Groschen und Dukaten für's Seelenheil
Geschäftemacher und Ablasshändler nutzten Wundergläubigkeit aus und schadeten am Ende sich selbst



Die beim Ablasshandel eingesammelten Summen kommen dem Papst und seinen Kardinälen zugute, gibt der Holzschnitt aus dem 16. Jahrhundert zu verstehen. Der Missbrauch des Wunderglaubens führte am Ende zum Aufstand gegen die Macht der Kirche und ab 1517 zu Martin Luthers Reformationsbewegung.



An bestimmten Zeichen am Hut oder der Kleidung erkannten sich Pilger und halfen einander, wenn Not am Mann war oder geistlicher Zuspruch gebraucht wurde.



Die Vielzahl der Varianten beim Kölner Ursulataler aus dem frühen 16. Jahrhundert und spätere Nachprägungen unterstreichen, welche Bedeutung man ihnen als Amulette und Belege für eine Pilgerfahrt zuschrieb.



Viele Pilger- oder Weihemedaillen kommen oval und mit Henkeln vor, weil man sie als Schmuck trug oder am Rosenkranz befestigt hat. Der Münzhandel bietet das eine oder andere Stück zu meist moderaten Preisen an.



Martin Luther wetterte wortgewaltig gegen Heiligenverehrung, Reliquienkult und Ablasshandel. Bei der Bilderstürmerei wurden viele kostbare Reliquiare zerstört, manche blieben erhalten und werden wie die Stücke aus dem Welfenschatz im Kunstgewerbemuseum am Berliner Kulturforum gezeigt. Lucas Cranach würdigt seinen Freund und Kampfgefährten Martin Luther auf einem Gemälde in der Wittenberger Stadtkirche (Ausschnitt) als einen im Glauben festen Prediger, der einer Welt von Feinden die Stirn bietet.



Die Spottmedaille, die Papst und Teufel, Kardinal und Narr kombiniert, dürfte dem raffgierigen Kirchenfürsten und seinesgleichen kaum gefallen haben.



Die Umtriebe der Ablassverkäufer udn anderer Betrüger waren ein Grund, weshalb es 1517 und danach zum Aufstand gegen das herrschende Kirchenregime und eine von Martin Luther angeführte umstürzende Reformationsbewegung kam.



Religiöse Eiferer opferten dem Bildersturm Kunstwerke, die heute jedem Museum Ehre machen würden.



Von bayerischen Madonnentalern, die man anfeilte, um ein wenig Silberstaub zu gewinnen, versprach man sich Heilung von Krankheiten und Abwehr von Gefahr. (Fotos/Repros: Caspar)

Menschen, auch wenn sie heilig gesprochen wurden, haben nur einen Kopf, nur zehn Finger und auch eine begrenzte Zahl Knochen und Zähne. Doch wenn man die in Kirchen und Klöstern verehrten Schädel und Knochen heiliger Frauen und Männern zusammenzählen würde, bekäme man mehrere Skelette zusammen. Die vielen Holzsplitter, die angeblich vom Kreuz Christi stammen, ergäben mehrere Kreuze ergeben. Wichtig war, dass man in kostbare Behälter aufbewahrte Hinterlassenschaften dieser Art verehren oder zu ihnen pilgern konnte, und wenn man einen kleinen Knochen, ein Stück Stoff oder Reste von Marterwerkzeugen, mit denen Heilige gequält oder vom Leben zum Tode befördert wurden, besaß, dann konnte man gewiss sein, dass Pilger kommen und einiges Geld hinterlassen. Dass mit solchen Relikten etwas nicht stimmen kann, hat im Mittelalter kaum jemanden bekümmert. Die Menschen waren untereinander nicht so vernetzt wie wir heute, und wer kritische Fragen stellte, setzte sich des Verdachts der Ketzerei aus und riskierte Freiheit und Leben.

Eine ganze Industrie hat sich schon im Mittelalter mit der Herstellung und dem Verkauf von Reliquien und anderen Devotionalien beschäftigt. Durch Pilgerfahrten und den Kauf von Ablassbriefen konnte man sich von Sünden reinigen und so dem höllischen Fegefeuer entkommen. Für einen kleinen Obolus durfte man Reliquien berühren, für eine größere Summe auch welche kaufen. Wer wollte, konnte als Andenken an eine Pilgerfahrt auch gegossene oder geprägte Amulette aus edlem und unedlem Metall kaufen und sie in der Heimat den ehrfürchtig staunenden Zeitgenossen zeigen. Ab und zu finden Archäologen diese Hinterlassenschaften bei Ausgrabungen und der Öffnung von Gräbern. Aus der Barockzeit und später stammende Amulette sowie Pilgerzeichen aus einer Blei-Zinn-Legierung werden hin und wieder vom Münzhandel angeboten.

Da mit Heiligenreliquien viel Schindluder getrieben wurde und der Ablasshandel großen Unmut stiftete, regte sich vor über 500 Jahren Widerstand. Die Kirchenrevolte, die Martin Luther 1517 durch den Anschlag seiner 95 Thesen an die Schlosskirche zu Wittenberg auslöste, resultiert auch aus der Unzufriedenheit mit dem auswuchernden Handel mit Ablassbriefen und Heiligenreliquien. Kurfürst Friedrich der Weise soll mehr als 19.000 Reliquien besessen haben, und Albrecht von Brandenburg versprach sich von seiner Reliquiensammlung immerhin 38 Millionen Jahre Ablass. Luther polemisierte gegen die Heiligsprechung von Kirchenmännern und nannte den Ablass ein „todt Ding“, denn er nehme nicht die Sünde weg, sondern lindere nur die Strafe für sie. Besserung sei so nicht möglich.

Wallfahrt- und Pilgermedaillen als Andenken

Dass Reliquien und Heiligenfiguren in katholischen Gegenden bis heute große Anziehungskraft besitzen, zeigen Prozessionen an hohen kirchlichen Feiertagen in Städten und zu bekannten Wallfahrtsorten. Als Andenken konnte man Wallfahrt- und Pilgermedaillen nach Hause nehmen. Sie bilden ein interessantes Sammelgebiet, für das im Münzhandel hin und wieder Angebote zu meist moderaten Preise bereit hält. In das Gebiet fallen Abzeichen, die Pilger an ihren Hüten und auf der Kleidung befestigt haben. Man erkannten einander und konnte daher auch bei Not und Gefahr geistlichen Zuspruch geben und Hilfe anbieten. Die wissenschaftlich gut dokumentierten Reliefs zeigen Christus-, Marien- und Heiligendarstellungen sowie andere Motive wie die Jakobsmuschel, mit denen sich Pilger auf dem Jakobsweg schmückten. Auf Gemälden ist zu sehen, wie heilige Männer und Frauen diese Abzeichen trugen.

Hin und wieder werden Pilgerzeichen bei Baumaßnahmen und Schachtarbeiten sowie archäologischen Grabungen entdeckt. So war es auch vor wenigen Jahren in Stralsund, als Reste von Wasserrohren und Brunnen aus dem Mittelalter und der Neuzeit freigelegt wurden. Der wohl spektakulärste Fund befand sich am Boden eines Brunnens. Es handelt sich um ein mittelalterliches Pilgerzeichen aus gegossenem Metall. Dargestellt ist unter einem mit Kreuzen geschmückten Dreiecksgiebel die thronende Muttergottes mit dem Christuskind auf dem Schoß. Neben der sitzenden Figur hat ein Heiliger mit einem Zweig in der Hand Aufstellung genommen. Fachleute erkennen in dem Pilgerzeichen, das nur 3,3 mal 4,6 Zentimeter groß ist, die Arbeit einer Aachener Werkstatt. Gemeinsam mit vergleichbaren Devotionalien, die in Greifswald gefunden wurden, zeigt das Relief, dass Aachen während des späten Mittelalters zu den beliebtesten Pilgerorten von Wallfahrern aus den Hansestädten des südlichen Ostseeraums gehörte.

Kölner Ursulataler als Helfer in der Not

An die Verehrung, die die Heilige Ursula in Köln genießt, erinnern die elf schwarzen Flammen oder genauer gesagt die Hermelinschwänze im Stadtwappen. Die bretonische Prinzessin Ursula soll auf der Rückfahrt von einer Pilgerreise nach Rom mit ihren 11 000 Gefährtinnen von den Hunnen ermordet worden sein, die Köln belagerten. Die Ursula-Legende ist Gegenstand von Kölner Talern, die im frühen 16. Jahrhundert geschlagen und an Pilger verkauft wurden. Man schrieb ihnen Schutz vor Unglücksfällen, Krankheit und „bösem Blick“ zu. Auf der Vorderseite sind die auch Weisen aus dem Morgenland genannten Heiligen drei Könige Caspar, Melchior und Balthasar dargestellt, wie sie gleichsam das Kölner Wappen bewachen und segnen. Auf der Rückseite steht die Heilige Ursula in Begleitung der Jungfrauen an Bord eines Segelschiffs. Die Heiligsprechung der frommen Prinzessin und Märtyrerin brachte ihr ehrendes Gedenken, den Bau einer Kirche und Verehrung durch Gemälde, Skulpturen und die Ursulataler ein. Die mit den Jahreszahlen 1512 und 1516 versehenen Münzen wurden rund um den Kölner Dom an Pilger verkauft. Von ihnen kommen Doppelstücke sowie halbe Taler, Zweidrittelstücke und weitere Werte vor, und es gibt auch besonders kostbare Abschläge aus Gold. Ausgaben ohne Jahreszahl sind späteren Datums.

Bei den oft sehr strapaziösen Reisen konnte man sich von Sünden reinigen und entkam so dem höllischen Fegefeuer, das den Menschen des Mittelalters auf Schritt und Tritt für ihre Missetaten angedroht wurde. Für einen kleinen Obolus durften sie bei Pilgerfahrten und Kirchenbesuchen Reliquien berühren, für eine größere Summe sogar welche kaufen. Wer sie besaß, war überzeugt, dass ein Stück Heiligkeit auf ihn übergeht und begangene Sünden vergeben, also abgelassen werden. Wohlhabende Leute kauften nicht nur einen Zahn oder einen kleinen Fingerknöchel von Heiligen, sondern gleich einen ganzen Schädel oder Hand, sofern dergleichen gerade im Angebot war. Man fragte nicht nach der Herkunft und nahm auch keinen Anstoß am Überangebot von Knochen einer und derselben Person.

Glaube an die Wunderkraft der Reliquien

Mit Pilgerzeichen meist aus unedlem Metall konnte man kaum Geschäfte machen. Sie wurden schnell und billig in kleinen Gießereien hergestellt. Mehr war aus Reliquien und Ablassbriefen herauszuholen. Nach der Reformation wurden Monstranzen und Reliquienbehälter, sofern sie aus Gold oder Silber bestanden, in großen Mengen eingeschmolzen. Wenige Stücke erinnern in Museen an den Glauben an die Wunderkraft der Reliquien. Durch ihren Erwerb konnte man sich nach damaligem Glauben schon ein paar hundert Jahre Höllenqual ersparen. Den gleiche Effekt hoffte man zu erzielen, wenn man für einige Groschen, Taler oder Dukaten Ablass von seinen Sünden erkaufte. Viel Geld war dabei im Spiel, und das Interesse an den Ablassbriefen war groß. Im frühen 16. Jahrhundert trieb der Ablasshändler Johann Tetzel in Berlin und der Mark Brandenburg sein Unwesen, eine schillernde Figur, die mit großer Redner- und Überzeugungsgabe ausgestattet war und den wundergläubigen Leuten das Blaue vom Himmel versprach. Der Dominikanermönch wurde 1516 in Berlin ehrfürchtig begrüßt, seine Predigten, in denen er Sünden wortgewaltig geißelte und zahlungswilligen Sündern Vergebung versprach, fanden großen Zulauf. Vor dem Dominikanerkloster in der Nähe des Berliner Stadtschlosses errichtete Tetzel einen Stand, auf dem er die vom Bruder des brandenburgischen Kurfürsten, Erzbischof Albrecht von Mainz, ausgestellten Ablassbriefe verkaufte. Sie gewährten dem Erwerber „vollkommenen Ablass und Erlass aller Sünden“ für verschiedene Missetaten, Übertretungen und Sünden, mögen sie auch noch so schwer gewesen sein. Tetzel behauptete, für alle Sünden Vergebung erteilen zu können, also auch für böse Taten, und dies sogar im Voraus für Vergehen und Verbrechen, die noch gar nicht begangen wurden. Der betreffende Werbespruch „Wenn das Geld im Kasten klingt, / die Seele im hui aus dem Fegefeuer springt“ wurde weit über die Grenzen Brandenburgs bekannt.

„Legt ein, legt ein, legt ein!“

Als 1516 wieder einmal die Pest an der Spree wütete und in fast jeder Familie schreckliche Ernte hielt, hatte Tetzel ein zusätzliches Verkaufsargument für seine Ablasszettel. Er bezeichnete die Seuche als göttliche Strafe, die man nur durch Geldzahlungen mindern kann. „Des Herren Hand ruht schwer auf uns, wir sind mit den härtesten Strafen und Martern geplagt, von denen Ihr mit geringer Almosengabe Euch erlösen könnt!“, rief der Mönch den ängstlichen Gläubigen zu. Er appellierte mit geradezu erpresserischen Worten an die Menge wie „O ihr harten und nachlässigen Seelen! Du dort kannst deinen Vater für 12 Groschen aus dem Fegefeuer herausziehen, und bist du undankbar und willst deinem Vater in so großer Pein, die er leiden muss, nicht zu Hilfe kommen? Ich will am Jüngsten Gericht entschuldigt sein, Ihr aber mögt zusehen, wie Ihr auskommt! Legt ein, legt ein, legt ein!“ Das wollten sich niemand zweimal sagen lassen, und so tat man, wie der Dominikanermönch es gefordert hatte. Dass die Leute einem Betrüger aufgesessen waren, der den Großteil der Einnahmen Kardinal Albrecht von Brandenburg ablieferte, dürfte kaum jemand gewusst haben.

Mit der Zeit aber nahm man an dem marktschreierischen Gebaren des Mönchs Anstoß. Als er genug Geld gescheffelt hatte, setzte er sich in Richtung Jüterbog ab und wurde, wie der Chronist Angelus erzählt, von bewaffneten Reitern überfallen. Tetzel war empört, doch die Straßenräuber antworteten lachend, sie hätten ja schon vorab Ablass für ihre Sünden und diesen Überfall erhalten. „Da ich einen Ablassbrief von Dir selbst empfangen habe, nehme ich das Geld und mache mir kein Gewissen daraus. Ich bedanke mich noch bei Dir wegen der Absolution und nun ade, zur guten Nacht!“

Den Nerv der Zeit getroffen

Mit seiner Kritik an der Kirche traf der Reformator einen Nerv der Zeit. Weil mit Reliquien sowie Heils- und Ablassversprechungen viel Schindluder getrieben wurde, war das Aufbegehren nicht verwunderlich. Martin Luther verurteilte den Ablasshandel als Betrug, denn durch den Kauf der Zettel würden die Gläubigen nicht zu wahrer Buße und echter Reue geführt werden. Die Kirchenrevolte, die Luther am 31. Oktober 1517 durch den Anschlag seiner 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg auslöste, resultierte auch aus der Unzufriedenheit über den von Tetzel und seinem Auftraggeber, Kardinal Albrecht von Brandenburg, forcierten Ablasshandel, aber auch aus dem unseligen Reliquienkult und überhaupt dem Machtmissbrauch und der Raffgier der geistlichen Fürsten und ihrer willigen Helfer, wie Tetzel einer war.

Seine Forderungen fanden großen Anklang und heftige Gegenwehr von denen, die vom Ablasshandel profitierten. Luther wetterte gegen den „Reliquienkram“, und so begann im Zuge der Reformation ein Bildersturm ohnegleichen, bei dem viele bis dahin verehrte Reliquien zerstört wurden. Das muss die Kurfürsten von Sachsen und Kardinal Albrecht von Mainz, der als geborener Markgraf von Brandenburg Tetzel den Weg nach Brandenburg und Berlin geebnet hatte, als Besitzer prächtiger Reliquiensammlungen schwer getroffen haben. Die Kirchenschätze aus Gold und Silber wurden nach der Einführung der Reformation in der Mark Brandenburg (1539) und der Aufhebung der Klöster eingezogen und der kurfürstlichen Münze übergebe. Viele aus Gold und Silber gefertigten Monstranzen und Heiligenschreine wurden in der Reformationszeit eingeschmolzen und in klingende Münze verwandelt.

26. Februar 2024