Dornröschen und Hans im Glück
Märchenmotive auf Münzen sind ziemlich neu und kommen beim Publikum gut an

Dass das Märchen vom gestiefelten Kater der Brüder Grimm, Lessings Nathan der Weise sowie der Minnesänger Walther von der Vogelweide und andere Motive aus der Welt der Literatur auf deutschen Gedenkmünzen erscheinen, hätte man sich vor hundert Jahren kaum träumen lassen. Die Ausgaben könnten Basis einer Sammlung sein, die sich mit der Darstellung von Dichtern und Romanautoren sowie literarischen Themen auf Münzen und Medaillen befasst.


Die Erstveröffentlichung von Grimms Märchen 1812 war 200 Jahre später Anlass, eine deutsche Märchenserie aufzulegen. Sie umfasst einschließlich der Münze mit den Köpfen der beiden Sprachforscher und Märchensammler zwölf Ausgaben, die 2023 mit „Hans im Glück“ beendet wurde.

Das von Syrius Eberle geschaffene Denkmal der Brüder Jacob und Wilhelm wurde 1896 vor dem Rathaus ihrer Geburtsstadt Hanau enthüllt. Auf dem Sankt-Matthäus-Friedhof in Berlin-Schöneberg fanden die Brüder und und weitere Familienangehörige ihre letzte Ruhe.

Abgebildet ist auf der Ausgabe von 2015 zu Dornröschen das schlafende, auf einem Stuhl sitzende Mädchen. Die vergiftete Spindel liegt am Boden, mit der sich das Mädchen in den Finger gestochen hatte.

Beim Märchenbrunnen im Berliner Volkspark Friedrichshain darf Dornröschen nicht fehlen, und Bremen besitzt am Rathaus mit den von Gerhard Marcks geschaffenen Stadtmusikanten ein markantes Wahrzeichen.

Wie sich Rotkäppchen sich auf dem Weg durch den Wald eines gefräßigen Wolfs erwehrt, zeigt die Münze von 2016. Daneben geht das tapfere Schneiderlein auf der Ausgaben von 2019 listenreich aus dem Kampf mit einem Riesen hervor.


Til Eulenspiegel macht sich auf der Gedenkmünze von 2011 über seine leicht- und wundergläubigen Mitmenschen lustig, und der Lügenbaron von Münchhausen fliegt auf der Ausgabe von 2023 auf der Kanonenkugel durch die Luft. So genannte Farbmünzen wie diese haben sich inzwischen weltweit etabliert und scheinen den Sammlern zu gefallen.

Die Notgeldscheine aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg schildern Episoden aus den Erzählungen des Lügenbarons, dessen Familie alles andere als begeistert war, einen solchen Verwandten zu haben. (Fotos/Repros: Caspar, Wuthenow)
Solange Kaiser, Könige und Fürsten herrschten, hat man sie auf Münzen dargestellt und durch Medaillen verherrlicht. Überdies waren Motive aus der antiken Mythologie beziehungsweise der Bibel und aus Heiligenlegenden beliebt. Es dauerte lange Zeit, bis man auch Gelehrte und Künstler mit Gedenkmünzen ehrte. In Schwung kam dieses Thema erst richtig in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, als man dazu überging, Dichter, Musiker, Wissenschaftler, Politiker und andere Persönlichkeiten durch ihre Porträts beziehungsweise charakteristische Bilder aus ihrem Leben und Werk zu ehren.
Wir alle kennen das Märchen von Dornröschen, vom Rumpelstilzchen und der Frau Holle und die vielen anderen Geschichten. Von den Brüdern Grimm vor über 200 Jahren in deutscher Sprache aufgeschrieben und 1812 in ihren Kinder- und Hausmärchen veröffentlicht, sind sie in verschiedenen Fassungen und Sprachen überliefert. Manche wurden verfilmt und vertont. Für die numismatische Reise durch die Welt der Märchen gab es 2012 guten einen Anlass, denn zu Weihnachten 1812 kam der erste Band der von den Brüdern Jacob und Wilhelm Grimm gesammelten „Kinder und Hausmärchen“ heraus. Das Buch verkaufte sich anfangs nur langsam, denn die Zeiten waren schlecht und die Leute hatten andere Sorgen als alte Märchen zu lesen. Erst 1819 gab es eine zweite Ausgabe, und langsam stellte sich der Erfolg ein, so dass alsbald auch illustrierte Märchenbücher gedruckt werden konnte. Wenn man die Bücher nacheinander betrachtet und liest, dann wird deutlich, wie die Brüder Grimm die ihnen von der Obst- und Gemüsehändlerin Dorothea Viehmann und anderen Erzählern zugetragenen Märchen bearbeitet und verändert haben.
Deutsches Wörterbuch
Die 1837 aus Göttingen wegen politischer Differenzen mit König Friedrich August von Hannover ausgewiesenen und danach in Kassel beziehungsweise in Berlin lebenden Sprachforscher und Herausgeber des Deutschen Wörterbuchs legten sieben Auflagen der Großen und zehn Auflagen der Kleinen Märchenausgabe vor. Sie erlebten auch noch, dass ihre Sammlung in die wichtigsten europäischen Sprachen übersetzt wurde und sogar in Amerika großen Anklang fand. Nach 1945 eroberten die Hausmärchen auch Asien, wo sie das am meisten verbreitete Buch deutschen Ursprungs darstellen.
Im Frühsommer 1854 erschien in Leipzig der erste Band das „Deutsche Wörterbuch“ der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm, dem im Laufe eines Jahrhunderts 31 weitere folgen sollten. Seit 1838 hatten die Sprachforscher an dem Projekt gearbeitet. In Berlin fanden sie ausreichende Lebens- und Arbeitsbedingungen und konnten sich ganz dem Sammeln von Zeugnissen der deutschen Sprachgeschichte vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart widmen. Sprachlexika hatte es schon lange gegeben, doch das Grimmsche Wörterbuch übertraf alle Erwartungen. Von ihrem Werk, in dem sie die Kleinschreibung konsequent anwandten, hatten die Brüder Grimm die romantische Vorstellung, denn es könne „mit andacht und verlangen“ als eine Art Hausbuch gelesen werden. „Warum sollte nicht der vater ein paar wörter ausheben und sie abends mit dem knaben durchgehend zugleich (auf) ihre sprachgabe prüfen und die eigene auffrischen? die mutter würde gern zuhören“. Der in der Vorrede zum ersten Band von 1854 beschriebene Fall dürfte selten eingetreten sein. Vielmehr haben Generationen von Sprachwissenschaftlern, Autoren und Übersetzern das Wörterbuch für eigenen Arbeit genutzt und es dann und wann mit eigenen Wortschöpfungen auch bereichert.
Lauf nicht weg vom Weg ab
Die deutsche Münzserie mit Motiven aus den Märchen der Brüder Grimm erwies sich als Verkaufsschlager. Auf ihnen sind markante Szenen dargestellt, die in Erinnerung sind, wenn man schon längst aus dem Alter der Märchenleser ist. Ausgegeben wurden als Zwanzig-Euro-Münzen folgende Motive: 2013 Schneewittchen (Gestalter: Bastian Prillwitz), 2014 Hänsel und Gretel (Marianne Dietz), 2025 Dornröschen (Marianne Dietz), 2016 Rotkäppchen (Elena Gerber), 2017 Bremer Stadtmusikanten (Elena Dietz), Froschkönig (Anne Karen Hentschel), 2019 Das tapfere Schneiderlein (Marianne Dietz), 2020 Der Wolf und die sieben Geislein (Adelheid Fuss), 2021 Frau Holle (Jordi Truxa), 2022 Rumpelstilzchen (Katrin Pannicke) und 2023 Hans im Glück (Michael Otto).
Bei „Rotkäppchen“ erkennt man das kleine Mädchen mit der roten Mütze, wie es auf dem Weg zur Großmutter im Wald dem bösen Wolf begegnet. Die Auswahl fiel der Jury nicht leicht, denn auch die mit dem zweiten und dritten Preis bedachten Vorschläge und weitere Einsendungen lassen sich sehen und bringen das dramatische Geschehen gut auf den Punkt. Die meisten Motive zeigen Rotkäppchen im Dialog mit dem Wolf, doch kommt auch eine Szene vor, auf der die Mutter ihrer Tochter sagt, sie dürfe auf keinen Fall vom Weg abweichen, während links davon der Wolf schon auf sein Opfer wartet. Auf dem Rand liest man die Warnung der Mutter an das Kind UND LAUF NICHT VOM WEG AB. Bei „Rumpelstilzchen“ sieht man die Müllerstochter, Rumpelstilzchen und die Wiege des erstgeborenen Kindes der Müllerstochter. Als am Ende der bösartige und eifersüchtige Zwerg beim Namen genannt wird, muss er auf die Entführung des Kindes verzichten. Lustig geht es bei „Hans im Glück“ zu. Da tauscht auf seiner Wanderschaft der ahnungslose Hans seinen Besitz gegen geringwertige Dinge ein und kommt am Ende aus seinem Abenteuer als froher und und mit sich zufriedener Mensch heraus.
Rache der bösen Fee
Das Märchen von Dornröschen erzählt, dass eine Königin nach langer Zeit ein Mädchen zur Welt gebracht hat. Ihr über seinen Nachwuchs glücklicher Gemahl lässt ein Fest ausrichten, zu dem zwölf Feen eingeladen waren. Weil aber das Geschirr nicht ausreicht, kann die dreizehnte Fee an dem Gelage nicht teilnehmen. Außer sich vor Zorn spricht sie über das neugeborene Kind einen Fluch aus, nach dem die Prinzessin an ihrem fünfzehnten Geburtstag sterben soll. Aus Mitleid wandelt eine der zum Fest geladenen Feen die Strafe in einen hundertjährigen Tiefschlaf um. So nimmt das Schicksal seinen Lauf. Nichtsahnend besucht die Prinzessin an jenem Geburtstag eine alte Frau im Schloss, die Flachs zu Fäden spinnt. Als sie das probiert, sticht sie die vergiftete Spindel in den Finger. Darauf fällt das Mädchen, die königlichen Familie und die Dienerschaft in einen hundertjährigen Schlaf. Um das Schloss wächst ein dichtes Dornengestrüpp, das kein Durchkommen zulässt. Als die Rosen erblühen und die Frist herum ist, gelingt es einem Prinzen, das Dickicht zu überwinden und zu dem schlafenden Mädchen vorzudringen, das durch einen Kuss aus dem Tiefschlaf erweckt wird. Auch alle anderen wachen auf und setzen ihre Arbeit dort fort, an dem sie unterbrochen hatten.
Im Märchen vom Froschkönig bietet der Frosch einer Prinzessin an, ihre beim Spielen in einen Brunnen gefallene goldene Kugel wieder ans Tageslicht zu holen. Er stellt aber zur Bedingung, dass sie Freunde werden und er mit dem Mädchen Tisch und Bett teilen darf. Die Prinzessin geht auf das Ansinnen ein und bekommt die Kugel zurück. Doch denkt sie nicht daran, ihr Versprechen einzulösen. Eines Tages kommt der Frosch ins Schloss und erinnert die Königstochter an ihre Zusage. Der Vater bestimmt, dass der Frosch auf dem Tisch sitzen und am Essen teilnehmen darf. Aber als dieser zur Prinzessin auch ins Bett kriechen will, wirft sie ihn voller Abscheu an die Wand – und siehe, er verwandelt sich in einen Prinzen, denn er war von einer Hexe in das Tier verwandelt worden. Wie in Märchen üblich, wird geheiratet. Als das glückliche Paar in das andere Königreich fährt, fallen dem treuen Diener Heinrich eiserne Ketten von der Brust als Zeichen für die Erleichterung darüber, dass sich der verzauberte Frosch in den Prinzen zurückverwandelt hat. Alle leben glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage.
Streiche und Prahlereien
Vorläufer der 2012 bis 2023 aufgelegten Märchenserie war in Deutschland eine von Friedrich Brenner gestaltete Münze zu zehn Euro zur Erinnerung an Til Eulenspiegel, der vor 500 Jahren als ein mal hier und mal dort umherstreifender Schalk und Bürgerschreck in Erinnerung ist. Der Mann mit der Narrenkappe stellte sich absichtlich dumm, spielte aber in Wahrheit gutgläubigen Mitmenschen des späten Mittelalters haarsträubende Streiche, die sie in Verlegenheit und Nachdenken brachten. Rot und blau eingefärbt ist die Münze von 2022, die an die spektakulären Lügengeschichten und Prahlereien des Barons von Münchhausen aus dem späten 18. Jahrhundert und seinen spektakulären Flug auf der Kanonenkugel erinnert. Generationen von Lesern haben sich an den Geschichten des Barons Karl Friedrich Hieronymus von Münchhausen (1720-1797) erfreut und ihnen kein Wort geglaubt. Der Lügenbaron stand in russischen Diensten, nahm an den Kriegszügen gegen die Türken teil und pflegte, nach Deutschland heimgekehrt, seinen Freunden die unglaublichsten Geschichten zu erzählen. Natürlich waren sein Flug auf der Kanonenkugel und sein Lauf mit den Siebenmeilenstiefeln reine Erfindung, auch die Art und Weise, wie er sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen haben will und gar auf einer Bohnenstange zum Mond geklettert ist.
Die Münchhausiaden wären wahrscheinlich in Schall und Rauch aufgegangen, wären sie nicht aufgeschrieben und 1785 zuerst in England, ein Jahr später in Deutschland veröffentlicht worden. Dies geschah gegen den Willen des Aufschneiders aus uraltem Adel. Die von dem Dichter und Göttinger Professor für Ästhetik Gottfried August Bürger herausgegebene „Wunderbare Reise zu Wasser und zu Lande, Feldzüge und lustige Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen“ wurde zum Volksbuch. Druckort dessen, was Münchhausen „bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde“ vortrug, war laut Buchtitel zwar London, doch in Wirklichkeit erschienen die Erzählungen in Göttingen. Bürger gab sich wohlweislich nicht als Editor zu erkennen, fügte aber den phantastischen Geschichten selbst erdachte Episoden hinzu. Die durch namhafte Künstler des späten 18. Jahrhunderts illustrierte Ausgabe wurde zum Volksbuch und trat seinen Siegeszug durch die Welt an.
Baron von Münchhausen war über den Erfolg seiner Erzählungen alles andere als begeistert. Bei seiner Familie und seinen adligen Standesgenossen, die sich zunächst kräftig amüsiert hatten, stieß er nach jenen durch die ungeschminkte Namensnennung besonders kompromittierenden Veröffentlichungen in mehreren Auflagen auf Ablehnung Er fand sich in der Ecke eines elenden Schwadroneurs und Aufschneiders und starb einsam und verbittert auf seinen Gütern in Bodenwerder bei Hameln. Dort lädt ein ihm gewidmetes Museum zu einer kurzweiligen Reise unter dem Motto:„Fantasie lügt nie!“ zu einem Streifzug durch die Literatur- und Kulturgeschichte ein.
19. Juni 2024
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