Hitlers willige Helfer -
Eisenacher Lutherhaus dokumentiert Arbeit des so genannten Entjudungsinstituts und den nachsichtigen Umgang der DDR mit seinen Mitarbeitern

In einem Anbau des Eisenacher Lutherhauses wird das Treiben des Entjudungsinstituts“ dokumentiert, in der Bornstraße erinnert eine Gedenkstätte an sein unseliges Wirken von 1939 bis 1945.

Im Lutherhaus sind Glocken aus der Zeit des Nationalsozialismus mit Hakenkreuzen und Widmungen an Hitler ausgestellt. Es ist noch nicht lange her, dass solche Hinterlassenschaften aus Kirchen entfernt wurden, aber die Arbeit ist noch lange nicht abgeschlossen.

Bei der Durchsetzung der NS-Rassepolitik beriefen sich Politiker und Kirchenmänner oft auf Martin Luther, der im 16. Jahrhundert massiv gegen das „verdammte Volk der Juden“ hetzte und ihre Vertreibung forderte. Sein Pamphlet von 1543 erlebte in der NS-Zeit hohe Auflagen. Die Nazis sorgten dafür, dass Luthers Schmähschrift weithin bekanntgemacht und, was viel schlimmer war, auch befolgt wurde. Die von Walter Grundmann herausgegebene Zeitschrift „Christuskreuz und Hakenkreuz“ war eines der Sprachrohre der Deutschen Christen.

In einem keinen Widerspruch duldendem Ton wurden Kirchenbesuchern bedeutet, dass sie nur noch das „judenrein“ gemachte Gesangbuch „Großer Gott wir loben dich“ benutzen dürfen.

Ein Relief der „Judensau“ ist an der Fassade der Wittenberger Stadtkirche angebracht. Luther machte das Schandmal an seiner Predigtkirche in einer seiner Schriften weithin bekannt. In unseren Tagen wird kontrovers über das Relief diskutiert, das erklärende Tafel erhielt. Der Holzschnitt von 1595 zeigt, wie mit spitzen Hüten als Juden gekennzeichnete Menschen sich an dem Tier zu schaffen machen und sogar in seinen After schauen.

„Mit Martin Luther (für) Glauben u. Volkstum“ fordert eine mit Hakenkreuzen versehene Anstecknadel der Deutschen Christen.

Wie Hitler über die Kirchenfürsten dachte, deren Hände er schüttelte, ist nicht bekannt, dass er aber deren Liquidierung nach dem siegreichen Ausgang des Zweiten Weltkriegs plante, ist überliefert. In den antijüdischen Hetzblatt „Der Stürmer“ wird der Hitlerjugend geraten, die Finger vom Alten Testament zu lassen.

Die Martin-Luther-Gedächtniskirche in Berlin-Mariendorf dokumentiert die Verschmelzung von Christentum und Nationalsozialismus unter der Regie der Deutschen Christen. Bei der Grundsteinlegung im Oktober 1933 feierten sie Hitler als den „von Gott geschenkten Führer". Bei den Reliefkacheln des Triumphbogens hat der Bildhauer Heinrich Mekelburger christliche und nationalsozialistische Symbole verwendet. In der Vorhalle wurde das Hitler-Porträt gleich nach dem Krieg von den Amerikanern entfernt.
(Fotos/Repros: Caspar)
So gern er es getan hätte, doch frontal konnten die Nationalsozialisten gegen die Kirche nicht angehen. Sie brauchten ihre Unterstützung bei der Rechtfertigung ihrer terroristischen Maßnahmen und Eroberungspolitik. Unterm Hakenkreuz organisierten sich willige Helfer in der rassistisch und antisemitisch geprägte Bewegung der Deutschen Christen (DC), die sich „SA Jesu Christi“ nannten. Jeder, der die nationalsozialistischen Rassengesetze umsetzt, tue ein gottgefälliges Werk und wirke am Fortbestand des deutschen Volkes mit, behaupteten sie. Emsig versuchten sie, die Bibel und Kirchenlieder, aber auch die Kirchen selbst „judenrein“ zu machen.
Den von den Nazis als „nützliche Idioten“ betrachteten Geistlichen beider Konfessionen blieb erspart, was Hitler mit ihnen nach dem „Endsieg“ plante. In einem seiner nächtlichen Monologe im Führerhauptquartier erklärte er am 8. Februar 1942: „Der größte Krebsschaden sind unsere Pfarrer beider Konfession! Ich kann ihnen jetzt nicht die Antwort geben, aber das kommt alles in mein großes Notizbuch. Es wird der Moment kommen, wo ich mit ihnen abrechne ohne langes Federlesen. [...] Ich schätze, dass in zehn Jahren das alles ganz anders aussieht. Um die grundsätzliche Lösung kommen wir nicht herum“. Den Papst hätte er im Rahmen einer solchen „grundsätzlichen Lösung“ nur zu gern in Rom öffentlich exekutieren lassen. Statt seiner sollten regimetreue Bischöfe die Leute bei der Stange halten. Da der „Endsieg“ ausblieb, konnte der Diktator seine Drohungen nicht wahrmachen.
„Orientalische Entstellungen“
Christliche Gemeinden sollten, wenn überhaupt, nur noch als Vereine ohne jeden Einfluss auf die Gläubigen geduldet werden, geistliche Stifte und Klöster wollte man auflösen, „da diese der deutschen Sittlichkeit und der Bevölkerungspolitik nicht entsprechen“, wie es in einem Befehl des für den Warthegau mit Posen/Poznan als Zentrum zuständigen Gauleiters Arthur Greiser heißt. Nachzulesen sind der Text von 1940 und weitere Verlautbarungen dieser Art in der von Jochen Birkenmeier und Michael Weise verfassten Begleitbroschüre zur Ausstellung „Erforschung und Beseitigung. Das kirchliche ,Entjudungsinstitut' 1939-1945“ (3. Auflage, Eisenach 2022, 124 S., zahlreiche Abb., 10 Euro, ISBN 978-3-9818078-3-7).
Die Ausstellung zeigt, dass es Antijudaismus und Antisemitismus schon lange vor den Nationalsozialisten gab, die den Hass auf Juden und ihre Vernichtung zur Staatsdoktrin erhoben. Die Reinigung der Bibel vor „jüdischem Unrat“ kam nicht erst 1933 auf, sie wurde schon lange vor der Errichtung des so genannten Dritten Reichs gefordert. Das deutsche Volkskirche möge Ernst machen mit der Verkündigung der von aller orientalischen Entstellung gereinigten schlichten Frohbotschaft und einer heldischen Jesus-Gestalt als Grundlage eines artgemäßen Christentums, hieß es damals. Und es wurde gefordert, anstelle der von Mose verkündeten zehn Gebote den Volksgenossen neue Gesetze zur Pflicht zu machen. Es wurde alles unternommen, jüdische Bilder und Symbole und solche, die man dafür hielt, aus dem öffentlichen Leben, namentlich aus Kirchen, Museen und Büchern zu entfernen. Kindern und Jugendlichen wurde eingeredet, das Alte Testament sei nichts mehr als eine Sammlung sittenverderbender und blutrünstiger Geschichten, die man hinter sich lassen wolle.
Christus in einen Arier verwandelt
Als die vom Reichsbischof Ludwig Müller geführten Deutschen Christen versuchten, analog zum so genannten Arierparagraphen Christen jüdischer Herkunft aus der Kirche auszuschließen, kam es 1934 bei den Protestanten zu einer Spaltung. Hier agierten und agitierten die Deutschen Christen, dort die von der Gestapo überwachte und terrorisierte Bekennende Kirche, die ganz entschieden die Unterwerfung unter das Diktat der Nazis ablehnte und sofort deren Hass zu spüren bekam. Der von Martin Niemöller, Dietrich Bonhoeffer und anderen Geistlichen im September 1933 gegründete Pfarrernotbund erklärte die Unvereinbarkeit des Arierparagraphen mit dem christlichen Glaubensbekenntnis, sprach sich gegen den Totalitätsanspruch der Nationalsozialisten aus und setzte sich für Verfolgte und Bedrängte ein. Innerhalb weniger Monate entwickelte sich der Pfarrernotbund zur Bekennenden Kirche, im Januar 1934 über 7000 Mitglieder umfasste.
Die Deutschen Christen erlangten trotz ihrer Anbiederungsversuche an den braunen Diktator nicht den erhofften Einfluss, weil dieser keine zweite Instanz neben sich zu dulden bereit war und an Gott zu glauben seinem Alleinvertretungsanspruch entgegen stand. Indem Hitler in eine Reihe mit Martin Luther, König Friedrich II. von Preußen und Otto von Bismarck gestellt wurde, haben seine Anhänger Kontinuitäten zu ihm konstruiert und ihm historische Weihen erteilt. Luthers auch mit Hilfe des Buchdrucks verbreitete antijüdische Hetze wurde gebraucht, um der Ausgrenzung und Verfolgung der Juden und anderen Fremdvölkischen, wie man sagte, ein historisches und religiöses Mäntelchen umzuhängen. Dem diente das am 5. Mai 1939 in Eisenach gegründete „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“.
Christuskreuz und Hakenkreuz
Der Ort war wohl auch deshalb gewählt worden, weil der Reformator 1521 als Gast des sächsischen Kurfürsten Friedrich des Weisen auf der Wartburg hoch über der Stadt das Neue Testament ins Deutsche übersetzt hatte. Außerdem fühlte man sich in dem seit 1930 von Nazis (mit-)regierten Thüringen quasi unter seinesgleichen. Zu den Zielen des von 13 Landeskirchen unterstützten Instituts gehörte es, die Bibel „judenrein“ zu machen und den Nachweis zu führen, dass Jesus Christus kein Jude, sondern ein Arier war.
Aus der Weihnachtsgeschichte und anderen Bibeltexten wurden Hinweise auf den jüdischen Ursprung des Heilands getilgt, und auch die Musik entledigte sich solcher Anklänge, wie das Beispiel von Händels Freiheits-Oratorium „Judas Maccabäus“ ganz ohne den Nazis „unliebsame“ Bezüge zeigt. Eine vom später in der DDR hoch geehrten Thomaskantor Erhard Mauersberger geleitete Aufführung am Reformationstag, dem 31. Oktober 1943, in der Eisenacher Georgenkirche bekam den unverfänglichen Titel „Der Feldherr“. Dem Mitarbeiter des Entjudungsinstituts waren solche Umdeutungen durchaus geläufig.
Leiter des Entjudungsinstituts an der Eisenacher Bornstraße und maßgeblicher Ideologe der Deutschen Christen war Walter Grundmann. Der Theologieprofessor und Herausgeber der Zeitschrift „Christuskreuz und Hakenkreuz“ und Autor von Büchern wie „Totale Kirche im totalen Staat“ trug wie unzählige andere Deutsche de facto Mitschuld an den Naziverbrechen, gestand das aber bis zu seinem Lebensende 1970 nicht ein, sondern warf sich in die Pose der verfolgten Unschuld. In DDR-Zeiten hat Grundmann unzählige Theologen ausgebildet, seinen „braunen“ Hintergrund dürften die meisten nicht gekannt haben.
Grundmann behauptete 1969 in einer nur für Familienangehörige bestimmten, in der Ausstellung und im Buch dazu zitierten Niederschrift „Erkenntnis und Wahrheit“alles andere als ein Bilderstürmer und Konformist gewesen zu sein. Mit Blick auf das Entjudungsinstitut behauptete er: „Wir hofften mit unserer Arbeit dem deutschen Volk, der deutschen Christenheit und dem Nationalsozialismus einen Dienst zu tun.“ Der Krieg habe die Arbeit stark gehemmt, dennoch sei unter erschwerten Umständen eine fleißige Arbeit geleistet worden. Grundmanns Hoffnung, aus der Einrichtung ein „Institut zur Erforschung der deutschen Frömmigkeit“ zu machen, ging nicht in Erfüllung. Wohl aber konnte er über den Posten als Rektor des Eisenacher Katechetenseminars und den Titel Kirchenrat freuen. Dass er als IM der Staatssicherheit der DDR, die bestens über seine braune Vergangenheit informiert war, über Interna des kirchlichen Lebens in Ost und West berichtete, sei hier der Vollständigkeit halber erwähnt.
Bekennende Kirche
Die Bekennende Kirche machte den Nationalsozialisten zu schaffen. Ihre Anhänger bekamen ihren ganzen Hass und die Härte ihrer Justiz zu spüren und hatten hohe Blutopfer zu beklagen. Mutige Vertreter beider Konfessionen klärten ihre Gemeinden über die Ermordung der als „Ballastexistenzen“ eingestuften Kranken und Schwachen auf, und sie riskierten Freiheit und Leben, als sie verfolgte Menschen zu sich nahmen und zu überleben halfen. Martin Niemöller, Dietrich Bonhoeffer, Heinrich Grüber und viele andere Mutige sprachen sich gegen den Totalitätsanspruch der Nazis aus, setzten sich für Verfolgte ein und retteten vielen das Leben. 1937, auf dem Höhepunkt des Kirchenkampfes, mussten sich etwa 800 Mitglieder der Bekennenden Kirche vor Gericht verantworten. Unerschrockene Katholiken erhoben ebenfalls ihre Stimme gegen den Missbrauch und die Einvernahme des Gotteswortes sowie Gewalt, Terror, Mord und Unmenschlichkeit im Nazistaat.
Vor allem Kirchenzeitungen, die nicht unter der Kontrolle des Propagandaministeriums standen, prangerten Zwangssterilisierung und Ermordung von so genannten Erbkranken an und bestärkten die Gemeindemitglieder, sich nicht auf die Heilsverprechungen der Nationalsozialisten einzulassen, sondern die christlichen Gebote einzuhalten. Zeitgleich mit dem Erlass der Nürnberger Rassegesetze begann 1935 eine sich immer mehr verstärkende Verleumdungskampagne, die Geistliche und kirchliche Institutionen ins Zwielicht zu bringen versuchte. In Gerichtsverfahren wurden hohe Zuchthausstrafen ausgesprochen, zahlreiche Geistliche kamen in die Konzentrationslager und manche von ihnen verloren dort als Märtyrer ihr Leben.
Stuttgarter Schuldbekenntnis
Als die Bekennende Kirche 1936 in einer Denkschrift die Existenz von Konzentrationslagern anprangerte und sich gegen die nationalsozialistische Weltanschauung wandte, wurde sie als staatsfeindlich Organisation eingestuft. Amtsenthebung und Prozesse konnten Martin Niemöller nicht in seiner ablehnenden Haltung beeindrucken. Als der Kopf des kirchlichen Widerstandes 1938 freigesprochen wurde, ließ ihn der darüber erboste Hitler als „persönlichen Gefangenen“ festnehmen. Niemöller überlebte die KZ-Haft in Dachau und war einer der Autoren des Stuttgarter Schuldbekenntnisses vom 19. Oktober 1945, in dem es heißt: „Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden. Was wir unseren Gemeinden oft bezeugt haben, das sprechen wir der ganzen Kirche aus: Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“ Dietrich Bonhoeffer war tief davon überzeugt, dass Widerstand nötig und gerechtfertigt ist.
Eine im Lutherhaus ausgestellte Tafel aus dem Jahr 1947 behauptet, am 9. November 1938 hätten „Bubenhände“ die Eisenacher Synagoge verbrannt und verwüstet, als ob Typen wie Max und Moritz sich einen Spaß gemacht und das jüdische Gotteshaus in der Wörthstraße 26 (heute: Karl-Marx-Straße) „einfach so“ abgefackelt hätten. Am 21. September 1947 wurde an der Stelle der Synagoge eine Gedenkstätte eingeweiht. Sie besteht aus einer geschotterten Fläche mit dem Grundriss der Synagoge,mit einem Pflanzenbeet in Form eine Davidsterns davor. n der Ostseite befindet sich ein Denkmal aus Steinen der Synagoge. Auf ihm sind ein Davidstern und beidseitig je eine Menora befestigt. An der Vorderseite befand sich bis 1998 jene Tafel von 1946. Die heutige Tafel erklärt: „An diesem Ort stand die Synagoge der jüdischen Religionsgemeinschaft von Eisenach. Sie wurde am 9. November 1938 von nationalsozialistischen Horden verwüstet und niedergebrannt.“
Die alte, das ungeheuerliche Verbrechen verharmlosende Formulierung passt in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als es hieß „Mein Kampf verbrannt, Hitler nicht gekannt“ und eigene Vergehen und Verbrechen geleugnet wurden. Leute vom „Entjudungsinstitut“ waren wie Millionen andere willige Helfer ihres Führers tatkräftig dabei, sich Persilscheine zu besorgen. Walter Grundmann war auch so einer!
9. Oktober 2024