„Sie kleidet und ernährt“
Preußische Medaillen im Dienst der Seidenindustrie und Wirtschaftsförderung



Das Knoblauchhaus neben der Nikolaikirche im gleichnamigen Viertel mitten in Berlin beherbergt ein Biedermeiermuseum, das die Geschichte der Familie Knoblauch erzählt und Wohnkultur und Kunst der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dokumentiert. Ein aus kurfürstlicher Zeit stammender, schon recht hinfälliger Maulbeerbaum an der Claire-Waldoff-Straße unweit der Berliner Friedrichstraße steht als Denkmal der Wirtschafts- und Kulturgeschichte unter Naturschutz. Dass in ihm noch Leben ist, sieht man an den Blättern, die einst „Leibspeise“ von Seidenraupen waren.



Die farbig Karikatur nimmt Modegecken auf Korn, die sich in Samt und Seide kleiden und sich damit vom „gemeinen Volk“ abheben.



Preußens Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. reglementierte das Leben in seinem Reich durch zahllose Gesetze, Edikte und Befehle. Er bestimmte auch, wer sich mit welchen Stoffen kleiden darf und was dem „gemeinen Volk“ verboten ist.



Der Kupferstich zeigt einen Weber der Zeit vor dem Bau mechanischer Geräte, die im 19. Jahrhundert, von England ausgehend, die Textilindustrie auch in Deutschland revolutioniert haben.





Die Medaille von Nils Georgi aus dem Jahr 1755 zeigt, wie Minerva einen Schleier von Stoffballen zieht, verbunden mit der Inschrift FELICITATI TEMPORIS // ART TEXTR HOLOSER / STABILITA (Auf das Glück der Zeit. Die Kunst des festen Gewebes ist unveränderlich). Eine Frau wickelt auf der anderen, von Abraham Abramson) geschaffenen Medaille aus dem Jahr 1783 unter einem Maulbeerbaum sitzend Seidenfäden von Kokons ab (Olding 595 und 744).





Die Medaillen von 1793 und ohne Jahreszahl ehren die Könige Friedrich Wilhelm II. und III. als BELOHNER DES FLEISSES. Sie wurden von der so genannten Seidenbau-Kommission in Etuis vergeben. Was nicht mehr gebraucht wurde, hat man eingeschmolzen, was ihre Exklusivität erklärt (Olding 127 und 415).





Nicht nur die Förderung von allem, was mit Pferden zu tun hat, war ein wichtiges Anliegen des Kurfürsten Friedrich III, ab 1701 König Friedrich I. in Preußen, auch später hat man diesen Wirtschaftszweig und ganz allgemein Landwirtschaft und Gartenbau mithilfe von Preismedaillen unterstützt. Aus dem Jahr 1788 stammt die ZUM BESTEN DES LANDES ausgegebene Preismedaille für besondere Leistungen in der Pferdezucht. (Fotos/Repros: Caspar)

Kleiderordnungen früherer Jahrhunderte schrieben genau vor, wer was anziehen durfte. Leute hohen Standes trugen teure Mäntel und Pelze, bunte Röcke, Hosen und Hüte. Doch wer in der gesellschaftlichen Hierarchie weiter unten stand, musste sich mit billiger, strapazierfähiger Kleidung zu begnügen. Dem einfachen Volk war sowohl aus Kostengründen als auch wegen der Vorschriften das Tragen von Samt und Seide und die Verwendung langer Stoffbahnen für pludrige Kostüme verwehrt. Da in Brandenburg und Preußen alles per Edikt und Verordnung geregelt wurde, nimmt es nicht Wunder, dass auch der Umgang mit Erzeugnissen der heimischen Seidenindustrie, mit der Luxusbedürfnisse des Hofes, des Adels und des reichen Bürgertums befriedigt wurden, königlicher Reglementierung unterlag. Die Förderung der Seidenindustrie war für die brandenburgischen Kurfürsten und preußischen Könige eine Herzensangelegenheit. Durch Zucht der Seidenraupen und Verarbeitung ihrer Kokons haben sie mit Erfolg teure Importe aus Frankreich überflüssig gemacht.

Das begehrte Gespinst wird von Raupen erzeugt, die sich nach Verspeisen zahlloser Maulbeerblätter in Kokons einpuppen. Von diesen Gehäusen konnte man einen bis 3000 Meter langen Seidenfaden abwickeln. Um Züchter und Fabrikanten zu ehren, gaben die Hohenzollern Geldprämien und Medaillen aus. Da Maulbeerbäume sehr witterungsanfällig sind und keinen starken Frost vertragen, war die Seidenraupenzucht und damit auch die Herstellung von Seidenstoffen für feine Kleider, Tapeten, Möbelbezüge und auch Ordensbänder mit hohen Risiken behaftet. Fabrikanten wurden mit ihnen reich, konnten aber auch viel Geld verlieren, wenn Frost und andere Ereignisse den Maulbeerbäumen und Seidenraupen schadeten.

Im Berliner Nikolaiviertel wird der Seidenhändler und Politiker Carl Knoblauch, seine weit verzweigte Familie von Unternehmern und Künstlern und und sein Freundeskreis gewürdigt, allen voran der preußische Architekt Karl Friedrich Schinkel, der Forschungsreisende Alexander von Humboldt und sein Bruder, der Bildungsreformer und Universitätsgründer Wilhelm von Humboldt. Knoblauch befasste sich auf seiner mehrjährigen Reise mit der Herstellung von Seidenbändern, mit denen das Familienunternehmen viel Geld verdiente. Dem auch sozial engagierten Fabrikanten und Textilhändler gehörten eine Seidenbandmanufaktur am Mühlendamm und eine Seidenbandhandlung in seinem Wohnhaus, das heute unter dem Namen Knoblauchhaus eine bedeutende Ausstellung zur Kunst und Kultur der Biedermeierzeit zeigt und zur Stiftung Stadtmuseum gehört.

Der König ordnet an, das Volk muss gehorchen

Einhundert Jahre zuvor wies Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. seine Beamten und die städtischen Magistrate an, Stadtwälle, Friedhöfe, Alleen und Plätze mit Maulbeerbäumen zu bepflanzen, um darauf „Seide wachsen zu lassen“, wie man damals sagte. Die Berliner Akademie der Wissenschaften hatte für die Verarbeitung der Kokons das nötige Know-how bereitzustellen. Ihr Präsident Jacob Paul von Gundling, der am Hof des Soldatenkönigs gegen seinen Willen die Rolle als Spaßmacher spielen musste, wurde zum Aufseher über „alle Seidenwürmer im ganzen Land“ ernannt. Praktische Hilfe gaben gedruckte Anweisungen über die „Eigentliche Arth Den Seiden-Bau mit Nutzen und ohne besondere Mühe zu tractiren“, und auch später wurden populäre Schriften über die „Practik des Seidenbaues“ immer wieder neu aufgelegt. Überliefert ist, dass der Soldatenkönig aus Frankreich nach Preußen geflüchtete Hugenotten, die sich auf die Seidenproduktion verstanden, im Berliner Tiergarten Parzellen für Maulbeerplantagen zuwies. Er riet seinen Untertanen, „umb Ihre Plantage Gräben aufwerffen und selbige oben auf mit Dornen und anderen Buschwerk bepflantzen und mit der Zeit eine lebendige, beständige Hecke zu gewinnen“. Das würde die empfindlichen Bäume vor Beschädigung schützen und außerdem Holz für Zäune sparen. Ein Edikt von 1718 droht Dieben, Vandalen und anderen Übeltätern Festungshaft und Staupenschlag an, die sich an Maulbeer- und anderen Bäumen vergreifen. Der Monarch ging mit gutem Beispiel vor und ließ der Monarch in seiner Nebenresidenz Königs Wusterhausen lange Maulbeeralleen anlegen. Doch auch in Berlin, Potsdam und an anderen Orten hat man sie in großer Zahl gepflanzt, von denen allerdings nur wenige die Zeiten überstanden haben. Eine Straße in der Nähe des Parks Sanssouci erinnert mit dem Namen Maulbeerallee in diese Zeit.

Eigenproduktion statt teurer Importe

Auch Friedrich II., der Große, forderte seine Untertanen auf, in großem Stil Maulbeerbäume anzupflanzen. Im Bereich der Berliner Charité und im Park des Schlosses Schönhausen wuchsen tausende Maulbeerbäume. Große Plantagen gab es auch im Park des Schlosses Bellevue, dem heutigen Amtssitz des Bundespräsidenten, und unweit des Neuen Palais in Potsdam. Um die Textilindustrie zu fördern, ließ der König Samen vom Maulbeerbaum und Jungpflanzen kostenlos an die Bevölkerung verteilen, verbot die Ausfuhr von Maulbeerbäumen und stellte ihre Beschädigung unter Strafe. Ziel war es, die teuren Importe aus Frankreich durch Eigenproduktionen zu ersetzen, was aber nur bedingt gelang. Wenn wer es sich leisten konnte, schmückte sich und seine Paläste mit ausländischen Stoffen. Ungeachtet vielfältiger Fördermaßnahmen erfüllten sich die Hoffnungen Friedrichs II. nicht, Preußen durch Eigenproduktion mit Seide zu versorgen und sie sogar zu exportieren. Strenger Frost ließ große Maulbeerplantagen sterben, allgemeines Desinteresse an der aufwändigen Baum- und Kokonpflege tat ein Übriges, um die Seidenindustrie nach dem Tod des Alten Fritz (1786) langsam zum Erliegen zu bringen.

Obwohl der Seidenanbau dank königlicher Förderung einen beachtlichen Aufschwung nahm und viele harte Taler im Land blieben, wurde „ganz gemeinen Weibsleuten“ das Tragen von seidenen Röcken untersagt. Sie wurden zu Wollstoffen verdonnert, was der heimischen Wollindustrie gut tat. Die Maßnahme zeigt, dass der Soldatenkönig gegenüber der Seidenindustrie ein zwiespältiges Verhältnis hatte. Denn einerseits förderte er sie durch Überlassung von Grund und Boden und durch gezielte Anbaumaßnahmen für die Maulbeerbäume, andererseits aber war ihm die Woll- und Leinenindustrie noch wichtiger, denn das Militär und die meisten Untertanen kleidete sich nun einmal nicht in Seide, sondern verwendete derbe und strapazierfähige Stoffe.

Thema geriet in Vergessenheit

Der Berliner Numismatiker Lothar Tewes hat sich in den „Beiträgen zur brandenburgisch-preußischen Numismatik“ Heft 9 (2001), S. 138-151 ausführlich mit den preußischen Seidenbaumedaille befasst und auch dargelegt, wer mit Ausgaben aus Gold und Silber geehrt wurde. Die Auflagen waren gering, Abschläge aus Gold im Gewicht von mehreren Dukaten kommen im Handel so gut wie nicht vor. Die undatierte Medaille mit dem Bildnis König Friedrich Wilhelms III. mit der Rückseite von 1799 kam 1806 heraus, in jenem Jahr, als Preußen im Krieg gegen Frankreich bei Jena und Auerstedt eine verheerende Niederlage und im Jahr darauf durch den Frieden von Tilsit bedeutende Verluste an Land und Leuten hinnehmen musste. In einer Zeit, da Preußen französisch besetzt war und 140 Millionen Francs an den siegreichen Kaiser Napoleon I. zahlen musste, war keine Zeit und Kraft, sich mit Luxuswaren wie Seidenstoffe zu befassen. Das Thema geriet in Vergessenheit.

Erst unter Friedrich II., der 1740 den Thron bestieg und unverkennbar einen Hang zu feiner französischer Lebensart hatte, erlebte die Seidenindustrie bedeutende Höhenflüge. Der Monarch war wie auch im Falle der Erzeugnisse der Königlichen Porzellanmanufaktur zu Berlin der größte Abnehmer dieser Luxusware, denn überall in seinen Schlössern waren die Wände und Möbel mit Seidenstoffen bedeckt. Friedrich II. forderte seine Untertanen auf, in großem Stil Maulbeerbäume anzupflanzen und regte diese nicht ganz einfache Arbeit durch Geldgeschenke und Prägung von Prämienmedaillen an. Sie zur Erzielung wirtschaftlicher, wissenschaftlicher und kultureller Leistungen auszugeben, lag im Trend. Wir kennen neben Schul- und Universitätsmedaillen auch Schießprämien und Schützenmedaillen, außerdem Spezialanfertigungen für erfolgreiche Fabrikanten sowie Gelehrte und Künstler, die, weil sie nicht zum Adel und zur Offizierskaste, was meistens das gleiche war, gehörten, nicht mit Ordenssternen und –kreuzen bedacht, aber irgendwie doch geehrt und angespornt werden sollten. Ziel war es, Fleiß und Kreativität der Betreffenden zu fördern und sie aus dem Kreis der Kollegen herauszuheben.

Grundstock für Spezialsammlung

Die Ausgabe von Prämientalern und -medaillen zur Erzielung wirtschaftlicher, wissenschaftlicher und kultureller Leistungen lag im 18. und 19. Jahrhundert Trend. Wer sie sucht, findet in Brandenburg-Preußen, Sachsen, Bayern, Österreich, Frankreich , Schweden und weiteren Ländern zahlreiche Medaillen und Münzen, die in den Dienst der Wirtschafts- und Wissenschaftsförderung gestellt wurden und ein eigenes, hochinteressantes Sammelgebiet bilden. Schwere Ausgaben aus Gold zur Auszeichnung erfolgreicher Unternehmer stellen einen bedeutenden Wert da, doch gibt es auch solche aus Kupfer, Zinn und Silber, die den Grundstock einer Spezialsammlung mit Prämien-, Ausstellungs-, Akademie- und Universitätsmedaillen bilden können.

Neben Schul- und Universitätsmedaillen hat man Prägungen für erfolgreiche Fabrikanten sowie Gelehrte und Künstler ausgegeben. In Preußen zu bleiben wurden Medaillen aus Silber und Gold ausgegeben, die die Akademien der Künste und der Wissenschaften sowie die Universitäten in Frankfurt an der Oder, Halle und Duisburg ehren. Geschmückt mit Bildnissen des Landesherren als Protektor der Künstler- und Gelehrtenvereinigungen sowie Universitäten loben die sehr seltenen, weil nur in geringer Stückzahl geprägten Medaillen mit Allegorien den Nutzen der Musen und Wissenschaften sowie die Freigebigkeit des Monarchen. Da man es offenbar um 1700 nötig hatte, die Pferdezucht anzukurbeln, weil ohne sie eine erfolgreiche Landwirtschaft, Verkehrswesen und Militär nicht denkbar war, ließ der Kurfürst eine entsprechende Medaille mit seinem Bildnis und einem prächtigen Gaul prägen. Die von Raimund Faltz geschaffene Medaille betont, dass „überall Pferdezuchtanstalten“ eingerichtet worden sind. In Berlin wurde Ende des 18. Jahrhunderts eine Tierarzneischule zur Ausbildung von Tierärzten gegründet, und hier wurden auch kranke Pferde, Rinder und andere Tiere gepflegt, denn sie waren wichtig fürs Militär, Landwirtschaft und das Transportwesen. Dem 1701 zum preußischen König avancierten Friedrich I. war 1706 die Installierung einer aus dem Jahrmarkt hervorgegangenen Messe in Berlin eine Medaille wert. Die Residenzstadt an der Spree sollte damit als attraktiver Handelsplatz bekannt gemacht werden, konnte aber nicht mit Leipzig und Frankfurt am Main konkurrieren.

Zur Ehre und als Andenken

Bereits im Jahr 1755 schuf der bei Hofe angesehene Stempelschneider Nils Georgi eine Medaille mit dem Bildnis Friedrichs II., auf deren Rückseite Minerva, die Göttin der Weisheit, einen Schleier von seidenen Stoffballen zieht. Die repräsentative Prägung, eine der großen numismatischen Raritäten aus der Zeit des Alten Fritzen, war für erfolgreiche Fabrikanten gedacht, weniger für Leute, die sich draußen im Lande mit Seidenraupenzucht abplagten. Für diese Kategorie stiftete 1783 der Etatminister Ewald Friedrich von Hertzberg, der auch Kurator der Berliner Akademie der Künste war, eine in zwei Versionen geprägte Medaille mit dem repräsentativen Bildnis des als „Instaurator“, also Wiederhersteller oder Beförderer, genannten Königs Friedrich Wilhelm II. und einer Frau, die unter einem Maulbeerbaum sitzt und Seide spinnt. Für die von Abraham Abramson geschaffene Medaille wurde in der Zeitung mit folgenden Worten geworben: „Da einige Personen den Seidenau nicht um des Gewinnstes willen, sondern aus Vergnügen oder Vaterlandsliebe treiben, so hat Freiherr von Hertzberg für gut befunden, zur Ehre und zum Andenken des preußischen Seidenbaues eine Medaille von Silber, 1e Lot schwer von dem geschickten Künstler Abramson prägen zu lassen, um sie an obgedachte Seidenbauer zu verteilen“. Neben der Jahreszahl in römischen Zahlenzeichen liest man die Angabe BR, was auf das Gut Britz im heutigen Berliner Bezirk Neukölln weist. Hier unterhielt Hertzberg ein Mustergut, bei dem auch Maulbeerplantagen und Seidenraupenzucht eine große Rolle spielten. Der Stifter der Prämienmedaille, der auch die Landesseidenbaukommission leitete, besaß in Britz über eintausend Maulbeerbäume, die 20 bis 30 Pfund „gute Seide“ ergaben. In seinem Schloss ließ er die Wände mit Seidenstoffen aus eigener Produktion bespannen, und auch die feinen Kleider, die er und seine Familie trugen, stammt von dort.

Die von Abraham Abramson geschaffenen so genannten Hertzberg-Medaille für den Seidenbau von 1793 und ohne Jahreszahl kommen in unterschiedlichen Varianten vor. Sie zeigen außer den Bildnis der als „Belohner des Fleißes“ charakterisierten Könige Friedrich Wilhelm II. und Friedrich Wilhelm III. eine Frau auf der Rückseite, die ein Stück Seidenstoff in Händen hält. Neben ihr stehen zwei Körbe mit Seidensträhnen und Konkons. Die Umschriften beider Medaillen lauten auf der Rückseite SIE KLEIDET DEN REICHEN – SIE ERNAERT DEN ARMEN und schließt damit Empfänger und Hersteller von Seidenstoffen in das Lob ein.

Wurmpflege nicht mehr aktuell Ungeachtet vielfältiger Fördermaßnahmen erfüllten sich die Hoffnungen Friedrichs des Großen und seines Nachfolgers Friedrich Wilhelm II., sein Land durch Eigenproduktion ausreichend mit Seide zu versorgen und den kostbaren Stoff zu exportieren. Frosteinbrüche ließen ganze Maulbeerplantagen absterben, die Kriege zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren der Seidenindustrie auch nicht förderlich. Außerdem ließ allgemeines Desinteresse an teuren Seidenstoffen im Zeichen neuer Einfachheit die königlichen Pläne scheitern. Bauern hatten keine Zeit für die aufwendige und arbeitsintensive Produktion, die „von oben“ zur Wurmpflege verdonnerten Schulmeister erfanden diverse Ausreden, und auch die Gutsbesitzer widmeten sich, von löblichen Ausnahmen wie Graf Hertzberg abgesehen, nur ungern der Aufgabe. Das Ziel, jährlich 40 000 Pfund Rohseide durch Abwickeln der Kokons zu gewinnen, wurde nicht erreicht. So kam die einheimische Seidenindustrie nach dem Tod Friedrichs II. langsam zum Erliegen. Wiederbelebungsversuche im 19. Jahrhundert führten zu nichts, weil man Rohseide auf dem Weltmarkt preiswerter bekam als durch eigenen Anbau.

Zu den bekanntesten Berliner Seidenfabrikanten gehörten der aus Polen stammende Unternehmer Johann Ernst Gotzkowsky.„Verlassen von des Königs Gnade“ starb er 1775 in Berlin als armer Mann, dabei gehörte er zeitweise zu den reichsten Männern in Preußen. Der Heereslieferant und Kunstsammler hatte im Siebenjährigen Krieg (1756-1763) bankrott gemacht und ging daraufhin der Gunst Friedrichs II. verlustig. Zwischen 1761 und 1763 betrieb Gotzkowsky in Berlin eine Porzellanmanufaktur, die er vom Firmengründer Johann Caspar Wegely übernommen hatte. Doch die Zeiten waren für das damals noch zu den Luxusgütern zählende „weiße Gold“ ungünstig, und als es der Fabrik nicht gut ging, griff der in Porzellan verliebte König zu und kaufte sie mit dem kompletten Lagerbestand und allen Modellen für 225 000 Taler. Mit dem Erlös konnte Gotzkowsky nur einen Teil seiner immensen Schulden tilgen. Sein Haus in der Brüderstraße 13, das so genannte Nicolaihaus, und seine Sammlungen, in denen sich auch Gemälde von Rembrandt, Rubens und Raffael befanden, wurden ebenfalls verkauft.

Ein anderer Seidenfabrikant war Moses Mendelssohn, der als Schriftsteller und Philosoph berühmt wurde. In einer Zeit der Aufklärung und des Neubeginns in der zweiten Hälfte des 18 Jahrhunderts diskutierte „Herr Moses“, so der Titel eines auch heute lesenswertes Buches von Heinz Knobloch aus dem Jahr 1985, mit seinen christlichen und jüdischen Freundinnen und Freunden Fragen der Philosophie und Politik. Sie besprachen treu ihrem Grundsatz „Nach Wahrheit forschen, Schönheit lieben Gutes wollen, das Beste tun“ in geselliger Runde oft beim Verleger und Schriftsteller Friedrich Nicolai neueste Literatur und gelehrte Bücher und diskutierten über Gott und die Welt und aktuelle Ereignisse. Obwohl der Jude Mendelssohn durch seine Werke zum Ruhm Berlins und Preußens beigetragen und auch zum Aufschwung der Seidenindustrie beigetragen hat, verweigerte Friedrich der Große, in dessen Reich angeblich jeder nach seiner „Fasson“ selig werden durfte, seine Zustimmung zur Wahl als Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Erst nach zweimaligem Antrag gewährte der König ihm den Status eines „außerordentlichen Schutzjuden“. Bliebe noch zu sagen, dass das Thema Seidenbau erst wieder im Zweiten Weltkrieg Konjunktur bekam, als man Seidenstoffe für Fallschirme und andere militärische Zwecke brauchte. Die Wehrmacht lobte die Wiederbelebung des Seidenanbaus als späte Verwirklichung von Plänen Friedrichs II. Dabei war unverkennbar, dass nur Engpässe ausgeglichen werden sollten, weil Deutschland von ausländischer Zulieferung abgeschnitten war.

9. April 2024