„Durch Deutschland muss ein Ruck gehen“
Christoph Marx hat ein unterhaltsam zu lesendes Buch über historische Zitate und was sie bedeuten verfasst





Das aus der Römerzeit übernommene Bild von den „alten Germanen“ mit Flügelhelm und langem Bart, zu sehen beim Denkmal von Hermann dem Cherusker bei Detmold, hat sich bis fast an die Gegenwart gehalten, muss aber aufgrund neuer Forschungen revidiert werden.



Der Reformator Martin Luther gegenüber, der 1521 auf dem Reichstag zu Worms bei seiner Haltung blieb und sich in Lebensgefahr brachte, verbrennt demonstrativ vor den Toren von Wittenberg die päpstliche Bannbulle.



Es gibt echte Zitate, Redewendungen und geflügelte Wörter wie die von Friedrich II. über Toleranz in Religionsfragen oder die Aufforderung von 1806 des Berliner Stadtkommandanten Graf von der Schulenburg nach der verlorenen Schlacht bei Jena und Auerstedt, Ruhe zu bewahren und abzuwarten was kommt.



Von Otto von Bismarck und Kaiser Wilhelm II. sind Aussprüche überliefert, an die man sich bis heute mal wohlwollend, mal mit Entsetzen erinnert. Das gilt auch für die so genannte Dolchstoßlegende, mit der die Niederlage des Deutschen Reichs im Ersten Weltkrieg Unruhestiftern und anderen vaterlandslosen Gesellen in die Schuhe geschoben wurde. (Repros: Caspar)



Der DDR-Mauerbauer Walter Ulbricht kommt in dem Zitatebuch mit einer dicken Lüge von 1961 zu Wort, wonach niemand in der DDR die Absicht habe, eine Mauer zu bauen. Sein Nachfolger Erich Honecker sagte Anfang 1989 (!) voraus, die Mauer werde noch 50 oder hundert Jahre stehen. Als Stasi-Minister Erich Mielke noch in Amt und Würden war, kommandierte er ein Heer von Spitzeln und Saboteuren. Den Untergang seines Imperiums vor Augen behauptete er Ende 1989, sein Volk zu lieben und alles für sein Wohlergehen getan zu haben.

Bei Politikerreden und anderen Ansprachen, aber auch am Stammtisch und im Alltag werden sie gern verwendet – Aussprüche historischer Persönlichkeiten, von denen man nicht immer weiß, ob sie so getan wurden oder ob man sie ihnen nur angedichtet hat. Ganze Bibliotheken lassen sich mit Büchern, die historische Zitate auflisten und interpretieren, füllen. Jetzt ist ein neues Buch hinzu gekommen, das nicht nur ausgewählte Aussprüche von Monarchen, Politikern, Dichtern, Denkern und vielen anderen Persönlichkeit von der Antike bis zur Gegenwart erläutert, sondern auch auf unterhaltsame Weise schildert, wie sie zustande gekommen sind. Verfasst von Christoph Marx, erschien das Buch „Deutsche Geschichte in 100 Zitaten. Von Tacitus bis Merkel“ im Verlag Bibliographisches Institut Berlin. Es hat 248 Seiten, ist mit sehr schönen farbigen Illustrationen von Dieter Wiesmüller ausgestattet und kostet 29 Euro (ISBN 978-3-411-05979-7).

Wir wollen mehr Demokratie wagen

Das Buch beginnt beim römischen Historiker Tacitus, der in seiner „Germania“ die Bewohner einer ihm geheimnisvoll erscheinenden Gegend im Norden als groß, blond, blauäugig und mit rötlichem Haar beschrieben hat, als Leute, die ein streng geregeltes Familienleben führen, im Krieg tapfer kämpfen und einen ausgeprägten Freiheitswillen haben, allerdings auch übermäßigem Alkoholkonsum anhängen und dem Würfelspiel frönen. Am Ende des Buches kommt die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel mit zwei Aussprüchen zu Wort, und zwar „Das Internet ist für uns alle Neuland“ und „Wir schaffen das. Wir haben so vieles geschafft, wir schaffen das, und wo uns etwas im Wege steht muss es überwunden werden“. Dieses Bekenntnis vom 31. August 2015 in der Bundespressekonferenz angesichts der dramatischen Flüchtlingswelle, die auf uns zurollte und uns bis heute beschäftigt, wurde zum geflügelten Wort und hat die einen ermuntert, schwierige Wege zu gehen, und wurde von anderen satirisch bis abwertend benutzt.

Weitere Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit sind die „Blühenden Landschaften“, die der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl 1990 den Ostdeutschen in Aussicht stellte, die mit der Parole „Wir sind das Volk“ der allmächtigen Staatspartei SED im „Wendejahr“ 1989 die Stirn bot, und das Bekenntnis „Wir wollen mehr Demokratie wagen“, mit dem Bundeskanzler Willi Brandt frischen Wind in die verkrustete Bonner Republik bringen wollte. Eine andere Äußerung, nämlich „Wie konntet Ihr es wagen, meine Träume und meine Kindheit zu stehlen mit Euren leeren Worten?Wie könnt Ihr nur weiter wegschauen?" schleuderte am 23. September 2019 die 16jährige schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg den offenbar an der ernsthaften Lösung unserer Umweltkrise wenig interessierten Delegierten einer Umweltkonferenz der Vereinten Nationen entgegen und erklärte in ihrer Wutrede, dass wir am Anfang eines Massenaussterbens stehen und sich alles nur um Geld, nicht aber um die Fortexistenz der Menschheit und Natur dreht. Die Initiatorin der Fridays for Future-Bewegung erntete Applaus, aber auch betroffenes Schweigen, und wie sich zeigt, ringen die Völker weiter um die Lösung dieser uns alle betreffenden Existenzfrage.

Wohlstand für alle

Christoph Marx lässt den damaligen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zu Wort kommen, der zu Beginn der Corona-Pandemie sagte, wir müssten einander viel verzeihen, wenn diese eines Tages beendet sein wird. Weiter zurück gehend, holt das Buch die sogenannte Ruckrede aus der Versenkung, in der der damalige Bundespräsident Roman Herzog am 26. April 1997 besorgt fragte „Was ist los mit unserem Land?“ und den Verlust wirtschaftlicher Dynamik, die Erstarrung der Gesellschaft und eine unglaubliche mentale Depression als Zeichen einer Krise beklagte und forderte: „Durch Deutschland muss ein Ruck gehen. Wir müssen Abschied nehmen von liebgewordenen Besitzständen, vor allen Dingen von den geistigen, von den Schubläden und Kästchen, in die wir gleich alles legen. Alle sind angesprochen, alle müssen Opfer bringen, alle müssen mitmachen: Sie bilden einen allgegenwärtigen Dreiklang, aber einen Dreiklang, aber in Moll.“ Leider hat diese Mahnung wenig bewirkt, ab und zu wird Herzog auch heute zitiert, wenn es um verpasste Möglichkeiten und die Bewältigung unaufschiebbarer Probleme bei uns und darüber hinaus geht. „Wohlstand für alle“ versprach 1957 in einem Buch der Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard, und bevor dieses Ziel angegangen werden konnte, rief der Oberbürgermeister von West-Berlin, Ernst Reuter, den Völkern der Welt zu „Schaut auf diese Stadt“, weil er befürchtete, dass die Westalliierten die unter Stalins Blockade leidende Viermächtestadt im Stich lassen könnten, was zum Glück aber nicht geschah.

Wollt ihr den totalen Krieg?

Die Zeit des Nationalsozialismus ist in dem Buch unter anderem mit der Ansage „Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurück geschossen“, mit der Hitler am 1. September 1945 den Zweiten Weltkrieg eröffnete, und der keinen Widerspruch duldende Frage von Propagandaminister Joseph Goebbels „Wollt ihr den totalen Krieg?“ von Anfang 1943 vertreten, aber auch mit dem Ausspruch des Berliner Malers Max Liebermann, er könne gar nicht so viel fressen wie er kotzen möchte, als er die braunen Horden am 30. Januar 1933 mit einem Fackelzug durch das Brandenburger Tor Hitlers Ernennung zum Reichskanzler und damit den Beginn der Nazidiktatur feiern sah. Zuvor hatten rechtskonservative Kreise noch gehofft und sich gewaltig geirrt, Hitler in die „Ecke“ zu drücken, dass es quietscht.

Gehen wir ganz weit in die Vergangenheit zurück, so begegnen wir neben vielen anderen klugen und weniger klugen Leuten auch Martin Luther, der 1521 vor dem Reichstag in Worms dem anwesenden Kaiser Karl V. ins Gesicht haben gesagt haben soll „Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir“, als man ihn aufforderte, seine von der Bibel untermauerte Kritik an der katholischen Kirche und ihrem Ablassunwesen zurückzunehmen. Schaut man in die Quellen und die Flugschriften, die die Rede des Unbeugsamen schnell unter die Leute brachten, dann sieht man, dass Luther seine Antwort nicht mit dieser eindrucksvollen Formel schloss, sondern nur mit „Gott helfe mir! Amen!“ Alles andere ist wie auch in manch anderen historischen Zitaten hinzu erfunden. Echt und durch eine handschriftliche Randnotiz bewiesen ist die Forderung des preußischen Königs Friedrich II., des Großen, aus dem Jahr 1740 „Die Religionen müssen alle tollerieret werden und mus der Fiscal nuhr das Auge darauf haben, dass keine der andern Abbruch thue, den hier mus ein jeder nach seiner Fasson selich werden“. Der immer wieder zitierte Vermerk bezog sich auf eine Anfrage des Geistlichen Departements, ob der König katholische Schulen weiterhin erlaube, was er auch tat. Wir wissen, dass der angeblich so tolerante Monarch ausgesprochen ungehalten reagierte, wenn es gegen seine Person und Politik ging. Da verstanden er und seinesgleichen keinen Spaß, da konnten sie erbarmungslos zurück schlagen, wie wir aus unzähligen Äußerungen wissen.

Der Feind steht rechts

Reichskanzler Otto von Bismarck lehnte es während des Kulturkampfes in den frühen 1870er Jahren ab, wie der römisch-deutsche Kaiser Heinrich IV. im Winter 1076/77 nach „Canossa“ zu gehen und sich der päpstlichen Autorität zu unterwerfen. Von Kaiser Wilhelm II. sind zahllose Hetz- und Brandreden überliefert, die seinen Willen bestätigen, dem Deutschen Reich auch mit Waffengewalt einen „Platz an der Sonne“ zu verschaffen und der Opposition im Lande den Garaus zu machen. Mit der so genannten Dolchstoßlegende, wonach das angeblich siegreiche deutsche Heer im Ersten Weltkrieg von vaterlandslosen Gesellen außer Gefecht gesetzt wurde, gingen in der Weimarer Republik Militaristen, Faschisten und andere Rechtsradikale erfolgreich auf Stimmenfang.

Die von Christoph Marx vorgenommene Auswahl bekannter und weniger bekannter Zitate und Parolen von „Stadtluft beziehungsweise Bildung macht frei“ und „Der Krieg ernährt den Krieg“ über „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“, „Einigkeit und Recht und Freiheit“, „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus“ bis zu „Pardon wird nicht gegeben, Gefangene werden nicht gemacht“, „Die Juden sind unser Unglück“, „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“ und „Der Feind steht rechts“, um die Bandbreite anzudeuten, wäre unvollständig, enthielte sie nicht auch den acht Kapiteln voran gestellte historische Einführungen. Sie machen es Leserinnen und Lesern leicht, sich mit Zeitumständen sowie dem Denken und Handeln der zitierten Personen auseinander zu setzen. Und sie ermutigen, selber auf die Suche nach weiteren Aussprüchen zu gehen und dabei zu prüfen, ob sie authentisch sind oder nicht. In Zeiten von massenhaft im Internet verbreiteten „Fake news“ und sich zuspitzender internationaler Beziehungen müssen wir sehr genau die Machenschaften wenig wahrheitsliebender Zeitgenossen beachten, mit gefälschten Aussprüchen und Bildern Politik zu machen und die Öffentlichkeit zu beeinflussen.

25. April 2023