Nazideutschlands frühe Konzentrationslager
Ausstellung in der Berliner Topographie des Terrors zeigt, was vor 90 Jahren an Orten des Schreckens und des Todes geschah





Die Berliner Topographie des Terrors dokumentiert in der bis Ende März 2023 laufenden Sonderausstellung „Auftakt des Terrors - Frühe Konzentrationslager im Nationalsozialismus“, wie die Nazis am 1933 für jeden sichtbar ihren Terrorapparat ausgebaut haben. Die Ausstellung erinnert vor allem an wenig bekannte Konzentrationslager und wendet sich gegen Versuche, die Verbrechen dort zu verharmlosen und zu verschweigen.



Die Parole „Arbeit macht frei“ am Tor des ehemaligen KZ Sachsenhausen, am Vernichtungslager Auschwitz und anderen Mordstätten wollte den zur Zwangsarbeit gepressten und todgeweihten Häftlingen weismachen, sie könnten ihre Lage durch fleißige Arbeit, Disziplin und Gehorsam verbessern. Das Motto bildete den Titel einer 1873 veröffentlichten Erzählung des deutschnationalen Autors Lorenz Diefenbach.



Fritz Solmitz hat in seiner Uhr winzige Notizen über seine brutale Behandlung im KZ Fuhlsbüttel versteckt, das nach 1933 Teil der Hamburger Haftanstalt war.



Dargestellt ist auf dem Notenblatt mit dem Lied von den Moorsoldaten ein Häftling mit einem Spaten, unten steht „Als Lagerlied gesungen April 1933 bis ????“. In der DDR wurde vor allem der kommunistische Widerstand in den Vordergrund gestellt. Die Gedenkstätte KZ Sachsenhausen würdigt die Befreiung des Lagers bei Oranienburg durch die Rote Armee im April 1945 und nennt die Länder, aus denen die Gefangenen gekommen waren.





Das KZ Buchenwald mit dem von Fritz Cremer geschaffenen Denkmal ist eine viel besuchte Mahn- und Gedenkstätte, hier werden auch die Verbrennungsöfen gezeigt, in denen die Leichen unzähliger ermordeter Häftlinge verbrannt wurden. (Fotos/Repros: Caspar)

Schon vor der Errichtung ihrer Diktatur sagten die Nationalsozialisten den Juden, Kommunisten, Sozialdemokraten und anderen nicht in ihr völkisches Weltbild passenden „Reichsfeinden“ den Kampf an und verkündeten, mit ihnen kurzen Prozess zu machen. Die bis Ende März 2023 in der Berliner Topographie des Terrors laufende Sonderausstellung „Auftakt des Terrors - Frühe Konzentrationslager im Nationalsozialismus“ der Arbeitsgemeinschaft Gedenkstätten an Orten früher Konzentrationslager beginnt mit einem Aufruf der NSDAP vom 11. August 1932 (!) zur sofortigen Verhaftung und Aburteilung aller kommunistischen und sozialdemokratischen Parteifunktionäre. Verdächtige und intellektuelle Anstifter sollten in Konzentrationslagern untergebracht werden. Wer es damals wissen wollte, musste auf schlimme Dinge im kommenden „Dritten Reich“ gefasst sein, und so kam es dann auch. Viele Leute haben die Gefahr nicht ernst genommen, bis es zu spät war.

In mehreren Segmente aufgeteilt, berichtet die bis Ende März 2023 laufende Ausstellung über die frühen Konzentrationslager zunächst vom Aufstieg der NSDAP in der Spätphase der Weimarer Republik, wie sie den „legalen“ Weg zur Macht antrat und mit politischer Gewalt und terroristischen Methoden, oftmals aus unterschiedlichen Gründen gemeinsam mit den Kommunisten, deren politisches System systematisch und begleitet von demagogischen Parolen untergruben. Geschildert wird der Straßenterror vor und nach dem 30. Januar 1933 und wie SA und SS sehr schnell und rücksichtslos im gesamten Reichsgebiet Gebäude der Arbeiterorganisationen, Gewerkschaftshäuser, Parteizentralen sowie Zeitungsredaktionen und Druckereien der kommunistischen und sozialdemokratischen Presse besetzten haben. Gezielt wurde die Infrastruktur der Arbeiterbewegung angegriffen und zerstört, um deren Widerstand zu lähmen, wobei zahlreiche Menschen misshandelt und ermordet wurden.

Verdrängt und vergessen

Am Ende des Rundganges erfahren die Besucher, dass viele Überlebende der Konzentrationslager körperlich und seelisch gezeichnet waren und historische Aufklärung, ein würdiges Totengedenken und öffentliche Anerkennung forderten. Berichte von Überlebenden dokumentierten die Verbrechen der Nationalsozialisten, aber nur wenige Täter und Täterinnen wurden für ihre Verbrechen verurteilt. Viele Orte des Leidens und des Sterbens und insbesondere die frühen Konzentrationslager, die schon in den 1930er Jahren aufgelöst worden waren, gerieten in Vergessenheit. Im antikommunistischen Klima der frühen Bundesrepublik waren NS-Opfer oft Anfeindungen ausgesetzt, doch irgendwann wandelte sich auch unter dem Eindruck zahlreicher Prozesse, Darstellungen in Filmen und dem Fernsehen, Ausstellungen und nicht zuletzt unzähligen Auftritten von Opfern des Faschismus vor allem in Schulen die Sicht auf das, was zwischen 1933 und 1945 geschehen ist. Seit den 1980er Jahren erforschten zivilgesellschaftliche Initiativen in der Bundesrepublik verstärkt lokale NS-Verbrechen und setzen vielerorts die öffentliche Erinnerung an die Konzentrationslager oft gegen beträchtliche Widerstände vor Ort durch.

In der DDR wurde das Gedenken die Opfer des Faschismus und ihre Leiden in den Konzentrationslagern schon früh propagandistisch vereinnahmt und zur antifaschistischen Legitimation des zweiten deutschen Staats heran gezogen. Die SED und die von ihr „angeleitete“ Regierung sowie die Medien rückten den kommunistischen Widerstand in den Vordergrund des Gedenkens und vernachlässigten alle die anderen Gruppen, die unter dem Naziterror leiden mussten. Erst in ihrer Endphase erinnerte die um ihr internationales Renommee bemühte DDR auch an die millionenfache Ermordung von Juden, Sinti und Roma sowie von anderen Menschen, denen der Hitlerstaat die Lebensberechtigung abgesprochen hatte. Heute verstehen sich die Gedenkstätten als Lernorte der Demokratie, die vielerorts durch ehrenamtliches Engagement getragen werden. Es wird nicht verschwiegen, dass manche weniger bekannte Gedenkstätten nach wie vor politischen Anfeindungen und Verdächtigungen ausgesetzt sind, während die Verbrechen der Täter von Geschichtsrevisionisten und rechtsgerichteten und Neonazigruppen klein geredet und als Folgen von Befehlsnotstand verharmlost werden.

Breitenau, Kuhberg, Dachau

Eines der ersten Konzentrationslager wurde in Dachau bei München eingerichtet. Die „Münchner Neuesten Nachrichten“ berichteten am 21. März 1933, als sich in Potsdam Reichspräsident Paul von Hindenburg und Reichskanzler Adolf Hitler die Hand reichten und Preußenprinzen begeistert zuschauten: „Am Mittwoch wird in der Nähe von Dachau das erste Konzentrationslager eröffnet. Es hat ein Fassungsvermögen von 5000 Menschen. Hier werden die gesamten kommunistischen und - soweit notwendig – Reichsbanner- und marxistischen Funktionäre, die die Sicherheit des Staates gefährden, zusammengezogen. Da es auf die Dauer nicht möglich ist, wenn der Staatsapparat nicht so sehr belastet werden soll, die einzelnen kommunistischen Funktionäre in den Gerichtsgefängnissen zu lassen, während es andererseits auch nicht angängig ist, diese Funktionäre wieder in Freiheit zu lassen.“

Zur Unterbringung von „Reichsfeinden“, als die die nicht in rassistische und politische Konzept der Nazis passenden Menschen diffamierend wurden, hat man ehemalige Kasernen, Verteidigungsanlagen, Gefängnisse oder Arbeitshäuser abseits der Wohnumgebung umgewandelt. Ab März 1933 wurden einige Kasernen auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Heuberg (Baden-Württemberg) als Konzentrationslager genutzt. Es gilt als das wohl allererste Konzentrationslager, das in Dachau wurde ein wenig später eingerichtet. Das KZ Breitenau (Hessen) wurde im Juni 1933 in einem ehemaligen Kloster eingerichtet, während im Fort Kuhberg (Baden-Württemberg) Gefangene ab Herbst 1933 in unterirdischen Wachgängen eingepfercht wurden, um einige in der Ausstellung genannten Orte des Naziterrors zu erwähnen.

Einwandfreiem Menschenmaterial

Bereits am 21. März 1933 gab der Reichsführer SS Heinrich Himmler den Befehl, in Dachau, einer kleinen Stadt vor den Toren Münchens, ein Konzentrationslager einzurichten. Der im Juni 1933 zum Kommandanten ernannte Theodor Eicke entwickelte entsprechende Pläne, die später auch für die anderen Konzentrationslager galten. Die Wachmannschaften sollten langjährige Nationalsozialisten sein und sich aus „einwandfreiem Menschenmaterial“ bestehen, sie sollten frisch, energisch, durchaus militärisch und gerecht sein. SS-Männer wurden aus Erwerbslosen rekrutiert, mussten einen fünfwöchigen Einführungskurs „zur Erlernung der Gefangenenbewachung etc.“ absolvieren und bekamen eine monatliche Vergütung von 200 Mark plus freie Verpflegung und Logis. Ausbildungs- und Karrierewege von SS-Männern reichte nicht selten von den frühen KZ bis zu den späteren Vernichtungslagern.

Offiziell heißt es in einer Dienstvollzugsordnung für das KZ Heuberg vom 21. April 1933: „Die Gefangenen sind ernst, gerecht und menschlich zu behandeln. Ihr Ehrgefühl ist zu schonen und zu stärken. Die Erhaltung ihrer Gesundheit und Arbeitskraft ist im Auge zu behalten“. Doch das war reine Theorie „mit menschlichem Antlitz“ und hatte mit der grausamen und menschenverachtenden Behandlung der Häftlinge nichts zu tun. Die SS übernahm 1934 die meisten Konzentrationslager und vereinheitlichte die Ausbildung der Bewacher. Der Korpsgeist der Wachmannschaften wurde durch weltanschauliche Schulungen und gemeinsame Freizeitaktivitäten gefördert.

Bei Fluchtversuch wird geschossen

Was Häftlinge erdulden mussten, wird am Beispiel von kleinen Zetteln gezeigt, die Fritz Solmitz während seiner Haft im KZ Fuhlsbüttel 1933 schrieb und in seiner Uhr versteckte: „Strengste Einzelhaft, kein Licht. Ich wurde in den Keller getrieben. Kommando: ,Bück dich'. Ich blieb aufrecht stehen, erhielt sofort furchtbare Schläge mit Hundepeitsche und Ochsenziemer. Ich taumelte, fiel. Hoch, Aufstehen, bück dich. Dreimal wurde ich so niedergeschlagen. Nach dem 3. Mal hatte ich noch die Kraft zu schreien ,Ich bücke mich nicht'. Ich glaube aber, zu allerletzt in halb bewußlosem Zustand habe ichs doch getan.“

In der Lagerordnung des KZ Dachau vom 1. Oktober heißt es: „Versucht ein Gefangener zu entfliehen, dann ist ohne Anruf auf ihn zu schießen. Der Posten, der in Ausübung seiner Pflicht einen fliegenden Gefangenen erschossen hat, geht straffrei aus. Wird einen Posten täglich angegriffen, dann ist der Angriff nicht mit körperlicher Gewalt, sondern unter Anwendung der Schusswaffe zu brechen. Ein Posten der diese Vorschrift nicht beachtet hat seinen fristlose Entlassung zu gewärtigen.“ Aus dieser Lagerordnung wurde im Nürnberger Prozess 1947 als Beweisdokument zitiert.

Obwohl die Wachmannschaften alles unternahmen, um den Willen der Häftlinge zu brechen, gab es in den KZ Opposition und Widerstand. Die Ausstellung schildert, wie das Lied von den Moorsoldaten beim Überlebenskampf der Häftlinge half. Sie hatten es erstmals am 27. August 1933 im KZ Börgermoor im Emsland bei einer von der SS genehmigten Kulturveranstaltung des „Zirkus Konzentrazani“gesungen. Es thematisiert die schweren Haftbedingungen, aber auch die Sehnsüchte und Hoffnungen der Gefangenen und gab vielen Mut und Selbstvertrauen. Schon bald verbot die SS das Lied, doch Häftlinge, die in andere Lager überstellt oder freigelassen wurden, verbreiteten es schnell, und manch einer mag das Lied still für sich gesungen haben, während SS-Leute ihn prügelten bei der Zwangsarbeit die Kraft versagte.

17. März 2023

Zurück zur Themenübersicht "Geschichte, Zeitgeschichte, Ausstellungen"