Albrecht Dürer ganz nah
Ausstellung des Kupferstichkabinetts am Kulturforum zeigt, wie Zeichnungen und Druckgrafiken des Nürnberger Meisters nach Berlin kamen



In der bis Ende August 2023 laufenden Ausstellung „Dürer für Berlin“ in der Gemäldegalerie am Kulturforum ist man gut aufgehoben, wenn man etwas über den Nürnberger Maler und Grafiker wissen will. Der Katalog zur Ausstellung erschien im Hatje Cantz Verlag Berlin (384 Seiten, 200 Abbildungen, 48Euro, ISBN 978-3-7757-5475-0).



Gipsabguss einer 1838 von Christian Daniel Rauch für die Walhalla bei Regenstauf geschaffenen Marmorbüste, rechts eine Medaille aus Bronzeguss, für die Dürer um 1520 Hans Schwarz zwei Goldgulden zahlte. baren Werken des Nürnberger Meisters ganz nah - links die Apokalyptischen Reiter



Holzschnittfolgen wie Marienleben, Passion Christi und Apokalyptische Reiter machten Albrecht Dürer national und international bekannt und brachten ihm auch guten Lohn ein.



Die Apokalyptischen Reiter flößten den Menschen des 16. Jahrhunderts Angst vor der Endzeit ein und mahnten sie zu gottgefälligem Leben. Der farbige Holzschnitt auf dem Einblattdruck weist auf die Gefahren der „Franzosenkrankheit“ hin, besser bekannt als Syphilis.



Niemand würde heute die kostbaren Kupferstiche und andere Grafiken von Albrecht Dürer und Zeitgenossen ausmalen. Die Beispiele zeigen, dass Verschönerungskünste damals keine Grenzen kannten.



Kein geringerer als Karl Friedrich Schinkel fand den Triumphzug so interessant und wichtig, dass er um 1814 eine Teilkopie auf blauem Papier anfertigte. Die in der Ausstellung gezeigte Federzeichnung blau gefärbten Papier stellt nach Meinung zeitgenössischer Kritiker den Höhepunkt von Schinkels Auseinandersetzung mit Dürers Holzschnitten da.



Exotische Tiere wie das Rhinocerus war Albrecht Dürer einen Holzschnitt wert. Das aus Indien stammende Panzernashorn war 1515 nach Lissabon gelangt. Obwohl die Grafik der Realität ziemlich nahe kommt, wird vermutet, dass der Künstler die tierische Sensation selbst nicht zu Gesicht bekommen hat.



Dass der auch „letzter Ritter“ genannte Kaiser Maximilian I. wie andere Mitglieder des Hauses Habsburg und weitere Fürstlichkeiten beim Augsburger Handels- und Bankhaus Fugger aufgrund ihrer vielen Kriege und prunkvollen Hofhaltung bis über die Ohren verschuldet waren, sollte beim Anblick dieser fantasievoll ausgeformten, von zahlreichen Holzschneidern der Dürerzeit geschaffenen Elogen nicht unbeachtet bleiben. Die aus zahlreichen Einzeldrucken zusammengefügte Ehrenpforte Kaiser Maximilians I. ist ein interessantes Zeugnis für den Herrscherkult um 1500 und ein besonderer Hingucker in der Albrecht Dürer gewidmeten Spurensuche, die das Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin in der Gemäldegalerie am Kulturforum eingerichtet hat. Der 1514 Kupferstich „Melencolia I“ von 1514 steckt voller Rätsel, die bis heute nicht gelöst sind. (Fotos/Repros: Caspar)

Wer dem Maler und Grafiker Albrecht Dürer (1471-1528) ganz nahe sein möchte, ist in der Gemäldegalerie am Berliner Kulturforum an der richtigen Adresse. Anhand von rund 130 Werken des Nürnberger Meisters führt eine bis Ende August 2023 laufende die Ausstellung dessen künstlerisches Schaffen exemplarisch vor Augen. Wenige Schritte von berühmten Dürer-Gemälden wird wegen der Lichtempfindlichkeit Blätter abgedunkelten Räumen erstmals auch die facettenreiche Geschichte des Dürer-Bestands des Berliner Kupferstichkabinetts dokumentiert. Die Ausstellung reicht von den Anfängen im frühen 19. Jahrhundert, als Deutschland eine regelrechte „Dürer-Mania“ ergriff und sich Sammler aller Art um die bisher wenig beachteten Werke des Nürnberger Meisters mühten, bis zur Gegenwart, wo Albrecht Dürer in der Gemäldegalerie und im Kupferstichkabinett am Kulturforum umfassend besichtigt werden kann und erforscht wird. Gezeigt wird, mit welcher Mühe und Liebe, aber auch erheblichen Finanzmitteln öffentliche und private Sammlungen aufgebaut wurden und was zwischen den Städten hin und her gegangen ist. Die Dürer-Sammlung auf der Berliner Museumsinsel war aufgrund der deutschen Teilung erheblich dezimiert, aber nicht verloren. Die Zeichnungen befanden sich im Dahlemer Kabinett, also im Westteil der Stadt. Hier wie dort war die Dürer Begeisterung ungebrochen, heißt es auch einer Tafel in der Ausstellung, Bereits 1950 konnte der Direktor der Nationalgalerie Ludwig Justi die Dauerausstellung „Schule des Sehens“ im kriegsbeschädigten Neuen Museum auf der Museumsinsel eröffnen. Dürers Grafiken wurden in einem eigenen Raum gezeigt.

Sammlungshistorische Zusammenhänge

Das 1831 von König Friedrich Wilhelm III. auf Rat von Wilhelm von Humboldt und anderen weitblickenden Persönlichkeiten gegründete Berliner Kupferstichkabinett besitzt heute eine der weltweit bedeutendsten Sammlungen von Handzeichnungen und Druckgraphiken Dürers. Dass diese Seite im Schaffen des berühmten Künstlers jetzt durch eine Ausstellung und einen umfangreichen Katalog dem großen Publikum erschlossen wird, ergänzt durch Bilder und Dokumente aus dem 19. und 20. Jahrhundert, ist eine großartige Leistung, die bei den Besucherinnen und Besuchern sehr gut ankommt und auch den Blick auf die in der Gemäldegalerie im gleichen Haus hängenden Bildern von Dürer und Zeitgenossen schärft. Das Kupferstichkabinett sieht die Ausstellung als für sich „geboren“ an, ist da zu lesen, man kann sich nur wundern, dass das Thema nicht schon früher aufgegriffen wurde. Indem sammlungshistorische Zusammenhänge erschlossen und Persönlichkeiten vorgestellt werden, die sich um den Dürer-Nachlass gekümmert und ihn wissenschaftlich erschlossen haben, kommt eine wichtige Facette auch der Geschichte der Berliner Musen ans Tageslicht, was als Vorbild auch für andere Bestände dienen könnte.

Mit mit der Gründung des nach Plänen von Karl Friedrich Schinkel auf dem Berliner Lustgarten erbauten und 1830 eröffneten Königlichen Museums, des heutigen Alten Museums, wurde der Ruf laut, an der Spree auch eine grafische Sammlung einzurichten. Bereits 1831 hatten die Bestrebungen von Wilhelm von Humboldt und des Kunstgelehrten Carl Friedrich von Rumohr Erfolg. König Friedrich Wilhelm III. ordnete die Gründung des Kupferstichkabinetts und die Verlagerung umfangreicher Sammlungsbestände aus der Kunstakademie Unter den Linden in Berlin in das neue Institut an. Ein großer Teil dieser Bestände ging auf die 1817 vom König erworbene Grafiksammlung des Freiherrn Hans Albrecht von Derschau aus Nürnberg sowie die 1824 vom Grafen Wilhelm Heinrich von Lepell übernommene Kollektion, die auch umfangreiche Dürer-Bestände enthielt. Gemeinsam mit den Blättern aus dem Kunstsammlungen der Hohenzollern bildeten sie den Grundstück für das neue Kupferstichkabinett. Hinzu kam 1835 die große Sammlung des preußischen Generalpostmeisters Karl Ferdinand Friedrich von Nagler mit weitere bedeutende Arbeiten des Nürnberger Meisters.

Dezimiert und neu geboren

Beim Rundgang kann man in herrlichen Abzügen berühmte Holzschnittfolgen wie die „Apokalypse“ und das „Marienleben“ in aller Ruhe studieren, aber auch Einzelblätter wie „Adam und Eva“, „Rhinozeros“,„Triumphzug Kaiser Maximilians I.“ und seine monumentale, mit vielen Einzelporträts und heraldischen Zeichen geschmückte und diesem Kaiser gewidmete „Ehrenpforte“ betrachten und dabei auch sehen, dass man sich vor Jahrhunderten nicht scheute, einzelne Drucke bunt auszumalen, was heute niemand mehr trauen würde. Interesse verdienen kostbare Zeichnungen wie „Dürers Mutter“, die „Drahtziehmühle“ und Vorstudien für das „Rosenkranzfest“ sowie Blätter aus dem „Skizzenbuch der Niederländischen Reise“, die Dürer 1520 unternahm.

Die Dürer-Sammlung auf der Berliner Museumsinsel war aufgrund der deutschen Teilung erheblich dezimiert, aber nicht verloren, sondern neu geboren. Die Zeichnungen befanden sich im Dahlemer Kabinett, also im Westteil der Stadt. Hier wie dort war die Dürer Begeisterung ungebrochen, heißt es auch einer Tafel in der Ausstellung, Bereits 1950 konnte der Direktor der Nationalgalerie Ludwig Justi die Dauerausstellung „Schule des Sehens“ im kriegsbeschädigten Neuen Museum auf der Museumsinsel eröffnen. Dürers Grafiken wurden in einem eigenen Raum sogar mit Neuerwerbungen aus der Nachkriegszeit gezeigt. Von da an war der Maler und Grafiker stets im Museumsleben der geteilten Stadt präsent, ohne dass aber die Art und Weise, wie seine Werke an die Spree gelangt und auch die daran beteiligten Museumsleute besonders thematisiert wurden.

Sensationelle Ankäufe im 19. Jahrhundert

Eine der Persönlichkeiten, die sich um die Berliner Sammlung besonders verdient gemacht haben und sensationelle Ankäufe tätigen konnte, war der aus Österreich stammende Kunsthistoriker Friedrich Lippmann. Er hatte 1871 in Wien eine Dürer-Ausstellung kuratiert, und war auf dem europäischen Kunstmarkt bestens vernetzt und kannte die großen Privatsammlungen in Wien, London und Paris. Seine Verbindungen nutzte er ab 1877 für Ankäufe größerer Konvolute für das Berliner Kunst Kupferstichkabinett. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts hatten sich die ersten privaten Dürer-Sammlungen generationsbedingt wieder aufgelöst. Es drohte die Zerstreuung der Zeichnungsbestände. Der junge Wiener Kunsthändler Alexander Emil Posornyi erwarb zwischen 1864 und 1867 mehr als 40 Dürer zugeschriebene Handzeichnungen, außerdem befanden sich in seiner Sammlung nahezu alle druckgrafischen Arbeiten des Nürnberger Meisters in hervorragenden Exemplaren. Der Pariser Drucker Auguste Anatole Hulot kaufte sie 1867. Als Lippmannch1877 in Paris weilte, um Dürer-Werke auf einer anderen Auktion zu erwerben, erfuhr er, dass Hulot seine Blätter verkaufen möchte. In einer Eilaktion, wie es in der Ausstellung heißt, bat der Direktor des Berliner Kupferstichkabinetts per Telegramm in Berlin um Bewilligung eines Kaufpreises von 80000 Mark. Seine Vorgesetzten und Kronprinz Friedrich Wilhelm, der späteren Kaiser Friedrich III. und Namensgeber des Kaiser-Friedrich-Museums, das heute Bode-Museum heißt, stimmten zu, und so kam auch dieser kostbare Bestand an die Spree. Die entsprechenden Dokumente einschließlich des Telegramms liegen in der Ausstellung aus.

Kaiserrlicher Triumphzug und Ehrenpoforte

Eines der eindrucksvollsten Exponate ist der aus acht Druckstöcken gebildete Triumphwagen für den 1519 verstorbenen römisch-deutschen Kaiser Maximilian I. aus dem Jahre 1522. Geplant war ein 54 Meter langes Druckwerk, das aus 210 Holzschnitte von etwa 41 mal 37 Zentimetern Größe. Nach dem Tod Maximilians 1519 wurde das Werk nicht weiter geführt. Albrecht Dürer entwarf die Bilderfolge als Ergänzung zur riesigen Ehrenpforte, die wenige Schritte vom Eingang zur Ausstellung gezeigt wird. Beide Werke erinnern an wirkliche und vermeintliche Taten und Tugenden des Kaisers und gemahnen seine Nachfolger, es ihm gleich zu tun. Bildprogramm und Legenden stammen von Dürers Freund, dem Humanisten und Patrizier Willibald Pirckheimer. Die Ehrenpforte ist das größte Exponat der Ausstellung. Mit 192 Druckstöcken hergestellt, feiert das um 1512 in Auftrag gegebene monumentale Holzschnittwerk Maximilian I. und zeigt seine Vorfahren und fürstlichen Zeitgenossen. Die erste Edition kam 1517 heraus, eine zweite 1526. Das Monumentalwerk ist mit 295 mal 357 Zentimetern einer der größten Drucke, die je produziert wurden. Die Ehrenpforte sollte an Wänden in Rathäusern und fürstlichen Palästen montiert und den Ruhm des deutschen Reichsoberhaupt verkünden.

Weitsichtiger Mathematiker

Bei aller Bewunderung für Albrecht Dürer als Maler, Zeichner und Grafiker sollte nicht übersehen, dass der ewig Wahrheitssuche auf weiteren Gebieten Bahnbrechendes geleistet hat. So erreichten seine Schriften zur Proportionslehre im In- und Ausland mehrere Auflagen. Dass er auch auf dem Gebiet der Mathematik seiner Zeit voraus war, dass er die Geheimnisse von Maß und Zahl in der Natur und Kunst zu ergründen suchte, dass er bei seiner Arbeit geometrische Probleme beachtete und anwandte und wissen wollte, wie man in der Antike über sie dachte und auch der Frage nachging, zeichnet den Nürnberger Meister, der nur 57 Jahre alt wurde, als Kind der Renaissance aus. Er ging überdies auch den Beziehungen zwischen seelischer Veranlagung und äußerer Gestalt auf den Grund und zeigte auf seinen Bildern, zu welchen Ergebnissen er gelangte. In fundierten Kenntnissen der Geometrie sah er eine unabdingbare Voraussetzung für erfolgreiches künstlerisches Schaffen. Schon früh studierte den griechischen Mathematiker Euklid im Original und verfasste mit der vierbändigen „Underweysung der messung mit dem zirckel un richtscheyt in Linien ebnen unnd gantzen corporen“ von 1525 das erste Geometriebuch in deutscher Sprache. Dürers berühmter, in der Ausstellung am Kulturforum gezeigter Kupferstich „Melencolia I“ von 1514 steckt voller Mathematik. Um den nachdenklich dreinblickenden Engel mit einem Zirkel in der Hand sind eine Glocke, Leiter, Waage, eine Sanduhr, ein aus zwei Dreiecken gebildeter Körper sowie am Boden liegendes Handwerkszeug und ein magisches Quadrat mit 16 Zahlen zu erkennen. Was dieses rätselhafte Bild zu bedeuten hat, darüber zerbrechen sich bis heute die Gelehrten ihre Köpfe.

10. August 2023