Stalin ließ seine Genossen ermorden
Nach dem Tod des Diktators kamen seine Verbrechen ans Tageslicht / Chruschtschows Geheimrede von 1956 blieb nicht geheim



Nikita Chruschtschow gewann 1953 nach Stalins Tod den Machtkampf im Kreml und ließ seinen Kontrahenten Berija nach einem Geheimprozess umbringen.



Der sowjetische Parteichef brauchte drei Jahre, bis er im Februar 1956 seine spektakuläre Abrechnung mit seinem Chef und Vorgänger vornahm. Der heutige Diktator Wladimir Putin fühlt sich als Stalins Bruder im Geiste und Nachfolger. Die Massenmedien schildern Stalin in den buntesten Farben. Aus der Zeit nach 1956 und der Ära Gorbatschow ans Tageslicht gelangte Informationen über Stalins Verbrechen schmoren in den Giftschränken.



Nachdem SED-Chef und 1961 Mauerbauer Walter Ulbricht sein Idol Josef Stalin als „Lenin von heute“ über den Klee gelobt und jede Kritik an ihm brutal geahndet hatte, schwenkte er nach dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 um und dekretierte, er sei kein Klassiker des Marxismus-Leninismus mehr. In seinem Inneren aber blieben Ulbricht, sein Nachfolger Erich Honecker ab 1971 und ihre Gefolgsleute in ihren Worten und üble Taten Stalinisten.



Dass sich Stalin 1939 mit Hitler eingelassen und mit ihm zusammen Polen und baltische Staaten überfallen hatte und die Aufteilung des Landes in einem Geheimabkommen mit dem Deutschen Reich festgelegt hatte, war dem Parteichef 1956 nicht der Rede wert. Stalin unternahm laut Nikita Chruschtschow alles, dass Lenins Stern nicht den seinen überstrahlt, hier die beiden Sowjetführer bei einer Demonstration auf dem Berliner Lustgarten nach Beseitigung der Schlossruine.



Stalin sah sich als „Lenin von heute“ an, fälschte seine Heldenbiographie und ließ überall seine Denkmäler aufstellen. Seine Befehle mussten unverzüglich umgesetzt werden. Wer ins Visier des Diktators geriet, musste um Leben und Freiheit bangen. Chruschtschow Bericht an den XX. Parteitag ist voll von solchen mit Personenkult umschriebenen Beispielen.



„Wenn Stalin sagte, der oder jener sei festzunehmen, so musste man glauben, dass dies ein ,Volksfeind' war“, sagte Nikita Chruschtschow 1956, und fügte hinzu, die Berija-Bande, die die Macht in den Staatssicherheitsorganen hatte, habe nichts unversucht gelassen, um die Schuld der verhafteten Personen und die Schlüssigkeit der von ihr fabrizierten Materialien zu beweisen.“ Der Stalinkult in der DDR ließ solche Anschuldigungen nicht zu.



Stalin schrieb es seiner angeblich genialen Kriegführung zu, dass er, und nur er allein, Hitlerdeutschland in die Knie zwang. Selbstbewusst zeigte er sich in weißer Uniform im Sommer 1945 auf der Potsdamer Konferenz, auf der die osteuropäische Landkarte neu gezeichnet wurde, der Kalte Krieg begann und die Welt in zwei Militärblöcke zerfiel.



Alexander Solschenizyn hat die Zustände in den „Archipel Gulag“ genannten Straflagern eindrücklich angeprangert. Dieses Buch war in der DDR verboten, Erich Honecker persönlich strich das sowjetische Magazin von der Zeitungsvertriebsliste, weil es ihm die Enthüllungen über Stalins Terror und sein Versagen zu Beginn des Großen Vaterländischen Krieges unangenehm und dem eigenen Regime abträglich waren.

In einer Geheimrede am Ende des XX. Parteitags der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) sprach Parteichef Nikita Chruschtschow am 25. Februar 1956 über den „Personenkult und die Folgen“. Die zum Schweigen verpflichteten Zuhörer waren schockiert über das, was ihnen verkündet wurde. Manche waren von den Verbrechen betroffen oder dürften etwas gewusst oder geahnt haben. Was ihnen aber in dieser kompakten Form als „Personenkult“ geschildert wurde, war schrecklich und kaum zu glauben. Der Redner war intimer Kenner dessen, das er in seiner Geheimrede dem Diktator Josef Stalin vorwarf, denn er war als Parteichef der Ukrainischen Sowjetrepublik einer seiner engen Gefolgsleute und Mitwisser der Verbrechen. Eine Broschüre aus dem ehemaligen zur SED gehörenden Dietz Verlag Berlin von 1990 kommentiert den schillernden Begriff „Personenkult“ nicht, der auch in der DDR gebraucht wurde, um den Terror des sowjetischen Idols zu umschreiben und damit auch verschleiern.

In einem am 3. Juli 1956 im SED-Zentralorgan NEUES DEUTSCHLAND (ND) veröffentlichten und in der erwähnten Broschüre abgedruckten „Beschluss des Zentralkomitees der KPdSU über die Überwindung des Personenkults und seiner Folgen“ findet man vergeblich Chruschtschows massive Anklagen gegen Stalin und seine Spießgesellen, sondern nur allgemein gehaltene Formulierungen über Missachtung der sozialistischen Moral und Gesetzlichkeit, Machtmissbrauch sowie Fehler in der Arbeit der Partei und wie der Klassengegner diese im Kampf für eigene Ziele auszunutzen versucht. Der Wortlaut der Rede wurde in der DDR nur einem kleinen Kreis ausgewählter Genossen zur Kenntnis gegeben und löste dort blankes Entsetzen aus. Parteichef Walter Ulbricht gebot „Keine Fehlerdiskussion“ und verkündete im ND: „Als sich Stalin über die Partei stellte und den Personenkult pflegte, erwuchsen der KPdSU und dem Sowjetstaat daraus bedeutende Schäden. Zu den Klassikern des Marxismus kann man Stalin nicht rechnen." Die Millionen Opfer des Stalinschen Terrors war Ulbricht kein Wort wert, ebenso wenig die Bedingungen, die gegen Lenins Rat den Aufstieg Stalin an die Spitze der Partei und Sowjetunion möglich gemacht hatten, auf die Chruschtschow auch nicht eingegangen war. Von einem zum an deren Tag war der Diktator kein „Klassiker“ mehr, seine Bilder wurden abgehängt, Zitate aus seinen Büchern gerieten in Vergessenheit.

Ulbricht versuchte es mit Spott

Altstalinist Ulbricht versuchte es mit Spott, was aus seinem Mund besonders komisch klang. Vor der Berliner Parteiorganisation machte er sich über „junge Genossen“ lustig, die „die im Parteilehrjahr bestimmte Dogmen auswendig gelernt haben und nun erleben, dass einige Dogmen nicht mehr ins Leben passen. Aber jetzt sagen manche nicht etwa, der Dogmatismus ist nicht richtig, sondern da stimmt etwas im Leben nicht“. Mit „Heiterkeit“ quittierten die Zuhörer die Ausfälle ihres Chefs und vergaßen, wie oft sie Stalins Worte nachgebetet hatten. Chruschtschows Abrechnung mit Stalin fand Zustimmung bei Künstlern und Intellektuellen der DDR. So wandte sich Germanist Hans Mayer gegen Stalins Forderung, wonach die Schriftsteller „Ingenieure der Seele“ sein sollen, junge Dichter forderten Freiheit für die Kunst, der Philosoph Ernst Bloch setzte sich für die Überwindung des Stalinismus ein, und Walter Janka und Wolfgang Harich forderten: "Wir wollen weg vom Stalinismus".

In der kurzen Phase des Tauwetters nach dem XX. Parteitag schien in der Sowjetunion und den ihr untergeordneten „Bruderländern“ für kurze Zeit vieles schien möglich zu sein.Nach der blutigen Niederschlagung des Ungarn-Aufstands im November 1956 waren vorsichtige Reformversuche vom Tisch. Mit ausdrücklicher Billigung von Chruschtschow ging Ulbricht gegen Revisionisten und andere Abweichler von der Parteilinie vor. Im Zeichen von Glasnost und Perestroika während der Ära von Michail Gorbatschow Ende der 1980 Jahre wurden weitere Einzelheiten über Stalins Verbrechen und die seiner Kumpane offen gelegt. Das ging dem SED- und DDR-Staatschef Erich Honecker so sehr auf die Nerven, dass er 1988 die deutsche Ausgabe des sowjetischen Magazins SPUTNIK verbot, um dort veröffentlichte Enthüllungen seinen Untertanen vorzuenthalten.

Zwang und administrative Gewalt

Nikita Chruschtschow wählte starke Worte bei der Verurteilung Stalins auf dem XX. Parteitag der KPdSU, sagte aber nicht die ganze Wahrheit, was die Verquickung von „führenden Genossen“ in Stalins Machenschaften und Verbrechen betraf. Zwar nannte er einige besonders blutbesudelte Spießgesellen des Diktators wie Berija, Jagoda und Jeshow, die schon lange tot waren, beim Namen. Er unterließ es aber, sich und die anderen Genossen auf dem Podium des Parteitags anzuklagen, was die Glaubwürdigkeit seines Berichts einschränkt.

Chruschtschows Geheimrede blieb nicht lange geheim, sondern wurde bald im Westen publik. „Stalin waren die Leninschen Eigenschaften völlig fremd, die geduldige Arbeit mit den Menschen, ihre beharrliche und mühselige Erziehung, die Fähigkeit, Menschen zu gewinnen nicht auf dem Wege des Zwangs, sondern auf dem Wege ihrer ideologischen Beeinflussung durch das gesamte Kollektiv“, sagte er. Stalin habe die Leninsche Methode der Überzeugung und Erziehung zurück gewiesen und ging vom ideologischen Kampf zur administrativer Gewalt , massenhafter Repressalien und Terror über. „Er machte in zunehmendem Maße und immer hartnäckiger die Straforgane zu seinem Werkzeug, wobei er oft alle bestehenden Normen der Moral und die sowjetischen Gesetze mit Füßen trat. Die Willkür einer einzelnen Person regte auch andere zur Willkür an und ermöglichte sie. Massenverhaftungen und Deportationen vieler tausend Menschen, Vollstreckungen ohne Gerichtsurteil und ohne normale Untersuchung riefen einen Zustand der Unsicherheit und der Furcht, sogar der Verzweiflung hervor.“ Das habe nicht dem Zusammenschluss der Reihen der Partei und aller Schichten des werktätigen Volkes gedient, sondern habe im Gegenteil die Liquidierung, den Parteiausschluss ehrlicher Mitarbeiter, die aber Stalin unbequem waren, nach sich gezogen. Die im Raum stehende Frage, wie es kommen konnte, dass niemand im engen Zirkel um Stalin etwas gegen dessen Willkür und Terror unternommen hat, beantwortete Chruschtschow sehr vorsichtig. Die Funktionäre seien in Stalins Entscheidungen nicht einbezogen worden, hätten kein Rederecht bekommen und Dokumente nur im Umlaufverfahren zu Gesicht bekommen, wenn überhaupt.

Weggefährten zu Volksfeinden erklärt

Zu dem von Stalin eingeführten Begriff „Volksfeind“ sagte Chruschtschow, dieser habe umgehend von der Notwendigkeit befreit, die ideologischen Fehler eines oder mehrerer Menschen, gegen die man polemisiert hatte, nachzuweisen. Er habe die Anwendung schrecklichster Repressionen wider alle Normen der revolutionären Gesetzlichkeit gegen jeden, der gegnerischer Absichten verdächtigt wurde „durch physische Mittel der Beeinflussung des Angeklagten“ erlaubt. Das habe zu einer krassen Vergewaltigung der revolutionären Gesetzlichkeit geführt und dazu, „dass viele total Unschuldige, die in der Vergangenheit die Parteilinie verteidigt hatten, zu Opfern wurden.“ Stalin sei ein sehr misstrauischer Mensch mit krankhaftem Argwohn gewesen. Wenn er sagte, der oder jener sei festzunehmen, so musste man glauben, dass dies ein „Volksfeind“ war. Die Berija-Bande, die die Macht in den Staatssicherheitsorganen hatte, habe nichts unversucht gelassen, um die Schuld der verhafteten Personen und die Schlüssigkeit der von ihr fabrizierten Materialien zu beweisen. Als Beweise wurden Geständnisse anerkannt, die die Untersuchungsrichter gewaltsam herbei führten. „Aber wie kann man einen Menschen dazu bringen, sich zu einem Verbrechen zu bekennen, das er nie begangen hat? Nur auf eine Art – durch Anwendung von physischen Methoden der Beeinflussung, durch Folter“, sagte Chruschtschow, und manch einer im Saal, der Stalins Klauen entkommen war, wird das aus eigener Erfahrung bestätigt haben. Stalins krankhafte Argwohn habe auch prominente Parteifunktionäre betroffen, die er seit vielen Jahren kannte. Auf Schritt und Tritt habe er Feinde, Doppelzüngler und Spione vermutet und solche umbringen lassen.

Bild vom „Genossen Gott“ zerstört

Aber wie kann man einen Menschen dazu bringen, sich zu einem Verbrechen zu bekennen, das er nie begangen hat, fragte Chruschtschow. Nur auf eine Art, nur durch Anwendung von physischen Methoden der Beeinflussung, durch Folter, Beraubung des Bewusstseins, des Verstandes, der menschlichen Würde. Auf diese Weise seien „Geständnisse“ erreicht worden. Ungeniert verband der neue Parteichef seine Ausführungen mit Avancen an den toten Sowjetführer, über dessen Verdienste „noch zu seinen Lebzeiten eine völlig ausreichende Anzahl von Büchern, Broschüren, Studien verfasst wurde, die er selber in seinem Sinne redigierte. Das Lügenbild vom menschenfreundlichen, allwissenden „Väterchen Stalin“, der sich und nur sich allein den Sieg über Hitlerdeutschland zuschrieb, stimmte vorn und hinten nicht. Wer nicht persönlich von seinen Untaten betroffen war, mag an den „Genossen Gott“ und seine wunderbaren Taten geglaubt haben. Die vielen anderen aber, die unter seiner Herrschaft gelitten hatten, hofften nach seinem Tod auf ein neues, besseres Leben.

Stalins einsames und qualvolles Sterben Anfang März 1953 in seiner Residenz außerhalb von Moskau unterbrach die Vorbereitungen für neue Schauprozesse. Gegen Ende seines Lebens mutmaßte der Kreml-Herrscher, dass sich Ärzte gegen ihn verschworen haben. Die Verfahren wurden eingestellt, später hat man die Mediziner und andere Stalin-Opfer im Zeichen der so genannten Entstalinisierung rehabilitiert. Das hat aber den Millionen erschossenen beziehungsweise in den Arbeitslagern des „Archipel Gulag“ und Zuchthäusern ums Leben gekommenen Menschen nichts mehr genutzt. Unter ihnen waren auch deutsche Kommunisten, die vor den Nazis in die Sowjetunion geflüchtet waren und dort vom Regen in die Traufe kamen.

Glasnost und Perestroika

Stalin, der Lenin unserer Tage und weise Führer aller Werktätigen, wie er sich gern nennen ließ, hatte seine Nachfolge nicht geregelt, um die sich nun mehrere Personen aus seiner Umgebung bemühten. Aus dem Gerangel um die Macht kristallisierte sich schon bald Nikita Chruschtschow heraus, einer der engsten Mitarbeiter des Diktators und drei Jahre später auch sein erster Kritiker. Stalin starb in der Zeit des Kalten Kriegs, einer höchst gefährlichen Konfrontation zwischen Ost und West. Doch nicht die Rücksicht auf die instabile Weltlage mag die neuen Kreml-Herren davon abgehalten haben, ehrlichen Herzens mit ihrem bisherigen Idol ins Gericht zu gehen. Sie wussten, dass jedes klärende Wort auf sie selber zurückfallen würde. Doch ließ sich die Wahrheit nicht auf Dauer unter der Decke halten. In internen Parteizirkeln nahm man schon bald nach Stalins Tod zur Kenntnis, dass Lenin, der Gründer des Sowjetstaates, vor dem intoleranten, aufbrausenden, machtgierigen Politiker gewarnt hatte. Er sei daher für seine Nachfolger in der Parteiführung ungeeignet. Erst unter Michail Gorbatschow, der 1985 Parteichef wurde, wagte man im Zuge von Glasnost und Perestroika, auch öffentlich auf diese selbstverständlich von Stalin unterdrückten Warnungen hinzuweisen und die Millionen Toten zusammenzurechnen, die auf dessen Schuldkonto gingen.

Die Rede wurde in Moskau nicht sofort veröffentlicht, sondern gelangte nur auf Umwegen ins westliche Ausland und dort zum Entsetzen der Sowjetführer publiziert. Der neuen Führungsriege war nicht daran gelegen, eine ehrliche und offene Abrechnung mit den Verbrechen des toten Diktators vorzunehmen. Sie wusste, dass die Wahrheit tödlich sein würde. Die Enthüllungen auf dem XX. Parteitag läuteten die vorsichtig Demontage Stalins auch in der DDR und anderen sozialistischen Bruderländern ein. Die führenden Genossen in Ost-Berlin befanden sich nach den Enthüllungen von 1956 über die Verbrechen ihres sowjetischen Idols in einer Zwickmühle. Jahrelang hatte man der Bevölkerung eingehämmert, Stalin sei der größte Staatsmann und Feldherr der Gegenwart, der beste Freund des deutschen Volkes und ein Mann ohne Fehl und Tadel, dem allein zu verdanken sei, dass der Hitlerstaat vernichtend geschlagen wurde. Lange nachgebetete Parolen und Lobeshymnen waren jetzt Makulatur, doch der Geist des toten Diktators blieb in vielen Köpfen fest sitzen. Klammheimlich wurde 1961 das Stalindenkmal in der Berliner Stalinallee, die heutige Karl-Marx-Allee, abgebaut, und Stalinstadt hieß nun Eisenhüttenstadt. Einzelheiten über Stalins Verbrechen, die natürlich auch einen Schatten auf die Politik von SED-Chef Ulbricht & Co. warfen, ließen sich auch im Osten Deutschlands auf Dauer nicht verheimlichen. Dafür sorgten schon die westlichen Medien. Am 17. Juni 1953 wurden in der DDR beziehungsweise drei Jahre später in Ungarn und Polen und dann 1968 auch in der damaligen CSSR Volksbewegungen für mehr Demokratie und Überwindung stalinistischer Verkrustungen niedergeschlagen. Trotz verbaler Bekundungen für mehr Mitbestimmung wurde, um bei der DDR zu bleiben, stalinistisches Denken nicht überwunden, weder bei Ulbricht noch bei seinem Nachfolger Honecker.

Bloß keine Fehlerdiskussion

Nach der Rede von Chruschtschow auf dem XX. Parteitag der KPdSU ließen sich Einzelheiten über den Personenkult, genauer gesagt die Verbrechen des Diktators, auf Dauer nicht verheimlichen. Bei der unumgänglichen Selbstkritik wurde alles getan, um nicht das eigene System der so genannten Kommandowirtschaft infrage zu stellen. Eine Fehlerdiskussion war nicht erwünscht. Der euphemistische Begriff Personenkult wurde nur im Zusammenhang mit der Entlarvung von Stalins Charakterschwächen benutzt, auf sich selber bezogen ihn Ulbricht, Honecker und Genossen selbstverständlich nicht. Das SED-Politbüro stellte in Abrede, dass es in der DDR-Staatspartei solche „Auswüchse“ gab und ging zur Tagesordnung über. So schritt die Aufarbeitung der Verbrechen von Stalin nur so weit voran, als man Stalin mangelnde Bescheidenheit und die Unfähigkeit vorwarf, im Kollektiv zu arbeiten, was aber nicht die ganze Wahrheit. Allgemeiner Konsens war in der DDR, dass der Generalissimus mit der ihm eigenen Genialität Hitlerdeutschland niedergeworfen hat, dass Amerikaner, Briten und Franzosen und andere Völker ebenso großen Anteil hatten, fiel in der Geschichtspropaganda weitgehend unter den Tisch. In den Medien wurde der 1956 Chruschtschow so oft zitierte Machtmissbrauch ein Unwort, das man tunlichst nur hinter vorgehaltener Hand und schon gar nicht mit Blick auf amtierende Politiker gebrauchte. Hätte man sich des Problems des Missbrauchs von Ämtern durch die Nomenklatura und der Beherrschung der Gesellschaft durch die Staatspartei und ihren Geheimdienst öffentlich und ehrlich gestellt, dann hätte man sich selber und das System abschaffen müssen.

Ungeachtet seiner vielen Verbrechen erfreute sich Stalin lange großer Beliebtheit in linken Kreisen rund um den Globus. Als man mit ihm keinen Staat mehr machen konnte, schworen sie auf den chinesischen Parteiführer Mao Tse-tung und übersahen geflissentlich seine millionenfachen Morde an Menschen, die nach bekanntem sowjetischem Vorbild zu Kollaborateuren des verhassten kapitalistischen Klassenfeinds abgestempelt wurden.

Siehe zum Thema Machtmissbrauch in der DDR Eintag auf dieser Internetseite vom 25. Januar 2024

28. März 2024