Leben auf dem Pulverfass
Wovon alte Münzen und Medaillen der Balkanstaaten und der Türkei erzählen



Die von Johann Balthasar Gass geschaffene Medaille von 1770 feiert den Sieg des Admirals Orlow in der Seeschlacht von Tschesme, der den Russen den Weg zur Eroberung der Krim und umliegenden Region ebnete.



Die Medaille von 1855 auf die Einnahme von Sewastopol feiert Frankreichs Kaiser Napoleon III. als einen der Gewinner des Krimkrieges. Westeuropäischen Mächte griffen ein, um die russische Gebietserweiterung auf Kosten der Türkei zu verhindern.





Die mitten im Ersten Weltkrieg geprägten Medaillen von 1915 feiern die Waffenbrüderschaft zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und der Türkei. Das war die Zeit, in der die Türkei den Völkermord an den Armeniern beging. Dass sich Deutsche an dem Genozid beteiligten, wurde erst mehr als einem Jahrhundert später eingeräumt.





Die französische Karikatur verspottet den „kranken Mann am Bosporus“, mit dem der mit dem deutschen Kaiser Wilhelm II. freundschaftlich verbundene Sultan Abdül Hamid II. gemeint war. Ihm hat man 1894 eine am Rock zu tragende Medaille gewidmet.



Die Gedenkstele für die im Ersten Weltkrieg ermordeten Armenier wurde am 23. April 2016 neben der Berliner Hedwigskathedrale enthüllt. (Fotos/Repros: Caspar)

Unter der glänzenden Oberfläche von Münzen und Medaillen verbergen sich nicht selten grausige Geschichten. So ist es auch mit Erinnerungsstücken aus der Kaiserzeit, die die damals zelebrierte deutsch-türkische Freundschaft würdigen. Schon im 18. Jahrhundert hatten sich europäische Monarchen und ihre Generäle nach den Kriegen gegen das Osmanische Reich als Sieger feiern lassen. Die Russische Kaiserin Katharina II., genannt die Große, scheute keine Kosten und Mühen, die Eroberung von bisher türkisch beherrschten Gebieten bis hin zur Krim auf Medaillen zu feiern. Die Opfer dieser blutigen Auseinandersetzungen um Länder, Meere und Einflussgebiete hat man nicht der Erinnerung für würdig erachtet. Doch sollte man sie beim Anblick der Prägestücke und auch von Auszeichnungsmedaillen im Auge behalten, die man Offizieren und Soldaten an die Uniform gesteckt hat.

Willkürliche Gebietsveränderungen

Im Jahr 1875 hatten sich Völker auf dem Balkan gegen die türkische Herrschaft erhoben, unterstützt von russischen Freiwilligen. Zwei Jahre später führten das Zarenreich und die Türkei miteinander erneut einen Krieg, der der Türkei herbe Gebietsverluste eintrug. Der Friedensschluss bescherte Serbien, Montenegro und Rumänien die Unabhängigkeit, während sich Bulgarien bis ans Ägäische Meer ausdehnte. Russland bekam Teile Armeniens und Bessarabiens. Dieser Machtzuwachs beunruhigte Österreich-Ungarn, das im Einverständnis mit Großbritannien der Türkei Beistand versprach. Eine gefährliche Situation war entstanden, der Reichskanzler Otto von Bismarck durch Einberufung eines Kongresses 1878 nach Berlin zu begegnen suchte.

Das noch junge Deutsche Reich gedachte die zwischen den Großmächten bestehenden Interessengegensätze auszunutzen, um eigene Positionen zu stärken. Die Folge der damals oft willkürlich vorgenommenen Gebietsveränderungen ließen die Region zu einem Pulverfass werden. Selbstverständlich wurden die Völker nicht um Zustimmung gebeten, so dass es bis heute an verschiedenen Stellen zu Spannungen, ja zu Kriegen und Grenzstreitigkeiten kommt. Die neuen Staaten führten eigene Währungen ein. Ab und zu bietet der Münzhandel Münzen, Medaillen und Geldscheine von damals an.

Neue unabhängige Staaten

Auf dem von Bismarck geleiteten Berliner Kongress ging es um die Regelung der so genannten Balkanfrage und die Beilegung der Orientkrise. Auf britischen und österreichischen Druck wurden die Friedensbedingungen von San Stefano revidiert. So wurde Bulgarien als autonomes Fürstentum bestätigt, Montenegro, Serbien und Rumänien wurden unabhängige Staaten und erhielten, wie Griechenland auch, auf türkische Kosten neue Territorien. Es versteht sich, dass sie ihre gewonnene Souveränität auch durch neue Münzen und Medaillen vor der Welt bekundeten. Hauptgewinner der Verhandlungen waren der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn, der Bosnien-Herzegowina okkupierte, und Russland, das ehemals türkische Besitzungen in Asien sowie Bessarabien erhielt. Ebenso gehörte Großbritannien zu den Nutznießern des Länderschachers. Queen Victoria eignete sich die Mittelmeerinsel Zypern an.

Unzufrieden zeigte sich Russland während und nach dem Berliner Kongress. Es fühlte sich vom deutschen Reichskanzler hintergangen glaubte und warf ihm illoyale Verhandlungsführung vor. Otto von Bismarck wies die Anschuldigungen zurück. Das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn kamen sich näher. Der im Oktober 1879 zwischen Kaiser Wilhelm I. und Kaiser Franz Joseph abgeschlossene Zweibund verpflichtete beide Staaten zu gegenseitigem Beistand im Falle einer russischen Aggression. Für Bismarck war der Vertrag Ausgangspunkt einer noch zu schaffenden Friedensordnung in Europa, die auch Russland einschließen sollte.

Dreikaiserbündnis und Rückversicherungsvertrag

Im Jahr 1881 einigten sich Deutschland und Österreich-Ungarn mit dem neuen russischen Zaren Alexander III. auf das Dreikaiserbündnis, das die Beteiligten zu „wohlwollender Neutralität“ im Falle eines Krieges mit einem vierten Staat verpflichtete. Außerdem sollten die Verhältnisse auf dem Balkan nur in gegenseitigem Einverständnis verändert werden. 1887 verpflichtete sich das Deutsche Reich im Rückversicherungsvertrag zur Anerkennung der „historischen Rechte“ Russlands auf dem Balkan und zu politischem Beistand bei der Verteidigung russischer Positionen am Schwarzen Meer. Das war die Grundlage auch für gute, ja freundschaftliche Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei. Man tauschte Geschenke und Artigkeiten aus, und wo es sich ergab, hat man bei Staatsbesuchen auch Medaillen geprägt.

Mitten im Ersten Weltkrieg sollen eineinhalb Millionen Armenier von Soldaten des Osmanischen Reichs ermordet oder in den Tod getrieben worden sein. Die herrschende Clique verteufelte ihre Opfer als Wucherer, die schlimmer noch als die Juden seien, und sahen in ihnen nur Ungeziefer, das beseitigt werden muss. Diesem Urteil schlossen sich fast ausnahmslos kaiserlich-deutsche Diplomaten und Militärs an. Das deutschen Kaiserreich sah dem Genozid untätig zu, ja stand den Mordkommandos des Sultans hilfreich zur Seite.

Völkermord mit deutscher Hilfe

Jahrzehnte später wehrt sich die türkische Regierung mit Blick auf ihren Gründungsmythos dagegen, dass das unter der Regie der so genannten Jungtürken mit deutscher Hilfe begangene Verbrechen Völkermord genannt wird. Während man in Armenien von mindestens 1,5 Millionen zwischen 1915 und 1917 ums Leben gekommenen Menschen spricht, glaubt die türkische Regierung, dass es „nur“ 300.000 bis 500.000 waren, und rechnet auf, dass ebenso vielen Türken bei bürgerkriegsartigen Kämpfen und Hungersnöten starben.

Erinnert sei, dass der mit Kaiser Wilhelm II. befreundete Sultan Abdül Hamid II., in dessen Zeit jener Völkermord stattfand, ausgesprochen dünnhäutig und erbost reagierte, wenn man ihn wegen seiner riesigen Nase verspottete. Scherze über ihn kränkten den Autokraten so sehr, dass er das Wort „Nase“ kurzerhand verbot. Der Erlass bewirkte, dass Karikaturisten sich nun erst recht seines Riechorgans annahmen und ihm in Bild und Schrift einen europa- und weltweiten Bekanntheitsgrad verschafften. Den Dichter Wilhelm Hauff konnte der Sultan wegen seines Märchens „Zwerg Nase“ nicht mehr belangen, weil er schon 1827 gestorben war.

Deutsche Militärs hatten sich mitten im Ersten Weltkrieg an der massenhaften Ausrottung der Armenier und zum Teil an Deportationen beteiligt. Die deutsche Reichsregierung ignorierte Warnungen aus Diplomaten- und Gelehrtenkreisen, denn sie war an guten Beziehungen zu ihren türkischen Verbündeten interessiert und nahm den Tod unzähliger Armenier und weiterer Völkerschaften in Kauf, die der Kollaboration mit Russland beschuldigt wurden. Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg erklärte in Kenntnis des Völkermordes: „Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig, ob darüber Armenier zugrunde gehen oder nicht“. Als Adolf Hitler am 22. August 1939 den Oberbefehlshabern der deutschen Heeresgruppen den Überfall auf Polen ankündigte, befahl er ihnen, „mitleidlos Mann, Weib und Kind polnischer Abstammung und Sprache in den Tod zu schicken“ und stellte mit Blick auf das Jahr 1915 die Frage: „Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier?“ Völkermord an Armeniern

Lange hat sich die Bundesrepublik Deutschland dagegen gesperrt, den Völkermord an den christlichen Armeniern als solchen zu bezeichnen. Nach jahrzehntelanger Zurückhaltung gab die Politik unter dem Eindruck bohrender Nachfragen und öffentlicher Diskussionen ihre Zurückhaltung gegenüber der Regierung in Ankara und den in Deutschland lebenden Türken auf. Der damalige Bundespräsident Joachim Gauck gedachte am 23. April 2015 im Berliner Dom und der Deutsche Bundestag einen Tag später der Opfer, womit sie sich den Zorn der türkischen Regierung zuzogen. „Wir gedenken in dieser Stunde der Angehörigen des armenischen Volkes, die vor einem Jahrhundert zu Hunderttausenden Opfer von geplanten und systematischen Mordaktionen geworden sind. Unterschiedslos wurden Frauen und Männer, Kinder und Greise verschleppt, auf Todesmärsche geschickt, ohne jeden Schutz und ohne jede Nahrung in Steppe und in Wüste ausgesetzt, bei lebendigem Leibe verbrannt, zu Tode gehetzt, erschlagen und erschossen. Diese geplante und kalkulierte verbrecherische Tat traf die Armenier aus einem einzigen Grund: weil sie Armenier waren. Ähnlich traf es ihre Leidensgenossen, die Pontos-Griechen, die Assyrer oder Aramäer“, erklärte Gauck. Das Schicksal der Armenier stehe beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist. Im Schatten von Kriegen seien diese Verbrechen begangen worden, der Krieg habe auch als Legitimation solcher Untaten gedient. So sei es im Ersten Weltkrieg den Armeniern geschehen, und so sei es im Laufe des 20. Jahrhunderts auch andernorts geschehen und so geschehe es bis heute. 17. August 2023