Schrei nach Freiheit
Silberne Euro-Gedenkmünze würdigt den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 / DDR beschritt andere Wege





Die silbernen Gedenkmünzen im Wert von 5 Mark aus den Jahren 1971 und 1973 erinnern mit dem Reichstagsgebäude und der dort angebrachten Inschrift DEM DEUTSCHEN VOLKE an die Reichsgründung von 1871 mit einem Blick in die Frankfurter Paulskirche an die dort in den Revolutionsjahren von 1848/49 tagende Nationalversammlung. In der DDR ließ man beide Jubiläen ohne numismatisches Echo verstreichen.



Eine reguläre Gedenkmünze zum Volksaufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR kam erst 2003 im Wert von 10 Euro heraus, an Medaillen fehlte es hingegen nicht. Das Silberstück wurde in Berlin, kenntlich am Kennbuchstaben A, in einer Auflage von 2 050 000 Exemplaren in Normalprägung (Stempelglanz) und 350 000 Exemplaren in Polierter Platte geprägt.



Die undatierte Medaille mit dem gefesselten Mann zeigt, wie sich die Menschen über der deutsch-deutschen Grenze die Hände reichen.



Der 17. Juni 1953 wurde von der DDR-Propaganda als „Tag X“, als ein faschistischer Putsch diffamiert. Schuld seien vom Westen über den Sender RIAS gesteuerte Provokateure, hieß es, die die Herstellung der Einheit Deutschlands erschweren wollen – natürlich eine Einheit unter kommunistischen Vorzeichen.



Richard Scheibes Denkmal des gefesselten Mannes steht im Bendlerblock an der Stauffenbergstraße, wo Claus Graf Schenk von Stauffenberg und einige Mitkämpfer in der Nacht zum 20. Juli 1944 erschossen wurden.



Die von Paul Effert gestaltete Zehn-Mark-Münze von 1994 ehrt mit einem Adlerflügel, den eine Kette an der Entfaltung hindert, den opferreichen Widerstand gegen das Hitlerregime und mit ihm den vergeblichen Versuch des Grafen Stauffenberg am 20. Juli 1944, den Diktator in der Wolfsschanze in die Luft zu sprengen.



Mit der Darstellung des von Fritz Cremer geschaffenen Buchenwalddenkmals und des des 1944 im KZ Buchenwald ermordeten KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann auf den Kursmünzen zu 10 Mark von 1972 und 1986 ehrte die DDR Opfer des antifaschistischen Widerstandskampfes. (Fotos/Repros: Caspar)

Bei einer kritischen Betrachtung der Gedenkmünzen der Bundesrepublik Deutschland müssen wir feststellen, dass politische Ereignisse fast 20 Jahre nach der Ausgabe der ersten Geldstücke auf diese Weise gewürdigt werden. Lassen wir die silbernen Zehn-Mark-Münzen zur Olympischen Spiele von 1972 in München einmal beiseite, dann traten zu den seit 1952 zu Ehren von Künstlern, Wissenschaftlern und Politikern ausgegebenen Gedenkmünzen erst 1971 und 1972 die ersten politischen Gedenkmünzen hinzu. Sie waren der Gründung des deutschen Einheitsstaates unter preußischer Führung am 18. Januar 1871 vor hundert Jahren beziehungsweise dem 125. Jahrestag des Zusammentritts der deutschen Nationalversammlung in Frankfurt am Main gewidmet, die 1848 und 1849 über die Grundrechte der Deutschen und Wege zur Überwindung der Fürstenherrschaft beriet, sich aber gegen diese nicht durchzusetzen vermochte. Beide Gedenkmünzen könnten am Beginn einer Sammlung zur deutschen Parlamentsgeschichte stehen.

Seit den 1970er Jahren werden in der Bundesrepublik nicht nur berühmte Personen ehrende Gedenkmünzen geprägt, sondern auch Ereignisse der älteren und jüngeren Geschichte gewürdigt. Ähnlich verfuhr die DDR, die 1966 ihre ersten, dem Philosophen und Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz und dem preußischen Baumeister Karl Friedrich Schinkel gewidmeten Silbermünzen zu 20 und 10 Mark herausgab und sich zunehmend auch politischen Ereignissen und Staatsfeiertagen widmete. Beim Volksaufstand vom 17. Juni 1953 dauerte es 50 Jahre, bis sich die Bundesregierung entschloss, dieser ersten Erhebung im Ostblock 2003 eine Gedenkmünze zu 10 Euro zu widmen. Gestaltet von Hans Joa Dobler zeigt sie, wie sowjetische Panzer mit ihren Ketten die Forderungen „Streik, Nieder mit den Normen, Rücktritt der Regierung, freie geheime Wahlen, Demokratie, Freiheit“ niederwalzten.

Streik Ost-Berliner Bauarbeiter

Der Aufstand begann vor 70 Jahren, wenige Wochen nach dem Tod des sowjetischen Diktators Josef Stalin, mit einem Streik der Ost-Berliner Bauarbeiter Bezirk Friedrichshain und erfasste binnen weniger Stunden das ganze Land. Historiker haben errechnet, dass sich etwa eine Million Menschen an den Protestaktionen beteiligten, die von sowjetischen Soldaten und Panzern sowie ostdeutschen Polizisten und Stasileuten niedergeschlagen wurden und der erste Aufstand dieser Art hinter dem „Eisernen Vorhang“ war. Ein paar Jahre später gab es in Polen und Ungarn ähnliche Versuche, und auch sie wurden brutal mit Waffengewalt abgewürgt.

Die Jury bescheinigte dem Münzentwurf, er überzeuge formal und inhaltlich „durch die einfache und spannungsvolle Verbindung von Bild- und Schriftelementen, die eine ästhetisch reizvolle Erscheinung der Prägung verspricht“. Andere Künstler hatten neben Schriftlösungen auch protestierende Arbeiter vorgeschlagen, die sich mit Steinwürfen der sowjetischen Panzer zu erwehren versuchen, oder eine Faust, die Stacheldraht zerreißen will. In der deutschen Münzgeschichte sucht die Gedenkmünze von 2003 ihresgleichen, denn wann wurde schon einmal eine Revolution und ein Aufstand wie der vom 17. Juni 1953 auf einer regulären Kursmünze gewürdigt? Wenn schon, dann haben sich Medailleure mit dem Thema auseinander gesetzt.

Am Tag der deutschen Einheit in Grüne

Auslöser der von der SED-Führung und DDR-Regierung als faschistischer Putschversuch diffamierten Erhebung war die Erhöhung der Normen. Damit wollte man von den Arbeitern mehr Leistung erzwingen, war aber nicht bereit, dafür auch mehr Geld zu zahlen. Da die Machthaber auf die Forderungen nach Rücknahme der Normenerhöhung sowie nach freien, geheimen Wahlen nicht eingingen und sofort nach sowjetischen Truppen riefen, eskalierten die Ereignisse. Die westlichen Besatzungsmächte und die Bundesregierung waren von ihnen überrascht. Für Bundeskanzler Konrad Adenauer waren sie ein weiterer Grund, die „Westbindung“ der Bundesrepublik zu verstärken. Eine ehrliche Auseinandersetzung mit den Ursachen, dem Verlauf und den Auswirkungen des Arbeiteraufstandes fand in der DDR nicht statt. Im Westen fuhr man am „Tag der deutschen Einheit“, der bereits am 3. Juli 1953 als gesetzlicher Feiertag eingeführt wurde, ins Grüne, und mit der Zeit verblasste die Erinnerung an die dramatischen Ereignisse und an die unzähligen Opfer, die der Aufstand gefordert hatte. Viele Leute wussten schon bald mit dem Datum nichts mehr anzufangen und wurden höchstens durch Politikeransprachen erinnert.

In der DDR war der 17. Juni stets präsent, und die Staatssicherheit wurde rund um dieses Datum in Alarmbereitschaft versetzt und verstärkte ihre Schnüffelarbeit. Als im Herbst die Volksbewegung gegen das SED-Regine anschwoll und SED- und Staatschef Erich Honecker zurück treten musste, hielt es Stasi-Minister Erich Mielke für möglich, dass es wie 1953 wieder zu Streiks kommen könnte. Die in einer Dienstbesprechung gestellte Frage, ob der 17. Juni ausbricht, wurde von einem hohen Stasi-Offizier so beantwortet: „Der ist morgen nicht, der wird nicht stattfinden, dafür sind wir ja auch da.“ Streiks gab es nicht, aber dafür gingen die Leute massenhaft auf die Straße und brachten das marode SED-System zu Fall. Die am Abend des 9. November 1989 eher beiläufig beantworte Journalistenfrage, wann denn die Mauer geöffnet wird, beantwortete SED-Politbüromitglied Günter Schabowski eher beiläufig mit „Das gilt nach meiner Kenntnis ab sofort“. Er konnte in diesem Moment noch nicht wissen, dass das wörtlich genommen wurde und die Leute beiderseits der Grenzanlagen Durchlass verlangten und bekamen und der Arbeiter-und-Bauern-Staat, wie sich die DDR immer nannte, binnen eines Jahres Geschichte sein wird.

Gescheitertes Attentat auf Hitler

Der Hitler-Attentäter Claus Graf Schenk von Stauffenberg war mit seinen Gefährten davon überzeugt, dass es Zeit sei, etwas gegen Hitler zu unternehmen, und er war sich über die Konsequenzen für sich und seine Familie im Klaren. „Derjenige allerdings, der etwas zu tun wagt, muss sich bewusst sein, dass er wohl als Verräter in die deutsche Geschichte eingehen wird. Unterlässt er jedoch die Tat, dann wäre er ein Verräter vor seinem Gewissen. Ich könnte den Frauen und Kindern der Gefallenen nicht in die Augen sehen, wenn ich nicht alles täte, dieses sinnlose Menschenopfer zu verhindern“, erklärte er einem Vertrauten. Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde Stauffenberg und einige Mitstreiter in der Nacht zum 21. Juli 1944 wurden im Hof des Oberkommandos der Wehrmacht an der Bendlerstraße, der heutigen Stauffenbergstraße, im Berliner Bezirk Tiergarten erschossen beziehungsweise gezwungen, sich das Leben zu nehmen. Ob Stauffenberg mit dem Ruf „Es lebe das heilige Deutschland“ in den Tod ging, wissen auch die Mitarbeiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand nicht genau zu sagen. Fest steht, dass die Leichen der Hingerichteten zunächst auf dem Alten Matthäusfriedhof im Bezirk Schöneberg verscharrt, dann aber auf Befehl von Reichsführer SS Heinrich Himmler gleich wieder exhumiert und im Krematorium Wedding verbrannt wurden. Die Asche hat man unauffindbar auf Berliner Rieselfelder verstreut. Nach dem gescheiterten Attentat lösten Naziführung sowie die Gestapo eine Verfolgungswelle ohnegleichen aus. Zahlreiche Mitverschwörer wurden verhaftet und ermordet. Als schon sowjetischer Kanonendonner in Berlin zu hören war, wurden die letzten Exekutionen vorgenommen.

Die DDR und ihre Münzen

Von 1966 bis zur Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 gab die DDR zahlreiche Gedenkmünzen zu 20, 10 und - ab 1968 – 5 Mark heraus. Anlässe fanden sich immer - die so häufig gefeierten und zur politischen Selbstbeweihräucherung genutzten Staats- und Stadtjubiläen, aber auch Geburtstage und Todestage bedeutender Politiker, Künstler und Wissenschaftler sowie die Ehrung des antifaschistischen Widerstands lange bevor dieses Kapitel der neuen deutschen Geschichte im Westen für würdig erachtet wurde, auch auf Gedenkmünzen verewigt zu werden. Außerdem wurden berühmte Bauwerke, Mahnmale und andere Sehenswürdigkeiten auf den Silber- und Neusilbermünzen dargestellt.

Mit ihren Kurs- und Gedenkmünzen präsentierte sich die DDR als weltoffenes Land mit langer humanistischer Tradition und als eines, das die Krone der deutschen Geschichte darstellt und dem im Unterschied zu der als „imperialistisch und militaristisch“ verteufelten Bundesrepublik die Zukunft gehört, wie es in der von der SED gesteuerten Propaganda immer hieß. Ziel der Gedenkprägungen war neben der staatlichen Selbstdarstellung die Erwirtschaftung von harten Devisen. Der unbändige Drang der DDR nach „Westmark“ trieb auch in diesem Segment seltsame Blüten. So wurden unterschiedliche Versionen ein und derselben Prägung hergestellt, mal in einer vergleichsweise hohen Auflage, mal in geringer Stückzahl und manchmal auch in einem von der Norm abweichenden Metall.

Nach 1990 wurden manche Geheimnisse um die DDR-Münzen gelüftet. So stellte sich bei der Sichtung von Akten der Staatsbank der DDR und des VEB Münze der DDR heraus, dass die offiziell angegebenen Prägezahlen häufig nicht stimmen. Denn von verschiedenen Ausgaben wurden tausende Stücke wieder eingeschmolzen, um Silber für neue Emissionen zu gewinnen. Ein anderer Grund war, dass viele in riesigen Zahlen hergestellte Sondermünzen liegen blieben, weshalb auch sie den Tod im Tiegel erlitten. Angaben über die seinerzeit im DDR-Gesetzblatt veröffentlichten Auflagen und die Zahl der eingeschmolzenen Stücke kann man in Münzkatalogen nachlesen und werden selbstverständlich bei den Preisangaben des Münzhandels berücksichtigt.

4. März 2023