Edwin Redslob und der Reichsadler
Wie sich der Reichskunstwart nach 1919 um ein neues Hoheitszeichen für Münzen und Siegel mühte



Kaiser Wilhelm II. verpasste dem schmalen Reichsadler auf Münzen eine breite Form, hatte aber nichts dagegen, dass der Wappenvogel auf den preußischen Drei-Mark-Stücken von 1910 und 1915 sowie anderen Ausgaben dem Zeitgeschmack angepasst wurden.





In seinem Büro am Berliner Königsplatz 6, dem heutigen Platz der Republik, wachte Reichskunstwart Edwin Redslob über die Formgebung der Weimarer Republik und auch die Gestaltung ihrer Münzen. Er stellte den Reichsadler aus der Zeit von Albrecht Dürer (16. Jahrhundert) dem aus der Kaiserzeit (1871-1918, schmale Fassung) und weiteren Entwürfen für die Republik (ab 1919, Vorschlag von Otto Hupp) gegenüber.





Ungewöhnlich, aber „ganz oben“ genehmigt, macht sich der preußische Adler auf der Gedenkmünze von 1913 zur Hundertjahrfeier des Beginns der Befreiungskriege über die französische Schlange her. Reliefs auf den Marmorsockeln der Berliner Schlossbrücke mögen bei der Gestaltung der Jubiläumsmünze von 1913 Pate gestanden haben.





Bevor ein neuer Wappenadler gefunden war, schmückte die junge Weimarer Republik ihre Aluminiummünzen von 1919 mit Getreideähren und dem Spruch „Sich regen bringt Segen“. Im Unterschied zum Bundesadler auf Gedenkmünzen der Bundesrepublik Deutschland hielt man sich in der Weimarer Republik zurück, ihrem Wahrzeichen immer neue und extravagante Formen zu verpassen. Viele Geldstücke zeigen den von Josef Wackerle geschaffenen Reichsvogel, wie man auch sagte. Es gab aber auch Ausnahmen wie die Gedenkmünze von 1928 zum 400. Todestag von Albrecht Dürer, auf der ganz bewusst ein altertümelnd gestalteter Reichsadler als Hommage an den Nürnberger Maler und Grafiker erscheint.





Hatten Redslob und die mit ihm zusammenarbeitenden Künstler beim Reichsadler ein „gutes Händchen“, so mangelte es daran bei der Germania als Symbolfigur des Deutschen Reiches. Manche nur als Probeabschläge überlieferte Germaniaköpfe wirken in der Tat mehr abschreckend als einnehmend. Die mit einen Frauenkopf und einer Fackel nach Art der altrömischen Fasces geschmückte Medaille von 1919 nach einem Entwurf von Heinrich Wanderé zur Eröffnung der Nationalversammlung in Weimar kommt ab und zu in den Angeboten des Münzhandels vor.



Edwin Redslob nahm auch Einfluss auf die Gestaltung von Briefmarken und bildete einige in seinen Publikationen ab. (Fotos/Repros: Caspar)

Die Frage, wie das neue Hoheitszeichen der 1919 gegründeten Weimarer Republik gestaltet werden soll, hat Reichskunstwart Edwin Redslob, und nicht nur ihn, intensiv beschäftigt. Es ging nicht nur darum, wie der Wappenvogel, der nach dem Ende der Monarchie ohne Kronen und Ordenskette auskommen musste, aussehen und was er aussagen soll. Es mussten auch für Münzen, Medaillen, Siegel, Flaggen, Urkunden und Briefbögen sowie für die ausländischen Vertretungen heraldische Lösungen gefunden werden, die zum republikanischen System passen und die Vergangenheit hinter sich lassen.

In seinem Beitrag „Die neue Reichsmünze“ (Mitteilungen des Reichskunstwarts, Nr. 3/1922) beschrieb der Leiter der am Reichsministerium des Innern angesiedelten Behörde die Anforderungen an den Adler der Republik und stellte Vergleiche zum Wappenvogel der Kaiserzeit an.Die vom Reichskunstwart Redslob ab 1920 praktizierte Förderpolitik bezog sich unter anderem auf „gediegenes neues Geld in hoher Qualität“, das unverständliche Symbolik vermeidet und Volkstümlichkeit im besten Sinne anstrebt. Mit Blick auf die neuen Münzen, die das Deutsche Reich in Werten von einer Mark bis fünf Mark ausgeben wird, musste auch die künstlerische Gestaltung mancherlei Schwierigkeiten überwinden, vor allem, was die Form des Adlers betraf, schreibt Redslob. „Gefordert wurde vom Standpunkt der Verwaltungsbehörden aus, daß der Adler für Geldstücke dem für Stempel und Siegel einigermaßen entspräche. Vom technischen Standpunkt aus musste verlangt werden, daß die Reliefgestaltung der Münze in möglichst gleichmäßiger Verteilung die Grundfläche bedeckt. Große zusammenhängende Grundflächen sollten vermieden werden, da sie bei der Herstellung der Prägestempel erheblichen Widerstand bieten und unerwünschten Stempelverbrauch, Zeitverlust und Rückgang in der Produktion zur Folge haben.“

Klares Oben und Unten

Um 1925 wurde ein künstlerischer Wettbewerb ausgeschrieben, bei dem die Entwürfe des Münchner Bildhauers und Medailleurs Joseph Wackerle dem Preisgericht am geeignetsten erschienen. Wackerle habe sich dann in enger Zusammenarbeit mit dem Reichskunstwart der mühevollen Arbeit unterzogen, seinen Adler entsprechend den gestellten Bedingungen in Zusammenhang mit der Staatlichen Münze Berlin und insbesondere mit dem Medailleur Reinhard Kullrich vorzunehmen. „Das Ergebnis dürfte als durchaus günstig angesehen werden. Gegenüber dem Stempeladler hielt Wackerle an den im ersten Entwurf von ihm bereits klar aufgestellten, besonderen Gesichtspunkten eines Münzadlers unbedingt fest. Ein Stempelschneider wird am besten, wenn seine Linien radial gehen, sodaß der nie zu vermeidende schiefere Abdruck nicht störend wirkt. Der Münzadler aber braucht ein klares Oben und Unten, ein Rechts und ein Links. Besonders bei der ursprünglich vorgesehenen Verwendung von Buchstaben für die Kennzeichnung der Währung auf der Rückseite die beim 5 Markstück beibehalten wurde, zeigt sich ein geschlossenes Zusammengehen von Vorder- und Rückseite und ein kraftvoller Ausgleich zwischen aufsteigenden und quer gezogenen Linien. Die Münze ist wirklich ,aus einem Guß', und Adler ist durchaus plastisch empfunden schreibt“, stellt Redslob mit Blick auf damals ausgeprägten Münzen aus Aluminium, die allerdings für die in immer höheren Werten ausgegebenen Inflationsscheinen keine Konkurrenz darstellten und am Ende, in Hundemarken und Fingerhüte verwandelt, ein jämmerliches Dasein fristeten.

Dürftiges Wappentier

Im Heft 2/1920 der eben zitierten Mitteilungen vergleicht Redslob den Reichsadler aus der Zeit der Renaissance mit dem der Kaiserzeit. Würde man diesem seine Attribute Krone, Ordenskette und Herzschild nehmen, so bleibe ein Geschöpf übrig, das bei aller Anlehnung an die Zeit Albrecht Dürers überraschen dürftig aussieht. „Es liegt dies daran, daß die künstlerischen Grundbedingungen, aus denen die beiden Wappentiere entstanden, einander völlig entgegengesetzt sind, so daß die Absicht, sie zu vereinigen, undurchführbar bleiben mußte. Dürer und seine Zeitgenossen waren Stilisten: wohl gingen sie bei ihrer Formgebung von der Wirklichkeit aus, aber der Strich, mit dem sie ihre Gestalten umrissen, war so bis in die letzte Zuckung ornamental empfunden, daß etwas Neues entstand: nicht Abbild, sondern lebendige Form.“ Wo das deutsche Kaiserreichs Ornament geben wollte, sei immer wieder das Streben nach Nachbildung, Nachahmung und Abzeichnung zum Durchbruch gekommen: „Ihre Heraldik blieb ohne Stil und Form, war ungeglaubt, entartete zur Karikatur. Aus dieser Erkenntnis haben wir die Lehre zu ziehen, dass das Wappenbild des Deutschen Reichs nicht durch Rückgreifen auf alte Vorbilder und Stilformen zu finden ist. Sollte uns das Wappen wirklich Symbol werden, so muß der Kraftstrom zeitgenössischen Kunststrebens seine Formen erfüllen, denn glauben kann man nur an das, was Zukunftswillen in sich trägt.“ Die Gestaltung des Reichswappens sei eine in höchsten Maße künstlerische Frage, ist Redslob überzeugt, sie sei dies umso mehr, als die heraldischen Anforderungen denkbar einfach sind. Verlangt werde nur ein rot bewehrter schwarzer Adler, dessen Gefieder im goldenen Wappenschild geschlossen, sonst leicht geöffnet werden soll.

Zeichen der Neubildung

Der Reichskunstwart, von Hause aus Kunsthistoriker und Museumsmann, befand, dass die amtliche Grafik der Weimarer Republik im Zeichen der Neubildung steht, und verglich sie mit der aus der Zeit bis etwa 1900. Im Heft 5/1921 der Zeitschrift „Plakat“ fügte er hinzu, zwischen einem Entwurf für Theatervorhang und Deckengemälde einerseits, Urkunde und Geldschein andererseits habe es keinen wesentlichen Unterschied gegeben. Die grundlegende Arbeit sei nicht aus Gesichtspunkten der Technik, des Zwecks und des Formats entstanden, vielmehr war der Entwurf das Entscheidende. „Er wurde für Theatervorhang und Hundertmarkschein in gleicher Größe zeichnerisch gefertigt, das Deckenbild bedeutete lediglich Vergrößerung eines Dinges, das jenseits stand von jeder Rücksichtnahme auf Maß und Zweck.“ Auch heute gebe es viele Leute, die sich einen Geldschein als allegorisches Gemälde in Taschenformat vorstellen, nicht wesentlich unterschieden von Vorlagen für Plafond oder Sopraporte“, womit ein Deckengemälde und ein Bild über einer Tür gemeint waren, bevölkert mit Minerva, Germania, Silesia, Berolina, Merkur und Friedensengeln. Die Gesundung des deutschen Kunstgewerbes habe eine Änderung gebracht, die Gebrauchsgrafik sei mehr auf Gesichtspunkte des Handwerks und der Technik gestellt worden.

Zu echten oder falschen Banknoten schreibt Redslob, nicht derjenige beweise seinen Sachverstand über die ästhetische Gestaltung einer Banknote, der tiefsinnige Betrachtungen anzustellen weiß, dabei aber gar nicht mehr erkennt, ob er ein echtes Stück oder eine Fälschung vor Augen hat, sondern derjenige, der am schnellsten und sichersten auf eine Fälschung zu reagieren vermag. Es komme beispielsweise darauf an, Wertpapieren durch Zeichnung, Musterung, Maserung oder Faserstreifen Merkmale der Echtheit zu geben und diese so zu bringen, dass das Auge unbewusst die Prüfung vornimmt.

Formgebung der neuen Republik

Über die aktuelle Münzprägung schrieb Edwin Redslob in einer undatierten Broschüre „Die künstlerische Formgebung des Reiches“ (Kunstarchiv Nr. 21, Werkkunst Verlag Berlin um 1925), im Gegensatz zu der verwirrenden Fülle, die insbesondere infolge der Inflationszeit bei den Briefmarken und Banknoten erkennbar ist, sei die Entwicklung des neuen Metallgeldes in ruhigem Weg verlaufen. Grundlage dafür seien die ausgezeichneten Entwürfe zum Reichsadler von Josef Wackerle gewesen, der als Ergebnis des Münzwettbewerbs gewählt wurde. „Der Wert von Wackerles Entwurf liegt zunächst darin, dass er das Hoheitszeichen des Reichs, den deutschen Adler, in einer so einprägsamen und klaren Weise darstellt. Künstlerisch wie münztechnisch ist es von besonderem Reiz, wie er insbesondere durch das Mittel der drei übereinander liegenden, sich zu der Außenkante zusammenschließenden Schwingen trotz des durch die Münze gebotenen Zwanges zum flachen Relief eine so ausgeprägt plastische Wirkung herausholt. Ausgezeichnet sind auch die Rückseiten, die Wackerle mit klarer Schrift für die Münzen schuf. Daher wurde auch an diesem Bild des Adlers immer festgehalten.“

Schauen wir die Probemünzen der Weimarer Republik an, so erkennen wir das Bemühen, von dem Wackerle’schen Adler abweichende Hoheitszeichen zu entwickeln. Er wird nicht nur von vorn mit ausgebreiteten Flügeln dargestellt, sondern auch zur Seite gewendet oder mit aufgerissenem Schnabel. Hierfür hat der durch seine satirischen Medaillen bekannt gewordene Münchner Medailleur Karl Goetz ansehnliche Beiträge geliefert, kombiniert mit einer Germania mit Eichenkranz im Haar. Da Redslob grundsätzliche Einwände gegen Allegorien und Germaniaköpfe hatte, wohl weil es von ihnen in früheren Epochen genug gegeben hat und sich die neue Republik auch mit ihren Geldzeichen von diesen unterscheiden wollte, kam es nicht zur Massenprägung. Von den Proben existierende Abschläge kommen gelegentlich im Handel vor und werden gut bezahlt. Entwürfe verschiedener Künstler sahen allegorische Figuren für den Nährstand, Wehrstand und Lehrstand vor und alternativ nur deren Symbole Getreideähren, Schwert und Fackel. Daneben gibt es probeweise geprägte Fünfzigpfennigstücke mit einer stehenden Frau, welche wie in der Barockzeit ein Füllhorn und das Staatsruder hält beziehungsweise eine Sichel sowie eine Getreidegarbe in Händen hält.

Kein wirkliches Sinnbild

Edwin Redslob war bei allem Lob insgesamt mit dem Ergebnis der Mühen um den den neuen Geist der Zeit atmende Bilder für Münzen nicht zufrieden. Der Wettbewerb habe seine Absicht, ein geeignetes Sinnbild zu schaffen, nicht erfüllt. „Dieses Ergebnis scheint mir kein Zufall zu sein, sondern der gegebenen Situation zu entsprechen. Denn tatsächlich hat Deutschland zur Zeit kein dem ganzen Volke vertrautes wirkliches Sinnbild. Die Germaniaköpfe im Wettbewerb sind entweder frostige Allegorien oder zufälliges Bildnis. Die einzelnen allegorischen Figuren haben nicht die Kraft eines wahren Sinnbildes, man kann wohl von fast allen sagen, dass sie ungeglaubt sind. Wo aber Künstler sich beschieden haben und lediglich durch den Reiz der Verteilung und die innere Kraft zu wirken suchten, die auch die einfache Aufteilung einer Fläche zeigen kann, ist eine gute Arbeit geglückt. Ebenso kann man sagen, dass das Symbol des Reiches, der Adler, seine lebendige Kraft bewährt.“ Der Reichskunstwart regte an, den Münzwettbewerb im Wesentlichen für die Neugestaltung des Kleingeldes nutzbar zu machen. Was jetzt im Kurs ist, seien provisorische Lösungen, und es erscheine sehr wohl angemessen, hier planmäßig zu arbeiten, so dass man in absehbarer Zeit zu guten Wirkungen kommt.

Im Zusammenhang mit den Germaniaköpfen sei auf eine von dem in München tätigen Bildhauer Heinrich Wanderé geschaffene und in einer Auflage von 500 Exemplaren hergestellte Medaille anlässlich des Zusammentritts der deutschen Nationalversammlung am 31. Juli 1919 in Weimar hingewiesen. Auf der Vorderseite sieht man das nach links gewandte Brustbild der Germania. Ein Tuch ist um ihren Hinterkopf gelegt, Haare wehen nach hinten. Auf einen Lorbeerkranz und andere Abzeichen wurde verzichtet, das wäre im Jahr nach Kriegsende auch unpassend gewesen.Voller Erwartung schaut die Symbolfigur der Republik in die Zukunft. Auf der Rückseite erkennt man eine Fackel, die in ein römisches Rutenbündel gesteckt ist. Um dieses Bild ist als Umschrift der Artikel 1 der neuen Reichsverfassung DAS DEUTSCHE REICH IST EINE REPUBLIK – DIE STAATSGEWALT GEHT VOM VOLKE AUS gelegt. Die mit Lederriemen umschnürten Rutenbündel, lateinisch Fasces, waren Abzeichen der Amts- und Strafgewalt der höchsten römischen Beamten und wurden, mit einem Beil versehen, ihnen bei öffentlichen Auftritten von Lictoren vorangetragen. Da die italienischen Faschisten die Fasces zu ihrem Symbol machten und sich nach diesen nannten, verbot sich in der demokratisch regierten Weimarer Republik die Verwendung des antiken Symbols als Schmuck auf Münzen, Medaillen und vergleichbaren Erzeugnissen. Aufgrund des Missbrauchs der Fasces durch Mussolini und die italienischen Faschisten erschien dieses schon auf Münzen der französischen Republik abgebildete Symbol nie wieder auf geprägtem Metall der Weimarer Republik erschienen.

Anwalt der Künstler

Sich selbst sah der Reichskunstwart als Anwalt der Kunst und der Künstler und als Vermittler zwischen der Künstlerschaft und der Reichsregierung, keinesfalls als „ästhetische Polizeistelle oder Geschmackspolizei“. Seine Stelle diene „als Gegengewicht gegen schematische Zentralisierung künstlerischer Art wie auch gegen schematische Behandlung der Künstler bei gesetzgeberischen Fragen und Verwaltungsangelegenheiten, die ihre Tätigkeit betreffen. Sie sucht durch ihre Beratung die Pflege hochwertiger Arbeiten herbeizuführen, die zur Grundlage wirtschaftlicher Gesundung beitragen könnten. Infolge der allseitigen Bedrohung unseres kulturellen Lebens ist es nötig, dass der an der Stelle (gemeint ist das Amt des Reichskunstwartes, H. C.) zum Ausdruck gebrachte kulturelle Wille der Reichsregierung entscheidend hervortritt, ehe es zu spät ist“.

Seiner Tätigkeit als Reichskunstwart hat Redslob in dem Erinnerungsbuch von 1972 „Von Weimar nach Europa“ nur einen Abschnitt gewidmet, in dem Münzen und Medaillen eine untergeordnete Rolle spielen. Unter der Überschrift „Im Dienst der Reichsregierung“ hat er die Aufgaben in der dem Reichsinnenministerium unterstehende Behörde so beschrieben: „Amtlich verlief ein wesentlicher Teil meines Aufgabenbereiches, der ja bis in die Gesetzgebung hineingriff, unter der Bezeichnung ,Formgebung des Reiches’. Denn alles, was Form gewann: staatliche Feiern, Urkunden, Briefmarken, Banknoten, Münzen, Siegel und Stempel, mußte gestaltet werden und oblag zur Zeit der Weimarer Republik dem Amt des Reichskunstwartes. Auch für größere Bauvorhaben wurde mein Amt beratend zugezogen. Bei dem Aufschwung, den um jene Zeit die Gebrauchsgraphik erlebte, hatte das für Graphiker und ihr Ansehen eine nicht unwesentliche Bedeutung.“

Ideenlose Politiker

Ganz allgemein bemängelt Redslob in seinem Rückblick die Ideenlosigkeit bei Regierungsvertretern. Das habe zunehmend schwer auf ihm und anderen gelastet, die sich, selbst nicht von der Politik kommend, der neuen Regierung zur Verfügung gestellt hatten. „Wir hatten es in der Überzeugung getan, dass nun von den Vertretern der Macht im Staate und im Parlament die neuen Ideen, an deren Berechtigung wir glaubten, durchgesetzt würden und wirklich auch Neues entstünde. Aber es fehlte der jungen Republik an Vertretern der geistigen Welt, die es verstanden hätten, anstelle der Auseinandersetzung über Interessen den kühnen Drang von Ideen und Idealen aufleuchten zu lassen. Es wurde gewissermaßen aufgearbeitet, was von außen an die Ministerien herantrat, aber es wurde nicht eigentlich schöpferisch vorgegangen.“ In diesem Zusammenhang zitierte Redslob seinen Vorgesetzten, den sozialdemokratischen Innenminister Rudolf Breitscheid, der 1944 von den Nazis ermordet wurde, mit folgenden prophetischen Worten: „Mögen sie die Kanzler wechseln, so oft sie wollen, der wahre Leiter der Politik und der Verwaltung ist immer derselbe, nämlich: Herr Zwangsläufig. Es fehlt der Enthusiasmus. Die Basis, auf der wir stehen und arbeiten, senkt sich ganz leise einem Abgrund hin.“

Von konservativen, rechtsradikalen und vor allem nationalsozialistischen Kreisen wegen seiner der Moderne verpflichteten Kunstpolitik und auch der Gestaltung von Geldzeichen angegriffene Reichskunstwart wurde 1933 wie andere politisch „missliebige“ Personen und/oder aus rassistischen Gründen seines Amtes enthoben, überlebte aber die Nazizeit zurückgezogen als Romanautor und Übersetzer. Er musste zusehen, wie sich der neue Propagandaminister Josef Goebbels absolute Befehlsgewalt über die Kunst im „Dritten Reich“ aneignete.

Aus dem Dienst entfernt

Bei einer Feier in Leipzig zum 50. Todestag von Richard Wagner, dem eigentlich eine Gedenkmünze gewidmet werden sollte, begegnete Redslob 1933 Adolf Hitler, dem neuen starken Mann in Deutschland. Der NSDAP-Führer und Reichskanzler, der sich als großer Kunstförderer und bedeutender Bauherr empfand, ließ sich, wie Redslob berichtet, die Anwesenden vom Nazi-Innenminister Frick vorstellen, der der neue Dienstherr des formal noch im Amt befindlichen Reichskunstwarts war, und schüttelte jedem die Hand. „Als ich an die Reihe kam, hielt ich meine Hand demonstrativ zurück, und es gab für Sekunden das, was man Stillstehen der Zeit nennt. […] Er (Hitler) hat auch die Konsequenz gezogen; denn am übernächsten Tag, als ich nach Berlin zurückgekehrt war, schlurfte einer aus der Kanzlei, halb zögernd, halb höhnisch mir entgegen. Er übergab mir ein Schreiben des Ministers, wonach ich entlassen war.“ Da Frick unter die Entlassungsverfügung geschrieben hatte, dass das Gehalt befristet und gekürzt gezahlt werden soll, musste Redslob um seine Existenz zu kämpfen, aber er blieb am Leben und erlitt nicht das Schicksal von Berufskollegen und Künstlern, die ausgegrenzt, verfolgt, zur Emigration gezwungen oder ermordet wurden.

Zunächst sei er noch für einige aus der Zeit des Reichskanzlers Brüning stammende Arbeiten „gebraucht“ worden, notiert Redslob. Bei der Gestaltung von Banknoten, für die man seine Kenntnisse und Erfahrungen benötigte, „kam es vor allem darauf an, dass der Stil des Künstlers, der sie entworfen hatte, durch keine Fälschung zu erreichen war. Der Graphiker Paul Scheurich zum Beispiel hatte eine so ausgeprägte künstlerische Handschrift, dass selbst der Zeh bei einer allegorischen Figur geradezu als unnachahmbar gelten konnte. Zudem musste die Farbzusammenstellung so gewählt werden, dass es unmöglich war, die Druckplatten einzeln herzustellen. Für die Kontrolle der gestellten Aufgaben erklärte mich der Reichbankpräsident Schacht, der eine sehr unabhängige Stellung einnahm, für unentbehrlich.“ Er, Redslob, habe vorgeschlagen, was heute noch gültig sei, einzelne der überaus präzisen und eindrucksvollen Porträts deutscher Meister der Dürer-Zeit als Bildmotive für Banknoten zu wählen. „Mir war die Idee gekommen, dass auf dem bedruckten Schein derselbe Kopf links noch einmal als Wasserzeichen gebraucht werden sollte. Da nämlich in der Fälschung kopierte Wasserzeichen verschwimmen, also ganz anders ausfallen als die Vorbilder, die sie nachahmen wollen, hatte man bei der Prüfung der Echtheit durch Vergleich mit dem gedruckten Bildniskopf, auch wenn man keine echte Banknote zur Prüfung zur Hand hatte, eine zuverlässige Kontrolle auf demselben Schein“.

Die Nazizeit überlebt

Wie nebenbei bemerkt der ehemalige Reichskunstwart, dass Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 ihn als Kultusminister in der neu zu bildenden Reichsregierung vorgesehen hatten, wenn Stauffenbergs Attentat auf Hitler gelungen wäre. Außer James Graf von Moltke, einem der führenden Köpfe des deutschen Widerstandes, und einer weiteren Person habe niemand von dem Plan gewusst. „Dieser Umsicht und der menschlichen Größe des Grafen Moltke, der mich während der Verhöre, denen er vor seiner schändlichen Hinrichtung ausgesetzt war, nicht nannte, verdanke ich, dass ich Deutschlands böseste Zeit lebend überstand.“Nach dem Zweiten Weltkrieg war Redslob Mitbegründer der Zeitung „Der Tagesspiegel“ im damals von den drei Westmächten besetzten Berlin sowie Mitbegründer beziehungsweise Rektor der Freien Universität, deren Emblem mit den Grundwerten „Veritas, Iustitia, Libertas“ (Wahrheit, Gleichheit, Freiheit) er entwarf. Außerdem war er Mitbegründer des Berlin Museums, dessen Bestände nach der Wiedervereinigung 1990 der Stiftung Stadtmuseum Berlin eingegliedert wurden. Seine Sammlung mit Büchern und Bildern zum Thema Goethe und Weimar vermachte Edwin Redslob dem Goethe-Museum in Düsseldorf.

19. Juni 2023