Produktive Pfänder
Wie die französische Besetzung des Ruhrgebiets vor einhundert Jahren auf Medaillen kommentiert wurde



Die Deutschen nahmen 1919 rege von der verfassungsmäßig garantierten Möglichkeit Gebrauch, die Nationalversammlung als ihre oberste Vertretung zu wählen, erstmals standen auch Frauen an den Wahllokalen an.





Auf unverwechselbare Weise beteiligte sich der Münchner Medaillenkünstler Karl Goetz an den politischen Auseinandersetzungen seiner Zeit und ließ auch kein gutes Haar an den bis zur Novemberrevolution herrschenden Monarchen, allen voran Kaiser Wilhelm II., der sich auf der Spottmedaille in Richtung Niederlande aus dem Staub macht.





Blutige Straßenkämpfe kennzeichnen die turbulente Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Durch einen Generalstreik konnten im März 1920 der Kapp-Putsch niedergeschlagen und die staatliche Ordnung wiederhergestellt werden. Auch Hitler scheiterte mit seinem Umsturzversuch am 9. November 1923 in München. Nach kurzer Haft in Landsberg war er wieder auf freiem Fuß und konnte seinen Kampf gegen das verhasste "Weimarer System" mit wachsendem Erfolg fortsetzen.



Die von Karl Goetz geschaffene Medaille mit übler rassistischer Aussage von 1920 zeigt die „schwarze Gefahr“ und meint damit Vergewaltigungen deutscher Frauen durch Soldaten, die aus Frankreichs afrikanischen Kolonien ins Rheinland kamen. Rechts wird der Protest der Volksmassen gegen die Ruhrbesetzung 1923 thematisiert.



Die Medaille zeigt, wie die Deutschen von den Franzosen mit einer zur Münzprägung verwendeten Spindelpresse ausgepresst werden. Auf der Ausgabe mit dem als scheinheilig gedeuteten Poincaré-Zitat presse der gallische Hahn deutsche Bergleute aus.





Der Abzug der Besatzer ab 1925 wurde von den Menschen im Ruhrgebiet und darüber hinaus frenetisch auch mit Medaillen gefeiert.



Das Fünf-Mark-Stück richtet den Blick auf das Rheinland, das 1925 seien Tausendjahrfeier beging und 1930 von fremder Besatzung gänzlich befreit war. (Fotos/Repros: Caspar)

Das Jahr 1923 war im Deutschen Reich nicht nur durch den Höhepunkt und das Ende der Hyperinflation sowie den Beginn einer Konsolidierung des Landes nach der abgrundtiefen Niederlage im Ersten Weltkrieg gekennzeichnet, sondern auch durch die Besetzung des Ruhrgebiets durch französische und belgische Truppen sowie bürgerkriegsartige Zustände, separatistische Bestrebungen und den Hitlerputsch in München am 9. November 1923. Als dieser Aufstandsversuch ultrarechter feinde der jungen Republik scheiterte, hat man den Umsturzversuch im Zeichen des Hakenkreuzes nicht als Weckruf aufgefasst, alle Kräfte zur Verteidigung der Republik und ihrer demokratischen Werte aufzurufen und zu vereinen, sonst wäre es nicht zehn Jahre später zur Errichtung der Nazidiktatur gekommen. Schaut man genau hin, dann waren die so genannten „Goldenen Zwanziger“ mit ihrer kulturellen Blüte und der Abkehr vom Plüsch und Mief der Kaiserzeit alles andere als golden, denn im Inneren brodelte es gefährlich. Rechte und linke Kräfte bekämpften sich bis aufs Messer. Doch wenn es gegen das „Weimarer System“ ging, dann waren sie sich einig, ihm den Garaus zu machen, wobei jedes Mittel der Verleumdung, Lüge und Volksverdummung willkommen war.

Warnungen vor Feinden der Republik

Vier Jahre hatte der Erste Weltkrieg gedauert. An seinem Ende war nichts mehr so wie früher. Die Fürsten hatten ihre Macht verloren, der Kaiser war ins Exil gegangen, seine Generäle aber waren geblieben und hetzten gegen die neue Ordnung und behaupteten, deren Vertreter hätten dem angeblich siegreichen Heer einen Dolch in den Rücken gerammt und damit die deutsche Niederlage herbei geführt. Die Menschen trauerten um Millionen Tote und bedauerten die verlorene Größe ihrer Länder. Der am 28. Juni 1919 mit den Siegermächten geschlossene Versailler Friedensvertrag zwang das Deutsche Reich zu hohen Reparationszahlungen, welche seine Wirtschaftskraft bei weitem überstiegen und zur starken Verelendung der Bevölkerung führten. Die junge Republik musste ein Siebentel ihres Territoriums mit einem Zehntel der Bevölkerung an Nachbarstaaten abtreten, durfte nur noch eine Armee mit 100 000 Berufssoldaten unterhalten, musste seine Waffen abgeben und verlor auch den Kolonialbesitz aus Kaisers Zeiten.

Dieser „Diktat- und Schandfrieden“, wie man damals zum Vertrag von Versailles sagte, wurde aus unterschiedlichen Gründen von der äußersten Rechten bis zur äußersten Linken abgelehnt, und diejenigen, die ihn unterzeichnet hatten, waren schlimmsten Schmähungen ausgesetzt. Einer von ihnen, der als „Erfüllungspolitiker“ beschimpfte Außenminister Walther Rathenau, wurde 1922 ermordet. Eine ehrliche Aufarbeitung der Frage, wie es zum Ersten Weltkrieg kommen konnte und wer an diesem Krieg mit vielen Millionen Toten und Verletzten auf beiden Seiten Schuld war und welchen Anteil die beiden Militärblöcke an der Eskalation der Gewalt hatten, fand nur unzureichend statt. Einsichtige Politiker im Reichstag und den Länderparlamenten, aber auch in der schreibenden Zunft und in Künstlerkreisen waren zu schwach und erreichten wohl auch mit ihren Warnungen vor den Feinden der Republik und Mahnungen zur Verteidigung der Demokratie die große Masse nicht.

Putschversuch im Zeichen des Hakenkreuzes

Die Verlierer des Ersten Weltkriegs konnten und wollten sich nicht mit ihrer Niederlage abfinden. Viele deutsche Soldaten, die mehr oder weniger unverletzt, aber traumatisiert und perspektivlos von den Fronten zurückgekehrt waren, wurden demobilisiert und fanden nicht ins zivile Leben zurück. Viele waren ohne Arbeit und standen vor dem Nichts. Während 1919/20 von der Linken organisierte Aufstände das Land erschütterten, versuchten unter den Augen der Reichswehr rechtsextreme Kräfte einen gewaltsamen Umsturz. Der Kapp-Putsch wurde im März 1920 niedergeschlagen. In ihm hatten unter Führung des Generallandschaftsdirektors und Propagandisten eines „Siegfriedens“, Wolfgang Kapp, als Ziel des Ersten Weltkriegs, und Militärs des rechten Spektrums vergeblich versucht, die Regierungsgewalt in Berlin an sich zu reißen, worauf die Regierung Ebert/Bauer nach Stuttgart floh. Die Putschisten mit Hakenkreuzen auf den Helmen und ihre Hintermänner wurden kaum zur Rechenschaft gezogen. Die sozialdemokratisch geführte Reichswehr sah dem Geschehen nach dem Motto „Truppe schießt nicht auf Truppe“ untätig zu. Ungeachtet des schnellen Endes des Kapp-Putsches war die Gefahr revolutionärer Umstürze nicht gebannt. Mordanschläge rafften den Außenminister Walther Rathenau und andere Politiker dahin. Es gab kommunistisch gelenkte Aufstände im Ruhrgebiet, und es wurde auch eine „Rheinische Republik“ zu bilden und sie vom Deutschen Reich abzutrennen.

Sturm der Entrüstung und passiver Widerstand

Lieferrückstände bei den deutschen Reparationen an Frankreich boten im Januar 1923 den Vorwand für den Einmarsch von französischen und belgischer Truppen ins Ruhrgebiet, über den der Ausnahmezustand verhängt wurde. Mit der bereits 1921 angedrohten Besetzung durch mehr als 60.000 Soldaten im Januar 1923 wollte Frankreichs Ministerpräsident und Außenminister Raymond Poincaré den Versailler Vertrag von 1919 zu Gunsten seines Landes revidieren und die deutsche Westgrenze weiter nach Osten verschieben. Begründet wurde die Maßnahme damit, dass das Ruhrgebiet solange als „Pfand“ betrachtet wird, bis die Deutschen ihren Holz-, Kohle- und weiteren Lieferungen nachkommen. Im Deutschen Reich lösten die Okkupation und die Umtriebe der Besatzer einen parteiübergreifenden Sturm der Entrüstung aus, der sich sowohl in passivem Widerstand als auch aktiven Sabotageaktionen ausdrückte, die als „Ruhrkampf“ in Erinnerung sind. Mit zahllosen Vorschriften griffen die Besatzungsbehörden in das Leben der Menschen ein. Es gab Ausgangssperren, Straßenkontrollen und Einquartierungen. Bei Unfällen und Übergriffen durch die Besatzer starben rund 130 Personen. Zwischen dem besetzten und dem unbesetzten Gebiet wurde eine Grenze gezogen, die den Alltag und das Arbeitsleben erheblich erschwerte. Die schlecht versorgten französischen und belgischen Soldaten sahen sich einer überwiegend feindlich gesinnten Bevölkerung gegenüber und lebten in der ständigen Angst, Opfer von Attentaten zu werden. Es gab einen regelrechten Propagandakrieg, in dem rassistische und nationalistische Plakate und auch Medaillen aller Art eine Rolle spielten. Das Ruhrgebiet wurde ab 1925 etappenweise geräumt und war 1930 frei, was die Prägung einer Gedenkmünze von 1930 mit dem Motto DER RHEIN DEUTSCHLANDS STROM NICHT DEUTSCHLANDS GRENZE wert war.

Die Reichsregierung ermutigte die Bevölkerung im Ruhrgebiet, das als Zentrum der deutschen Schwerindustrie große wirtschaftliche und strategische Bedeutung besaß, zu passivem Widerstand. So wurde Beamten verboten, Befehle der Besatzer zu befolgen. Da die Bevölkerung in beeindruckender Geschlossenheit passiven Widerstand leistete, wiesen die Besatzungsbehörden zwischen 120.000 und 150.000 Menschen aus dem Ruhrgebiet sowie aus dem seit 1919 besetzten Rheinland in das „unbesetzte“ Deutschland aus. Die Kosten der Besatzungszeit und des passiven Widerstands waren enorm und überstiegen die Reichsfinanzen bei weitem. Angesichts der massiven Wirtschafts- und Ernährungsprobleme sowie der rasenden Hyperinflation gab die Regierung unter Reichskanzler Gustav Stresemann im September 1923 den passiven Widerstand auf.

Hitlers Marsch auf die Feldherrnhalle

Aufsehen erregte ein von Adolf Hitler, dem Führer der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), und von Erich Ludendorff, dem ehemaligen Generalquartiermeister und Stellvertreter von Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, organisierter Putschversuch in München. Hitler erklärte in der Nacht zum 9. November 1923 die Reichsregierung und die bayerische Staatsregierung für abgesetzt und ernannte sich selbst zum Reichskanzler. Ludendorffs Hoffnung erfüllte sich nicht, dass sich Polizei und Militär im Kampf gegen die „Novemberverbrecher“ auf seine Seite stellen, womit die Verantwortlichen für die Niederlage des Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg gemeint waren. Auf dem nach Vorbild von Mussolinis Marsch auf Rom veranstalteten Marsch zur Feldherrnhalle im Zentrum von München wurde der Demonstrationszug durch Maschinengewehrfeuer zerstreut. Bei der Schießerei wurden 16 später „Blutzeugen der Bewegung“ genannte Hitleranhänger und vier Polizisten getötet. Hitler machte sich in einem Sanitätsauto aus dem Staub.

Der in der NS-Zeit zum staatlichen Feiertag erhobene 9. November wurde zu schaurigen Heldengedenkfeiern nach dem Motto „Und ihr habt doch gesiegt“ genutzt. Im Frühjahr 1924 wurde Hitler in München des Hochverrats angeklagt. Er stilisierte sich vom Angeklagten zum Ankläger, deutete die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg als den „eigentlichen Hochverrat“ und feierte den Marsch auf die Feldherrnhalle als „Aufruf zum Putsch und Auflehnung gegen die Landesverräter“. Während seiner Festungshaft in Landsberg diktierte Hitler Mithäftlingen Teile seines Buches „Mein Kampf“. Nach neun Monaten wurde er Ende 1924 „wegen guter Führung“ vorzeitig aus der Haft entlassen und führte die Hetze gegen das „Weimarer System“ ungehindert fort.

Kurze Phase relativer Stabilität

Nach der Überwindung der Inflation 1923 erlebte Deutschland eine kurze Phase relativer politischer Stabilität und wirtschaftlicher Konsolidierung. Der nach dem überraschenden Tod des Reichspräsidenten Friedrich Ebert 1925 aufgrund einer nicht behandelten Blinddarmentzündung wurde der kaiserliche Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg zu seinem Nachfolger gewählt. Der 1923 zum Außenminister ernannte Gustav Stresemann bemühte sich mit einigem Erfolg um die Aussöhnung mit den ehemaligen „Feindmächten“ und half, die außenpolitische Isolation des Reiches durch Verträge und den Beitritt in den Völkerbund zu überwinden. Dem Deutschen Reich gelang es, dringend zur Konsolidierung der Wirtschaft benötigte Auslandskredite, vor allem solche aus den USA, zu beschaffen. Diese Finanzhilfen trugen für wenige Jahre zur relativen Stabilisierung des Landes bei.

Die wenigen Jahren zwischen Revolution 1918 und Nazidiktatur 1933 werden auch als „Goldene Zwanziger“ bezeichnet. In ihnen griff ein neues, freieres Lebensgefühl um sich, und es machten großartige Werke der Literatur und bildenden Kunst von sich reden. Spitzenleistungen der Wissenschaft und Technik wurden vollbracht, bedeutende Erfindungen von deutschen Ingenieuren wirken bis heute nach. Das Gold, das dieser kurzen Periode angeheftet wurde, war allerdings dünn, sehr dünn. Denn unter der glänzenden Oberfläche bot sich ein anderes Bild. Wie anders hätte sich in Deutschland 15 Jahre nach der Ausrufung der Weimarer Republik die NS-Diktatur etablieren können?

Mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 wandelte sich in Deutschland die politische und wirtschaftliche Lage. Arbeitslosigkeit und Not griffen um sich, es kam zu Streiks und Unruhen. Viele existentiell bedrohte, von Arbeitslosigkeit und damit auch von Ansehensverlust betroffene Menschen bis in die Mittelschichten hinein setzten ihre letzten Hoffnungen in Heilsversprechen rechter und linker Demagogen, die für ein „Drittes Reich“ beziehungsweise für ein „Sowjetdeutschland“ stalinscher Prägung warben. 1932 wurde Hindenburg erneut zum Reichspräsidenten gewählt und betätigte sich im Januar 1933 als Hitlers Steigbügelhalter. Damit war der Weg frei in Deutschlands schwärzeste Zeit, an deren Folgen wir bis heute zu tragen haben.



9. Juni 2023