Pickelhaube und Ampelmännchen
Stadtmuseum hat seine Berlin-Ausstellung im Ephraimpalais erweitert und zeigt ungewöhnliche Objekte



Exponate aus dem gerade im Umbau befindlichen Märkischen Museum (links) sind in der neuen Dauerausstellung „BerlinZeit – Die Stadt macht Geschichte“ im Ephraimpalais zu sehen. Angeboten wird ein zwei Tage gültiges Kombiticket zu 10 Euro für die drei Museen im Nikolaiviertel.



In der dem Ephraimpalais benachbarten Nikolaikirche und im Knoblauchhaus daneben werden Objekte aus der älteren Berlin-Geschichte beziehungsweise der Zeit des Biedermeier in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts präsentiert.



Die Präsentation ungewöhnlicher und unerwarteter Objekte wird, so hofft Paul Spies, vielen Besuchern gefallen, wenn sie sich über die wechselvolle Vergangenheit von Berlin und die Menschen, die dort gelebt haben, kundig machen wollen.



Im Ephraimpalais ist nicht nur hohe Kunst und kostbares Silber und Porzellan zu sehen, präsent ist auch der Berliner Alltag. Die Büste der Amazone verweist auf die Märzrevolution 1848 und die Frauenbewegung um 1900. Das schwarz-weiß gestrichene Klosett im Vordergrund erinnert an die umfassende Modernisierung Berlins im 19. Jahrhundert.



Glanz und Elend lagen in Berlin dicht beieinander. Wenige Kilometer vom Schloss und der Prachtstraße Unter den Linden hausten arme und schlecht bezahlte Menschen in Mietskasernen dicht an dicht und ohne Hoffnung, aus der Misere herauszukommen.



Heinrich Zille hat dem proletarischen Berlin vor und nach 1900 mit unzähligen Grafiken, aber auch mit Fotografien ein eindrucksvolles Denkmal gesetzt und wird daher auch im Ephraimpalais gewürdigt.



Dass überall in der damaligen Reichshauptstadt Soldaten marschierten und sie wie eine große Kaserne angesehen wurde, wird in der Ausstellung durch einen Helm dokumentiert, den man wegen seiner Spitze auch Pickelhaube nannte.



Die Stiftung Stadtmuseum Berlin besitzt eine bedeutende Sammlung von historischem Kinderspielzeug. Eine Auswahl wird derzeit in der Nikolaikirche gezeigt. Diese Schaukästen sind bei BerlinZEIT zu sehen.



Die bronzene Schutzpatronin Berolina stand auf dem Alexanderplatz, existiert aber schon lange nicht mehr. Das kleine Modell zeigt im Ephraimpalais, wie sie die Bewohner der Reichshauptstadt grüßt. Das Lenin-Denkmal auf dem damaligen Leninplatz, dem heutigen Platz der Vereinten Nationen, fiel dem Bildersturm nach der Wiedervereinigung zum Opfer. Der Kopf kann in der Spandauer Zitadelle mit anderen geretteten Standbildern besichtigt werden.



Der Erste Weltkrieg ist unter anderem mit einem Plakat präsent, das die Wirkung starker Geschosse verherrlicht.





Anhand zahlreicher originaler Objekte kommt Berlin im Ephraimpalais als Stadt der Vielfalt und der Offenheit, aber auch als die der Brüche und radikalen Veränderungen daher. Hier der Abschnitt über das Leben im modernen sowie Orientierungshilfen vom Palast der Republik und Verkehrsregelung durch das Ampelmännchen.



Auch die derzeit viel diskutierte Künstliche Intelligenz (KI) geht an BerlinZEIT nicht spurlos vorbei. An ihrem Ende bekommt man eine KI-generierte Sicht auf Berlin der Zukunft, die einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. (Fotos: Caspar)

Die Stiftung Stadtmuseum Berlin hat ihre Ausstellung „BerlinZEIT – Die Stadt macht Geschichte“ im Ephraimpalais neu gestaltet und zeigt ab 1. Dezember 2023 Exponate aus dem wegen bis 2028 laufender Bauarbeiten leergeräumten Märkischen Museum (siehe Seite 154). Die hervorragend gestaltete Schau auf zwei Etagen schildert anhand originaler Objekte die ins Mittelalter zurück gehende Geschichte der Stadt und bringt sie den Besucherinnen und Besuchern als Ort der Vielfalt und Offenheit, aber auch der Brüche, Katastrophen und radikalen Veränderung nahe. Entlang prägender Zeitabschnitte lädt sie zu einer Reise von den Anfängen bis heute und blickt auch in die Zukunft. Gut verständliche Texte in deutscher , englischer und türkischer Sprache helfen auf dieser Tour. Ein ausgeklügeltes Farbkonzept hilft bei der Orientierung und verleiht den Räumen eine neue Wirkung. Der Besuch der des Ephraimpalais, der Nikolaikirche und des Knoblauchhauses im Nikolaiviertel zwischen Alexanderplatz und Humboldt-Forum wird durch den Verkauf eines neuen, zwei Tage gültigen Kombitickets zu zehn Euro erleichtert. Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre zahlen keinen Eintritt. Die einzelnen Etagen des 1987 können über eine geschwungene Treppe oder einen Fahrstuhl erreicht werden. Im Eingangsbereich hält ein Buchstand Publikationen des Stadtmuseums und weitere Berlin-Literatur bereit.

Wachstum und Zerstörung

Die neu gestaltete Dauerausstellung befasst sich anhand von ausgewählten Exponaten und gut verständlichen, kurzen Texten mit Zeiten, da die Stadt an der Spree von Wachstum und Zerstörung geprägt war, schildert das Ringen der Berliner um Toleranz, Freiheit und Mitbestimmung und geht auf Diktatur, Verfolgung und Widerstand ein. Der Mauerbau 1961 und der Fall der Grenzanlagen 1989 werden ebenso in Erinnerung gerufen wie das Zusammenwachsen beider so lange getrennter Stadthälften. „Unsere Dauerausstellung ist im Museum Ephraimpalais in neuem Gewand und inhaltlich erweitert zu sehen. Das betrifft wichtige Themen wie den Antisemitismus vor und während des Nationalsozialismus sowie den Kampf um Frauenrechte, der in der Kaiserzeit in Berlin ausgefochten wurde. Zusammen mit dem Museum Knoblauchhaus und dem Museum Nikolaikirche ist das Nikolaiviertel d e r zentrale Ort, um Berliner Stadtgeschichte kennenzulernen“, sagte Museumsdirektor Paul Spies beim Rundgang durch die Ausstellung. Das Ephraimpalais sei näher am Touristenstrom gelegen als das Märkische Museum, das sich an einer „toten Ecke an der Chinesischen Mauer hinter der Botschaft der Volksrepublik befindet und 2028 in altem Glanz, aber der neuen Zeit angepasst und besucherfreundlicher als bisher öffnen soll. Wir sind offen für alle Neuberliner und Gäste der Hauptstadt“, sagt Paul Spies.

Kunst und Wissenschaft

„BerlinZEIT“ präsentiert mehr als 300 Originalobjekte, sie reichen von winzigen Hundemarken bis zu meterhohen Installationen. Ausgerichtet an prägenden Jahren nimmt BerlinZEIT Besucherinnen und Besucher mit auf eine Reise durch die Jahrhunderte. Der Rundgang beginnt bei den Anfängen der Stadt um 1200 und ihrer feindlichen Übernahme durch die Hohenzollern im 15. Jahrhundert, die hier und in Preußen bis zur Novemberrevolution 1918 das Sagen hatten. Gezeigt wird der Aufstieg der eher beschaulichen Residenzstadt zur Millionenmetropole und zum Zentrum von Kunst, Kultur und Wissenschaft im Laufe 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Die Dokumentation geht auf die unvollendet geblieben Revolution von 1848/49 ein, als es hieß „Schmiert die Guillotine mit Tyrannenfett“, schildert Prunk und Protz und das Elend zahlloser Menschen in der Kaiserzeit und wie es ihnen im Ersten Weltkrieg erging . Nachdem in der Novemberrevolution von 1918 Kronen und Throne auf den Müllhaufen der Geschichte gelandet waren, wurde die nicht sehr stabile Weimarer Republik ins Leben gerufen. In ihr griff ein neues, freieres Lebensgefühl um sich, und es wurden großartige Leistungen in der Wissenschaft, Kunst und Kultur vollbracht. Allein dieser Aspekt würde mehrere Räume füllen, aber die Ausstellung muss sich hier und bei anderen Themen auf wenige Exponate und Erklärungen beschränken. Da sie keine statische Schau ist, sollen künftig immer wieder neue Exponate an spezielle Freistellen gezeigt werden.

Kriege und Katastrophen, Glanz und Elend

Anhand von Bildern und Dokumenten schildert die Ausstellung die Wirkung von Kriegen und Katastrophen, von denen auch Berlin betroffen war, aber auch den Glanz der Paläste und das Elend in den Quartieren der Armen und Vergessenen. Dass Berlin zeitweilig eine große Kaserne war, unterstreichen Soldatenbilder und auch ein Pickelhaube genannter Helm aus der Kaiserzeit. Damals galt nur, wer in einem möglichst vornehmen Regiment „gedient“ hat. Es geht es weiter in die „Goldenen Zwanziger“, die in Wirklichkeit vielfach von Krisen, bürgerkriegsartigen Zuständen und Niedergang geprägten Zeit der Weimarer Republik, und in die Nacht des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs, der eine in großen Teilen zerstörte Stadt und ein geteiltes Deutschland und Europa hinterließ. Die auch von Filmen auf Monitoren begleitete Zeitreise endet mit der Aufbruchstimmung der Nachkriegszeit mit all ihren Licht und Schattenseiten und der 1990 glücklich beendeten deutschen Teilung und vermittelt als Kontrapunkt eine geradezu gruselige Vorstellung davon, wie Berlin in der Zukunft aussehen könnte, aber hoffentlich nicht wird.

Neben Gemälden, Grafiken, Dokumenten, Plakaten, Möbeln, Kinderspielzeug und Haushaltsgegenständen aller Art zeigt die Ausstellung auch eine von jenen tonnenschweren Granitplatten, mit der man vor 150 Jahren Berlins Straßen zu befestigen begann. Das überrascht, denn üblicherweise sind solche profanen Objekte nicht museumswürdig. Die Ausstellungsmacher sahen das anders und stellen auch eine Straßenampel mit dem von dem DDR-Designer Karl Peglau entworfenen roten und grünen Ampelmännchen vor. Als es im wiedervereinigten Deutschland durch ein angeblich zeitgemäßeres ausgetauscht werden sollte, gab es Proteste, und so beließ man es bei dieser beliebten Form. Der Motorroller „Pitty“ aus DDR-Zeiten lädt zum Anfassen ein, man kann hier auch zur Probe sitzen und sich dabei fotografieren lassen. Die Ausstellung würdigt den Mauerfall 1989 und die sich anschließende nicht konfliktfreie Zeit des Zusammenwachsens beider Stadthälften und ihrer Bewohner.

Die Ausstellung ist chronologisch aufgebaut, man kann sie von vorn nach hinten oder umgekehrt betrachten. Da und dort gibt es Freistellen für neue Exponate, denn die Ausstellung ist keine statische Veranstaltung, sondern ein lebendiger Ort. Die vier Themenkomplexe reichen vom Mittelalter bis zur napoleonischen Besetzung nach 1806, als sich Preußen und sein König Friedrich Wilhelm III. zu weitreichenden Reformen bequemte und Berlin eine führende Stadt der Industrie und Kultur wurde. Dass da vieles im Argen lag und abseits der Paläste und Prachtboulevards viel Not und Elend herrschten, kann man sich bei Anblick eines Modells gut vorstellen, das Mietskasernen mit lichtlosen Innenhöfen und ohne sanitären Komfort zeigt. Die Ausstellung bietet sogar Gerüche an, die das Publikum vor über 250 Jahren auf Berliner Straßen und in den Salons wahrgenommen hat. Neu sind die Themen Frauenbewegung sowie Rassismus schon in der Kaiserzeit und die schwul-lesbische Emanzipation in den 1920er Jahren, die 1933 abrupt und gewaltsam ein Ende nahm.

Interviews mit Zeitzeugen

Weiter geht es von den so genannten Goldenen Zwanzigern und zur dunkelsten Periode deutschen Geschichte. Ein Großfoto aus der Zeit des Nationalsozialismus zeigt begeisterte Menschen, die sich von der Nazipropaganda mitreißen lassen, andere Bilder dokumentieren Trümmerlandschaften und Leite, die vor dem Nichts stehen. Von dort geht der Blick hinüber zu dem in beiden Stadthälften unterschiedlich gearteten Wiederaufbau, mit dessen Sünden wir es heute, Jahrzehnte später, zu tun haben. Erwähnt wird in diesem Abschnitt auch die Wohnungsnot und die Besetzung von leerstehenden Häusern im Westteil und wie nach dem Mauerfall gewarnt wurde, marode Häuser in Ostberlin zu kaufen und zu sanieren. Besucherinnen und Besucher lernen an verschiedenen Stellen Ereignisse und Gestalten aus der Berliner Vergangenheit und Gegenwart kennen und erfahren von diesen Zeitzeugen, was sie erlebt haben und wie sie über Berlin und seine Bewohner denken. Solche Interviews sind auf Monitoren zu sehen, zahlreiche Berichte hat die Stiftung Stadtmuseum in ihrem Archiv deponiert. Bei ihrer Produktion stand die Lotto-Stiftung hilfreich zur Seite.

Paul Spies hofft, dass eines Tages die verloren gegangene Spreebrücke gebaut wird, die direkt zum Märkischen Museum führt. Ich hatte ihn am Ende der Pressekonferenz danach gefragt. Es gebe einen großen Wunsch auch in Freundeskreisen, dass diese Verbindung endlich wiederhergestellt wird. Da aber Berlin riesenhafte Probleme mit seinen maroden Brücken hat, können nicht gesagt werden, ob der Neubau für Fußgänger und Radfahrer erfüllt wird. Das aber wäre wichtig, um das Museumsquartier „hinter der Chinesischen Mauer“, weil die Chinesische Botschaft davor ist, mit Leben zu erfüllen, sagte Spies. Er wird im kommenden Jahr seinen Posten als Museumsdirektor verlassen, der Stiftung Stadtmuseum aber als Berater weiter zur Verfügung stehen.

2. Dezember 2023