„Willst du Frieden, dann hüte die Gerechtigkeit“
Berliner Münzkabinett zeigt Medaillen aus der Sammlung des Freiburger Juristen Thomas Würtenberger





Die Ausstellung „Ius in nummis“ bietet bis 7. April 2024 im Bode-Museum auf der Berliner Museumsinsel in zwölf Segmenten Einblicke in die Medaillensammlung Würtenberger, die das Münzkabinett als Geschenk erhielt.



Die Berliner Bildhauerin und Medailleurin Marianne Dietz schuf zum 80. Geburtstag von Thomas Würtenberger jun. eine Medaille mit dem markanten Porträt des Juristen und Sammlers. Einige seiner Medaillen feiern im schönsten Jugendstil im 19. Jahrhundert erkämpfte demokratische Errungenschaften und unabhängige Rechtsprechung.



Erzengel Michael, der beim Jüngsten Gericht als „Seelenwäger“ Menschen als für das Paradies würdig und unwürdig teilt und als Anführer der himmlischen Heerscharen und Bezwinger des Teufels verehrt wurde, hält in der Ausstellung des Berliner Münzkabinetts Wache. Der Kopf der Justitia mit verbundenen Augen, die Waage und die altrömischen Fasces wollen am Portal des Kriminalgerichts an der Turmstraße im Berliner Ortsteil Moabit sagen, dass hier alles gerecht und gesetzeskonform zugeht.



Dass bei der Wahrung der Menschenrechte und Gesetzlichkeit nicht alles eitel Sonnenschein war, zeigen barocke Spottmedaillen, die das eigennützige Treiben von bestechlichen Advokaten kritisch aufs Korn nehmen.



König Friedrich II. wird auf der Medaille von 1785 als großer Reformator des preußischen Justizwesen und Verteidiger von Recht und Gerechtigkeit gefeiert, der er aber nur bedingt war.





Den Kampf um verfassungsmäßige Zustände während der Revolution von 1848/49 würdigt die Medaille in originalem Etui, die Medaille von 1888 zitiert aus einer berühmten Rede von Otto von Bismarck im Deutschen Reichstag.



Unter den vom Münzkabinett präsentierten Schaustücken befindet sich eine Medaille von Heinrich Wanderé auf die 1919 in Weimar zusammen getretene Nationalversammlung der neu gegründeten Weimarer Republik. Die Schrift um den Frauenkopf zitiert den Artikel 1 der Weimarer Verfassung DAS DEUTSCHE REICH IST EINE REPUBLIK DIE STAATS-GEWALT·GEHT·VOM·VOLKE·AUS.



1971 würdigte die Bundesrepublik Deutschland die Hundertjahrfeier des Deutschen Reichs mit einer Gedenkmünze zu fünf Mark, daneben eine Zehn-Mark-Münze von 2001 zur Fünfzigjahrfeier des Bundesverfassungsgerichts.





Den sexuellen Missbrauch von Kindern in der Kirche prangert eine von Katrin Fahron geschaffene und in der Ausstellungsvitrine des Berliner Medailleurkreises ausgelegte Medaille an. Was von Recht und Gerechtigkeit zu halten ist, schildert die von Andreas A. Jähnig gestaltete Medaille, auf der sich eine mit Geld gefüllte Schale der Waage des Rechts nicht zu seinen Gunsten senkt. (Fotos/Repros: Caspar)

Es kommt nicht alle Tage vor, dass einem Museum eine komplette Sammlung von Münzen und Medaillen übereignet wird. Dem Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz widerfuhr dieses seltene Glück, als es im Januar dieses Jahres die von dem Freiburger Rechtsprofessor Thomas Würtenberger angelegte Kollektion „Ius in nummis“ als Geschenk erhielt. Für das Kabinett im Bode-Museum auf der Museumsinsel war die wissenschaftliche Aufarbeitung und Publikation der numismatischen Objekte von der Renaissance bis heute ebenso Ehrensache wie die Präsentation einer repräsentativen Auswahl in einer bis 7. April 2024 laufenden Ausstellung, betonten Kabinettsdirektor Bernhard Weisser und Kurator Johannes Eberhard in einer Feierstunde anlässlich der Eröffnung Ende Mai 2023 und dankte dem Juristen, Sammler und Forscher Thomas Würtenberger jun. für seine großzügige, das Kabinett auf wunderbare Weise bereichernde Gabe.

Einzigartiges Kulturgut

Das Münzkabinett macht es sich zur Aufgabe, die Sammlung Würtenberger sorgsam zu verwahren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dem dient seit 2020 die digitale Erfassung und Erschließung dieses einzigartigen Kulturguts. Thomas Würtenberger jun. hatte die Sammlung von seinem 1989 verstorbenen Vater übernommen, der ebenfalls den Vornamen Thomas trug und ein bekannter Strafrechtslehrer, Rechtsphilosoph und Kriminologe war. Würtenberger sen. war zu seinem Thema durch Guido Kisch, den Sammler und Autor des Standardwerks „Recht und Gerechtigkeit in der Medaillenkunst“ (Heidelberg 1955), angeregt worden und mühte sich mit großem Erfolg und viel Geduld, eine eigene Kollektion dieser Art aufzubauen.

Die Ausstellung zeigt mehr als 170 Medaillen und einige Münzen, die sich mit Rechtsprechung, Gesetzgebung, Verfassungen und Parlamenten, aber auch Gerichten und Gefängnissen und verwandten Bereichen beschäftigen. Den Anfang machen Vater und Sohn Würtenberger und ihre ungewöhnliche Kollektion, in der immer wieder Justitia mit verbundenen Augen und die Waage der Gerechtigkeit eine Rolle spielen. Wir wissen, dass dieses Symbol für die unbestechliche und gerechte Justiz immer wieder missbraucht wurde und den Menschen auch heute vorgaukelt, dass es jederzeit und überall gerecht auf der Welt zugeht. Doch vermag in eine der beiden Schalen gelegtes Geld oder etwas Gleichwertiges das Recht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Zu lesen sind wunderbare Sprüche wie „Si vis pacem cole iustitiam“ (Wenn du Frieden willst, dann hüte die Gerechtigkeit) auf einer Plakette aus Den Haag aus dem Jahr 1913. Der Satz steht über einem Fenster am Friedenspalast und ist eine Antwort auf das aus der Antike stammende Schlagwort „Si vis pacem pare bellum“ (Wenn du Frieden willst, rüste dich für den Krieg).

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Die Ausstellung würdigt Juristen, Politiker und andere Persönlichkeiten, die in diesem weiten Feld, um mit Theodor Fontane zu sprechen, zu tun hatten, und Rechtsgeschichte geschrieben haben. Sie nimmt Auswüchse und Machenschaften von Advokaten und Richtern kritisch aufs Korn, denn sie hat es immer gegeben und gibt es leider auch heute. In 15 Vitrinen breitet das Münzkabinett in seinem Saal für Sonderausstellungen aus, was auf geprägtem und manchmal auch gegossenen Metall zu diesem Komplex geschaffen wurde. Da Thomas Würtenberger jun. lange in Frankreich tätig war und dort auch lehrte, verwundert es nicht, dass viele seiner Medaillen und Plaketten die Pflege des Rechts in unserem Nachbarland behandeln. Hervorgehoben wird unter anderem Kaiser Napoleon I., der mit seinem auch für andere Länder vorbildlichen Code civil Rechtsgeschichte schrieb, bei seinen Kriegs- und Raubzügen quer durch Europa allerdings das Gegenteil seiner hohen Ansprüche tat.

Die Geschichte lehrt, dass zwischen friedlichen und gerechten Ansprüchen und der rauen, oft ganz und gar ungerechten und menschenfeindlichen Wirklichkeit nicht selten eine große Kluft bestand und leider auch heute in bestimmten Ländern existiert. Denn die schönsten Verfassungen und Gesetzesbücher nutzen nichts, wenn sie von machtgierigen Diktatoren und skrupellosen Kriegstreibern mit Füßen getreten werden, wie wir leidvoll aus der deutschen Geschichte und der anderer Länder erfahren haben. Wenn die preußischen Könige Friedrich II., der Große, und sein Nachfolger Friedrich Wilhelm II. auf Medaillen des 18. Jahrhunderts als Verteidiger des Rechts und bedeutende Gesetzgeber gefeiert werden, dann muss man hinzu denken, dass das von ihnen und den Gerichten gesprochene Recht nicht selten privilegierten Schichten, vor allem dem Adel, zugute kam, während „die da unten“ zusehen mussten, wie sie ihre Ansprüche durchsetzen können. Unverkennbar ist auf einigen Medaillen auch, dass sich gewissenlose und geldgierige Juristen in den Dienst der Mächtigen ihrer Zeit stellten und ihnen – Recht hin oder her – dienten.

Hier Regeln und Gesetze, dort Willkür und Chaos

Die Ausstellung unterstreicht, dass unser Zusammenleben durch Regeln und Gesetze geordnet und durchdrungen ist, denn ohne diese gäbe es nur Willkür und Chaos. Der Rechtsstaat steht dem Unrechtsstaat gegenüber, der Verfassungsstaat der Willkürherrschaft. Mit der Französischen Revolution von 1789, die in der Ausstellung durch einige Medaillen gewürdigt wird, wurden Forderungen nach verfassungsmäßigen Zuständen und parlamentarischen Verhältnissen, nach Abschaffung ganz aus der Zeit gefallener Privilegien laut und immer lauter. Das belegt auch eine Auswahl von Medaillen aus dem 19. Jahrhundert bis hinein in unsere Gegenwart. Eine weitere Vitrine befasst sich mit „Stufen der Gesetzgebung“ und würdigt Rechtsberatung und Rechtsdurchsetzung und daran beteiligte Juristen. Da die Bundesrepublik Deutschland einige Gedenkmünzen mit Bezug auf ihr Grundgesetz und den Bundestag ausgegeben hat, könnten sie den Anfang einer Sammlung zur Rechts- und Parlamentsgeschichte bilden. Dargestellt ist Ein Zehn-Mark-Stück von 2001 zu 50 Jahren Bundesverfassungsgericht zitiert den Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes DIE WÜRDE DES MENSCHEN IST UNANTASDTBAR. SIE ZU ACHTEN UND ZU SCHÜTZEN IST VERPFLICHTUNG ALLERSTAATLICHEN GEWALT.

Dass Gefängnisse für würdig erachtet wurden, auf Medaillen dargestellt zu werden, wird manche Besucher überraschen. Zu sehen ist, wie Medaillen am Ende des 19. Jahrhunderts im Justizskandal gegen den angeblichen Spion Alfred Dreyfus Partei ergreifen. Dass das Thema auf Medaillen behandelt wurde, ist erstaunlich, den Flugblätter und Streitschriften waren bei solchen Auseinandersetzungen stets schneller und konnten auch wortgewaltiger agieren. Es fehlt auch nicht die Darstellung von Parlamenten wie des Deutschen Reichstags auf Medaillen und die Rolle des Reichskanzlers Otto von Bismarck als gefürchteter Redner im obersten Parlament des Deutschen Reiches. Weiter geht es zur Wahl des ersten deutschen Bundespräsidenten Theodor Heus 1949 und zu anderen Abstimmungen. Wir lernen schließlich, wie die Internationalisierung des Rechts ihren Anfang durch Gründung von Institutionen über Ländergrenzen wie der Völkerbund, die Vereinten Nationen und Internationale Gerichte verlief und wie geprägtes Metall ihre Arbeit würdigt. Interesse verdienen schließlich die beiden letzten Vitrinen, in denen der Berliner Medaillenkreis das Thema „Ius in nummis“ auf unterschiedliche Weise und mit verschiedenen Materialien behandelt. Die eigens zum Thema der Ausstellung ins Leben gerufene Edition führt in die Gegenwart und zeigt sowohl die Errungenschaften unserer Demokratie und Rechtsordnung, aber auch wie fragil sie ist und warum sie immer von Neuem verteidigt werden müssen.

6. Juni 2023