeresleitung auf Granit. Der dort maßgebliche Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg und sein Generalquartiermeister Erich Ludendorff hofften selbst noch in aussichtsloser Lage auf einen „Siegfrieden“ und forderten die Mobilisierung der Deutschen für einen „totalen Krieg“.

Um seine Zielen zu erreichen, bildete Max von Baden mit Vertretern von SPD, Zentrum und Fortschrittlicher Volkspartei ein Mehrparteienkabinett. Als sich Soldaten, Matrosen und Arbeiter erhoben, erklärte Max von Baden am 9. November 1918 in eigener Machtvollkommenheit die Abdankung Wilhelms II. Dies geschah in der vagen Hoffnung, dass der Kaiser die Monarchie durch seine „freiwillige“ Thronentsagung gerettet werden könnte. Dieser Plan ging nicht auf, die Fürstenherrschaft hatte sich überholt. Prinz Max übertrug seine Geschäfte als Reichskanzler dem Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschland, Friedrich Ebert, der im Jahr darauf zum Reichspräsidenten gewählt wurde. Nachdem der Wilhelm II., dem man die Hauptschuld am Ersten Weltkrieg gab, bereits am 9. November 1918 abgedankt hatte und ins holländische Exil geflüchtet war, drohte die junge deutsche Republik im Chaos zu versinken. Unter immensen inneren und äußeren Schwierigkeiten und belastet durch den Versailler Vertrag trat sie ein schweres Erbe an. Die bisherigen Fürstenhäuser wurden nicht angetastet, sie behielten einen Teil ihres Besitzes und wurden weiterhin von vielen ehemaligen „Landeskindern“ verehrt.

Rettung der Monarchie gelang nicht

Nach dem Rücktritt des Reichskanzlers Georg Graf von Hertling am 30. September 1918 berief Wilhelm II. seinen Vetter Prinz Max von Baden am 3. Oktober 1918 zu dessen Nachfolger mit dem Auftrag, einen Waffenstillstand herbeizuführen. Angesichts der sich verschärfenden politischen und wirtschaftlichen Lage im Deutschen Reich und der hoffnungslosen Situation an den Fronten trat Prinz Max für einen maßvollen Verhandlungs- und Verständigungsfrieden ein. Er übermittelte den USA ein Angebot auf der Grundlage der Vierzehn Punkte des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson. Der neue Reichskanzler ließ den U-Boot-Krieg einstellen, entließ Ludendorff und verkündete im Reichstag ein Reformprogramm, das die Übertragung von mehr Kompetenzen an die oberste Volksvertretung, die Abschaffung des anachronistischen Dreiklassenwahlrechts in Preußen und die Aufgabe der dominierenden Stellung des Militärs in Deutschland vorsah. Damit wollte Max von Baden die revolutionäre Spannung im Lande entschärfen. Allerdings haben die Versuche, in letzter Minute die Monarchie zu retten, nichts mehr genutzt. Meutereien in der und Aufstände brachten ihr das verdiente Ende.

28. Oktober 2023