„Deutsche kauft nicht bei Juden“
Boykott und Zerstörung jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 wurden von langer Hand vorbereitet, und viele Deutsche machten begeistert mit







Neid und Missgunst waren Triebfedern für die sehr schnell anschwellenden Übergriffe im ganzen Reich auf jüdische Mitbürger. Propagandaminister Joseph Goebbels, der zugleich Reichspropagandaleiter der NSDAP und Gauleiter von Berlin war, wählte das Motto für den Boykott jüdischer Geschäfte, um die Unvereinbarkeit von Deutschen und Juden zu unterstreichen und den Hass gegen sie zu schüren. Zugleich wollten die Nazis so genannte Volksgemeinschaft festigen, alles zu sehen auf Fotos von damals und in der Topographie des Terrors Berlin.



Überfallartig erschienen SA-Leute vor Geschäften, Praxen und Wohnungen und versperrten die Zugänge, klebten Hetzplakate an Wände und Scheiben, malten Davidsterne und jagten Besuchern und Kunden Schrecken ein. Man werde sie fotografieren und anzeigen, wenn sie einen „Judenladen“ betreten. Wer sich beschwerte oder zur Wehr setzte, wurde verprügelt, in die Folterkeller der SA verschleppt oder kam in die neu eingerichteten Konzentrationslager. (Repros: Caspar)

Schon lange vor ihrer Machtübernahme am 30. Januar 1933, vor 90 Jahren, malten die Nationalsozialisten das Gespenst einer jüdisch-bolschewistischen Revolution an die Wand, die nur von ihnen verhindert werden kann. Viele Menschen glaubten diesem Märchen und beteiligten sich unter der Parole „Deutschland erwache, Juda verrecke“ an der Jagd auf alle diejenigen, die nicht ins rassistische und völkische Bild der sich als Herrenmenschen aufspielenden Nazis passten. Endlich konnte man Kollegen, Vorgesetzten und Konkurrenten mit der Behauptung eins auswischen, sie stünden dem neuen Regime kritisch oder feindlich gegenüber oder seien „rassisch“ minderwertig. Das half, diese zu Volksfeinden abgestempelte Menschen ins Abseits und aus dem Beruf zu verdrängen und/oder in den neu eingerichteten Konzentrationslagern und SA-Kasernen verschwinden zu lassen. Da die demokratischen Rechte und Prinzipien der Weimarer Verfassung durch das so genannte Ermächtigungsgesetz beseitigt waren, hatten Beschwerden keinen Zweck. Die Mörderbanden und Rechtsbrecher in den braunen Hemden waren per Gesetz von Strafverfolgung freigestellt. Warnungen aus dem Ausland wurden von den gleichgeschalteten Medien entweder ignoriert oder als Hetze gegen den neuen Staat und das deutsche Volk abgetan.

Goebbels ist zufrieden

Von Propagandaminister Joseph Goebbels vorbereitet, fand am 1. April 1933, einem Sonnabend, eine Aktion unter dem Motto „Deutsche, wehrt euch, kauft nicht bei Juden“ statt. Offiziell begründet wurde sie mit der Forderung an das Ausland begründet, die Hetze gegen das neue Regime einzustellen. Goebbels ordnete in Übereinstimmung mit Hitler und der Regierung an, dass jüdische Warenhäuser, Läden und Waren sowie jüdische Ärzte und Rechtsanwälte boykottiert werden sollen, was nicht anderes bedeutete, als sie wirtschaftlich kaputt zu machen und als angeblich minderwertig aus der Volksgemeinschaft auszuschließen. Sprachlich wurde das durch den Gegensatz von Deutschen und Juden ausgedrückt. Die Vernichtung der jüdischen Warenhäuser hatte Hitler bereits in seinem Buch „Mein Kampf“ angekündigt.

In seinem vor allem für die Propaganda, Selbstdarstellung und Rechtfertigung bestimmten Tagebuch „Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei“, das in großer Auflage verbreitet wurde, notierte Goebbels am 30. März 1933, die Organisation des Boykotts sei fertig. „Wir brauchen jetzt nur noch nur auf einen Knopf zu drücken, dann läuft er an.“ Einen Tag schreibt der Minister: „Viele lassen die Köpfe hängen und sehen Gespenster. Sie meinen, der Boykott würde zum Krieg führen. Wenn wir uns wehren, können wir nur Achtung gewinnen. (...) Geht die Hetze im Ausland zu Ende, dann wird er abgestoppt, im anderen Falle beginnt dann der Kampf bis aufs Messer. Nun sollen die deutschen Juden auf ihre Rassegenossen in der Welt einwirken, damit es Ihnen hier nicht an den Kragen geht.“ Am 1. April 1933 stellte Goebbels mit Genugtuung fest, der Boykott gegen die „Weltgräuelhetze“ sei in Berlin und im ganzen Reich in voller Schärfe entbrannt. „Ich fahre, um mich zu orientieren, über die Tauentzienstraße. Alle Judengeschäfte sind geschlossen. Vor den Eingängen stehen SA.-Posten. Das Publikum hat sich überall solidarisch erklärt. Es herrscht eine musterhafte Disziplin. Ein imponierendes Schauspiel! Alles verläuft in vollster Ruhe, auch im Reich.“

Hoffnung auf Beruhigung arg getäuscht

Die von Goebbels gleichgeschalteten Presse begrüßte den Judenboykott als gerecht und längst fällig. Endlich werde dem Ausland gezeigt, wer das Sagen im Reich hat, niemand sei berechtigt, seinem Führer Adolf Hitler Vorschriften zu machen. Der „Völkische Beobachter“, das Zentralorgan der Nazipartei, beschrieb die Aktion als Generalprobe für weitere Maßnahmen dieser Art und lobte, dass sie exakt um 10 Uhr begann, diszipliniert verlief und am Abend pünktlich beendet wurde. In seinem Tagebuch wurde Joseph Goebbels deutlicher. Der Boykottaufruf sei am 28. März 1933 veröffentlicht worden und habe „Panik unter den Juden“ bewirkt. „Der Boykott ist in der Organisation fertigt. Wir brauchen jetzt nur auf den Knopf zu drücken, dann läuft er an“. Und am 1. April 1933 notierte Goebbels: „Der Boykott gegen die Weltgräuelhetze ist in Berlin und im ganzen Reich entbrannt“, er sei ein großer moralischer Sieg für Deutschland. „Wir haben dem Ausland gezeigt, dass wir die ganze Nation aufrufen können, ohne dass es dabei im mindesten zu turbulenten Ausschreitungen kommt. Der Führer hat wieder das Richtige getroffen“. Den Juden riet Hitlers Propagandachef, Deutschland zu verlassen. Das haben viele auch getan, aber noch mehr blieben in der Hoffnung, die Lage werde sich beruhigen. Die meisten Juden aber bezahlten ihr Zögern mit dem Leben.

Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki beschrieb aus eigenem Erleben in seinem Erinnerungsbuch „Aus meinem Leben“ die Ängste und Gefühle angesichts der wachsenden Bedrohung und Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung, aber auch Hoffnungen auf Beruhigung der Lage sowie Beschwichtigungsversuche und Durchhalteparolen mit diesen Worten: „Die Situation der Juden hatte sich im Laufe der Jahre grümndlich verändert, also verschlechtert. 1933 und 1934 hörten sie bisweilen von Nichtjuden, von Nachbarn und Bekannten, freundliche und begütigende Worte, meist des Inhalts, es werde sich doch bald alles wieder ändern: ,Sie müssen durchhalten.’ Den Juden gefielen diese beruhigenden Sprüche sehr wohl, nur waren sie 1938 nicht mehr zu vernehmen, kein Jude konnte sich noch trösten, es werde nicht so heiß gegessen wie gekocht. Verhaftungen, Misshandlungen und Folterungen ließen die Zahl der unverbesserlichen Optimisten immer kleiner und die der Auswanderer immer größer werden.“

1. Februar 2023

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