Goldene Harfe auf blauem Grund
Ab und zu tauchen bei uns fremde Euromünzen auf, und man fragt sich, was ihre Bilder bedeuten
Wer gezielt nach irischem Eurogeld sucht, wird im Münzhandel sowie auf Tauschbörsen und Numismatik-Messen fündig. Auf den vor und nach der Einführung des Euro-Bargeldes geprägten Münzen ist die Harfe kombiniert mit heimischen Sehenswürdigkeiten und auch Tieren wie hier dem Schwan auf einer Ausgabe von 2010.
Indem die Irische Republik die goldene Harfe auf blauem Grund zu ihrem Staatswappen erhob, unterstrich sie Freiheitswillen und Bereitschaft zum Widerstand gegen das englische Nachbarland, das die Iren über Jahrhunderte unterdrückt und ausgebeutet hatte. Mit der Wahl der Harfe als Münzmotiv schlägt Irland eine Brücke in seine Vergangenheit.
Irlands Großes Landeswappen wird aus den Zeichen der vier Provinzen Leinster, Connacht, Munster und Ulster gebildet, die ihrerseits aus mehreren Grafschaften mit eigenen Wappen bestehen.
Das von einem gekrönten Löwen und einem Einhorn flankierte britische Wappen an der Fassade der Britischen Botschaft unweit des Brandenburger Tors zeigt unten links die irische Harfe:
Irland wird auf lateinisch HIBERNIA genannt und ist im Wappen und auf Münzen der englischen Könige als Harfe präsent, hier ein goldener Unite von König Charles I. aus dem 17. Jahrhundert und ein Taler von
George II. von 1729, der seinen noch formalen Titel eines Königs von Frankreich erwähnt.
(Fotos/Repros: Caspar)
Bei vielen Zeitgenossen ist es zu einer Art Volkssport geworden, Wechselgeld nach neuen, auch unbekannten Münzen durchzusehen. Teure Gedenkmünzen aus Euro- und anderen Ländern wird man kaum finden, nach ihnen muss man im Münzhandel fragen oder wird auf Münzmessen fündig. Wohl aber verkrümeln sich Werte von einem Cent bis zwei Euro in unseren Geldbörsen, die Urlauber von ihren Reisen mitgebracht haben und nun daheim zum Bezahlen verwenden. Ich fand eine prägefrische Münze aus Irland zu einem Euro und sah mir die Harfe auf der Vorderseite an. Dabei fragte ich mich, wie das Land zu diesem Instrument kam.
Der englische Papst Hadrian IV. „verlieh“ 1156 Irland Englands berühmtem König Heinrich II. Die dort herrschenden Kleinkönige erkannten die englische Oberhoheit an. Doch bald sah man sich zunehmender Dominanz und Vereinnahmung durch das benachbarte England ausgesetzt. Englischen Baronen gelang es mit der Zeit, große Ländereien an sich zu reißen. Die Einheimischen wurden aus dem fruchtbaren Westen in abgelegene Gebiete verdrängt und durch englische, schottische und walisische Einwanderer ersetzt. Der verharmlosend Plantation (Pflanzung) genannte Landraub war die Wurzel jahrhundertelang schwelender ethno-religiöser Konflikte, die vor allem in Nordirland bis heute nachwirken. Nach Friedrich Schillers Drama „Wallenstein“ (Die Piccolomini, Fünfter Aufzug, erster Auftritt) könnte man über diese Entwicklung sagen „Das eben ist der Fluch der bösen Tat, / Dass sie, fortzeugend, immer Böses muss gebären.“
Dass Großbritannien noch lange nicht mit seiner alles andere als ruhmreichen Kolonialgeschichte im Reinen ist, zeigen immer wieder erhobene Forderungen der ehemals unterdrückten, ausgebeuteten und diskriminierten Völker an die Regierung in London, die sich um Wiedergutmachung und Entschädigung drückt. Erst kürzlich musste sich König Charles III. bei seinem Besuch in Australien, dessen formales Oberhaupt er ist, von Vertretern der indigenen Bevölkerung anhören „Ihr habt uns Land geraubt, wir wollen es zurück haben.“
Diskriminierende Gesetze und Hungersnöte
Weil sie katholisch waren und blieben, wurden die Iren diskriminierenden Gesetzen unterworfen. Sie durften keine öffentlichen Ämter ausüben und besaßen auch nicht das aktive Wahlrecht. Die Briten haben ihnen höhere Bildung sowie Erwerb oder Pacht von Grundbesitz verweigert. Von 1845 bis 1849 führten der rücksichtslose Landraub und die Ausbeutung durch englische Großgrundbesitzer sowie Kartoffelfäule und Missernten in Irland zu einer Hungersnot unvorstellbaren Ausmaßes. Bis zu 1,5 Millionen Iren sollen verhungert sein, und wer konnte, wanderten in die USA aus. Es wird berichtet, dass britische Behörden absichtlich die Eindämmung der Hungersnot verschleppten, weshalb man ihnen systematischen Völkermord vorgeworfen hat. Sie sollen Nahrungsmittel billig aus Irland bezogen zu haben, um im „Mutterland“ die Lebensmittelpreise niedrig zu halten und so revolutionären Ausbrüchen vorzubeugen, wie sie gerade andere europäische Staaten erschütterten. Von den Vereinigten Staaten aus strebte die irische Geheimorganisation der Fenian Brotherhood die Loslösung des Landes von England und die Gründung einer Republik an, was erst mehr als ein halbes Jahrhundert später gelang.
Nach dem Ersten Weltkrieg (1914-1918) erschütterte ein blutiger Bürgerkrieg das Land, in dessen Verlauf 1918 die Gründung der Republik Irland verkündet wurde. Allerdings blieben sechs Grafschaften in der Provinz Ulster weiterhin beim Vereinigten Königreich. Im Hauptteil der irischen Insel entstand ein Freistaat, der sich erst 1937 eine Verfassung gab. Sie definierte Irland als souveräne, unabhängige, demokratische Republik mit einem Präsidenten an der Spitze. Während des Zweiten Weltkriegs bediente sich Nazideutschland der Kollaboration irischer Nationalisten im Kampf gegen Großbritannien. Es gab von Untergrundkämpfern ausgelöste Bombenattentate und andere Verbrechen, doch führten sie nicht zur Vereinigung der Republik mit Nordirland.
Ausbeutung und Unterdrückung sind unvergessen
Die ins 17. Jahrhundert reichenden Probleme sind lange nicht ausgeräumt. Sie werden unter dem Begriff Nordirlandkonflikt zusammengefasst und meinen bürgerkriegsartige Identitäts- und Machtkämpfe zwischen den Protestanten, die als Unionisten weiter Teil des Vereinigten Königreichs bleiben wollen, und den Katholiken, die sich die Vereinigung mit der katholisch geprägten Republik Irland wünschen. Die blutigen Kämpfe in früheren Jahrhunderten sind bis heute im Bewusstsein der Iren präsent und werden als Grund für immer wiederkehrende Gewaltaktionen angegeben. Dabei spielt die verbotene Irische Republikanische Armee (IRA) eine große Rolle. Sie versuchte mit allen Mitteln, Nordirland von Großbritannien zu lösen und mit der Republik Irland zu vereinen. Seit dem Karfreitagsabkommen von 1998 und dem Verzicht der Republik Irland auf die Wiedervereinigung mit Nordirland kam es zu einer Entspannung im Verhältnis beider Länder.
Die irischen Euromünzen strahlen in ihrer Bewahrung der Tradition gerichteten Gestaltung Erhabenheit und Harmonie aus. Dabei erlebte das Land eine lange, von vielen inneren Kämpfen und verlustreichen Auseinandersetzungen mit dem englischen Nachbarn geprägte Periode. Die nach wie vor brodelnden religiösen Konflikte zwischen alteingesessenen irischen Katholiken und umgesiedelten britischen Protestanten sind Folgen einer fatalen britischen Politik der Unterdrückung und Ausgrenzung. Von alledem erkennt man auf den Euromünzen der Republik Irland nichts. Sie erinnern an die bis ins Mittelalter zurück reichende Pflege der Musik und an eine Zeit, da berühmte, oft blinde Sänger und Harfenspieler durch die Lande zogen. Durchgängiges Motiv auf vielen, freilich nicht allen Werten ist eine keltische Harfe, um die die Europasterne kreisen.
Das Instrument ist überall auf der Insel präsent, auf Briefmarken und Münzen ebenso wie auf amtlichen Papieren und sogar auf den Uniformknöpfen der Soldaten. Für das Münzmotiv gibt es im Dubliner Nationalmuseum ein historisches Vorbild aus dem 14. oder 15. Jahrhundert. Während der Herrschaft der Briten wurde das Spiel der bis dahin angesehenen Harfenisten auf den Index gesetzt. Irische Musiker spielten mit ihrem Leben, denn wer die Harfe spielte, musste damit rechnen, von englischen Häschern gefangen genommen oder als Unruhestifter hingerichtet zu werden.
Ansprüche auf fremde Titel und Länder
Obwohl Irland ab 1999 in der staatlichen Prägeanstalt in Dublin seine Euromünzen auf Vorrat hergestellt hat, ist auf den ersten Stücken nur die Jahreszahl 2002 zu erkennen. Erhebliche Aufschläge gibt es bei Sammlersets, die die Irische Zentralbank in besonderen Verpackungen anbietet. Abwechslungsreich sind die Ausgaben zu zehn und mehr Euro aus Edelmetall gestaltet. Themen und Motive gibt es zur Genüge, und man kann an ihnen irische Geschichte sowie markante Ereignissen und Persönlichkeiten kennenlernen.
Erwähnt sei, dass die Harfe als heraldisches Symbol bereits auf irischen Münzen des 16. Jahrhunderts, aber auch auf englischen Geldstücken späterer Zeit erscheint. Mit der Aufnahme der Harfe in das englische Königswappen, erkennbar auf Silber- und Goldmünzen seit dem frühen 17. Jahrhundert, wurde Irland als fester Bestandteil der englischen Monarchie betont. In ähnlicher Weise wurden übrigens in Titeln sowie auf Wappen und geprägtem Metall englische Ansprüche auf Frankreich, von dem in uralten Zeiten ganze Provinzen zur englischen Krone gehörten, dokumentiert. Allerdings war dieser Brauch nur theoretischer Natur.
24. Oktober 2024