„Bereichert euch!“
Julirevolution brachte 1830 in Frankreich den Bürgerkönig Louis Philippe an die Macht

Die Herrscher in Russland, Österreich und Preußen schlossen sich nach den Befreiungskriegen von 1813 bis 1815 im Kampf gegen Fortschritt zusammen und verfolgten alles und alle, die die Freiheit des Wortes und Mitbestimmung der Völker forderten und sich gegen feudale Bevormundung zur Wehr setzten.

Charles X. von Frankreich versuchte, das Rad der Geschichte zurück zu drehen und die Errungenschaften Revolution von 1789 und später der napoleonischen Ära zu beseitigen. Die königlichen Lilien auf seinen Münzen waren aus der Zeit gefallen.


Unter der Regierung des auf Münzen und Medaillen mit einem Lorbeerkranz dargestellten Bürgerkönigs Louis Philippe erlebten das Bürgertum und mit ihm auch die französische Wirtschaft einen bedeutenden Aufschwung, bedingt vor allem durch den Eisenbahnbau und die Industrialisierung bei gleichzeitiger Verelendung und Proletarisierung großer Teile der Bevölkerung.

Studenten und andere Oppositionelle demonstrierten 1817 beim Wartburgfest und 1832 beim Hambacher Fest ihren Willen, die elende Fürstenherrschaft abzuschaffen

Karikaturisten machten Potentaten ihrer Zeit zur Freude des Publikums lächerlich – hier der als Birne aufgefasste Bürgerkönig Louis Philippe und Napoleon III., der seinen Onkel und Vorbild Napoleon I. betrachtet. und dem einfachen Volk endlich Mitbestimmung zu gewähren.



Ohne Barrikaden keine Revolution - dargestellt sind die bewaffneten Kämpfe auf einem Gemälde vom Aufstand in Paris 1830, einer Grafik, die den Befreiungskampf der Polen gegen die russische Fremdherrschaft schildert, und den Straßenkämpfen 1848 in Berlin. (Fotos/Repros: Caspar)
Schon bald nach dem Wiener Kongress schlossen sich die Monarchen Russlands, Österreichs und Preußens am 26. September 1815 in Paris zur Heiligen Allianz mit dem Ziel zusammen, Freiheits- und Unabhängigkeitsbestrebungen im Deutschen Bund und weiteren Ländern mit Waffengewalt sowie oppositionelle Aktivitäten niederzuschlagen. Diese vom österreichischen Staatskanzler Clemens Wenzel Lothar Fürst von Metternich bestimmte Politik brutaler Repression stand im merkwürdigen Kontrast zum Aufblühen von Kunst und Kultur, Handwerk und Gewerbe. Friedhofsruhe breitete sich über Europa aus, aber ungeachtet brutaler Repression durch Justiz, Militär und Polizei gärte und brodelte es im Inneren.
Die Revolution von 1848/49 brach vor 175 Jahren nicht aus heiterem Himmel herein, sondern bahnte sich schon länger an. Beim Wartburgfest Ende Oktober 1817, nur zwei Jahre nach den Befreiungskriegen gegen das napoleonische Frankreich, erscholl der Ruf nach einem grundlegenden Neuanfang. „Wer bluten darf für das Vaterland, der darf auch davon reden, wie er ihm am besten diene im Frieden. So stehn wir unter freiem Himmel und sagen das Wahre und Rechte laut. Denn die Zeit ist gottlob gekommen, wo sich der Deutsche nicht mehr fürchten soll vor den Schlangenzungen der Lauscher und dem Henkerbeil der Tyrannen und sich niemand entschuldigen muss, wenn er vom Heiligen und Wahren spricht“, hieß es im Gemäuer der Wartburg bei Eisenach. Unter den begeisterten Zurufen flogen Bücher und Insignien der verhassten Feudalordnung in die Flammen eines Scheiterhaufens. In Preußen und anderen Ländern wurden die Aktion als Verbrechen gegen Staat und Kirche gewertet und die Daumenschrauben weiter angezogen.
Studentenprotest im Biedermeier
Teilnehmer des Hambacher Festes forderten 1832, mitten in der Biedermeierzeit, weil sich die Verhältnisse nicht verbessert hatten, demokratische Rechte und die Abschaffung der elenden Fürstenherrschaft und die Aufhebung der Zensur sowie die deutsche Einheit. Auf dem pfälzischen Schloss Hambach bei Neustadt an der Weinstraße demonstrierten Studenten und Burschenschafter sowie Demokraten und Liberale für die Mitbestimmung des Volkes und die Einheit Deutschlands, wobei sie die schwarz-rot-goldene Fahne als Panier der Befreiungskriege und deutschen Einheitsbewegung schwenkten. Die Protestaktionen fanden ein weites Echo und ließen die um ihre Macht fürchtenden Fürsten zu drastischen Gegenmaßnahmen durch Militär, Justiz und Polizei greifen.
Der Ruf nach politischen und sozialen Veränderungen ließ sich nicht mehr zu unterdrücken. Auch wenn die eiligst beschlossenen Repressionsmaßnahmen der im Deutschen Bund zusammen geschlossenen Fürsten und Freien Städte die freiheitlichen Bestrebungen noch einmal zu zügeln vermochten, gelang es den restaurativen Kräften nicht, die Befürworter eines vereinigten demokratischen Deutschland daran zu hindern, sich weiter zu formieren und 16 Jahre später in der Revolution von 1848/9 einen erneuten Versuch zur Durchsetzung ihrer Forderungen zu unternehmen. Dies geschah nach blutigen Kämpfen mit mäßigem Erfolg. Eine der „Errungenschaften“ war das Zugeständnis an Männer, auf der Straße rauchen zu dürfen.
Ultra-royalistischer Kurs
In Frankreich kam nach der Entmachtung Napoleons I. König Ludwig XVIII., ein Bruder des 1793 hingerichteten Königs Ludwig XVI., zu einer moderaten Neugestaltung der Verhältnisse einschließlich der Bestätigung des napoleonischen Adels und der vom Kaiser verfügten Verwaltungsordnung. Doch gab es schon bald zur Verschärfung der gegen Napoleon und seine Ära gerichteten Maßnahmen. In Frankreich standen sich Linke und Rechte, benannt nach den Sitzplätzen im Parlament, im Kampf um tagespolitische Fragen wie Wahlrecht, Pressefreiheit und Verbesserung der Lebensverhältnisse erbittert gegenüber.
Nach dem Tod von Ludwig XVIII. kam dessen Bruder als Karl X. auf den Thron. Er verschärfte den ultra-royalistischen Kurs seines Vorgängers und bestimmte, dass Kirche und Kleriker einen großen Teil ihrer alten Macht zurück bekamen. Da er 1830 die Pressefreiheit aufhob und das Wahlrecht änderte, kam es zur Julirevolution. Angefeuert von dem Journalisten Adolphe Thiers, der später mehrfach Ministerpräsident wurde, erhoben sich nicht nur Advokaten und Teile des Bürgertum, sondern auch das Volk von Paris. Nach heftigen Kämpfen auf den Barrikaden mussten Karl X. und mit ihm die ältere Linie der Bourbonen abdanken. Neuer Mann an der Spitze von Frankreich wurde der liberale Herzog Louis Philipp von Orléans, der von von der Kammer zum König der Franzosen gewählt wurde und als Bürgerkönig in die Geschichte einging. Die Frage war und ist, ob die Julirevolution nur einen Personal- oder einen Systemwechsel darstellte. In Frankreich wurde alles verfolgt, was irgendwie nach Republik und gar Revolution roch. Es wurden Gesetze zum Schutz der Monarchie erlassen, die die Republikaner ins Abseits und die Emigration drängten.
Wirkungen der industriellen Revolution
Als König Charles X., ein Bruder des 1793 hingerichteten Ludwig XVI.,versuchte, vorrevolutionäre Verhältnisse durchzusetzen, die Adelsherrschaft im Lande zu festigen, das Parlament auszuschalten und die Pressefreiheit weiter einzuschränken, griffen im Juli 1830 in Paris und ganz Frankreich Arbeiter, Handwerker, Studenten und andere Unzufriedene zu den Waffen und fegten die verhasste Clique davon. Viele Proletarier litten unter den Auswirkungen der industriellen Revolution, verloren angesichts des Einzugs von Dampf- und anderen Maschinen ihre Arbeitsplätze und wurden mit Hungerlöhnen abgespeist. Beim Versuch, das Ancien régime wiederherzustellen und die letzten Errungenschaften der Revolutions- und der napoleonischen Zeit zu beseitigen, war Charles X. gescheitert. Nach Barrikadenkämpfen Ende Juli 1830 musste er abdanken und starb 1836 im österreichischen Exil.
Adolphe Thiers und seinen Anhängern gelang die Errichtung der Republik ähnlich wie die von 1789 und danach nicht. Die bürgerlichen Eliten wagten diesen Schritt angesichts der Machtverhältnisse im monarchisch geprägten Europa nicht, mussten sie doch militärische Interventionen wie damals befürchten. So bestieg Louis Philippe, Herzog von Orleans, den Thron. Der entfernte Verwandte von Charles X. ging als so genannter Bürgerkönig in die Geschichte ein, weil er der Bourgeoisie neue Einfluss- und Entwicklungsmöglichkeiten einräumte und daher von ihr gestützt wurde. Nach dem Thronwechsel begann die Periode der so genannten Julimonarchie. Sie war im wahrsten Sinne des Wortes ein „goldenes Zeitalter“ für die französische Bourgeoisie, die nach dem Motto „Bereichert euch“ mit dubiosen Mitteln große Vermögen zusammenraffte.
Herrschaft der Finanzaristokratie
Großen Bankhäuser wie Rothschild und Lafiitte finanzierten und profitierten von dem Boom. Karl Marx kennzeichnet die Regierungszeit des als „Birne“ verspotteten Louis Philippe als Herrschaft der Finanzaristokratie. Das Unvermögen, den Stau sozialer Probleme aufzulösen, bereitete der Julimonarchie 18 Jahre nach ihrer Entstehung den Garaus. In der Februarrevolution von 1848 musste Louis Philippe abdanken. Erneut wurde in Frankreich die Republik ausgerufen, die zweite in seiner Geschichte. Louis Philippe floh nach England und starb 1850. Prinz Louis Napoleon, ein Neffe Napoleons I., schwang sich Ende 1852 durch einen Staatsstreich zum Kaiser Napoleon III. auf. Die wesentlichen Ziele der Julirevolution von 1830 und der Februarrevolution von 1848 wurden nicht erreicht.
Über Frankreich hinaus fanden die revolutionären Ereignisse von 1830 i großen Widerhall in Europa. Nachdem die Bewohner der südlichen Niederlande gegen den Norden rebelliert hatten, wurde 1830 das Königreich Belgien mit Leopold I. an der Spitze ausgerufen. Die belgische Verfassung von galt als die fortschrittlichste in Europas. Liberale Kreise fühlten sich durch die französische Julirevolution im Deutschen Bund, dem 1815 gebildeten lockeren Zusammenschluss von Monarchien und Freien Städten, in ihren Forderungen nach der Herstellung konstitutioneller Zustände sowie der Gewährung von Pressefreiheit und anderen Rechten bestärkt, und es kam zu Unruhen, so in Braunschweig, Sachsen und Kurhessen. Die Unruhen und Aufstände wurden von den Fürsten mit Waffengewalt unterdrückt. Viel radikaler waren die Auswirkungen in Italien und in Polen, wo sich Teile des Bürgertums und des Adels, aber auch Arbeiter, Handwerker und Bauern erhoben, um die nationale Unabhängigkeit zu erkämpfen. Ungeachtet vielfältiger Sympathiebekundungen und auch praktischer Hilfen war diesen Bewegungen kein Erfolg beschieden. Italien blieb weiterhin fest im Griff ausländischer Unterdrücker und der eigenen Dynastien, und die feudalen Herrschaftsverhältnisse der vornapoleonischen Zeit wurden restauriert. 1815 nahm der aus dem Haus Bourbon stammende Ferdinand I. das Königreich Neapel wieder in Besitz und vereinte es mit Sizilien zum Königreich beider Sizilien. Auch das Königreich Sardinien wurde wiederhergestellt, während die Lombardei und Venetien als Lombardo-Venezien erneut unter österreichische Herrschaft gerieten.
Kämpfe in Italien und Polen
Nach 1815 flammten in Italien immer wieder Freiheitsbewegungen auf. Teile des Bürgertums und des liberalen Adels schlossen sich in Geheimorganisationen zusammen. Ihre Angriffe richteten sich gegen die inländischen Despoten, die viele aus der Revolutionszeit nach 1789 stammenden Errungenschaften beseitigten und sich an Parteigängern des französischen Kaisers rächten, der sich 1805 zum König von Italien gemacht hatte. Der Kampf patriotischer Kräfte um Freiheit und Ehre ging aber auch gegen ausländische Mächte, die weiterhin bedeutende Teile Italiens besaßen. Ziel der Erhebungen in Neapel, Piemont, in Lombardo-Venetien, Bologna, Ancona und anderen Landesteilen war die Einheit des Landes und die Beseitigung der Fremdherrschaft. Die Niederschlagung der Aufstände schürte den Hass auf die eigenen und fremden Unterdrücker und ließ den Wunsch nach einem einheitlichen und souveränen Staat reifen. Diese Bewegung ging als Risorgimento (zu deutsch Wiedererstehen) in die Geschichte ein.
Ebenfalls hatte die polnische Revolution von 1830/31 keinen Erfolg, denn weiterhin wurde das Land als Provinz des russischen Reiches beherrscht. Zum Zentrum der polnischen Einwanderung wurde Paris. Russland hatte 1814 das so genannte Kongresspolen an sich gerissen und unterdrückte seine Bewohner, was die Abneigung der selbstbewussten Polen gegenüber dem östlichen Nachbarn beeinflusste. Ähnlich rücksichtslos setzten Preußen und Österreich, die sich im ausgehenden 18. Jahrhundert das Königreich zerstückelt und unter sich aufgeteilt hatten, ihre Interessen durch. Natürlich wehrten sich nationale Kräfte in Polen und vom Ausland aus gegen die Fremdherrschaft. Bis heute wird mit Stolz und großem Ernst die Hymne mit der Anfangszeile „Noch ist Polen nicht verloren“ als Vermächtnis gesungen, nie die Hoffnung auf die Wiedergeburt und Selbstständigkeit des Landes aufzugeben und die russische, deutsche und österreichische Herrschaft zu überwinden.
28. März 2023
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