Mann von gestern
Österreichs Staatskanzler Fürst von Metternich überzog Europa mit einem Netz von Polizisten und Spitzeln



Haupt und Motor der Reaktion nach den Befreiungskriegen von 1813 bis 1815 war der österreichische Staatskanzler Clemens Wenzel Fürst von Metternich. Während der Revolution von 1848/49 war der Politiker Ziel zahlreicher Spottbilder. Eines zeigt ihn unter dem Motto „Jede Constitution erfordert Bewegung“, wie er, mit langer Nase als Lügner und Betrüger gekennzeichnet sowie mit einem Geldbeutel Geld in der Hand, fluchtartig das revolutionäre Wien verlässt.



Wien 1815 beim Kongress der Fürsten, die über die Nachkriegsordnung, die Landverteilung und ihr Weiterkommen berieten, und 1848, als die Kaiserstadt und halb Europa im Aufruhr waren und die Fürsten um ihr Leben fürchteten.





„Kraft im Recht“ beschwören die dem Staatskanzler Clemens Wenzel Fürst von Metternich gewidmete Medaillen.



Das „System Metternich“ duldete nicht einmal die Turnerbewegung. Sie geriet in den Blick der Geheimpolizei, die vermutete, dass sich dort junge Revolutionäre körperlich stählen und zum Aufstand formieren könnten.







Vorder- und Rückseite der Medaillen von 1913 mit dem Leipziger Völkerschlachtdenkmal und einander bekämpfenden Adlern holen den Fürsten Metternich aus der Versenkung.



Eine Gedenkmünze von 2003 zu 20 Euro aus der Serie „Österreich im Wandel der Zeit“ zeigt den Politiker und eine Eisenbahn und suggeriert so, dass es sich bei ihm um einen Mann des Fortschritts handelt, wo er doch ganz klar ein Reaktionär war. Eine andere Deutung wäre, dass Metternich den Zug der Zeit nicht aufhalten konnte.





Die Fürsten tun alles, um den „französischen Giftpilz“ zu bekämpfen und seine Ausbreitung zu verhindern. Die geistigen und publizistischen Kämpfe des Vormärz nimmt diese Karikatur satirisch aufs Korn. Ein Esel trägt dem Mann unter dem Tisch zu, was sich draußen in der Welt ereignet, links erkennt man „politische Projektemacher“, und rechts legen sich Mystiker und politische Wahrsager die Karten. Der Postillion in der Mitte verteilt die neuesten Zeitungen. (Fotos/Repros: Caspar)

Im Ergebnis der Befreiungskriege von 1813 bis 1815 standen Russland, Österreich und Preußen mächtiger denn je dar und spielten im Konzert der europäischen Völker eine herausragende Rolle. Am 26. September 1815 kamen die Herrscher dieser Länder in Paris überein, gegen Freiheitsbestrebungen und das Verlangen nach verfassungsmäßigen Zuständen in ihren Ländern und im übrigen Europa politisch, geheimdienstlich und auch mit Waffengewalt vorzugehen. Der als Heilige Allianz bekannte Verbund hatte das Ziel, die feudalen Verhältnisse zu zementieren und Bestrebungen einen Riegel vorzuschieben, die Völker an der Gestaltung ihrer eigenen Verhältnisse zu beteiligen. Das Bündnis entwickelte sich unter Berufung auf Gottes Willen zu einem auf Polizeigewalt und Spitzelei beruhenden Unterdrückungswerkzeug. Über die Länder im Deutschen Bund und weiten Teilen Europas breitete sich nach 1815 Friedhofsruhe, doch brodelte es im Untergrund, und es brachen in Polen, Italien, den Niederlanden und in anderen Ländern immer wieder Aufstände aus, die die Fürsten und ihren Anhang das Fürchten lehrten.

Auf dem Wiener Kongress (1814/15) setzte der hochgebildete, an Kunst, Kultur und Literatur interessierte Metternich durch, dass an Frankreich, dessen Kaiser Napoleon I. auf die britische Insel Sankt Helena verbannt worden war, keine Rache geübt wird und die Herrschaft der Bourbonen wiederhergestellt, man sagte auch restauriert wird. Unter Metternichs Einfluss wurde europaweit die Pressefreiheit aufgehoben, und die Zensur unterdrückte jedes freie Wort. Die Zuchthäuser füllten sich mit politischen Gefangenen. Wer aufbegehrte, musste damit rechnen, dem „System Metternich“ zum Opfer zu fallen. Niemand konnte sich seiner Freiheit und Unabhängigkeit sicher sein. Das alles machte den Staatskanzler, der sich eines riesigen Heers von Zuträgern und willigen Helfern bediente, in Kreisen der Opposition zum am meisten gehassten Politiker in Europa.

Konterbande im Kopf

Metternichs Schnüffler machten sich über Briefe auf der Suche nach „geistiger Konterbande“ her. Heinrich Heine beschrieb den Vorgang im Caput II seines langen Gedichts „Deutschland, ein Wintermärchen“ so: „Während die Kleine von Himmelslust / Getrillert und musizieret, / Ward von den preußischen Douaniers / Mein Koffer visitieret. / Beschnüffelten alles, kramten herum / In Hemden, Hosen, Schnupftüchern; / Sie suchten nach Spitzen, nach Bijouterien, / Auch nach verbotenen Büchern. / Ihr Toren, die ihr im Koffer sucht! / Hier werdet ihr nichts entdecken! / Die Konterbande, die mit mir reist, / Die hab ich im Kopfe stecken.“

In der Revolution von 1848, die im habsburgischen Vielvölkerstaat und insbesondere in Wien zu heftigen Kämpfen zwischen kaisertreuen Truppen und Arbeitern und Bürgersleuten führte, floh Metternich nach England. Drei Jahre später nach Wien heimgekehrt, hatte er jeden Einfluss verloren und starb 1859 auf seinen Gütern. Während der Revolution gab es revolutionären Unruhen in den von den Habsburgern stehenden Ländern. Die schnelle Aufhebung der Pressezensur und andere Zugeständnisse halfen nicht, die sich über Jahre angestaute Spannung abzubauen. Der erst 18 Jahre alte Erzherzog Franz Joseph löste als Kaiser den kranken und regierungsunfähigen Ferdinand I. ab, den man Ferdinand den Gütigen oder spöttisch Gütinand den Fertigen. Mit Waffengewalt wurden die Erhebungen in Ungarn, Böhmen und Italien unterdrückt, deren Ziel es war, sich von Wien zu lösen und eigene nationale Weg einzuschlagen. Die damals geprägten Medaillen feiern den Sieg der Konterrevolution und ihre militärischen Führer.

Freigeister, Umstürzler, Königsmörder

Vor und während der Befreiungskriege von 1813 bis 1815 versprachen deutsche Fürsten, der Kaiser von Österreich, der russische Zar und andere Potentaten ihren Untertanen eine lichte Zukunft. Sie stellten verfassungsmäßige Zustände in Aussicht, das Volk sollte im Rahmen der Gesetze an der Macht beteiligt werden, und auch der Adel sollte einige Privilegien abgeben. Allerdings wurden diese Zusagen nach dem Sieg über Napoleon I. nicht eingelöst, und wer an die Versprechungen erinnerte, wurde als Volksverführer, Freigeist, Umstürzler und Königsmörder verfolgt.

Auf dem Wiener Kongress (1814/15) schlug die große Stunde des Außenministers. Er zog hier die Strippen, an ihm kam niemand vorbei. Sein Plan, Österreich zur führenden Macht in Europa zu machen, ging nicht in Erfüllung, dazu war der Vielvölkerstaat in sich zu zerstritten sowie mental, politisch und wirtschaftlich nicht stark genug wie England, Frankreich und Russland. Wie es beim Wiener Kongress und dem Schacher um Titel und Ländereien zuging, sind wir durch zuverlässige Berichte und kritische Anmerkungen gut unterrichtet. Erzherzog Johann, ein Bruder von Kaiser Franz I. und 1848 von der Frankfurter Nationalversammlung zum Reichsverweser gewählt, beobachtete einen „jämmerlichen Handel um Länder und Menschen! Napoleon haben wir und seinem System geflucht, und mit Recht; er hat die Menschheit herabgewürdigt, und eben jene Fürsten, die dagegen kämpften, treten in seine Fußstapfen“. Andere Zeitzeugen bemängelten den Kontrast zwischen den öffentlichen Auftritten der Delegierten, ihren Bällen und Affären auf der einen Seite und den Geheimbesprechungen in Hinterzimmern, in denen über das Wohl und Wehe von Völkern und Ländern bestimmt wurde, ohne sie zu fragen, und die Grenzen neu gezeichnet wurden.

Kraft im Recht, Recht ohne Kraft

Nach dem offiziell am 9. Juli 1815 mit der Unterzeichnung der Schlussakte beendeten Wiener Kongress etablierte sich im Deutschen Bund, einer aus 37 souveränen Fürstentümern und vier Freien Städten bestehenden lockeren Vereinigung unter österreichischer Präsidentschaft, das „System Metternich“. Kaiser Franz I. von Österreich hatte am Regieren wenig Interesse und überließ das Metternich. Er starb 1835 nach 43-jähriger Herrschaft. Sein Nachfolger war der mit geringen Geistesgaben und einem Wasserkopf gestrafte Ferdinand I. Da er zum Regieren ungeeignet wer, übte ein Regentschaftsrat mit Metternich an der Spitze die Macht aus. Der Staatskanzler überzog nicht nur die Habsburgermonarchie mit einem Netz von Geheimpolizisten, sondern übte in weiteren Ländern mit Hilfe der dort herrschenden Fürsten Druck auf alles aus, was irgendwie nach Opposition und Freiheitswillen roch. Er baute das „System Metternich“ zu einem Unterdrückungsapparat aus, wie man ihn bis dahin noch nicht gekannt hatte.

Auf den Medaillen, die man dem Fürsten von Metternich zu Ehren prägte, ist von den dunklen Seiten in seiner Biografie nichts zu erkennen. Sie beschwören, verbunden mit allegorischen Figuren, „Kraft im Recht“, als wenn damals das Recht zu seinem Recht gekommen wäre, und bilden die hohen Orden ab, die ihm verliehen wurden, allen voran das Goldene Vlies, die höchste Auszeichnung der Habsburgermonarchie. Dass man ihm 1913, einhundert Jahre nach der Völkerschlacht von Leipzig, weitere Medaillen mit seinem Bildnis sowie dem Völkerschlachtdenkmal beziehungsweise miteinander kämpfenden Adlern widmete, ist verwunderlich. Denn inzwischen dürfte man auch im letzten Winkel des Deutschen Reichs gewusst haben, welch unheilvolle Rolle der Staatskanzler in der Zeit vor der Revolution von 1848/49 gespielt und mit welch brutalen Mitteln er die Opposition unterdrücken ließ.

Schwankendes Bild in der Geschichte

Des Staatskanzlers Bild schwankt in der Geschichte „von der Parteien Gunst und Hass verwirrt“, um ein Wort von Friedrich Schiller über den Feldherrn Albrecht von Wallenstein zu zitieren. Die einen sahen ihn als großen Europäer, der konservative Werte gegen den demokratischen Zeitgeist verteidigte. Andere erblickten in ihm einen engstirnigen Reaktionär, der nicht erkannte, dass das Ancien régime, also die elende Fürsten- und Adelsherrschaft abgewirtschaftet hat und Europa frischen Wind braucht. In der Märzrevolution von 1848 verlor Fürst Metternich seine Ämter und machte sich aus dem Staub. Nach Aufenthalten in England und Belgien kehrte er 1851 nach Wien zurück, ohne noch einmal politischen Einfluss zu gewinnen, und starb 1859 auf seinen Gütern.

Obwohl im Geist der Aufklärung aufgewachsen und erzogen, blieben Metternich die Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit fremd. Mit Abscheu beobachtete er die Revolution von 1789 in Frankreich, die die Besitzungen seiner an Rhein und Mosel lebenden Familie und damit auch die eigene Existenzgrundlage bedrohte. Die Karriere des mit einer Enkelin des österreichischen Staatskanzlers Wenzel Anton Fürst von Kaunitz verheirateten Politikers begann als österreichischer Botschafter in Dresden, Berlin und Paris. Da Österreich zwischen Frankreich und Russland stand, praktizierte Metternich eine aus Lavieren, Schmeicheln und Tricksen bestehende Schaukelpolitik, die sogar dazu führte, dass der so sehr verhasste und als „Aufsteiger aus dem Nichts“ verachtete Napoleon I. 1810 Erzherzogin Josefine, die Tochter des österreichischen Kaisers Franz I., heiraten konnte und damit in die Riege der europäischen Fürstenfamilie aufgenommen wurde. Die Freude daran dauerte nicht lange, denn mehrere blutige Kriege später war der Kaiser der Franzosen entmachtet und auf die englische Insel Sankt Helena abgeschoben, wo er 1821 mit erst 52 Jahren starb. Jetzt konnten die Fürsten, die ihm bis dahin, bildlich gesehen, die Füße geküsst hatten, daran gehen, das Rad der Geschichte zurück zu drehen und die Errungenschaften des Napoleonischen Zeitalters zunichte machen.

Heilige Allianz und Karlsbader Beschlüsse

Höchstes Ziel war für den Fürsten Metternich die Wiederherstellung der feudalen Zustände, wie sie vor der französischen Revolution von 1789 bestanden. Aus diesem Grunde förderte der Staatskanzler die Wiederherstellung der Bourbonenherrschaft in Frankreich und die Inthronisierung von König Ludwig XVIII., einem Bruder des 1793 in Paris hingerichteten Ludwig XVI. Die beim Wiener Kongress von Metternich arrangierte Heilige Allianz zwischen Österreich, Russland und Preußen und die berüchtigten Karlsbader Beschlüsse von 1819 wurden auf Polizei- und Justizterror sowie ein ausgeprägtes Spitzsystem beruhende Werkzeuge zur Festigung der bestehenden Verhältnisse und Unterdrückung demokratischer Bestrebungen ausgebaut. Das machte Metternich zu dem wohl am meisten gehassten Mann in Europa. Unter seinem Einfluss wurde die Pressefreiheit aufgehoben, die Zensur unterdrückte jedes freie gedruckte Wort, und die Zuchthäuser und Festungen füllten sich mit politischen Gefangenen.

Über den Deutschen Bund und weitere Staaten breitete sich Friedhofsruhe aus, doch gab es gleichzeitig Höhepunkte der Kultur und Kunst. Die Bedingungen waren günstig für den Eintritt der Länder in das Industriezeitalter, das allerdings die einen reich und reicher werden ließ und der großen Masse der Menschen durch Ausbeutung und Verelendung geprägte Lebensverhältnisse bescherte, gegen die es immer wieder zu lokalen Aufständen kam. Im Revolutionsjahr 1848 war der Druck im Kessel so gewaltig, dass die Menschen, dass die Menschen, ausgehend von Frankreich, in Berlin, Wien, Dresden und an anderen Orten auf die Barrikaden stiegen und die Fürsten das Fürchten lehrten. Dass am Ende die Guillotine n i c h t mit „Fürstenfett“ geschmiert wurde, wie es in einem Lied von Friedrich Hecker heißt, ja dass sich das marode Feudalsystem noch mehrere Jahrzehnte halten konnte, gehört zur Tragik dieser unvollendeten Revolution vor 175 Jahren.

16. April 2023