Vergangene Zeiten, fernes Land
Neues Buch von Rainer Geike greift auf, was in üblichen Geschichtsdarstellungen über die DDR nicht vorkommt





Geldscheine und Münzen der DDR hatten mit der Einführung der Deutschen Mark im Zuge der Währungsunion am 1. Juli 1990 ausgedient und besitzen nur noch Sammlerwert, werden aber auch als Andenken an einen untergegangenen Staat aufgehoben und in Ausstellungen gezeigt.





Lebensmittelkarten wurden in der DDR 1958 abgeschafft, was mit einer von der SED-Propaganda frenetisch gefeierten Preisreform verbunden war.



Westpakete waren ein wichtiger Teil der DDR-Wirtschaft, was Verwandte und Freunde in den Osten schickten, etwa Kaffee und Kakao, musste nicht für teure Devisen auf dem Weltmark gekauft werden. Ein Viertelpfund Kaffee half da und dort, verschlossene Türen zu öffnen.



Viele Erzeugnisse Volkseigener Betriebe kamen in der DDR nicht oder nur schwer auf den Ladentisch, sondern wurden für D-Mark, also Westmark, in die Bundesrepublik Deutschland exportiert. Die Erlöse lagen oft unter dem Herstellungspreis, aber für die SED- und Staatsführung war wichtig, dass Geld vom „Klassenfeind“ in DDR-Kassen floss.



In DDR-Museen und Geschichtsausstellungen findet man Erzeugnisse aus Volkseigenen Betrieben. Wenn Preise wie hier auf der Verpackung aufgedruckt sind, standen sie unverrückbar fest.



Bunte Plakate suggerierten, dass es in der DDR alles bei mäßigen Preisen zu kaufen gibt. Wenn man etwa einen Kühlschrank oder eine Schrankwand erstehen wollte, dann konnte man sich erst mal „Beratungsmuster“ anschauen und musste sich in eine Warteliste eintragen. Ganz extrem war die Lage auf dem Automarkt, da musste man mit bis zu 15 Jahren und mehr rechnen.



Während auf der einen Seite am Rand der Altstädte Plattenbauten aus dem Boden gestampft wurden, waren unzählige Altbauten dem Verfall preisgegeben.





Im Intershop waren für Westgeld oder ersatzweise Forumschecks vieles zu haben, was in normalen Läden fehlte. Viele dieser Raritäten waren nicht sofort erkennbare DDR-Erzeugnisse. (Fotos: Caspar)

Der Berliner Professor Rainer Geike setzt sich seit vielen Jahren mit Geld und täglichem Leben in der früheren DDR und der Frage auseinander, welche Löhne, Gehälter, Stipendien und Renten gezahlt wurden und was man für Lebensmittel, Kleidung, Mieten und so weiter ausgeben musste. Er zeigt auch, wie schwierig die Lebenslage für einen großen Teil der Bevölkerung war. Das geht vielfach über das hinaus, was man in üblichen Geschichtsdarstellungen aus der Zeit vor und nach 1989/90 findet. Sie befassen sich mit ganz „großen“ Themen der Ökonomie, mit Planwirtschaft und Staatshaushalt. Es geht in den dicken Geschichtsbüchern um das Bauwesen und die Wohnungswirtschaft, um Volkseigene Betriebe, Außenhandel, Mikroelektronik, Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, Konsumgüterproduktion, aber auch um wachsende Staatsverschuldung und Kreditaufnahme und nicht zuletzt um Misswirtschaft. In der Literatur über die DDR wird auch die sich in den 1980er Jahren immer mehr verschlechternde Stimmung in der Bevölkerung analysiert, gegen die die allmächtige Staatspartei und ihren verlängerten Arm, die Staatssicherheit, mit letztlich untauglichen Mitteln anzugehen suchte.

Vieles ging verloren, manches hat man aufgehoben

Viel, unendlich viel ging vor über 30 Jahren im wahrsten Sinne des Wortes den Bach herunter. Manches Zeugnisse vierzigjähriger DDR-Geschichte wurden als Andenken aufgehoben – Bilder, Bücher und Dokumente, Möbel sowie kunst- und andere gewerbliche Erzeugnisse, die so genannte Heimelektronik, manches Auto und Motorrad, natürlich auch Münzen, Medaillen und Geldscheine. Wer aber hat sich schon damals die Mühe gemacht, Zeitungen, Plakate, Quittungen, Reiseunterlagen, Kino- und Theaterkarten und ähnliche Hinterlassenschaften aus der Welt „tausend kleinen Dinge“ beiseite zu legen in der vagen Hoffnung, sie eines Tages als Zeugen einer fernen Welt wieder zum Leben zu erwecken?

Dieser Mühe hat sich Rainer Geike, Mitglied des Vereins der Deutschen Geldschein- und Wertpapiersammler und der Numismatischen Gesellschaft Berlin, unterzogen. Der Berliner Verfahrenstechniker im Ruhestand brachte vor drei Jahren das Buch „Geld und Preise in der DDR - Was bekamen wir für unser Geld?“ heraus. In der lesens- und anschauenswerte Analyse von 2020 geht es um die Frage, was in den 1970er und 1980er verdient wurde und was man für seinen Lebensunterhalt und darüber hinaus ausgeben musste. Das Buch fand jetzt seine Fortsetzung unter dem Titel „Geld und Preise in der DDR Teil II. Eine Zusammenstellung zum Geld, zu Einkommen, Ausgaben und Preisen in der DDR“ (134 Seiten, zahlreiche meist farbige Abbildungen, 30 Euro,Verlag BoDo Norderstedt 2023; ISBN 978-3-7578-1343-7). Unterstützt von Freunden und Sammlern und auf seine Kollektion einschlägiger Belege und Dokumente zurückgreifend, bringt Geike in Erinnerung, dass viele Menschen in der DDR, vor allem Rentner, Studenten und andere Kleinverdiener, von ihren schmalen Einkünften kaum existieren konnten.

Wenigen Leuten ging es glänzend

Zwar wurden Preise für Grundnahrungsmittel, Mieten, Fahrpreise usw. aus politischen und ideologischen Gründen künstlich niedrig gehalten, so dass niemand hungern musste und immer ein Dach überm Kopf hatte. Ab und zu gab es sogar Südfrüchte, und auch ein Urlaub an der Ostsee war gelegentlich möglich. Was aber über die Befriedigung der so genannten Grundbedürfnisse hinaus ging, schlug kräftig ins Portemonnaie.. Für Fernseher und andere Gerätschaften musste man lange, sehr lange arbeiten und sparen. Autos vom Typ Trabant und Wartburg waren nur nach elend langen Anmeldefristen zu haben. Natürlich gab es auch Leute, denen es glänzend ging. Zahlreiche Publikationen berichten, dass es der aus Funktionären und anderen Privilegierten gebildeten DDR-Oberschicht an nichts fehlte, ja dass sie sich Orden und Prämien einander zuschoben, Urlaub auch im westlichen (!) Ausland gönnten, teure Westautos fuhren, jede Menge Westgeld besaßen und in den schönsten Gegenden des Arbeiter- und Bauern-Staates gut bewachte Jagdschlösser und edel ausgestaltete Villen nutzten.

Viele Preise waren in der DDR gegen den Rat von Ökonomen und alle wirtschaftliche Vernunft von Honecker & Co. eisern und unverändert bis zum Ende der DDR festgelegt. Offenbar wollte es sich die Partei- und Staatsführung mit der Bevölkerung nicht verderben und hielt die Preise für Grundnahrungsmittel, aber auch für Mieten, Kleidung und Bücher künstlich niedrig. Das hatte fatale Folgen, etwa wenn man sich die vernachlässigten Altbauten in den Städten und die Verschwendung von Brot à 78 Pfennigen und anderen Lebensmitteln als Schweinefutter vor Augen hält.. Für Bücher waren niedrige Verkaufspreise zwar festgeschrieben, aber man bekam nicht immer das, was man lesen wollte, und was man lesen sollte, war wenig attraktiv. Also wurde im „Leseland DDR“, wie es in der Eigenwerbung hieß,.geistige Konterbande „hintenherum“ und unterm Ladentisch gehandelt.

Beziehungen und „blaue Fliesen“

Rainer Geike hat das Thema in seiner neuen Folge zeitlich erweitert, indem er auch Belege zur Währungsreform von 1948 und zum Geldumtausch von 1957 einbezieht. Mitte der 1950-er Jahre waren die Lebensmittelkarten zur Last geworden, und als sie endlich am 28. Mai 1958 abgeschafft wurden, war das für die Parteipresse ein willkommener Grund, die Überlegenheit des Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus zu preisen und das Bild eines gut versorgten Landes mit zufriedenen Bewohnern an die Wand zu malen. Interessant ist auch ein Abschnitt, in dem er den Hauskauf sowie die dazu gehörenden Kredite und Handwerkerleistungen behandelt. Trotz steigender Material- und Personalkosten waren sie billig zu haben. Man brauchte allerdings „Beziehungen“ und auch „blaue Fliesen“, also Westgeld, um schneller als andere Termine bei Handwerkern und anderen Dienstleistern zu bekommen. Westgeld öffnete auch den Weg in den Intershop, in dem bunt verpackte Ostwaren gegen das offiziell verhasste Geld vom Klassenfeind zu haben waren.

Normal-Rentner konnten sich von den Mindestrenten kaum etwas leisten, schreibt Geike, ihr Leben war sehr bescheiden. Der große Vorteil zu heute sei aber gewesen, dass sich Rentner damals keine Gedanken über ihre Zukunft machen brauchten, denn ihr Geld würde auch morgen reichen. Aus eigenem Erleben schildert der Verfasser an anderer Stelle, wie es ihm als Student in Merseburg erging und dass man mit seinem Stipendium nicht weit kam. Also musste man sich, ähnlich wie heute, zu seinen dürftigen 190 Mark noch etwas Nebenverdienst verschaffen. Für herausragende Leistungen im Studium des Marxismus-Leninismus gab es das Karl-Marx-Stipendium mit einer stattlichen Zulage von 450, später 500 Mark. Doch wer war schon würdig, ein solches Stipendium zu bekommen?

Münzschatz in der Räucherkammer

In seinem Resümee stellt der Verfasser fest, es gäbe noch viel zu tun, denn nicht alle in seinem Buch aufgeworfene Fragen konnten beantwortet werden. Er räumt mit einigen Legenden und betont, dass man nicht alles glauben sollte, was im Internet publiziert wird. Es sei zwar eine Fundgrube für Anregungen und Fakten, aber auch eine Quelle für viel Unsinn. So habe jemand in einem Internetforum zum Thema Stipendium behauptet, dass das Stipendium in Berlin (Ost) höher gewesen sei als im Rest der Republik, weil in Berlin alles teurer gewesen sei. Bei der Vorbereitung auf dieses Buch habe jemand gemeint, für Rentner hätte es in der DDR Fahrpreisermäßigungen gegeben. Auch das stimmt nicht. Weder im Kursbuch der Deutschen Reichsbahn noch in den Infoheften der Berliner Verkehrsbetriebe gebe einen Hinweis dazu. Glücklicherweise gebe es Tageszeitungen und Gesetzesblätter von damals, um strittigen Fragen zu klären. Dennoch lässt sich nicht alles beantworten. Wir dürfen gespannt sein auf das, was Rainer Geike bei weiteren Recherchen herausfindet, und können uns schon mal auf eine Fortsetzung freuen.

Zum Abschluss stellt Rainer Geike einen Münzschatz der besonderen Art vor, der im ehemaligen Umformwerk der Deutschen Reichsbahn in Neulöwenberg (Landkreis Oberhavel) gezeigt wird. Ein Hausbesitzer hatte sein Räucherkammer in eine Art Sparbüchse verwandelt. Immer wenn er große und kleine Münzen übrig hatte, warf er diese durch einen Schlitz. Als man beim Sanieren des Hauses die Wand öffnete, kamen DDR-Münzen im Wert über 30 000 (!) Mark zum Vorschein. Das war sehr viel Geld. Mit ihm konnte man nach der Einführung der D-Mark am 1. Juli 1990 allerdings nichts mehr anfangen. Um so erfreulicher ist es, dass dieser Schatz für die Ausstellung gespendet wurde. Das Beispiel zeigt, dass das Verstecken von Münzen nicht nur in der Vergangenheit üblich war, sondern auch heute noch vorkommt.

3. Oktober 2023, Tag der deutschen Einheit