„Halt die Klappe, du Loser“
Museum für Kommunikation befasst sich in neuer Ausstellung mit Fluchen, Hetze und Verleumdung in Geschichte und Gegenwart



Das Museum für Kommunikation an der Leipziger Straße 16 ist dienstags von 9 bis 10 Uhr, mittwochs bis freitags von 9 bis 17 Uhr sowie am Wochenende und an Feiertagen von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Eintritt 6/ermäßigt 3 Euro, Kinder bis 17 Jahre haben freien Eintritt.



In einem der Räume hinter dem Vestibül ruft das Museum für Kommunikation dazu auf, seine Worte anderen gegenüber zu zu wählen und auf Beleidigung und Herabwürdigung sowie Hass und Hetze zu verzichten.



Wie sich Autokennzeichen mehr oder weniger witzig vollenden lassen, zeigt in der Ausstellung eine weitere Schautafel.



Die zur Fluch- und Seuchenabwehr auf die Scheunentür genagelten Tierreste und Metallgegenstände dürften gegen Gefahren und Unglücke wenig geholfen haben, da musste man schon mehr tun.



Auf Gotteslästerung stand der Tod, und für Majestätsbeleidigung riskierte man Haftstrafen.



Wie in der Kaiserzeit massiv gegen Juden gehetzt wurde, kann man Witzblättern und Postkarten von damals entnehmen. Der „deutsche Michel“ macht sich hier über Tiere im Käfig mit Gesichtern von Juden lustig.







Dass das Museum nicht nur sammelt, ausstellt und seinen Gründer Heinrich von Stephan ehrt, sondern auch forscht, wird am Beispiel eines alten Postschildes gezeigt, das 1941 auf bisher unbekanntem Weg in die Sammlung kam. (Fotos: Caspar)



Schimpfen und Fluchen, Hass und Hetze, Beleidigungen und Verdächtigungen kommen in allen Kulturen vor und sind – leider - auch aus unserem Alltag nicht wegzudenken. Die einem antiken Fluch „Gottes Blitz soll dich treffen!“ abgeleitete Ausstellung „Potz! Blitz! Vom Fluch des Pharao bis zur Hate Speech“ im Museum für Kommunikation an der Leipziger Straße in Berlin geht bis zum 25. Juni 2023 auf unterhaltsame und auch junge Leute ansprechende Weise der Frage nach, wie Verleumdung sowie politisch, religiös und rassistisch motivierte Hetze zu allen Zeiten mit oft schwere psychischen, ja auch tödliche Folgen hatten und wie man sich heute gegen sie wehren kann.

Besucherinnen und Besucher erfahren, dass gegen Hate speech, also Hassreden, durchaus ein Kraut gewachsen ist, und wie man sich einzeln und in Gruppen der Anfeindungen aus dem Hinterhalt oder heiterem Himmel erwehren kann. Gleich anfangs ist zu sehen, was sich Leute auf der Straße oder wenn sie genervt im Auto sitzen an den Kopf werfen. Das geht von „Halt die Klappe, du Loser“, „Fahr weiter, du Affe“ oder „Wenn du wüsstest, wie blöd du bist“. Anhand von Autokennzeichen wird gezeigt, wie aus MOL, LOS und FF scheinbar humorvoll, im Grunde aber diskriminierend „Meine Oma lenkt, Loser ohne System und Fahre freihändig“ gemacht wird und wie Menschen in beleidigender Absicht mit Tiernamen von Schwein bis Esel belegt werden.

Die Warnung des Pharaos

Die Ausstellung beginnt mit dem altägyptischen Fluch „Der Tod wird mit seinen Schwingen erschlagen, der die Ruhe des Pharaos stört“. Er soll den Archäologen Howard Carter und Kollegen tödlich getroffen haben, die 1922 das Grab des jung verstorbenen Tut-ench-Amun im Tal der Könige geöffnet hatten. Mindestens dreizehn Personen, die daran beteiligt waren, sollen jener Warnung zum Opfer gefallen sein, behauptete die damalige Sensationspresse und zitierte sie auf einem im Grab gefundenen Tontäfelchen. Dass die Todesfälle rationale Ursachen wie die Kontamination mit giftigen Substanzen und ganz banale Unfälle waren, nahm man damals ungern zur Kenntnis, weil die andere Geschichte besser klang. Eine alte Scheunentür wenige Schritte weiter diente der Fluchabwehr. Bis ins 20. Jahrhundert befestigten abergläubische Menschen auf ihnen spitze Gegenstände, Knochen, Felle, Eisenketten und Himmelssymbole, um ihr Vieh vor bösen Geistern und Unglücken zu schützen.

Die Ausstellung fordert zum Nachdenken und Mitmachen auf. Historische Objekte, Medienstationen sowie Mitmach-Angebote zeigen in der Ausstellung, dass Fluchen und Schimpfen schon immer einen festen Platz in der menschlichen Kommunikation haben. An einer Bilderwand werden Porträts von Politikern, Fernsehleuten und anderen Personen des öffentlichen Lebens gezeigt, auf die sich hasserfüllte Sprüche im Netz richten. Bei ihnen wird oft mit zweierlei Maß gemessen, denn einerseits lösen sie Schadenfreude aus, aber wenn es sie selber trifft, wird Mitleid erwartet. An einer Hörstation ist Harmloses, Drastisches, Kluges und auch nicht ganz „Jugendfreies“ vernehmen, und man kann dann auch noch seinen sprichwörtlichen Senf dazu schreiben. Geschildert wird, wie in den sozialen Medien bewusst und zielgerichtet Tabus gebrochen werden. Im Schutz der Anonymität wird massiv gegen Personen gehetzt, weil sie zu dick oder zu dünn, zu groß, zu klein oder behindert sind und auch ein Leben führen, das anderen nicht gefällt. Auf widerliche Weise kann man im Internet seine Wut an anderen auslassen und sich ein Gefühl von Überlegenheit verschaffen und eigene Ängste abbauen. Indem ganze Gruppen in den Dreck gezogen und zum medialen „Abschuss“ frei geben, richten sie riesigen Schaden und Kummer bis zum Suizid an, was aber die Urheber billigend in Kauf nehmen.

Darf Satire wirklich alles?

Zum Glück sind technische Einrichtungen in der Lage und tun es auch, besonders drastische Texte, Bilder und Darbietungen zu löschen. Das wird von den einen als Zensur gewertet, und andere fragen,was man heute überhaupt noch denken, sagen, schreiben, filmen oder zeichnen darf. Die Ausstellung betont, dass die rationale und rechtliche Basis für Verbote von Kraftausdrücken oder obszönen Gesten ziemlich schmal ist und Entscheidungen vielfach vom Auge des Betrachters abhängen. Im Übrigen gilt: Was früher in Kabaretts erlaubt war und beklatscht wurde, ist unter Umständen heute verpönt. So genannte Herrenwitze und Schmähungen von Frauen mag man sich nicht mehr anhören. Professionelle Spaßmacher und Satiriker wisswen da, sie sind gut beraten zu überlegen, wie weit sie gehen dürfen. Der alte Satz von Kurt Tucholsky „Was darf Satire? Alles!“ gilt nur noch bedingt. Wenn das Fernsehen alte Karnevalssitzungen ausstrahlt, werden neuerdings sexistische und diskriminierende Passagen heraus geschnitten, und kaum jemand weit ihnen eine Träne nach.

Fluchen und Schimpfen gehören zur Alltagssprache und dem Grundverhalten der Menschen. Schimpf- und Tabuwörter sind überall anzutreffen und kaum auszumerzen, obwohl die Regeln von Religion, Kultur und Moral sowie Gesetze das verlangen. Wünschenswert wäre gewesen, dass die Ausstellung auch einen Blick auf die antijüdische Hetze der Nazis wirft, die zum Holocaust führte, und auch zeigt, wie Putin heute mit hasserfüllter Propaganda und Geschichtsfälschung seinen Krieg gegen die angeblich faschistische Ukraine rechtfertigt. Doch das wäre eine neue Ausstellung wert.

Ehrung für Heinrich von Stephan

Wer „Potz! Blitz!“ und all die anderen Ausstellungen mit tausenden alten und neuen Exponaten gesehen hat und ein paar Stufen hinunter in die Schatzkammer des Museums steigt, begegnet am Eingang Heinrich von Stephan, dem Generalpostmeister und Gründer des Kaiserlichen Reichspostmuseums, aus dem das heutigen Museum für Kommunikation hervorgegangen ist. Dem 1831 im pommerschen Stolp geborenen Stephan ist die Modernisierung des deutschen Postwesens einschließlich der telegrafischen Linien durch das Reich sowie nach Übersee und in die deutschen Kolonien, die Vereinheitlichung der Posttarife, die Einführung der Stadtpost und Rohrpost, der Telegraphie und des Fernsprechers in Berlin zu verdanken. Außerdem machte er die Postkarte populär. Die von Stephan angestoßenen Reformen und Neuerungen waren so grundlegend und erfolgreich, dass er bald große Popularität erlangte. Denn die Menschen profitierten von Entwicklungen auf dem Gebiet der Post und Kommunikation, und so ist es nicht verwunderlich, dass der Volksmund die Reichspost manchmal „Stephanspost“ nannte.

Heinrich von Stephan wurde nicht alt, denn er starb 1897, hoch geehrt und tief betrauert, mit 66 Jahren an den Folgen der Diabetes. Kaiser Wilhelm II. und die Reichsregierung gaben ihm in einem Staatsakt im noch nicht ganz fertig gestellten Reichspostmuseums die letzte Ehre. Die auf Stephans Initiative gegründete Sammlung war weltweit die erste Einrichtung dieser Art und in einem eindrucksvollen Bauwerk der wilhelminischen Ära in Berlin untergebracht. Errichtet von 1893 bis 1897 nach Plänen von Ernst Hake, wurde das Eckgebäude im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, entging aber im Unterschied zu vielen anderen Berliner Bau- und Kunstdenkmalen nach 1945 dem Abriss und wurde danach sorgsam restauriert, wovon eine weitere Vitrine berichtet. Heute gehört es heute als Museum für Kommunikation zu den beliebtesten Ausstellungshäusern in der Hauptstadt.

23. Februar 2022

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