Scherzbold der Extraklasse
Kaiser Wilhelm II. machte sich über andere lustig, aber seiner Umgebung war dabei wenig zum Lachen zumute



Wilhelm II. posierte beim Fest im Berliner Schloss im Kostüm aus der Zeit Friedrichs II., des Großen, dem er sich nahe fühlte, ohne an ihn heran zu reichen. Auf der Postkarte wird er als oberste Feldherr verherrlicht, von Reichskanzler Otto von Bismarck beschützt, der einmal sagte „Wir Deutsche fürchten Gott sonst nichts auf der Welt.“



Das Wilhelm II. ein Enkel von Queen Victoria war, hielt die englische Presse nicht davon ab, ihm Großmannssucht und imperiales Gehabe vorzuwerfen. Die Karikaturen verhöhnen ihn als einen Mann, der eifrig an seinem Bild für die Geschichtsbücher malt, uns als selbstverliebten Kaiser von China, dem die Welt zu Füßen liegt.



Dem Diplomaten und nebenberuflichen Schriftsteller und Komponisten Philipp zu Eulenburg-Hertefeld tat die Nähe zu Wilhelm II. nicht gut. Der Journalist Maximilian Harden (rechts) verwickelte ihn zu Unrecht um 1906 in eine Homosexuellen-Affäre, auch um den Kaiser zu treffen, der nicht vors Gericht gezerrt werden. Germania wäscht auf der Karikatur während der Eulenburg-Affäre schmutzige Wäsche.



Unzählige Medaillen feiern Wilhelm II. als einem, dem das Wohl seines Landes über allem steht. Die dunklen Seiten im Charakter des Mannes mit dem Zwirbelbart und finsteren Blick und sein Versagen als Schlachtenlenker im Ersten Weltkrieg wurden von anderen vorsichtig und verklausuliert analysiert. Nach seiner Abdankung in der Novemberrevolution 1918 konnte man Wilhelm II. ohne Furcht einen „Kaiser ohne Kleider“ nennen.



Bei einem Verhör in der Causa Eulenburg wurde der Herr Graf gefragt, wie sich der deutsche Adel überhaupt fortpflanzt. Die Karikatur ist eine von vielen, die mehr oder weniger anstößige Vorkommnisse in allerhöchsten Kreisen satirisch auf Korn nahmen. Friedrich der Große warnt Wilhelm den Alleskönner vor dem Spiel mit dem Feuer. Er trampelt auf Maximilian Hardens Zeitschrift „Die Zukunft“. Welche unzuverlässigen und kraftlosen Verbündeten der deutsche Kaiser hat, zeigte sich im Ersten Weltkrieg.



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„Wilhelm der Eroberer“ hat alle Affären, auch die von 1891 rund um Ehrenfried von Kotze, ausgesessen, an seinem Ansehen aber haben sie gekratzt. Gerüchte um Sexorgien im verschwiegenen Schloss schadeten dem Image des Kaisers oberster Saubermann des Deutschen Reichs. (Fotos/Repros: Caspar)

Unter den Kurfürsten von Brandenburg, den preußischen Königen und deutschen Kaisern gab es die tollsten Typen. Es gab hier ernsthaft um das Wohl des Landes bemühte Herrscher und dort skrupellose Schürzenjäger, die Galerie verzeichnet unbekümmerte Verschwender und in ihre Soldaten verliebte Monarchen, ab er auch verhinderte Baumeister und finstere Despoten. Wir wissen von einem, der sein eigener Hofnarr war, was man aber in seiner Gegenwart nicht sagen durfte. Die Rede ist von Kaiser Wilhelm II., genannt der Letzte. Über ihn und seine Beziehungen zwischen Schein und Sein, seine zweifellosen Talente und sein Versagen als Staatsmann und erster Diener seines Landes, um Friedrich den Großen zu zitieren, ist viel geschrieben und gesagt worden. Dass er ein gefährlicher Scherzbold der Extraklasse war und mit seinen Untergebenen üble Späße veranstaltete, ist wenig bekannt. Sehr auf sein Ansehen und Renommee bedacht, wusste sich Wilhelm II. als allwissender, innovativer, entschlussfreudiger und volksnaher Landesvater zu inszenieren, der alles weiß und alles kann.

Die kaisertreue Presse und ein Heer von Hofschranzen, aber auch Maler und Medailleure halfen ihm dabei und wurde mit Orden und Titeln, Posten und lukrativen Aufträgen belohnt. Der Kaiser betrieb Eigenpropaganda wie kaum ein Hohenzoller vor ihm und setzte dafür auch den Film als neue Medium, das ihn bei Paraden, Empfängen, Denkmalweihen und Gesprächen mit Arbeitern und Soldaten zeigt. Da seine Reden oft politischen Zündstoff enthielten, hatten seine „Leute“ viel zu tun, sie zu entschärfen und der Weltöffentlichkeit schmackhaft zu machen.



Seltsame Lustbarkeiten in höchsten Kreisen

Opfer der seltsamen Lustbarkeiten des Kaisers waren ehrbare Minister, hohe Offiziere, geschmeidige Höflinge sowie andere von ihm abhängige Personen. Es wird erzählt, dass er ihnen schon mal in die Beine kniff, um ihre Reaktion zu prüfen, oder sie bei seinen Nordlandreisen mit dem Schiff „Hohenzollern“ vor sich tanzen ließ. Dabei soll ein hoher, mit einem Baströckchen bekleideter General tot umgefallen sein, was aber dem kindischen Spaß kaum Abbruch tat. So machte der Kaiser hoch dekorierte Männer vor erlauchtem Kreis lächerlich, doch das tat er nicht in aller Öffentlichkeit, sondern bei den berüchtigten Herrenrunden, denen kaum jemand ausweichen konnte, wollte er nicht allerhöchste Ungnade riskieren. Manchmal fiel Wilhelm II. aus der Rolle, wenn er in Gegenwart von Wachsoldaten und anderen weit unter ihm stehenden Personen wie ein gewöhnlicher Wachtmeister fluchte. Nebenbei gesagt ist der respektlose Umgang mit Untergebenen auch vom sowjetischen Diktator Josef Stalin bekannt, der bei seinen Saufgelagen in seiner Datscha in Kunzewo unweit von Moskau hohe Staats- und Parteifunktionäre vor sich kriechen ließ und ihnen bedeutete, wie klein sie sind und nie wissen, ob sie den Ort ihrer Erniedrigung lebendig verlassen werden.

Verstöße gegen die vom Gesetz und der Kirche geforderten, aber niemals wirklich durchgesetzten Moralvorschriften im Deutschen Reich haben die Polizei und Justiz, wenn sie denn bekannt wurden, verfolgt, aber unterschiedlich geahndet je nachdem, auf welcher Sprosse der gesellschaftlichen Stufenleiter die betreffende Person stand. Wenn es die Staatsräson erforderte, hat Justitia auch mal ein Auge zugedrückt, oder es wurden Prozesse, bei denen zu befürchten war, dass dort auch schmutzige Wäsche gewaschen wird, erst gar nicht veranstaltet. Da und dort entzogen ins Zwielicht geratene Personen auch durch Selbstmord ihren Richtern. Wer vor Gericht gestellt wurde, war gesellschaftlich geächtet, selbst wenn sich die Anschuldigungen als unbegründet erwiesen. Niemand wollte, bildlich gesprochen, von solch einer Person noch ein Stück Brot annehmen, und bisherige Freunde suchten das Weite.

Fürst Eulenburg unter Verdacht

So erging es 1906 dem Diplomaten und Schöngeist Graf und ab 1900 Fürst Philipp zu Eulenburg-Hertefeld, einem engen, vielleicht dem einzigen Freund Wilhelms II. Intern Troubadour oder Barde genannt, wurde er wurde von dem streitbaren Publizisten Maximilian Harden der damals durch den Strafgesetzparagraphen 175 verbotenen Homosexualität beschuldigt. Das Thema wurde in der Kaiserzeit und danach heiß diskutiert und beschäftigte sowohl Witzbolde und Karikaturisten als auch Politiker und Mediziner jeder Couleur. Linke Aktivisten und Sozialdemokraten, die von dem Arzt Magnus Hirschfeld und anderen Wissenschaftlern mit Argumenten gestützt wurden, forderten seine Abschaffung. An ihn und die Bewegung gegen den Paragrafen 175 und die Leiden und Todesopfer der schwulen Community erinnert ein Denkmal an der Spree in Berlin unweit des Bundeskanzleramts.

Kaum hatte der von Freunden hinter vorgehaltener Hand „Liebchen“ genannte Kaiser von dem Verdacht gegen seinen Herzensfreund erfahren, ließ er ihn, ohne Untersuchungen der Polizei und ein Gerichtsverfahren abzuwarten, fallen wie eine heiße Kartoffel. Der Fall war für die oppositionelle Presse und andere Regimegegner ein gefundenes Fressen, konnten sie den Kaiser wegen seiner anrüchigen Männerfreundschaften angehen, ohne ihn direkt nennen zu müssen, denn das hätte den Straftatbestand der Majestätsbeleidigung erfüllt. Aber auch so waren Leute vom „Simplicissimus“ und anderen Satireblättern ständig in Prozesse verwickelt, weil sich irgendein Landesfürst, Politiker oder Militär beleidigt fühlte.

Bei Schmeicheleien leuchtende Augen

In seinem Buch „Fahrten durch die Mark Brandenburg“ (dtv Taschenbuch München 1993) befasst sich Christian Graf von Krockow unter anderem mit der so genannten Liebenberger Tafelrunde, benannt nach dem Schloss derer zu Eulenburg, und zitiert aus Briefen, in denen es um die Empfänglichkeit des Kaisers für Schmeicheleien und Lobeshymnen geht. Ein Kenner der Szene ließ Eulenburg wissen, dass der Kaiser leuchtende Augen bekommt, wenn ihn jemand über den grünen Klee lobt und seine Entscheidungen für weise und vorausschauend bezeichnet. Schmeicheleien außerordentlich zugetan, fühlte sich Wilhelm II., der durch eine Behinderung an seinem linken Arm beeinträchtigt war, und kompensierte diese mit besonders lautem Säbelrasseln und schrillem Propagandageschrei. Er hielt seine „donnernden Reden“, wie man sagte, wenn er hier Denkmäler etwa an der als Puppenallee verspotteten Siegesallee in Berlin enthüllte oder seinen Truppen befahl, im fernen China Massaker an den Einwohnern zu verüben. Christian von Krockow schreibt, Philipp zu Eulenburg habe den Kaiser geliebt, er habe ihn zu leiten und zu schützen versucht, ihn aber auch vor Illusionen gewarnt und sich bemüht, ihn vor unklugen Entschlüssen abzuhalten. Ihm ist das nicht gelungen, der Kaiser ließ sich nicht leiten und schaufelte damit, bildlich gesprochen, sein eigenes Grab, in das er erst 1941, fast vergessen und kaum betrauert., im niederländischen Doorn gesenkt wurde.

Um 1892 machten in Berlin Gerüchte über Orgien und ausgefallene Sexpraktiken in allerhöchsten Kreisen die Runde. Ein kleiner Kreis hochadliger Männer und Frauen sollen sich nach Aussage von etwa 200 in Umlauf gesetzten Schmähbriefen im abgelegenen Jagdschloss Grunewald zu ausschweifenden Festivitäten getroffen haben. Gastgeberin war Victoria Elisabeth Augusta Charlotte von Preußen, eine mit dem späteren Herzog Bernhard III. von Sachsen-Meiningen vermählte Schwester des Kaisers. Feine Damen und Herren sollen sich an dem verschwiegenen Ort bei Berlin nach Herzenslust ausgelebt und keine Tabus gekannt haben.

Sexorgien im Schloss Grunewald

Obwohl es damals noch nicht den Begriff Swingerclub gab, dürften die bis in letzte Details geschilderten Vergnügungen zwischen Männern und Frauen beziehungsweise Männern und Männern sowie Frauen und Frauen mit dem durchaus zu vergleichen sein, was sich heute in einschlägigen Etablissements tut. In den alles andere als schmeichelhaften Briefen über die Orgien im Schloss Grunewald fanden sich drastische Schilderungen und Bilder, die heutigen Pornomagazinen und -filmen durchaus „Ehre“ machen würden. Hochrangige Damen werden dort als wenig wählerisch und mannstoll beschrieben, ebenso alles, was zwischen schwulen Männern üblich ist. Zum Beweis wurden den Briefen passende Bilder beigelegt.

In den Briefen wurden die Sexorgien so genau beschrieben, dass nur ein Augenzeuge als Verfasser infrage kam. Gemeinerweise nannte der Anonymus Namen hochgestellter Personen, die sich zum Handeln genötigt sahen. Um den Gerüchten die Spitze zu nehmen, übergaben einige Betroffene die Briefe der Polizei. Die geschilderten Details ließen auf einen ganz und gar nicht prüden Verfasser oder eine Verfasserin aus der höfischen Gesellschaft schließen. Die mit Untersuchungen beauftragte Kripo glaubte, in dem Hofzeremonienmeister Leberecht von Kotze, einem Protegé Wilhelms II., den Urheber der pornografischen Briefe und Darstellungen zu sehen. Der zur Kotze-Affäre hochstilisierte Skandal beschäftigte vier Jahre nach der Thronbesteigung des Kaisers die Öffentlichkeit und seinen Hof. Als die Polizei bei dem als eitel und geschwätzig geschilderten Rittmeister von Kotze Löschblätter mit Spuren seiner auf die Briefe deutenden Handschrift fand, stand für den um sein Renommee als oberster Tugendwächter besorgten Kaiser sofort und ungeprüft fest: Kotze ist der Verräter. Der seines Postens entbundene Beamte wurde verhaftet. Doch konnte ein vom Kaiser eingesetztes Militärgericht bei Verhören aller in Frage kommender Personen Kotzes Schuld nicht nachweisen, weshalb man ihn laufen ließ.

Wieder in Freiheit und um seine Ehre kämpfend, forderte Kotze zwei Denunzianten zum Duell heraus, wobei einer, der Kammerherr und Zeremonienmeister Karl von Schrader, starb. Da Duelle verboten waren, wurde Kotze von einem Militärgericht wegen Tötung im Zweikampf zu zwei Jahren und drei Monaten Haft in der schlesischen Festung Glatz verurteilt, kam aber nach wenigen Monaten aufgrund eines kaiserlichen Gnadenakt frei. Die Ehre des Gutsbesitzers war dahin, seine Ehe ging in die Brüche. Der ehemalige Zeremonienmeister starb 1920, zwei Jahre nach dem Ende der Monarchie, ohne je wieder ein Bein im kaiserlichen Berlin auf den Boden bekommen zu haben.

Dokumente im Geheimen Staatsarchiv

Wer die Briefe verfasst hat und aus welchen Gründen, ist bis nicht ganz ungeklärt. Angenommen werden Standesdünkel und Animositäten unter Adligen, aber auch Eifersüchteleien, Missgunst und Neid sowie das Begehren, Konkurrenten am kaiserlichen Hof unmöglich zu machen. Bereits 1896 veröffentlichte Fritz Friedmann, Kotzes ehemaliger Verteidiger, peinliche, zuvor schon in der deutschen Presse diskutierte Enthüllungen über den Skandal sowie über das bizarre Klima am Berliner Hof und die Art und Weise, wie Wilhelm II. regiert. Bezeichnenderweise wurde das Buch nicht im Deutschen Reich, sondern in der Schweiz veröffentlicht. 1997 konnte der Berliner Historiker Tobias C. Bringmann erstmals die Originaldokumente im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz einsehen. In seinem Buch „Reichstag und Zweikampf- Die Duellfrage als innenpolitischer Konflikt des deutschen Kaiserreichs 1871-1918“ (HochschulVerlag, Freiburg im Breisgau 1997) hat er besonders drastische Passagen aus Gründen des Anstands nicht zitiert. Bringmann hält Charlotte von Sachsen-Meiningen, die Schwester des Kaisers, für die Urheberin der Briefe. Der britische Historiker und Wilhelm-II.-Biograph John Röhl hingegen glaubt zu wissen, dass Ernst Günther von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg, ein Schwager des Kaisers, gemeinsam mit Damen aus der Berliner Halbwelt der Briefeschreiber war, ein Mann mit ausschweifendem, skandalträchtigem Sexualleben.

2. April 2023

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