Tauwetter war für DDR nicht vorgesehen
SED-Führung bereitete sich auf krisenhafte Zustände nach Stalins Tod vor 70 Jahren vor





Zu seinen Lebzeiten war der sowjetische Diktator Josef Stalin auch in der DDR allgegenwärtig, da wurden bei Demonstrationen unzählige Stalinbilder in die Luft gehalten. Nach seinem Tod am 5. März 1953 trauten sich Demonstranten beim Volksaufstand vom 17. Juni 1953, sein Bild in den Dreck zu ziehen. Die SED und die Staatsmacht ließen das nicht zu und schlugen gemeinsam mit der Roten Armee brutal zurück. Stalins Stiefel erinnern im Budapester Szoborpark an den den Diktator, dem ungarische Kommunisten zeitweilig verfallen waren. Siebzig Jahre nach seinem Tod ist die Büste des Diktators auf einem Berliner Trödelmarkt gelandet.



Über Stalins Tod hinaus war der SED-Chef und spätere DDR-Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht ein Stalinist durch und durch. Seine in Moskau als unpassend empfundene Besserwisserei gegenüber dem „großen Bruder“ und Honeckers Machtgelüste im engen Verbund mit dem 1964 an die Spitze der Sowjetunion gelangten Parteichef Leonid Breshnew führten 1971 zur Entmachtung des SED- und Staatschefs 1971.



Auf dem Gelände des ehemaligen Stasi-Gefängnisses Berlin Hohenschönhausen steht der so genannte Grotewohl-Express, in dem Gefangene quer durch die DDR gefahren wurde, was sich hinter den Mauern der streng von der Außenwelt abgeschirmten Haftanstalt und weiteren Dienststellen in der Umgebung abspielte, kam nach dem Ende der SED-Herrschaft ans Tageslicht.



Die in Westberlin veröffentlichte Satirezeitschrift Tarantel nahm die Gebrechen und Verbrechen des kommunistischen Systems in der DDR aufs Korn und wurde auf geheimen Wegen dorthin geschmuggelt. Wer damit erwischt wurde, bekam es mit der von der SED kontrollierten Justiz zu tun. Die Stasi versuchte vergeblich, die Redaktion zu unterwandern.



Die 1956 gegründete Nationale Volksarmee der DDR wurde anfangs aus Freiwilligen gebildet, um die massiv geworben wurde. Da sich aber nicht genug Männer meldeten, wurde 1962 die Wehrpflicht eingeführt. Der SED standen darüber hinaus die „Kampfgruppen der Arbeiterklasse“ als paramilitärische Truppe zur Verfügung. Am 13. August 1961 waren sie beim Mauerbau im Einsatz. Retten konnten im Herbst 1989 weder NVA noch die Kampfgruppen und die Einheiten des Ministeriums für Staatssicherheit den ins Schlingern geratenen zweiten deutschen Staat nicht.



Wer sich in der NVA und den anderen bewaffneten Organe hervor tat, konnte verschiedene Orden stolz auf der Brust tragen. Der vorsorglich für einen möglichen Krieg gegen den Westen insgeheim gestiftete Blücherorden mit dem Bildnis des preußischen Generalfeldmarschalls Gebhard Leberecht von Blücher wurde nicht verliehen, sondern tauchte nach dem Ende der DDR im Münz- und Militariahandel auf. (Fotos/Repros: Caspar)

Der Tod des sowjetischen Diktators Josef Stalin am 5. März 1953, vor nunmehr 70 Jahren, hatte tiefgreifende Folgen in der Sowjetunion und den von ihr beherrschten Ländern einschließlich der DDR. Unzählige Beileidsbekundungen und Selbstverpflichtungen für neue Höchstleistungen das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Auch in den unter sowjetischer Oberhoheit stehenden Satellitenstaaten überschlugen sich in Trauergesängen für den im Lenin-Mausoleum am Roten Platz in Moskau aufgebahrten Diktator. In den Schulen der DDR hieß es "Köpfchen senken, an Stalin denken", und wer über den verstorbenen Halbgott Witze riss, hatte nichts zu lachen. Jahrzehntelang hatte die kommunistische Propaganda das Bild vom menschenfreundlichen, allwissenden und wirkmächtigen „Väterchen Stalin“ gemalt, dem allein und ausschließlich der Sieg über Hitlerdeutschland zu verdanken war. Wer nicht persönlich von seinen Verbrechen betroffen war, sondern von seinem „System“ profitiert hatte, mag an die Legende geglaubt haben. Die vielen anderen aber, die unter seiner Herrschaft gelitten und die Angehörigen der vielen Stalin-Opfer hofften auf ein neues, besseres Leben, auf ein Leben im Zeichen des Tauwetters. Dieses war für die DDR nicht vorgesehen, dort herrschte die Staatspartei SED mit Walter Ulbricht an der Spitze, ein Stalinist durch und durch, der noch längst zu seinem Idol hielt, als man in Moskau seine mit der euphemistischen Bezeichnung „Personenkult“ umschriebenen Verbrechen angesprochen wurden.

Stalins Tod unterbrach in Moskau die Vorbereitungen für neue Schauprozesse im Stil der Gerichtsverfahren in den 1930-er Jahren. Gegen Ende seines Lebens mutmaßte der Kreml-Herrscher, dass sich Ärzte gegen ihn verschworen haben, und außerdem witterte er überall amerikanische Spione. Die Verfahren wurden eingestellt, später hat man im Zeichen der so genannten Entstalinisierung unzählige Menschen rehabilitiert, was den vielen erschossenen und in den Arbeitslagern und Zuchthäusern ums Leben gekommenen Stalin-Opfern nichts mehr nutzte. Unter ihnen waren auch deutsche Kommunisten, die vor den Nazis in die Sowjetunion geflüchtet waren.

Gerangel um die Macht im Kreml

Stalin, der Lenin unserer Tage und weise Führer aller Werktätigen, wie er sich gern nennen ließ, hatte absichtlich für eine regelte Nachfolge nicht gesorgt. Aus dem Gerangel um die Macht im Kreml kristallisierte sich schon bald Nikita Chruschtschow heraus, einer der engsten Genossen des Diktators und drei Jahre später auch sein erster vorsichtiger Kritiker. Der ehemalige KP-Chef der Ukraine war Mitglied des Politbüros der KPdSU und damit an der sowjetischen Innen- und Außenpolitik und den Verbrechen der Stalinzeit beteiligt. Er bootete den langjährigen Geheimdienstchef Lawrentij Berija aus, der sich bei den Verfolgungen unter Stalin die Hände besonders blutig gemacht hatte und, als er den Machtkampf verloren hatte, Ende 1953 kurzerhand erschossen wurde.

Josef Stalin starb in der Zeit des Kalten Kriegs, in einer Zeit höchst gefährlicher Konfrontation zwischen Ost und West. Doch nicht die Rücksicht auf die instabile Weltlage mag die neuen Kreml-Herren davon abgehalten haben, ehrlichen Herzens mit ihrem bisherigen Idol ins Gericht zu gehen. Sie wussten, dass jedes erklärende Wort auf sie selber zurückfallen würde. Doch ließ sich die Wahrheit nicht auf Dauer unter der Decke halten. In internen Parteizirkeln nahm man schon bald nach Stalins Tod zur Kenntnis, dass Lenin, der Gründer des Sowjetstaates, vor dem intoleranten, aufbrausenden, machtgierigen Aufsteiger gewarnt hatte und ihn für seine Nachfolge ungeeignet hielt. Erst unter Michail Gorbatschow, der 1985 Parteichef wurde, wagte man im Zuge von „Glasnost und Perestroika“, auch öffentlich auf diese Warnungen hinzuweisen und die Millionen Toten zusammenzurechnen, die auf Stalins Konto gingen. Das wiederum brachte SED-Chef Erich Honecker derart in Rage, dass er das sowjetische Magazin „Sputnik“, das auch in deutscher Sprache über Stalin und seine Verbrechen berichtete, verbot.

Vorsichtige Kritik an sowjetischem Idol

In einer Geheimrede umschrieb der neue Parteiführer Nikita Chruschtschow am 25. Februar 1956 auf dem XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion Stalins Verbrechen vorsichtig mit Begriffen wie Personenkult, Dogmatismus und Vergehen gegen die sozialistische Gesetzlichkeit. Dass die geheim gehaltene Demontage des großen Idols nur auf Umwegen ins westliche Ausland gelangte und dort zum Entsetzen der Sowjetführer publiziert wurde, spricht Bände. Chruschtschow sagte, es sei unzulässig und dem Geist von Marx, Engels und Lenin völlig fremd, eine einzelne Person herauszuheben und sie in eine Art Übermensch mit übernatürlichen, gottähnlichen Eigenschaften zu verwandeln. „Eine solche Vorstellung über einen Menschen, konkret gesagt über Stalin, war bei uns viele Jahre lang verbreitet“, erklärte der Redner, der selber an dem Mythos gearbeitet und sich an Stalins Verbrechen beteiligt hatte. Chruschtschow wurde nun seinerseits zum Halbgott erhoben, und seine gelehrigsten Schüler waren die SED-Politbürokraten mit Walter Ulbricht an der Spitze.



Ungeniert verband der neue Parteichef seine Ausführungen mit einer Verbeugung vor dem toten Sowjetführer, über dessen Verdienste „noch zu seinen Lebzeiten eine völlig ausreichende Anzahl von Büchern, Broschüren, Studien verfasst (wurde). Allgemein bekannt ist die Rolle Stalins bei der Vorbereitung und der Durchführung der sozialistischen Revolution, während des Bürgerkrieges sowie im Kampf um die Errichtung des Sozialismus in unserem Lande. Darüber wissen alle gut Bescheid“, sagte Redner, den offenbar Zweifel an dieser mit hohen Menschenopfern verbundenen Politik nicht plagten. Die grausame Wahrheit über die Schauprozesse und Massenhinrichtungen, die mit einer Hungerkatastrophe verbundene Bolschewisierung der Landwirtschaft und Industrie, die Liquidierung der geistigen Elite des Landes, die rücksichtslose Umsiedlung von ganzen Völkerschaften, die militärischen Fehler des allmächtigen Generalissimus vor allem zu Beginn des Zweiten Weltkrieg sowie die Annexion und Unterdrückung jener Länder, die unter seine Fuchtel gerieten - das konnte und durfte nicht angesprochen werden. Die Frage, „wie sich allmählich der Kult um die Person Stalins herausgebildet hat, der in einer bestimmten Phase zur Quelle einer ganzen Reihe äußerst ernster und schwerwiegender Entstellungen der Parteiprinzipien, der innerparteilichen Demokratie und der revolutionären Gesetzlichkeit wurde“, beantwortete Stalins früherer Handlanger vorsichtshalber nicht. Er hätte bei sich selber anfangen und seine Rolle in der Parteiführung beschreiben müssen.

Abgott der SED- und Staatsführung

Stalin, Stalin über alles - so kann man den Kult um den sowjetischen Diktator beschreiben, der in den frühen fünfziger Jahren in der DDR seltsame Blüten trieb. Der Generalissimus, von dem man nur geglättete, jugendlich und kraftstrotzend wirkende Bilder kannte, war nicht nur Abgott der SED- und Staatsführung, er war auch bevorzugtes Objekt der gelenkten Propaganda sowie von Lobhudeleien der Dichter Johannes R. Becher, Stefan Hermlin und Kuba. Sie produzierten peinliche Hymnen auf den siegreichen Feldherrn über Hitlerdeutschland und Erbauer des Kommunismus auf einem Sechstel der Erde, wie man damals sagte. Wenn man heute diese Gedichte liest und die Lieder hört, muss man sehr an sich halten um nicht zu lachen. Dabei waren diese Werke ernst, ja todernst gemeint, und wer sich über sie lustig machte, bekam es mit der Sowjetmacht und ihren ostdeutschen Ablegern zu tun. Aber was einmal gedruckt ist, kann nicht mehr getilgt werden, es kursiert und bleibt präsent. Und so mögen sich einige eifrig um Stalins literarische Vergötterung bemühte Schreiber schon bald ihrer Worte geschämt haben, nachdem ihr großes Vorbild nicht mehr en vogue war.

Die aus gutem Grund allgemein gehaltenen Enthüllungen auf dem XX. Parteitag der KPdSU läuteten eine vorsichtige Demontage Stalins auch in der DDR und anderen sozialistischen Staaten ein. Der ehemalige Halbgott war nun kein "Klassiker" mehr. Lange daher gebetete Sprüche waren Makulatur, doch der Geist des toten Diktators blieb in vielen Köpfen fest sitzen. Die Parteiführung hüllte sich lange in Schweigen, sprach von Entgleisungen und von Personenkult rund um den bis dato hymnisch verehrten Genossen Stalin. Erst 1961 wurde Stalinstadt in Eisenhüttenstadt umbenannt, während die Berliner Stalinallee den Namen Karl-Marx-Allee erhielt und das dort vor einer Sporthalle aufgestellte Stalindenkmal abgebaut wurde. Angeblich sollen aus der Bronze Figuren für den Tierpark in Berlin-Friedrichsfelde gegossen worden sein. Am 17. Juni 1953 wurden in der DDR beziehungsweise drei Jahre später in Ungarn und Polen und dann 1968 auch in der damaligen UdSSR Volksbewegungen für mehr Demokratie und Überwindung stalinistischer Verkrustungen niedergeschlagen. Trotz verbaler Bekundungen für mehr Demokratie und Mitbestimmung wurde, um bei der DDR zu bleiben, stalinistisches Denken nicht überwunden, weder bei Ulbricht noch bei seinem Nachfolger Honecker.

Hetze gegen den Genossen Ulbricht

Während es in Polen brodelte und in Ungarn ein antikommunistischer Aufstand von der Roten Armee niedergeschlagen wurde, fand im März 1956 in Ostberlin die III. Parteikonferenz der SED statt. Deren Ziel war es, beruhigend auf die DDR-Bevölkerung zu wirken und die weiteren Maßnahmen beim Aufbau des Sozialismus festzulegen. In einem internen Dokument heißt es, unter allen Bevölkerungsschichten sei zu verzeichnen, dass gegenwärtig noch wenig über die bisherigen Ausführungen der III. Parteikonferenz diskutiert wird. Die Stellungnahmen dazu seien ausschließlich positiv und würden sich hauptsächlich mit der Einführung des 7-Stunden-Tages und der 40-Stunden-Woche, der Erhöhung der Renten sowie der friedlichen Anwendung der Atomenergie in der DDR befassen. „Ein Teil der Diskussionen enthält immer noch verschiedene Erwartungen an die III. Parteikonferenz. Im Vordergrund dabei stehen besonders solche Erwartungen, wie weitere Ausführungen über den Genossen Stalin, die Durchführung einer Preissenkung, die Verbesserung des Verwaltungs- und Handelsapparates sowie Maßnahmen zur schnelleren Entwicklung in der Landwirtschaft, besonders in den LPG. Die Feindtätigkeit erstreckt sich bisher in der Hauptsache auf eine verstärkte Flugblattverbreitung mittels Ballon sowie vereinzelt auf das Anschmieren von Hetzlosungen. Die Feindpropaganda beschäftigt sich noch im stärkeren Maße mit der Hetze gegen den Genossen Walter Ulbricht sowie damit, Zweifel über die Vorschläge der III. Parteikonferenz unter die Mitglieder der SED und die Bevölkerung zu tragen.“

Eine schlüssige Antwort auf die Frage des Umgangs mit Stalins Erbe gab es nicht, die Parteiführung verbat sich kritische Nachfragen und behauptete, „Verletzungen der sozialistischen Gesetzlichkeit“ habe es im Arbeiter-und-Bauern-Staat nicht gegeben und werde es nicht geben. Der Staatssicherheitsdienst war aufs höchste alarmiert. Seine Spitzelberichte sind voll von beunruhigenden Meldungen. Eines der Zentren des Widerstandes war die Universität Greifswald, wo Studenten und Dozenten Konsequenzen aus den in der DDR nicht unbekannten Nachrichten über Stalins Verbrechen forderten. Die Stasi meldete „feindlich-negative Aktivitäten“ nach Berlin, und so wurden von dort Greifkommandos ausgeschickt. Nur durch Flucht in den Westen konnten sich Protestierer der Verhaftung entziehen. Wem dies nicht gelang, wurde eingesperrt oder konnte sich, wenn er Glück hatte, in der Produktion „bewähren“.

Die Zwangskollektivierung ging schleppend voran, die Versorgung war wieder einmal in die Krise geraten, die Industrieproduktion, die aufgrund von Knebelverträgen zum großen Teil in die Sowjetunion geschafft wurde, kam ins Stocken. Doch statt die Lage klar zu analysieren und eigene Fehler unumwunden einzugestehen, versuchte die Parteiführung, sich durch Lügen aus dem Schlamassel zu ziehen. Als Ministerpräsident Otto Grotewohl von aufgebrachten Studenten der Humboldt-Universität nach Chruschtschows Geheimrede gefragt wurde, behauptete er, es habe keine Geheimrede gegeben, sondern nur eine geschlossene Sitzung. Die Genossen seien ausreichend informiert. Wer Bescheid wissen möchte, sei „herzlich eingeladen“, der SED beizutreten und mitzudiskutieren. Ohne es auszusprechen, machte der - nach Pieck und Ulbricht - offiziell dritte Mann im Staat einen Unterschied zwischen Parteimitgliedern, denen man etwas anvertrauen kann, und dem übrigen Volk, das weiter in Unmündigkeit gehalten wird.

In Polen und Ungarn tut sich etwas

Im Herbst 1956 kam es, von Magdeburg ausgehend, überall in der DDR zu Arbeitsniederlegungen. Bei den meisten Streiks spielte die miserable Bezahlung und Versorgung eine Rolle. Doch wurden, wie schon beim 17. Juni 1953, auch politische Forderungen erhoben. Ein Spitzelbericht formuliert das mit Blick auf die „polnischen Ereignisse“ folgendermaßen: „Die meisten negativen Diskussionen beinhalten, dass die Polen richtig handeln, denn der Lebensstandard in Polen sei sehr niedrig. Vereinzelt gibt es sogar Stimmen, dass es richtig ist, wenn Polen sich nicht mehr von der Sowjet-Union kommandieren lässt. Verschiedentlich gibt es Tendenzen, ähnliches in der DDR zu verlangen“. In Polen und Ungarn tue sich etwas, bei uns fehle nur noch der Anstoß. Ein kleiner Funke werde genügen, „um bei uns einen Aufstand anzufangen“.

Dazu ist es nicht gekommen. Die Partei- und Staatsführung lebte allerdings die ganzen Jahre in einem permanenten Kriegszustand mit dem eigenen Volk. Nach Ablösung von Stasichef Ernst Wollweber durch seinen Stellvertreter Erich Mielke und der Ausschaltung vermeintlicher Parteischädlinge, gekoppelt mit Geheimprozessen, glaubte SED-Chef Walter Ulbricht, wieder fest im Sattel zu sitzen. Ablenkung auf Staatsfeinde, Saboteure, Diversanten, Wühler im Untergrund schienen ihm und dem neuen, starken Mann in der Berliner Geheimdienstzentrale das beste Mittel zu sein, den Dampf zu kanalisieren, der sich in dem zugedeckelten Kessel angesammelt hatte.

Vorbereitungen auf Einsatz im Inneren

Intern wurden geheime Pläne ausgearbeitet, im Krisenfall eigene Sicherheitskräfte einschließlich der eben erst gegründeten Nationalen Volksarmee und der Kampfgruppen der SED gegen den Wider-stand im Inneren aufmarschieren zu lassen und Oppositionelle in Lagern zu internieren. Ausbildungs- und Übungspläne für die bewaffneten Kräfte in der DDR sollten „gemäß den Erfordernissen für den inneren Einsatz“ ergänzt werden. In dieser Zeit mögen auch erste Überlegungen zur Abriegelung der DDR gegenüber West-Berlin und die Bundesrepublik Deutschland geboren worden sein, die am 13. August 1961 zur Errichtung der Mauer führten. Statt eine Politik f ü r das Volk zu machen, wie es in allen Partei- und Staatsdokumenten hieß, richteten die mit utopischen Verheißungen für eine bessere Zukunft garnierten Beschlüsse und Pläne g e g e n dieses.

Diese Politik hatte eine das Land bedrohliche Fluchtbewegung zur Folge, die erst durch den Mauerbau gestoppt, aber nie aufgehalten wurde. Trotz milder Gaben fürs Volk und der Veranstaltung von Volksfesten und Paraden und einer massiven Propaganda, der man sich kaum entziehen konnte, sammelte sich mit den Jahren im „Kessel DDR“ viel Dampf und Sprengkraft. Das Maß war im Herbst 1989 voll, der Unmut großer Teile der Bevölkerung brach sich mit Massendemonstrationen Bahn, die die Staatsmacht durch Einsatz ihrer Sicherheitsorgane vergeblich niederzuknüppeln versuchte.

Mit Stechschritt und feldgrauer Uniform

Die am 1. März 1956 als ostdeutsche Antwort auf die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und ihre Aufnahme in die NATO gegründete Nationale Volksarmee der DDR. Vorausgegangen waren die Gründung des Warschauer Paktes am 14. Mai 1955 und nach einer Verfassungsänderung die Annahme des „Gesetzes über die Schaffung der Nationalen Volksarmee und des Ministeriums für Nationale Verteidigung“. Allerdings reichten die Vorbereitungen für diesen Schritt länger zurück, denn seit den frühen 1950-er Jahren gab es die Kasernierte Volkspolizei, die von nun an zur NVA gehörte. Das neugegründete Verteidigungsministerium wurde von Willi Stoph geleitet. Die Armee des Volkes, wie man sie auch nannte, war zunächst eine Freiwilligenarmee, doch da die angestrebte Stärke von 120 000Mann damit nicht erreicht wurde, hat man in der DDR am 24. Januar 1962 die allgemeine Wehrpflicht eingeführt, wobei der Grundwehrdienst 18 Monate dauerte. Am Ende der DDR betrug die Gesamtstärke der mit sowjetischen Waffen ausgerüsteten NVA 173 000 Mann, hinzu kamen etwa 323 000 Reservisten. Mit 120 000 Mann stellten die Landstreitkräfte das größte Kontingent, gefolgt von den Luftstreitkräften mit 37 000 Mann und der Volksmarine mit 16 000 Mann. Neben der NVA gab es verschiedene andere paramilitärische Einheiten, vor allem die etwa 47 000 Mann starken Grenztruppen der DDR, das zum Ministerium für Staatssicherheit gehörende Wachregiment „Feliks Dzierzynski” mit 7000 Mann, die Transportpolizei mit 8500 Mann, die Alarmeinheiten der Volkspolizei mit 12 000 Mann sowie die von der SED befehligten Betriebskampfgruppen mit etwa 200 000 Mann. Fast alle NVA-Offiziere waren Mitglieder der SED, spezielle Politoffiziere waren für die politisch-ideologische Beeinflussung und Ausrichtung der Soldaten zuständig.

Die Nationale Volksarmee berief sich, um ihre Existenz zu legitimieren, auf die, wie es hieß, besten Traditionen der Befreiungskriege von 1813 bis 1815 und stellte das auch in ihren Traditionskabinetten in den Vordergrund. Bei Vereidigungen, Kranzniederlegungen, Paraden und Wachablösungen war der preußische Stechschritt obligatorisch, die Uniformen bestanden aus feldgrauem Stoff. Verliehen wurde unter anderem der nach einem Reformer der preußischen Armee benannte Scharnhorstorden, nicht zur Ausgabe wurde der Blücherorden, der nach dem preußischen Generalfeldmarschall der Befreiungskriege hieß. Ein Tag vor der Wiedervereinigung wurde die NVA am 2. Oktober 1990 aufgelöst. Die Bundeswehr übernahm laut Einigungsvertrag einen Teil der Soldaten. Außen vor blieben Generäle, Admiräle und Politoffiziere. Übernommen wurden auch die Kasernen und anderen militärischen Anlagen sowie Waffen. Sofern diese nicht verschrottet wurden, hat man sie ans Ausland verkauft.

18. Januar 2023

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