„So muss denn das Schwert entscheiden“
Der Erste Weltkrieg wurde insgeheim schon lange vor seinem Beginn im Sommer 1914 geplant



Kaiser Wilhelm II., hier mit seinen Verbündeten Franz Joseph I. von Österreich, Sultan Mehmed V. und Ferdinand I. von Bulgarien, forderte und bekam bei Kriegsbeginn Ruhe im Land und Burgfrieden, bei dem sich auch die Opposition ohne zu murren um ihren obersten Kriegsherrn scharte. Die Menschen ließen sich willig aufs Schlachtfeld und die Rüstungsfabriken führen, von den wenigen Außenseitern und Pazifisten abgesehen, die



Wenn es nach alldeutschen Imperialisten und Militaristen gegangen wäre, dann hätte sich das Deutsche Reich, wenn es denn mit seinen Verbündeten den Krieg gewonnen hätte, gewaltig vergrößert, und Frankreich und England, die Hauptfeinde, wären unter deutsche Kontrolle geraten und damit als „Weltmächte“ ausgeschaltet gewesen. Auf der Karikatur sind die feinen Herren alles andere als traurig, dass der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo einem Attentat serbischer Nationalisten zum Opfer fiel. Denn nun könne man endlich losschlagen. sich gegen den Zeitgeist stellten und die Justiz auf den Plan riefen.



Russische Bildpostkarten gaukelten den Menschen vor, dass es nicht schwer ist, Wilhelm II. und seine Verbündeten zu verprügeln und in die Schranken zu weisen.



Wilhelm II. weist auf der Karikatur, auf einer riesigen Kanone sitzend und von Kapitalisten, Geistlichen und anderen Parteigängern unterstützt, seinen Untertanen den Weg in den Krieg. Der Kinderglaube, dass der Feldzug gegen Frankreich ein Spaziergang sein wird, war schon bald von der Realität überholt.



Der Mordanschlag in Sarajevo am 28. Juni 1914 auf das österreichische Thronfolgerpaar, dem Österreich 1999 eine hundert-Schilling-Münze widmete, war Auslöser für den Ersten Weltkrieg. Nachfolger des 1916 im biblischen Alter von 86 Jahren verstorbenen Kaisers Franz Joseph I. wurde Karl I., der Ende November 1918 seine Kronen verlor und 1922 mit 34 Jahren im portugiesischen Exil starb.



Die Kriegspropaganda tat so, als bräuchten die Deutschen nur viel Gottvertrauen und die Liebe der daheim Gebliebenen, um alle Gefahren bestehen zu können. Statt eines fröhlichen Wiedersehens in der Heimat hielt der Tod auf den Schlachtfeldern blutige Ernte. Das Bild in der Mitte zeigt, wie Kaiserin Auguste Viktoria (nie ohne Perlenkette) einem Verwundeten Trost spendet.



Die deutsche Sozialdemokratie, die jede Gelegenheit ergriff, um den deutschen Militarismus und sinnlose Rüstungsausgaben anzuprangern, folgte am Beginn des Ersten Weltkriegs den Burgfriedensparolen des Kaisers. Otto Dix handelte sich mit der realistischen Darstellung des massenhaften Sterbens auf den Schlachtfeldern viel Anerkennung, aber auch Hass und Ablehnung ein. Eine zügellose Hetze wurde nach Kriegsbeginn auf allen Seiten entfesselt, wie das Plakat mit einem russische Krieger zeigt, der der deutsch-österreichischen Hydra die Köpfe abschlägt.



Patriotische Bildpostkarten wie die mit Wilhelm II., der einem Soldaten das Eiserne Kreuz verleiht, gaukelte den Deutschen Einheit von Krone und Volk vor und machten die Menschen opferbereit. Überlebensgroß und bedrohlich stand Paul von Hindenburg vor dem Berliner Reichstagsgebäude. Wer Nägel zugunsten von Kriegsversehrten und Hinterbliebenen gefallener Soldaten in die Holzfigur schlug und Geld spendete, bekam zur Belohnung solche Medaillen. (Fotos/Repros: Caspar)

Am Beginn des Ersten Weltkriegs zogen Millionen deutsche Soldaten begeistert ins Feld, um ihr Leben für Gott, Kaiser, Volk und Vaterland im Kampf gegen eine Welt von Feinden zu opfern, wie man damals sagte. „Eine schwere Stunde ist heute über Deutschland hereingebrochen. Neider überall zwingen uns zu gerechter Verteidigung. Man drückt uns das Schwert in die Hand. Ich hoffe, dass, wenn es nicht in letzter Stunde Meinen Bemühungen gelingt, die Gegner zum Einsehen zu bringen und den Frieden zu erhalten, wir das Schwert mit Gottes Hilfe so führen werden, dass wir es mit Ehren wieder in die Scheide stecken können. Enorme Opfer an Gut und Blut würde ein Krieg vom deutschen Volke erfordern, den Gegnern aber würden wir zeigen, was es heißt, Deutschland anzugreifen. Und nun empfehle Ich Euch Gott. Jetzt geht in die Kirche, kniet nieder vor Gott und bittet ihn um Hilfe für unser braves Heer!“, rief Kaiser Wilhelm II. am 1. August 1914 seinen Untertanen zu. Am 6. August 1914 ließ Kaiser Wilhelm II. am 6. August 1914 sein Volk wissen und gab die Parole aus „Ich kenne keine Parteien mehr, kenne nur noch Deutsche.“ Seit der Reichsgründung sei es sein und seiner Vorfahren heißes Bemühen gewesen, „der Welt den Frieden zu erhalten und im Frieden unsere kraftvolle Entwickelung zu fördern. Aber die Gegner neiden uns den Erfolg unserer Arbeit. Alle offenkundige und heimliche Feindschaft von Ost und West, von jenseits der See haben wir bisher ertragen im Bewusstsein unserer Verantwortung und Kraft. Nun aber will man uns demütigen. (…) So muss denn das Schwert entscheiden. Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. Darum auf! zu den Waffen! Jedes Schwanken, jedes Zögern wäre Verrat am Vaterlande. Um Sein oder Nichtsein unseres Reiches handelt es sich, das unsere Väter sich neu gründeten. Um Sein oder Nichtsein deutscher Macht und deutschen Wesens. Wir werden uns wehren bis zum letzten Hauch von Mann und Ross. Vorwärts mit Gott, der mit uns sein wird, wie er mit den Vätern war."

Aufruf zum heiligen Krieg

Der Kaiser und seine Vertrauten gerierten sich als verfolgte Unschuld und taten so, als seien er und die Verbündeten des Deutschen Reichs mit Österreich-Ungarn an der Spitze von böswilligen und neidischen Feindstaaten in einen ungerechten Krieg gezogen worden. Bei ihm gehe es auf deutscher und befreundeter Seite um die Verteidigung christlicher Werte und die Integrität der Verbündeten und ihrer Bewohner. Millionen Deutsche gingen den Kriegstreibern willig auf den Leim, ließen sich von Warnungen und Schreckenszenarien nicht beirren. Ihnen redete die Kriegspropaganda ein, es handle sich um eine „heiligen Krieg“ gegen feindliche Slawen und Romanen. Mit ihnen waren das ehemals mit Deutschland befreundete Russland sowie die Balkanländer beziehungsweise Frankreich und seine Verbündeten gemeint, allen voran Großbritannien und die USA, deren Weltherrschaftspläne jetzt, da der Krieg begonnen hat, durchkreuzt werden müssen.

Diejenigen, die nach dem 1. August 1914 jubelnd auf die Schlachtfelder zogen, hatten keine Vorstellung, wie ein moderner, von wahren Monsterkanonen und Panzern sowie U-Booten geführter betriebener Krieg wirklich aussieht. Er hatte nichts mit den bunten Propagandapostkarten zu tun, auf denen die „schimmernde Wehr“, wie man damals sagte, unter flatternden Fahnen von einem Sieg zum anderen eilt. Vielmehr war dieser nicht mehr mit dem Schwert, wie der Kaiser sagte, ausgetragene Krieg ein erbarmungsloses Abschlachten, wie man es bisher nicht gekannt hat. Die Erinnerung an den letzten deutschen Krieg von 1870/71 gegen das schon nach wenigen Tagen besiegte Frankreich war schon lange verblasst.

Hassgesänge auf beiden Seiten

Auch auf der anderen Seite des Kriegsschauplatzes hatte man die Vorstellung, jetzt sei die lang ersehnte Gelegenheit gekommen, es den „verdammten Hunnen“, also den Deutschen und ihren Verbündeten richtig zu zeigen und in ihre Schranken zu weisen. In der aufgeheizten Stimmung wagte kaum jemand, seine Stimme gegen das militärische Abenteuer zu erheben, auf das keiner der kriegführenden Staaten wirklich vorbereitet war, was die Bewaffnung und Versorgung an den Fronten und in der Heimat betrifft. Die Kirche ließen das 5. Gebot „Du sollst nicht töten“ nicht gelten, weil in den Augen vieler von militaristischer Euphorie beseelter Geistlicher die gegnerische Seite, ganz gleich ob es sich um Soldaten oder um Zivilisten handelt, keine Gnade verdient sondern nur Tod und Verderben. Die Kriegspropaganda heizte auf beiden Seiten die Stimmung an, und kaum jemand konnte sich den Hassgesängen entziehen. Selbst kluge Leute – Wissenschaftler, Literaten, Künstler – solidarisierten sich mit den wild gewordenen Kriegern und lieferten ihnen Argumente und Bilder für ihren Weg in den nicht gewollten, aber todsicheren Untergang.

Diejenigen, die nach dem 1. August 1914 jubelnd auf die Schlachtfelder zogen und alsbald in den Materialschlachten verbluteten, hatten keine Ahnung, dass der Krieg insgeheim schon lange vorbereitet war und wie ein solches, von wahren Waffenmonstern betriebener Unternehmen konkret aussieht. Mitnichten hatte er etwas mit den bunten Propagandapostkarten zu tun, auf denen die „schimmernde Wehr“, wie man damals sagte, unter flatternden Fahnen einen Sieg nach dem anderen erringt. Vielmehr war dieser Krieg auf beiden Seiten ein erbarmungsloses Abschlachten, wie man es bisher nicht gekannt hat. Die Erinnerung an den letzten Krieg von 1870/71 gegen Frankreich war im Bewusstsein als heroisches und siegreiches Ringen mit dem „Erbfeind“ Frankreich, in vielen Städten und Dörfern erinnerten Kriegerdenkmäler an ihn, und manch ein Veteran von damals mag den Enkeln mit leuchtenden Augen von wahren und erfundenen Heldentaten erzählt haben.

Traum vom schnellen Sieg

Verblendet und aufgehetzt und beseelt von patriotischem Pathos, wie sie waren, verließen sich unzählige Soldaten und ihre Familien auf das Versprechen des Kaisers und seiner Obersten Heeresleitung, der Krieg werde sehr schnell nach der Niederringung der Entente-Staaten England, Frankreich und Russland beendet sein und die deutschen Truppen seien schon zu Weihnachten 1914 wieder zuhause. Wie sollten sie sich in ihren Hoffnungen getäuscht haben, denn der Vormarsch kam bald ins Stocken, und die Heere verbluteten in einem schrecklichen Stellungskrieg. Auf beiden Seiten kam es zur Massakern an der Zivilbevölkerung, die von der jeweils andern Partei genutzt wurden, den Ruf nach blutiger Vergeltung weiter zu verstärken. Wir haben beim derzeit tobenden Krieg Russlands gegen die Ukraine erfahren, dass sich Diktator Putin verrechnet hat, als er hoffte, den am 24. Februar 2022 überfallenen Nachbarstaat binnen weniger Tage oder Wochen in die Knie zu zwingen und in Kiew ein ihm höriges Regime zu installieren, das um Aufnahme des Landes in die Russische Föderation „bittet“ und sich den Befehlen aus Moskau fügt.

Auf offener Bühne war vor Kriegsbeginn in Folge des Attentats auf das österreichische Thronfolgerpaar Franz Ferdinand und Sophie durch serbische Nationalisten am 28. Juni 1914 in Sarajevo nur von Frieden und Freundschaft zwischen den Völkern die Rede und dass alle Konflikte in gegenseitigem Einvernehmen gelöst werden sollen. Hinter den Kulissen aber sah das Bild wesentlich anders aus, denn es wurde aufgerüstet und gehetzt, was das Zeug hielt.Kaiser Wilhelm II. und mit ihm seine Heerführer waren fest entschlossen, im Konfliktfall an der Seite der Habsburgermonarchie einen Weltkrieg zu riskieren.Wenn Österreich, gleichgültig aus welchem Grund, um seine Großmachtstellung kämpfen muss, so müssten wir, das Deutsche Reich, an seine Seite treten, Schlimmes könne nicht passieren, denn Gott ist mit uns und unser Kaiser wird’s mit seinen Generalen schon richten.

Flut von Ergebenheitsadressen

Nach Kriegsbeginn prasselte eine Flut von Ergebenheitsadressen an die Adresse des Kaisers und seiner Regierung. Im „Manifest der 93“ und anderen Dokumente stellte sich ein großer Teil der geistigen Elite im Deutschen Reich hinter den Kaiser. Vertreter deutscher Wissenschaft und Kultur legten „vor der gesamten Kulturwelt Protest gegen die Lügen und Verleumdungen (ein), mit denen unsere Feinde Deutschlands reine Sache in dem ihm aufgezwungenen schweren Daseinskampfe zu beschmutzen trachten. (…) Es ist nicht wahr, dass Deutschland diesen Krieg verschuldet hat. Weder das Volk hat ihn gewollt noch die Regierung noch der Kaiser. Von deutscher Seite ist das Äußerste geschehen, ihn abzuwenden. Dafür liegen der Welt die urkundlichen Beweise vor. Oft genug hat Wilhelm II. in den 26 Jahren seiner Regierung sich als Schirmherr des Weltfriedens erwiesen; oft genug haben selbst unsere Gegner dies anerkannt.“

Nur wenige Intellektuelle und linke Politiker wie Albert Einstein, Wilhelm Förster, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg begehrten gegen diesen Wahnsinn auf. Nur wenige Künstler wie Ernst Barlach, Otto Dix, George Grosz, Käthe Kollwitz, der Schriftsteller Erich Maria Remarque und andere setzten diesem Wahn mit Bildern und dem geschriebenen Wort die Wahrheit entgegen. Nach Kriegsende, das mit dem Ende der Monarchie zusammen fiel, trieb die Heldenverehrung seltsame Blüten. Vor allem Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, der „Sieger von Tannenberg“, wurde zum Hoffnungsträger. Eine 13 Meter hohe Holzfigur stand vor dem Berliner Reichstagsgebäude, und zahlreiche Menschen haben für einen Obolus Eisennägel in das Monument geschlagen. Solche Heldenbilder standen überall im Deutschen Reich und in Österreich-Ungarn zur Nagelung bereit.Wer Nägel zugunsten von Kriegsversehrten und Hinterbliebenen gefallener Soldaten die übergroße Hindenburg-Figur vor dem Berlin er Reichstagsgebäude oder in Holztafeln schlug, bekam zur Belohnung am Band zu tragend Medaillen. Bei den sich bis Ende 1918 hinziehenden Kämpfen mussten an allen Fronten Millionen Soldaten ihr Leben lassen. Nicht zu berechnen sind die zivilen Opfer, die durch Epidemien und Hunger zugrunde gingen. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs war nichts mehr wie früher. Nur 15 Jahre später war Hitler an der Macht und machte den Weg direkt in den Zweiten Weltkrieg und Völkermord ungeahnten Ausmaßes frei.

Wie dem in der Novemberrevolution von 1918 zur Abdankung gezwungenen Kaiser Wilhelm II. und seinen komfortabel in ihren Schlössern residierenden Familienmitgliedern, so hat man in der Weimarer Republik auch den anderen ehemaligen Bundesfürsten kein Haar gekrümmt. Die Weimarer Republik hat ihnen ihren persönlichen Besitz außerdem fast alle Schlösser, Güter, Wälder und Konten gelassen. Kein Oberbefehlshaber oder Feldmarschall wurde für Kriegsverbrechen zur Rechenschaft gezogen, Gerichtsverfahren wie die nach dem Zweiten Weltkrieg in Nürnberg gegen die Spitzen des Nazistaates fanden nicht statt. Sie hätten ja auch die Schuldfrage auf beiden Seiten des bis dahin schlimmsten aller Kriege untersuchen müssen. Die ehemaligen Landesherren konnten sich weiter an Prunk, Plüsch und Plunder erfreuen und wurden zudem im Rahmen der Fürstenabfindung von 1926 großzügig beschenkt, mochte das „linke Gesocks“, wie man in Hofkreisen zu sagen pflegte, noch so sehr wettern und den alten Machthabern die Guillotine an den Hals wünschen.



28. Juli 2023