„Wider den undeutschen Geist“
Vor 90 Jahren verbrannten die Nazis auf den Berliner Opernplatz Bücher als Auftakt zur „Säuberung“ der Bibliotheken und Ausgrenzung missliebiger Autoren





Auf dem heutigen Bebelplatz gegenüber der Universität tobten sich am 10. Mai 1933 fanatisierte Nazi-Studenten und SA-Leute, von Goebbels angefeuert, beim Verbrennen von Weltliteratur und anderen auf Schwarzen Listen stehenden Schriften aus, zu sehen in einer dem Jahr 1933 gewidmeten Ausstellung der Topographie des Terrors. Den öffentlich gebrandmarkte Autoren und Verlegern wurde die Lebensgrundlage entzogen, und wer konnte, ging ins Ausland oder die innere Emigration.



In Berlin und anderen Universitäts- und Hochschulstädten fanden Bücherverbrennungen als Teil des von Hitler geforderten „unerbittlichen Säuberungskriegs gegen die Kulturzersetzung“ statt. Manch einer, der Werke der Weltliteratur ins Feuer warf, mache eine blutige Karriere. Hier tragen Nazischläger Bücher von Magnus Hirschfeld, der sein Leben dem Kampf gegen die Diskriminierung und Verfolgung von Homosexuellen gewidmet hat, und weitere Schriften zusammen, um auch sie zu vernichten.



Propagandaminister Joseph Goebbels, der Herr über Presse, Radio, Film und Fernsehen sowie Theater, Verlage, Kunst und Museen, war bei auch der „Säuberung“ der Museen von unliebsamen Kunstwerken sowie der Unterdrückung von „entarteter Kunst“ ganz vorn.





Die von Micha Ullman gestaltete Gedenkstätte in der Mitte des Bebelplatzes symbolisiert die bewusste Entleerung des geistigen und kulturellen Lebens in Hitlers Staat der Richter und Henker. Eine Gedenktafel an der ehemaligen Königlichen Bibliothek, die heute von der Humboldt-Universität genutzt wird, erinnert an den barbarischen Akt vor 90 Jahren.



Auf dem Bebelplatz zitiert die in den Boden eingelassene Tafel Heinrich Heine, der wegen seiner jüdischen Herkunft zu den verbotenen Autoren gehörte , mit den prophetischen Worten „Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen“.



Auf dem Hamburger Rathausplatz erinnert ein Relief am Sockel des von Waldemar Otto geschaffenen Heine-Denkmals an die Bücherverbrennung von 1933 und die „Bereinigung“ der Bibliotheken von deutschem „Ungeist“, zu dem auch Heines Werke gezählt wurden. Eine Schrifttafel erklärt, warum die Nazis das Denkmal von 1926 vernichtet haben und dass das Denkmal von 1982 von Hamburger Bürgern und Senat „als Mahnung zur Humanität“ errichtet wurde.



Die Topographie des Terrors in Berlin Kreuzberg erinnert in Bild und Schrift sowie mit Zitaten von damals an die Motive für die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 und und wie gut sich Goebbels dabei fühlte. (Fotos/Repros: Caspar)

Am 10. Mai 1933, vor nunmehr 90 Jahren, veranstalteten die Nationalsozialisten unter dem Motto „Wider den undeutschen Geist“ auf dem Berliner Opernplatz an der Straße Unter den Linden, dem heutigen Bebelplatz, eine von Propagandaminister Josef Goebbels vorbereitete und persönlich geleitete öffentliche Bücherverbrennung. Die Vernichtung von Büchern und Schriften hat es schon in der Antike und im Mittelalter als ein gegen Autoren und die von ihnen verbreiteten Gedanken gerichteter Gewaltakt, dem nicht selten die Verfolgung, Ausgrenzung, Gefangennahme und auch Tötung der Autoren und Verleger folgten. Politisch und religiös motivierte Bücherverbrennungen unter freiem Himmel hat es schon in der Antike sowie im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit gegeben. Sie richteten sich im Allgemeinen gegen die moralischen, politischen oder religiösen Aussagen, die den herrschenden Eliten gegen den Strich gingen und ihnen gefährlich werden konnten.

Klassenkampf, Dekadenz, Verrat

Bei der Bücherverbrennung herrschte so etwas wie Volksfeststimmung, Blaskapellen spielten, als Lastwagen mit etwa 25.000 Büchern ankamen. Unter den etwa 70.000 Menschen waren Professoren in Talaren, Mitglieder von Studentenverbindungen sowie Verbände von SA, SS und Hitler-Jugend. Weil es an dem Abend regnete, mussten die Nazis dem Feuer mit Benzin nachhelfen. Die johlenden Horden warfen Schriften von Lion Feuchtwanger, Sigmund Freud, Erich Kästner, Karl Kautsky, Alfred Kerr, Emil Ludwig, Heinrich Mann, Karl Marx, Carl von Ossietzky, Theodor Plivier, Erich Maria Remarque, Arthur Schnitzler, Kurt Tucholsky, Arnold Zweig und vielen aus politischen und/oder rassistischen Gründen „missliebigen“ Autoren in die Flammen und riefen dabei Hetzparolen „gegen Klassenkampf und Materialismus, Dekadenz und moralischen Verfall, Gesinnungslumperei und Verrat.“ Aufgerufen wurde zum Kampf gegen „seelenzerfasernde Überschätzung des menschlichen Trieblebens, Verfälschung der Geschichte und Verhunzung der deutschen Sprache, volksfremden Journalismus demokratisch-jüdischer Prägung, literarischen Verrat am Soldatentum des Weltkriegs, Frechheit und Anmaßung.“ Im Kontrast dazu forderte in nächtlicher Stunde die Menge „Zucht und Sitte in Familie und Staat, Adel der menschlichen Seele und Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen Volksgeist“ ein.

Der bei den Nazis in Ungnade gefallene Erich Kästner berichtete später: „Ich stand vor der Universität, eingekeilt zwischen Studenten in SA-Uniform, den Blüten der Nation, sah unsere Bücher in die zuckenden Flammen fliegen und hörte die schmalzigen Tiraden des kleinen abgefeimten Lügners“, erinnerte sich der beliebte Schriftsteller an das Spektakel. Er hatte in den folgenden Jahren unter vielerlei Drangsalierungen zu leiden hatte und konnte seine Werke nur im Ausland veröffentlichen, bis er schließlich mit Schreibverbot belegt wurde, aber wenigstens am Leben blieb.

Säuberung der Bibliotheken und Verlage

Das vom Rundfunk in das ganze Deutsche Reich übertragene Spektakel gegenüber der Friedrich-Wilhelms-Universität, der heutigen Humboldt-Universität, war der offizielle Auftakt für die Verfolgung und Ausgrenzung von Autoren, in denen das Regime Volksfeinde oder Volksfremde sah, und die „Säuberung“ der Bibliotheken, Leihbüchereien, Verlage und Buchhandlungen von angeblich undeutschem Schrifttum. Wie in Berlin, so fanden auch in anderen Universitäts- und Hochschulstädten Bücherverbrennungen als Teil eines „unerbittlichen Säuberungskriegs gegen die Kulturzersetzung“.

Der von Goebbels als „starke, große und symbolische Handlung“ und geistige Vorbereitung der „machtpolitischen Revolution“ gelobte Brandanschlag auf Teile der klassischen Literatur sowie auf Werke der Moderne, aber auch auf politisch „links“ stehende Schriften war der Auftakt für die geistigen Gleichschaltung in nunmehrigen „Dritten Reich“, wie sich der Nazistaat nannte. Begründet wurde die Maßnahme mit der „Neuordnung der Werte im Sinne der nationalen Erhebung“. Zeitgleich begann die Durchsuchung und „Säuberung“ der Bibliotheken von Schriften, die politisch und weltanschaulich nicht ins Konzept der Nazis passten, oder von Autoren stammten, die als Juden unter die nationalsozialistischen Rassegesetze fielen. In Tageszeitungen und Fachzeitschriften wurde ein Index von Büchern und Schriften veröffentlicht, die nicht mehr frei zugänglich waren, und es wurden Sammelplätze eingerichtet, auf denen die verbotenen Bücher abgegeben werden konnten. Vor allem Studenten drangen in öffentliche und private Bibliotheken ein und suchten die Bücher anhand von „schwarzen Listen“ zusammen, um sie zu vernichten.

Wer hat die längsten Schwarzen Listen?

Unmittelbar nach der Errichtung der Nazi-Diktatur am 30. Januar 1933 wurden im neu gegründeten Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda erste „schwarze Listen“ von Büchern von Autoren angefertigt, die aus politischen Gründen missliebig oder weil sie, wie Heinrich Heine, Juden oder jüdischen Ursprungs waren oder weil sie aus anderen Gründen nicht in das Welt- und Kulturbild der Nationalsozialisten passten. Unter dem Motto „Neuordnung der Werte im Sinne der nationalsozialistischen Erhebung“ wurden Leihbüchereien, aber auch wissenschaftliche Bibliotheken und andere Sammlungen nach so genannter Asphaltliteratur und Zeugnissen des Kulturbolschewismus durchkämmt und gesäubert. Die „gesperrten“ Druckschriften wurden in Gruppen eingeteilt, nämlich in solche, die öffentlich verbrannt werden sollen, die in den „Giftschrank“ gehören beziehungsweise die bis zur Überprüfung ihrer „Eignung“ separiert werden sollen. Da sich Regierungs- und Parteigremien darin zu überbieten suchten, wer die längsten Verbotslisten hat, gab es quer durch das Land eine Vielzahl solcher Aufstellungen mit zum Teil skurrilem Inhalt. So stellte die Politische Polizei in Bayern als „undeutsch“ eingestufte Werke der Weltliteratur etwa von Balzac, Bocaccio, Casanova, Hugo, Shaw und Zola auf den Index, während sich stramm auf die Nazilinie umgeschwenkte „deutsche“ Theologen daran machten, die religiöse Literatur nach Stellen zu durchsuchen, die mit dem „völkischen Blick“ auf das Leben Jesu und andere Überlieferungen der Bibel nicht überein stimmten. Es gab auch Versuche, eine „deutsche Bibel“ herauszugeben sowie Gebete und Kirchenlieder im Sinne der Weltanschauung der Nationalsozialisten entweder auszusondern oder umzuschreiben. Verlage und Buchhandlungen wurden gezwungen, Literatur aus dem Sortiment nehmen, die von eifrigen Schnüfflern als geistige Konterbande angesehen wurden, wobei Heine, Marx und Lenin aus unterschiedlichen Gründen zu besonderen Hassobjekten aufstiegen.

Das war nur ein Vorspiel

Aufgabe der Geheimen Staatspolizei sowie der Reichsschrifttumskammer und von anderen Dienstellen war es, gegen diejenigen vorzugehen, die sich über die Bücherverbote hinweg setzten, und das waren nicht wenige Menschen. Verstöße wurden mit Verwarnung, Geldstrafe, Berufsverbot, Einweisung ins Konzentrationslager und Gerichtsverfahren geahndet. Wie aus Gestapoberichten hervor geht, stießen die Säuberungen nicht überall auf Beifall, es gab auch Gegenreaktionen. So meldete die Geheimpolizei noch Jahre nach der Bücherverbrennung, dass überall im Reich bei Razzien so genannte Verbotsliteratur in großen Mengen entdeckt und beschlagnahmt wurde. Man kann sich gut vorstellen, mit welchem Eifer verdächtige Läden und Verlage im ganzen Reich durchschnüffelt wurden und wie das Denunziantentum blühte. Denn drittklassige Autoren, die bis 1933 kaum zum Zuge kamen, sahen nun ihre Stunde gekommen, um erfolgreicheren Kollegen eins auszuwischen und sich als besonders stramme Parteigänger von Hitler und Goebbels zu präsentieren. Das gilt nicht nur für den damaligen Literaturbetrieb, sondern für alle Sparten von Kunst, Kultur und Wissenschaft, wo es ähnliche beschämende Erscheinungen gab.

Auf die Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz, dem heutigen Bebelplatz, weisen eine Gedenktafel an der ehemaligen Königlichen Bibliothek, bekannt auch als „Kommode“, und seit 1995 eine unterirdische Gedenkstätte hin. Micha Ullman hat in der Mitte des Bebelplatzes einen fünf Meter tiefen Raum als Ort der Stille gestaltet. Durch eine Glasscheibe sieht man von oben weiß gestrichene undn leere Regale der „Versunkenen Bibliothek“. Davor liegt im Boden eine Inschriftentafel, die den von den Nazis tot geschwiegenen Heinrich Heine mit den Worten zitiert: „Das war nur ein Vorspiel. Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen“. Micha Ullman macht auf seine Weis die kulturelle Öde und geistige Leere in Nazideutschland begreiflich und sagt uns Heutigen, was es heute leider immer noch bedeutet, wenn Werke der Weltliteratur aus politischen, religiösen oder rassistischen Gründen auf den Index gesetzt und aus den Bibliotheken gezerrt und vernichtet werden, wenn regimekritische und unerwünschte Autoren mundtot oder ganz tot gemacht und wenn Gedanken und Meinungen verteufelt werden, die nicht dem Zeitgeist oder den Wünschen der Herrschenden entsprechen. Mit dem leeren Raum macht Micha Ullman die kulturelle Öde und geistige Leere in Nazideutschland begreiflich und sagt uns Heutigen, was es bedeutete und auch heute leider immer noch bedeutet, wenn Werke der Weltliteratur aus politischen, religiösen oder rassistischen Gründen und den Index gesetzt und aus den Bibliotheken gezerrt und vernichtet werden, wenn regimekritische und unerwünschte Autoren mundtot oder ganz tot gemacht und wenn Gedanken und Meinungen verteufelt werden, die nicht dem Zeitgeist oder den Wünschen einer Regierung beziehungsweise einer Partei entsprechen.

21. Februar 2023

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