Saatkörner ausbringen, reiche Ernte halten
Festvorträge im Berliner Bode-Museum zu Ehren von zwei bedeutenden Münzforschern / 300 Jahre Mittelaltersammlung im Münzkabinett

Der Gobelinsaal des Bode-Museums bietet hin und wieder den festlichen Rahmen, um Ausstellungen zu eröffnen sowie Ergebnisse der numismatischen Forschung vorzustellen und an bedeutende Persönlichkeiten zu erinnern.

Unter Bernhard Weissers Leitung hat sich das Berliner Münzkabinett digital aufgestellt Durch Übernahme von Münzpatenschaften kann man sich an der Dokumentation von Münzen, Medaillen und anderen Objekten des Münzkabinetts beteiligen.

Die 1843 gegründete Numismatische Gesellschaft zu Berlin widmete 2014 ihrem Mitglied, dem langjährigen Direktor des Berliner Münzkabinett Bernd Kluge eine von Marianne Dietz gestaltete und in Bildgießerei Seiler in Schöneiche bei Berlin gegossene Bronzemedaille. Die Auflage beträgt 70 Exemplare.

Fritz Rudolf Künker, Christian Stoess, Bernd Kluge und Bernhard Weisser (v. l. n. r.) freuen sich auf den Zuwachs fürs Berliner Münzkabinett und sehen der Auswertung des ursprünglich aus etwa 300 Denaren aus dem 10. Jahrhundert bestehenden Fundes von Alken erwartungsvoll entgegen. Der Osnabrücker Münzhändler Fritz Rudolf Künker ist dem Berliner Münzkabinett und insbesondere Bernd Kluge seit der politischen Wende 1989/90 freundschaftlich verbunden. Ihm hat die Sammlung manch fehlendes Stück zu verdanken.


Als numismatische Sensation eingestuft, fand der in Belgien gefundene und in Köln geprägte Denar König Heinrichs I. bei der Veranstaltung im Bode-Museums große Beachtung. Dem Münzkabinett wurden nicht nur Reste des Fundes übergeben sondern auch die Scherben eines Topfes, in denen rund 300 Denare aus dem 10. Jahrhundert verborgen waren.

Hermann Dannenberg (1824-1905) war das Superlativ der 1843 gegründeten Numismatischen Gesellschaft zu Berlin, wie Bernd Kluge mit Blick auf seine fast 62jährige Mitgliedschaft und 28 Jahre als Vorsitzender bzw. Ehrenvorsitzender sagte. Die von Ferdinand von Brakenhausen geschaffene Medaille von 1884 feiert den sechzigjährigen Hermann Dannenberg nicht als Numismatiker, sondern als Landgerichtsrat. Die Rückseite bildet seine deutlich jüngere Frau Marie ab.

Die 2024 zu seinem 200. Geburtstag von der Gesellschaft für Internationale Geldgeschichte edierte Silbermedaille wurde von Marianne Dietz gestaltet, den Stempel hat Bodo Broschat geschnitten. Fotos/Repros: Caspar
Zwei bedeutende Numismatiker des 19. Jahrhundert und unserer Zeit standen am 20. Juni 2024 im Mittelpunkt einer Festveranstaltung mit musikalischer Umrahmung von Mittelalter bis Barock im Gobelinsaal des Bode-Museums auf der Berliner Museumsinsel – der vor 200 Jahren geborene und im Hauptberuf als Jurist in Berlin tätige Hermann Dannenberg und der frühere Direktor des Berliner Münzkabinetts Prof. Dr. Bernd Kluge, der unlängst 75 Jahre alt wurde. Beide verbindet das Interesse an mittelalterlichen Münzen, und beide haben große Verdienste um ihre Erforschung und Publikation erworben. Kluge kam 1972 an das Berliner Kabinett und war von 1992 bis 2014 dessen Direktor.
Bernhard Weisser, der heutige Direktor des Münzkabinetts, überbrachte Grüße vom Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und berichtete, dass Bernd Kluge oft im Gobelinsaal gesprochen hat. Mehr als 250 wissenschaftliche Publikationen verzeichnet seine Bibliografie, die 2014 anlässlich seiner Verabschiedung in den (Un-)Ruhestand von der Numismatischen Gesellschaft zu Berlin unter dem Titel „Direktorenjahre 1992-2014 und Schriftenverzeichnis 1976-2014“ veröffentlicht wurde. Kluge organisierte den später in einem dicken Tagungsband dokumentierten XII. Numismatischen Kongress in Berlin, war zur Stelle, als von 1997 bis 2004 das Bode-Museum von Grund auf saniert und das zeitweilig ausgelagerte und nur begrenzt nutzbare Münzkabinett neu strukturiert wurde. Er baute die auf die brandenburgischen Kurfürsten zurückgehende Sammlung zu einer weltweit geachteten Forschungseinrichtung in der Einheit von Museum, Archiv und Wissenschaftsinstitut aus und verfasste einen Katalog der Münzen Friedrichs des Großen und weitere Standardwerke und Ausstellungskataloge. In seiner Laudatio zitierte Bernhard Weißer aus der Bibel (Markus 4) und dem Gleichnis vom Bauern, der überall Getreide aussäte und erst erfolgreich war, als die Körner auf fruchtbaren Boden fielen und aufgingen und das Hundertfache der Aussaat eintrugen. Die von Bernd Kluge ausgestreuten „numismatischen Saatkörner“ seien in reichem Maße aufgegangen und werden es auch künftig tun, sagte Weisser unter dem Beifall der Zuhörer.
Mittelalterbestand 300 Jahre alt
Der Zufall will es, dass das Berliner Münzkabinett 2024 auf 300 Jahre Mittelaltersammlung blickt. Christian Stoess berichtete, dass Johann Rau (1673-1733), seines Zeichens Propst an St. Nikolai in Berlin, 1724 zahlreiche Geldstücke aus grauer Vorzeit für die vergleichsweise geringe Summe von tausend Reichstalern der Sozietät (Akademie) der Wissenschaften zu Berlin verkaufte. Sie bilden kamen später ins Münzkabinett und bilden den Grundstück einer Mittelaltersammlung, wie man sie nicht noch einmal in der Welt findet. Die Zeiten unterm Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. waren alles andere als wissenschaftsfreundlich, und so wurden die von Rau mit großer Liebe und Kenntnis zusammen getragenen Münzen wie ungeliebte Stiefkinder behandelt. Zwar habe man die Münzen auf Kupferstich-Tafeln dokumentiert, sagte Stoess, aber mehr hat man aus diesem einmaligen Fundus nicht gemacht. Die Stiche sind so so präzise, dass man heute noch einige Geldstücke im Besitz des Berliner Kabinetts als aus der Sammlung Rau stammend identifizieren kann. Ende des 18. Jahrhundert gelangte die bedeutende Mittelaltersammlung mit 800 Brakteaten und einigen tausend anderen Stücken meist brandenburgischen Ursprungs aus dem Besitz von Johann Carl Wilhelm Moehsen (1722-1795) ins Kabinett. Der Leibarzt von König Friedrich II. während des Bayerischen Erbfolgekriegs (1778) gab seine Sammlung für eine Leibrente her, die er allerdings nur zwei Jahre in Anspruch nehmen konnte, weil er schon 1795 starb. Moehsen besaß und publizierte überdies eine Sammlung, „die vorzüglich aus Gedächtnismünzen berühmter Ärzte bestehet“, wie es im Titel eines der auch der „Geschichte der Arzneigelahrtheit“ gewidmeten Buches heißt.
Günstige Zeiten fürs Münzkabinett
Erwähnt sei, dass der Mediziner und Vertreter der Berliner Aufklärung den Gerüchten um den 1573 qualvoll in Berlin hingerichteten jüdischen Münzmeister Lippold nachging und einen Justizskandal aufdeckte. Denn Brandenburgs Kurfürst Joachim II. fiel nicht einem Lippold zugeschriebenen Giftanschlag zu Opfer, sondern starb 1571 eines natürlichen Todes. Nach Moehsen gab es namhafte Ankäufe von Mittelaltersammlungen und Einzelstücken, ergänzt durch Schatzfunde, zu deren Rettung und Abgabe das Kabinett aufrief. Die Zeiten für den Ausbau des Königlichen Münzkabinetts waren günstig, und so errang es mit dem Erwerb von kompletten Antikensammlungen und solchen aus dem Mittelalter und der Neuzeit international einen hervorragenden Ruf als Museum und Archiv sowie Bildungs- und Forschungsstätte.
In der Barockzeit gab es um die mittelalterlichen „Blechmünzen“ und Denare einen regelrechten Hype. Historiker und Sammler mühten sich um die ein- und zweiseitigen Gepräge und retteten sie vor dem Schmelztiegel. Langsam wurde erkannt, dass diese Hinterlassenschaften, wenn man sie erst richtig zum Sprechen gebracht hat, wichtig sind, um Licht ins Dunkel früherer Jahrhunderte zu bringen und die Urkunden und Chroniken aus numismatischer Sicht zu ergänzen. Da allerdings nicht genug Originale auf dem Markt waren, sprangen Fälscher ein. Wenige Schritte vom Gobelinsaal entfernt zeigt die Ausstellung „Lange Finger, falsche Münzen“ noch bis zum 21. September 2025, was auf diesem Gebiet produziert wurde und wird, welche prominenten Fälscher es gab und wie man sich vor mehr oder weniger gut gemachten Fälschungen schützen kann.
Missing link gefunden
Ein Höhepunkt der Festveranstaltung war die Übergabe der Reste eines um 1980 im Großraum Lüttich (Belgien) entdeckten Fundes von Silberpfennigen aus dem 10. Jahrhundert samt Scherben des dazu gehörigen Tongefäßes. Die meisten Münzen wurden damals an Händler und Sammler verkauft, doch gab es auch eine passende Veröffentlichung. Der Osnabrücker Münzhändler Fritz Rudolf Künker mühte sich um den wissenschaftlich bedeutsamen „Restposten“, der jetzt dankbar vom Berliner Münzkabinett übernommen wurde. „Es ist ein famoses Stück, wie Fritz Rudolf Künker es geschafft hat, die Fundreste für das Berliner Kabinett und die Forschung zu sichern“, sagte Kluge angesichts des Münzkoffers, in dem Denare die von Osnabrück nach Berlin transportiert wurden. Ein bisher unbekannter Pfennig des aus dem Adelsgeschlecht der Liudolfinger stammenden Königs Heinrich I. (genannt der Vogelfänger, reg. 919-936) aus der Münze zu Köln sei das lange vermutete „Missing link“ zwischen den Geldstücken der Karolinger und ihrer Nachfolger und denen der nach drei Kaisern namens Otto benannten Ottonen. Da die Zeit Heinrichs I. besonders arm an schriftlichen Quellen ist, kommen den wenigen Geldstücke aus dieser Zeit besonders große Bedeutung zu.
Bernd Kluge berichtete in seinem Festvortrag aus seinem Leben und wie er seinen Ruhestand mit neuen Projekten ausgefüllt hat. Unter dem Beifall der Zuhörer sprach er seiner Frau und Familie seinen besonderen Dank aus für das aufgebrachte Verständnis dafür, dass er sein „Rentnerdasdein“ und die ihm verbleibende Zeit anders als üblich ausfüllt. Dass ein ehemaliger Kabinettsdirektor dort an einem eigenen Arbeitsplatz weiter forschen kann, sei bei den Staatlichen Museen zu Berlin einmalig, sagte er. Mit Blick auf den Schatz aus Belgien sprach Kluge seinem Freund Fritz Rudolf Künker großen Dank und darüber hinaus für alles aus, was dieser für die Numismatik und speziell das Berliner Kabinett geleistet hat. Er nutzte die Gelegenheit , seine Forschungen zu den Münzen des Ostfränkisch-Deutschen Reiches (MODR) von 843 bis 1126 vorzustellen.
Geschrieben, gedruckt, online gestellt
Bernd Kluge hat im Selbstverlag bereits zwei Bände als Non-Profit-Unternehmen herausgebracht. Diese und weitere Bücher gehen an Münzkabinette, Bibliotheken und Forscher, werden aber nicht verkauft. Ihr Inhalt kann von jedermann zu jeder Zeit und weltweit im Internet unter der Adresse www.klugenumismatik.de ohne besondere Genehmigung für wissenschaftliche Zwecke und privat genutzt kt werden. Der digitale Auftritt wird laufend ergänzt. Im Übrigen sprach Bernd Kluge aus eigener Erfahrung über die Vorteile von hier gedruckten und dort digitalisieren Katalogen und Forschungsarbeiten. „Was geschrieben und und gedruckt ist, hält ewig, das können wir von Digitalisaten aber nicht unbedingt sagen, denn sie können irgendwann auch wieder verschwunden sein.“
Hermann Dannenberg und Bernd Kluge sind, obwohl zwischen ihnen ein Jahrhundert liegt, ein untrennbares Gespann. Der Ältere übte schon immer auf den Jüngeren eine große Faszination aus. Daran ändert auch nicht, dass einer der Vorgänger als Kabinett-Direktor, Julius Menadier, 1905 in seinem Nachruf behauptete, Dannenberg sei kein Pfadfinder, kein Führer der Wissenschaft gewesen und insgesamt wenig schöpferisch gewesen. „Aber überaus eifrig hat er sich den Inhalt der numismatischen Wissenschaft durchweg zu eigen gemacht und damit über ein Rüstzeug verfügt, das ihn befähigte, die Leitung kleinerer Kreise auf sich zu nehmen.“ Damit war die Numismatische Gesellschaft zu Berlin gemeint, in der er überaus aktiv und immer präsent war. Menadiers Urteil gerade in einem Nachruf auf Dannenberg löste großen Ärger aus. Aber solche auch aus persönlichen Animositäten und Eifersüchteleien resultierende Kontroversen gab es überall, und sie waren der Forschung alle andere als dienlich.
Hermann Dannenbergs Grundlagenforschung, die in vier zwischen 1876 und 1905 bei Weidmann in Berlin erschienenen Bänden und weiteren Werken ihren Niederschlag fand, gilt nach wie vor. Der Jurist hat sich bereits als Jugendlicher für Münzen und namentlich für die mittelalterliche Numismatik interessiert. Er entwickelte sich vom Sammler zum Forscher und trat 1848 mit seiner ersten Münzfundbeschreibung hervor. Er bereicherte die Mittelalternumismatik durch die zeitliche und geographische Einordnung der in Schatzfunden ans Tageslicht gelangten Geldstücke und ganzer Münzreihen. Da seither viel passiert ist und neue Schatzfunde ans Tageslicht kamen und weiter geforscht wurde – Bernd Kluge erwähnte in seinem Vortrag vor allem solche aus Nord und Osteuropa – ist ein „Neubau“ des alten Dannenberg zwingend erforderlich. Da das offenbar kein anderer tun kann oder will, hat er sich entschlossen, diese Aufgabe selber vorzunehmen. Der „Relaunch Dannenberg 3.0“ ist im Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin Preußische Kulturbesitz angesiedelt und wird von der Numismatischen Gesellschaft zu Berlin und der Münzhandlung Fritz Rudolf Künker in Osnabrück unterstützt. Für sein Projekt sucht der 75jährige Kluge, der eigentlich schon vor fünf Jahren den „Griffel“ aus der Hand legen wollte und nun ein wenig kürzer treten möchte, einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin. Meldungen werden beim Berliner Münzkabinett gern entgegen genommen.
22. Juni 2024
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