Aufgaben der Numismatik von heute
Eckhart Pick spricht in neuem Buch über Münzen aus Mainz und vom Rhein hinaus gehende Themen an







Die dem Buch entnommenen Fotos zeigen einen um 1183 bis 1200 geprägten Denar von Erzbischof Konrad I. von Wittelsbach mit der Inschrift AVREA MOGVNCIA (Goldenes Mainz) sowie die 1385-1386 in Bingen und Höchst geprägten Goldgulden, mit denen der Kurrheinische Münzverein die Bühne betrat, wie Pick schreibt.





Viele Mainzer und sonstige Münzen entstanden per Handarbeit in solchen Schmieden. Abweichungen von der Norm waren zwar verboten, doch konnte man hier mit kleinen Mogeleien manchen Zusatzprofit erwirtschaften. Die Münztechnik nutzte in der Barockzeit die Spindelpresse, um große Taler und Medaillen schnell und präzise herzustellen.







Schwedens 1632 bei Lützen gefallener König Gustav II. Adolf wird auf dem Mainzer Dukaten als ein für die Sache des Protestantismus kämpfender Löwe im Leben und Tod gefeiert. Der Dukat von 1772, ausgedrückt durch ein Chronogramm, unterstreicht, dass er aus dem Gold des Rheins besteht.

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Die Buchstaben S. S. MOG. auf dem in der kurmainzischen Enklave Erfurt geprägten Gulden von 1675 bedeutet Heiliger Stuhl von Mainz. Die Insignien Krummstab und Schwert (oder umgekehrt) sind auf vielen Münzen geistlicher Fürsten zu sehen und so auch auf dem Mainzer Taler von 1679.



Die „Wohlfahrt des Rheinstroms“ und die Mühen des Mainzer Kurfürsten Johann Friedrich Karl von Orstein um die Verbesserung der Wirtschaft feiert die Mainzer Medaille von 1745 mit einer barocken Allegorie und Schiffen im Wasser, über denen ein Füllhorn ausgeschüttet wird.



Der barocke Kupferstich zeigt, wie man Spindelpressen in Beziehung zu den antiken Göttern Juno Moneta und Saturn gesetzt hat, die für reichen Geldsegen sowie für Überfluss und Frieden, Maß und Ordnung stehen. Das will auch das Huldigungsblatt für einen der letzten Mainzer Kurfürsten sagen. (Repros: Caspar und aus dem besprochenen Buch)

Die Münzforschung bietet weitaus mehr als Aussagen über geprägtes oder seit dem 17. Jahrhundert auch gedrucktes Geld. Sie beschreibt, welche Münzen und Medaillen überliefert sind und was aus unterschiedlichsten Gründen im Laufe der Jahrhunderte verloren ging, wer die Herausgeber waren und was die Geldzeichen bedeuten. Berufs- und Laienforscher machen mit Sammlungen und Sammlern bekannt, werten Funde aus und versuchen mit ihren spezifischen Mitteln, Licht ins Dunkel der Geschichte zu bringen und so auch Fehlstellen zu ergänzen. Die Numismatik tut das mit Erfolg, indem sie das geprägte, manchmal auch gegossene Metall, seine Bilder und Inschriften erfasst, beschreibt und interpretiert. Dieses Bemühen hat eine lange, in die Zeit der Renaissance zurückreichende Tradition, doch reicht das nicht aus. Heute kommen die Spezialisten mithilfe hochfeiner Materialanalysen, der Auswertung von Urkunden und Chroniken und auf anderem Wege Ereignissen und Gestalten der antiken und mittelalterlichen Geschichte nahe. Denn oft sind es nur Münzen und andere Objekte, die über Handelsbeziehungen und kriegerische Auseinandersetzungen berichten. Weil dazu vielfach keine Aufzeichnungen existieren, liefert das geprägte Metall wichtige Informationen.

Mit den Pfunden wuchern

Es sind also die berühmten Pfunde, mit denen Numismatiker wuchern können. Die Frage ist aber, ob sie das in ausreichendem Maße tun und sich bemühen, in der Öffentlichkeit über ihre eigene Klientel hinaus wirksam zu werden, und werden ihre Erkenntnisse von der „etablierten“ Geschichtswissenschaft und anderen Disziplinen überhaupt wahrgenommen? Das sind Fragen, mit denen sich der Mainzer Jurist, Numismatiker und Sammler Eckhart Pick in seinem Buch „Die Sprache der Münzen - Am Beispiel von Mainzer Münzen und Medaillen vom Mittelalter bis zur Neuzeit. Gleichzeitig ein Beitrag zur Positionierung der Numismatik“ befasst. Hervorragend illustriert, erschien das Buch 2023 im Battenberg Gietl Verlag Regenstauf, hat 128 Seiten und 117 farbige Abbildungen (ISBN 978-3-866-46-243-4, 19,90 Euro). Mit ihm will er der Numismatik ihren Platz in der Welt der Kultur-, Kunst- und Geschichtswissenschaften wieder sichern, und er fordert, dass sie an der Diskussion vor allem innerhalb der Altertumswissenschaft und der Mittelalterkunde teilnimmt, mit anderen Worten auch von diesen zum Mitmachen eingeladen wird.

Das Erreichte ist nicht das Erreichbare

Wie oft lesen wir Geschichtsbücher und gehen in Ausstellungen, in denen als Stiefkinder betrachtete Münzen und Medaillen nicht vorkommen, und wenn dann doch eher als schöne Dekoration. Und wie nachrangig wird sie in manchen Museen behandelt, wo sie ohne Kustoden ein Mauerblümchendasein fristet. Dem setzt Pick entgegen: Nicht durch Abstinenz und Beschränkung auf typische numismatische Tätigkeiten wie Stempelkritik sowie Material- und Fundanalysen, so wichtig sie sind, lasse sich jene öffentliche Beachtung und Anerkennung zurückgewinnen, die sie schon einmal hatte, schreibt Pick. Vielmehr müsse die moderne Numismatik selbstbewusst zeigen, dass sie eine eigenständige Wissenschaft ist, ohne die die Kultur-, Kunst- und Gesellschaftswissenschaften nicht auskommen, und sie müsse ihr nicht mehr in unsere Zeit passendes Image als „Hilfswissenschaft“ ablegen.

Eckhart Pick befasst sich mit den numismatischen Hinterlassenschaften des Kurfürstentums Mainz und weiterer rheinischer Kurstaaten und zeigt, welche Botschaften ihre Bilder, Inschriften, Symbole und Wappen aussenden. Der Verfasser ist ein profunder Kenner der Mainzer Münz- und Geldgeschichte. 2022 legte er im gleichen Verlag eine lesenswerte Studie über die Mainzer Medailleure August und Jakob Stiehler, Johann Lindenschmit und Ferdinand Korn vor, die zwischen 1765–1866 tätig waren (ISBN: 978-3-86646-218-2, 24,90 Euro, siehe auch Eintrag auf dieser Internetseite (Münzen und Medaillen) vom 1. März 2022). Sein neues Buch enthält ein Zitat aus Goethes „Faust“ (Teil 1). Indem er daraus zitiert, möchte er, dass die Numismatik nicht nur beschreibt, sondern gemeinsam mit der Altertumskunde und Mediävistik zu neuen Erkenntnissen kommt und so auch in der Öffentlichkeit und Publizistik besser als bisher wahrgenommen wird. „Es erben sich Gesetz' und Rechte / Wie eine ew'ge Krankheit fort, / Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte / Und rücken sacht von Ort zu Ort. / Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage; / Weh dir, dass du ein Enkel bist! / Vom Rechte, das mit uns geboren ist, / Von dem ist leider! nie die Frage“, sagt Mephisto zu einem angehenden Studenten. Gemeint ist offenbar, dass das Erreichte nicht das Erreichbare ist und dass, auf die Numismatik übertragen und salopp gesagt, diese historische Disziplin viel mehr zu bieten hat als man allgemein annimmt.

Was Kriege und Luxusleben kosteten

Die Reserviertheit der „normalen“ Geschichtswissenschaft gegenüber der Numismatik zeigt sich, das wäre hier zu Picks Darlegungen noch zu ergänzen, beim Fehlen von einschlägigen Belegen in Ausstellungen und Publikationen. Selbst bei Untersuchungen zur Lebensweise früherer Generationen muss man Informationen darüber mit der Lupe suchen, womit man sie bezahlt hat, was Waren und Dienstleistungen kosteten und wie die Mittel für Kriege, luxuriöse Hofhaltung und teure Kirchen- und Schlossbauten mit Hilfe von Steuern und Abgaben, aber auch durch die berüchtigte Münzverschlechterung und andere Machenschaften zusammen kamen.

Der Verfasser Pick erläutert an Beispielen aus der Geschichte des Kurrheinischen Münzvereins, was man aus einzelnen Nominalen herauslesen kann. Er sieht in Münzen mehr als Mittel für Handel und Wandel und zur Bezahlung von Dienstleistungen und Waren und bemängelt, „dass sich die Numismatik in der Vergangenheit kaum eingehend zur Bedeutung und Wirkung von Gestaltungsmerkmalen auf mittelalterlichen und neuzeitlichen Münzen geäußert hat.“ Das Buch beschreibt Münzen als wichtige, von Hand zu Hand und weit über Ländergrenzen gehende Kommunikatoren vor allem in Zeiten, als die meisten Menschen weder lesen noch schreiben konnten, aber wissen sollten, woher sie kommen und wer sie geprägt hat. Er geht insbesondere auf die Rolle von geprägtem Geld in mittelalterlichen Herrschaftssystem ein und zeigt, wie sich die rheinischen Kurfürsten auf ihnen dargestellt haben.

Verdienstvolle Laienforschung

Pick betont, dass Münzen vor der Erfindung der Buchdruckerkunst durch Johannes Gutenberg um 1440 als Massenmedium eine wichtige Rolle bei der Festigung von Macht- und Herrschaftsverhältnissen spielten. Das Buch würdigt darüber hinaus die Verdienste der Laienforschung, die vielfach früher als Berufsnumismatiker Münzen und Medaillen im Kontext mit anderen Hinterlassenschaften würdigten und über die bloße Auflistung dessen, was in der Hand liegt, zu neuen Erkenntnissen wirtschafts-, regional-, dynastie- und personalgeschichtlicher Art gelangten. Als Übermittler von Botschaften aller Art werden sie heute mit wachsendem Erfolg interpretiert, wie die große Zahl einschlägiger Veröffentlichungen und eine reiche Vortragstätigkeit zeigen.

Das Buch ist kein Katalog und auch kein Zitierwerk der üblichen Art. Es behandelt , um einige Themen zu nennen, die Gestaltung von mittelalterlichen, namentlich rheinischen Goldgulden, schildert die Rolle der Landesfürsten und des für sie tätigen Münzpersonals und betrachtet Inschriften nach Form und Inhalt, um dann einzelne Gepräge vorzustellen, mit denen sich das „Goldene Mainz“ ein eindrucksvolles Denkmal setzte. Pick geht ins Detail, etwa wenn er die Stellung der fürstbischöflichen Insignien Schwert und Krummstab deutet, lateinische Wahlsprüche übersetzt, stark abgekürzte Titulaturen entschlüsselt und auf versehentlich in die Stempel geschnittene Schreibfehler und winzige Zeichen aufmerksam macht, mit denen sich Münzbeamte zu erkennen gaben.

Erkenntnisse zu allseitigem Nutzen

Über diese Themen hinaus stellt der Verfasser grundsätzliche Fragen an die heutige Numismatik und fordert sie auf, neben ihrer eigentlichen Arbeit den Verlauf von geschichtswissenschaftlichen und verwandten Diskussionen mitzubestimmen. Kooperationen mit Nachbargebieten wie Ikono- graphie, Epigraphik, Heraldik, Archivkunde, Schrift- und Stilkunde, Diplomatik (Lehre von den Urkunden) und Kommunikationswissenschaften seien nicht nur sinnvoll, sondern notwendig. Die Numismatik habe Grund genug, sich im Kanon der historischen Wissenschaften selbstbewusst zu bewegen. Sie habe eine eigene Aufgabe im Rahmen der Kultur- und Zivilisationswissenschaften und müsse sich von der Betrachtung rein technischer Fragen lösen und das auch kommunizieren, und sie müsse über die Ergründung von Stempelvarianten und -drehungen, Feingehalt und Gewicht usw., die für die Geschichtsforschung kaum relevant seien, hinaus Erkenntnissen über historische Ereignisse, Gestalten und Entwicklungen beibringen, rät Pick. So könnte sie aus ihrem Schatten treten und ihre aus der Beschäftigung mit Münzen und Medaillen resultierenden Erkenntnisse für Nachbargebiete zu allseitigem Nutzen fruchtbar machen.

16. August 2023