Mund als Münzbörse?
Was man sich in der Barockzeit über russische Kopeken erzählt hat



Sammler wurden in der Barockzeit durch Münzzeitschriften auf russische Münzen und Medaillen aufmerksam gemacht. Hier stellen die „Historischen Remarques“ vom 21. November 1702 und die „Historischen Münzbelustigungen“ vom 21. September 1746 einen Rubel Zar Peters I., den Großen, und eine Medaille der Kaiserin Anna mit Spindelpresse vor.



Der Kupferstich von 1647 zeigt Dengi, mit denen man die Arbeit von Handwerkern und Bauern bezahlt hat. Daneben eine Denga mit der Darstellung eines Münzarbeiters.



Die einfache Prägeweise der Dengi rief Fälscher auf den Plan. Die Justiz ging mit ihnen, wenn sie erwischt wurden, gnadenlos um. Die Miniaturen aus einer Chronik aus der Zeit des Schrecklichen, der von1547 bis 1584 herrschte, zeigen die Arbeit in einem Münzhof und wie Fälscher durch Gießen von flüssigem Metall in den Mund auf besonders grausame Weise hingerichtet werden.





Mit der Zeit gingen Feingehalt und Gewicht der auch Draht- oder Tropfenkopeken genannten Dengi zurück, und auch ihr Ansehen schwand im 17. Jahrhundert spürbar. Die Griwna genannten Kupferkopeken entstanden im Rahmen einer von Peter dem Großen angeordneten Münzreform.



Bekannt und bei Sammlern beliebt sind Taler, die im alten Russland mit einem Kopekenstempel und der Jahreszahl 1655 versehen wurden, um sie dort umlauffähig zu machen. Nach den alten Joachimsthalern hießen diese wegen ihres guten Silbergehalts begehrten Münzen Jefimok (Plural Jefimki).





Bei bestimmten Münzen und Medaillen aus der Zarenzeit muss geprüft werden, ob sie zu ihrer Zeit oder nicht später geprägt wurden. Der Münzhandel weist die Originale und die Nachprägungen (Novodely) aus, die manchmal stolze Preise erzielen.



Peter der Große gründete 1724, vor nunmehr 300 Jahren, in Sankt Petersburg eine Prägefabrik, die ihre Rubel und andere Geldstücke mit der Abkürzung ??? zeichnete. Er verfügte eine Münzreform und errichtete 1724 in der Festung Schlüsselburg an der Newa vor Sankt Petersburg eine nach neuestem Standard eingerichtete und bis heute tätige Münzfabrik. Als junger Mann sah er sich in Westeuropa um und legte beim Schiffbau auch als Zimmermann Hand an.



Der Eherne Reiter verherrlicht in Sankt Petersburg Peter den Großen als Gründer der Stadt. Die Medaille von 1782 kombiniert das Bildnis der Stifterin Katharina II. mit dem Denkmal, an dem der Bildhauer Étienne-Maurice Falconet und Kollegen zwölf Jahre gearbeitet haben. (Fotos/Repros: Caspar)

Wir leben in Zeiten von Fake News. Was wird nicht alles in den sozialen Medien erzählt, welche unglaublichen Geschichten und Lügenmärchen machen die Runde? Prominente sind dank Künstlicher Intelligent heimtückischen Angriffen ausgesetzt. Manche auch in der Kriegspropaganda in die Welt gesetzte Falschmeldung wird geglaubt und muss aufwändig dementiert werden. Oft sagt der gesunde Menschenverstand, dass bei Bildern, Videos und Bekenntnissen von „öffentlichen Personen“ etwas nicht stimmen kann. Fest steht, dass die Verbreitung von Fake News das Vertrauen in die Politik und unsere demokratische Grundordnung untergräbt und zur Politikverdrossenheit beiträgt.

Blicken wir in die Vergangenheit und speziell in die Geschichte der Numismatik, dann begegnen wir ebenfalls der einen oder anderen Falschaussage. Ich denke da an die vor 300 Jahren verbreitete Behauptung, mittelalterliche Brakteaten seien mit Holzstempeln hergestellt worden. Offenbar kannte man damals die originalen Eisenstempel noch nicht. Eine andere gern geglaubte Legende betrifft angeblich heilsame Eigenschaften von Talern mit dem Heiligen Georg und anderen Münzen und ihre Fähigkeit, Menschen vor Zauber, Krankheit, feindlichen Kugeln und „bösem Blick“ zu bewahren.

Erfunden und unglaubwürdig

In der bekannten, von Johann David Köhler herausgegebenen Zeitschrift „Der Wöchentlichen Historischen Müntz-Belustigung“ vom 21. September 1746 habe ich eine Legende gefunden, an die hier erinnert sei. Anlässlich der Vorstellung einer Medaille der Zarin Anna von 1731 auf den durch „kaiserliche Vorsorge wieder hergestellten rechten Gehalt der Münzen“ geht Köhler (oder ein anderer, nicht näher genannter Autor) auf russische Münzen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts ein und unterzieht sie einem - hier in der originalen Schreibweise wiedergegebenen - vernichtenden Urteil. „Die alten Russischen Müntzen sind unter allen Europäischen die aller unförmlichsten und schlechtesten gewesen, und haben noch übler ausgesehen, als die ungestaltesten Gothischen Pfennige in der aller elendesten und ungeschicktesten mittleren Zeit. Die älteste Gattung unter denenselben wird Kopeika genannt. Diese ist in länglicht runder Form aus einem dünnen silbern Blech geschnitten, und auf der einen Seite mit dem Bilde des Ritters S. Georgens, der den Lindwurm mit der Lantze durchsticht, und auf der andern mit Russischer Schrifft gestempelt. Es giebt es der Augenschein, daß solche aus einen dünn getriebenen Silber-Blech verfärtigt worden, auf welches man zu beeden Seiten die Müntzstempel zuerst geschlagen, und dasselbe hernach in solche kleine Oval-Stückgen zerschnitten hat, dieweil sowohl die darauf geprägte Figur als die Schrifft durch das zerschneiden ist verletzt und verstümmelt worden.“

Geruch störte nicht

Nach der Beschreibung einzelner Nominale geht der Autor auf die Art und Weise ein, wie man die kleinen Münzen transportiert und aufbewahrt hat. „Die Kopecken hat das gemeine Volk meistens im Munde und selten in einem Beutel getragen, damit sie solche, weil sie so klein und dünne sind, nicht so leichte verliehren oder für den Diebstahl am sichersten verwahren möchte. Sie waren dabey so geschickt, dass sie deren mehr als 100. Stücke im Maule behalten, und dabey doch auch sprechen, essen, trincken, schreyen und pfeiffen konten. Von den starcken Zwiebel und Knoblauch-Fraß bekamen dieselben zwar einen gar üblen Geruch, niemand hat sich aber geweigert deswegen solche anzunehmen.“ Der Autor gibt diese Geschichte unkommentiert weiter, und es mag Leser gegeben haben, die ihr glaubten, denn Russland und der Zar waren weit, und man traute dem Land alles Mögliche zu. Dabei muss man sich vorstellen, wie es im Mund eines Bauern oder Handwerkers ausgesehen hat, der dort zahlreiche Kleinmünzen herumtrug und und stets darauf achten musste, sie nicht zu verschlucken.

Mit Charon ins Jenseits

Dass Münzen im Mund versteckt wurden, ist aus der Antike und dem Mittelalter bekannt. Die alten Griechen haben die nach dem mythischen Fährmann Charon benannten Geldstücke in den Mund von Verstorbenen für die Reise ins Jenseits gelegt. Damit wollte man sicher stellen, dass die Fahrt über die Grenzflüsse Acheron und Styx ins Totenreich gut und sicher verläuft. Denn wenn man keinen Obolus entrichten konnte, mussten die Toten nach damaliger Vorstellung an der Trennlinie zwischen Oberwelt und Unterwelt als Schatten umherirren. Die Römer haben den Brauch übernommen, der sich später auch im christlichen Kulturkreis ausbreitete. Da er heidnischen Ursprungs war, hat die Kirche ihn bekämpft. Sie konnte ihn aber nicht ganz verhindern, sonst würden Archäologen bei ihren Ausgrabungen bei Schädeln und Gebeinen nicht auch Münzen und andere nützliche Beigaben finden.

Im alten Russland waren die kleinen ovalen Silberstücke im Gewicht von etwa einem Gramm das Geld einfacher Leute. Diese Stücke kennen wir als Dengi, man sagt zu ihnen wegen ihrer tropfenförmigen Form auch Tropfenkopeken. Sie bei der Bezahlung abzuzählen war eine aufwändige Arbeit, die von speziell eingesetzten Geldzählern erledigt wurde. Wer besser gestellt war, bekam und verwendete längliche Barren aus Edelmetall oder bezahlte ab dem 17. Jahrhundert mit importierten Silbertalern, die durch Einschlag von Stempeln für den Umlauf zugelassen wurden, oder mit Geld aus Polen und anderen Nachbarstaaten. Eigene Großsilbermünzen wurden erst seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts geprägt. Seit Peter dem Großen, der von 1682 bis 1725 regierte und eine umfassende Münzreform auf den Weg brachte, war die Kombination Herrscherbildnis und doppelköpfiger Zarenadler obligatorisch.

Silberdrähte aus Ausgangsstoff

In seinem Buch „Das russische Münzsystem – Ein historisch-numismatischer Abriss“ (Berlin 1983) schildert I. G. Spasski die Geschichte dieser seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts in großen Mengen geprägten Kleinmünzen aus Silber. Sie liefen über einen langen Zeitraum um und kommen unterschiedlichen Ausprägungen vor. Auf ihnen liest man den Namen von Großfürsten, die sie prägen ließen, und erkennt auf der Kehrseite den Heiligen Georg zu Pferde, der in Russland als Drachentöter und Schutzheiliger großes Ansehen genoss. Es kommen auch Stücke mit Buchstabenfolgen vor, die keinen Sinn ergeben.

Ihre ungewöhnliche Form erhielten die Dengi von der Herstellungstechnik, denn statt wie bei uns runde Schrötlinge aus dünnen Blechen zu schneiden und ihnen dann beidseitig das Münzbild aufzuprägen, hat man die kleinen Geldstücke durch Silberdrähte gewonnen, die beim Prägen eine ovale Form annahmen. Damit habe man sich laut Spasski die Nachbearbeitung der Schrötlinge erspart und eine verhältnismäßig hohe Genauigkeit des Münzgewichts erzielt. Die Herstellung und Verwendung von solchen kleinen Silbermünzen war eine große Errungenschaft, denn davor hat man im alten Russland Felle und andere Naturprodukten für Handel und Wandel verwendet. Abgebildet wurden auf den Kopeken ein gekrönter Reiter, der seine Lanze nach unten richtet oder sein Pferd an der Leine führt. Auf der Rückseite findet man den Namen des jeweiligen Zaren. Nur wenige dieser Silbermünzen tragen auch eine Jahreszahl.

Reise nach Moskowia

Zu beachten ist, dass die Angaben nicht wie bei uns erfolgen, sondern „nach der Erschaffung der Welt.“ I. G. Spasski nennt als Beispiel die Jahre 7104 und 7118, was umgerechnet die Jahre 1596 und 1610 ergibt. Gefunden wurden die Silbermünzen, die nicht größer als ein Melonenkern waren, wie der profunde Kenner der russischen Münzgeschichte schreibt, in größeren Mengen ähnlich wie bei uns bei Ausgrabungen, Hausbauten oder der Verlegung von Straßen und Leitungen. Unter Peter dem Großen ging man dazu über, die Dengi im Wert von einer halben Kopeke in Kupfer auszubringen. Zwischen 1849 und 1867 prägte man im Zarenreich noch die Deneschki, also kleine Dengi, auf denen das Monogramm der Selbstherrschers aller Reußen und die Wertbezeichnung zu erkennen sind.

In dem Buch „Moskowia“ des Russlandreisenden Sigmund von Herberstein (Neudruck Weimar o. J., um 1975)finden sich interessanten Beschreibungen der russischen Geldverhältnisse im frühen 16. Jahrhunderts. Die in lateinischer und deutscher Sprache verfasste Reisebeschreibung enthält interessante Darlegungen über Land und Leute, Städte, Kirchen und Klöster sowie über Flora und Fauna und nicht zu vergessen über hochgestellte Personen, denen Herberstein auf seinen Reisen begegnet ist. Die moskowitischen Münzen seien nicht rund, sondern länglich, ungefähr eiförmig, notierte der Verfasser. Hundert Denge gelten einen ungarischen Gulden, sechs Dengen machen einen Altin, zwanzig eine Grivna, hundert einen Poltina und zweihundert einen Rubel. „Hernach hat man auch halbe Dengen geschlagen, auf beiden Seiten mit Schriften, da machen denn vierhundert einen Rubel“. Herberstein teilt mit, dass außer guthaltigen Münzen auch minderwertige, gefälschte Stücke im Umlauf sind, doch werde niemand bestraft, der Münzen fälscht. Fast alle Goldschmiede würden in Moskau Münzen schlagen, „und wer pures rohes Silber bringt und Geld haben will, dem legen sie Silber und Münze auf die Waagschale und wiegen es auf. Es ist nur ein kleiner, bestimmter Preis, den man über Gewicht dem Goldschmied zahlen muss“. Das Land habe kein Silberbergwerk, schreibt der im Dienste römisch-deutscher Kaiser stehende Diploma weiter, das Edelmetall werde ins Land gebracht und dort weiter verarbeitet. Die Verhältnisse änderten sich bald, und so konnten die Zaren bei ihren Erzgruben im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Vollen schöpfen.

Originale und Nachprägungen

Groß ist die Zahl von Münzen und Medaillen, die zur Erinnerung an fiktive Personen und niemals stattgefundene Ereignisse geprägt wurden. Zu nennen wären von privater Seite ausgegebene Fünf-Francs-Stücke aus dem 19. Jahrhundert mit den Köpfen von Prinzen, die niemals den französischen Thron bestiegen haben, aber so tun, als seien sie rechtmäßige Kaiser und Könige. An dem von Geschäftemachern hergestellten so genannte Pugatschow-Rubel mit der Jahreszahl 1772 stimmt nichts, nicht einmal die seine Schultern schmückenden Epauletten, die erst lang nach dem Tod des Don-Kosaken und Anführers eines nach ihm benannten Bauernaufstands von 1773 bis 1775 modisch wurden.

Russlandsammler unterscheiden Münzen als Originale und neuere Anfertigungen speziell für Sammler. Aufgrund guter Beziehungen zum kaiserlichen Hof und zur Münzverwaltung konnten sich einst Sammler mit nachgeprägten Münzen versorgen, für die man alte beziehungsweise neu geschnittene Stempel verwendete. Die Erlaubnis, Novodely (etwa: die „Neugemachten“) herzustellen, geht auf Zar Peter III. zurück, der 1762 mit Duldung, wenn nicht auf Befehl seiner Gemahlin Katharina II., der Großen, ermordet wurde. Im Ukas 170 von 1762 bestimmte er: „Jede Privatperson ist berechtigt, beim St. Petersburger Münzhof nicht nur eine beliebige Anzahl aus dem Verkehr gezogener Münzen, sondern ganze Sammlungen von Münzen aus den verflossenen Jahren, die bereits aus dem Verkehr gezogen sind, zu bestellen“. Wo keine alten Stempel mehr vorhanden waren durften neue nach alten Vorbildern geschnitten und verwendet werden. Dieses ungewöhnliche Privileg wurde weidlich ausgenutzt und sorgte für Irritationen. Originale und Novodely erzielen beachtliche Preise, denn auch unter den Nachprägungen gibt es teure Stücke. Fälschungen im eigentlichen Sinne sind sie nicht, weil hinter ihnen eine offizielle Behörde stand.

24. Februar 2024