Zwei Diktaturen und ihre Opfer
Welche Verbrechen in der Lindenstraße 54 geschahen, ist auch heute vielen Potsdamern nicht bekannt





Dass hinter den Mauern des barocken Stadtpalais in der Potsdamer Lindenstraße 54/55 (ehemals Otto-Nuschke-Straße 54/55), das wegen seiner militärischen Nutzung im 18.Jahrhundert auch Kommandantenhaus genannt wurde, Menschen gefangen waren und gequält wurden, dürften in DDR-Zeiten die wenigsten Potsdamer gewusst haben. Die Gedenkstätte gibt den Opfern der Naziherrschaft und der SED-Diktatur Gesicht und Stimme. Im Giebelbereich kann man die vergoldete Inschrift „Königshuld und Bürgersinn dem Stadtgerichte“ lesen.





Das Gefängnis in der Lindenstraße 54 stammt noch aus preußischer Zeit, kaum einem der Schergen aus den Zeiten des KGB und MfS. Nach dem Ende der SED-Herrschaft gab es immer wieder Versuche, die hinter den hohen Mauern begangenen Verbrechen zu rechtfertigen.



Der Bildhauer Wieland Förster erinnert mit dieser Skulptur links im Hof des Gefängnisses an die Opfer zweier Diktaturen. Wer das ehemalige Gefängnis besucht, lernt eine zum Glück überwundene Welt der Unterdrückung, Ausgrenzung und Willkür kennen. Im Hof gibt es Zellen ohne Dächer, in denen Häftlinge isoliert waren und unter ständiger Beobachtung standen. (Fotos: Caspar)

Vom Bombenangriff am 14. April 1945 verschont, war das zum Stadtgericht umfunktionierte Haus von 1945 bis 1952 Gefängnis des sowjetischen Geheimdienstes KGB. Ein hier tagendes Militärtribunal verurteilte wirkliche oder nur vermeintliche Naziverbrecher zu langjährigen Haftstrafen oder zum Tod. Von 1952 bis 1989 wurden politische Häftlinge des DDR-Staatssicherheitsdienstes in der Lindenstraße 54 inhaftiert. Das ehemalige Palais mit der roten Klinkerfassade dient als Mahnmal und Gedenkstätte gegen politische Gewalt. Im Auftrag der Stadt sammelt und sichert das Potsdam-Museum historische Spuren und veranstaltet Besichtigungen. Unterstützt wird die Gedenkstättenarbeit von der „Fördergemeinschaft Lindenstraße 54“, die sich im Februar 1995 als politischer, parteiunabhängiger Verein gegründet hat, um am Beispiel der Geschichte des Hauses Lindenstraße 54 an die Unterdrückung von Menschen durch Menschen zu erinnern. Die Fördergemeinschaft bietet jenen Opfern ein Forum, die unter politischer Verfolgung leiden mussten, und informiert durch Vorträge, Gesprächsrunden und weitere Aktionen über die Opfer und die Täter.

Durchsichtige Rechtfertigungsversuche

Seit Februar 2007 gibt es im „Lindenhotel“, wie das ehemalige Gerichtsgebäude und Gefängnis manchmal etwas spöttisch genannt wird, eine ständige Ausstellung über die Geschichte dieses Ortes. Sie wurde vom Potsdam-Museum und dem Zentrum für Zeithistorische Forschung gemeinsam erarbeitet. Eine 1991 von Thomas Wernicke verfasste und auch heute vor Ort erhältliche Broschüre „Staats-Sicherheit. Ein Haus in Potsdam“ enthält Berichte von ehemaligen, als Staatsfeinde abgestempelten Häftlingen, die hier wegen Demonstrationen gegen das SED-Regime oder versuchter Republikflucht einsaßen. Interesse verdient auch der hier abgedruckte, ziemlich durchsichtige Rechtfertigungsversuch von 1990 eines für die Untersuchungsorgane der Staatssicherheit tätig gewesenen Diplomjuristen namens L., der der Bürgerbewegung Intoleranz und Militanz vorwirft und die von Opfern des SED-Regimes betriebene Aufklärung als „Züchtung einer regelrechten frühmittelalterlichen Pogromstimmung“ bezeichnet. Der Bürgerbewegung erscheine keine noch so primitive Lüge als ungeeignet, das MfS in der Öffentlichkeit zu diskreditieren und seine Mitarbeiter zu kriminalisieren. „Es bleibt Ihnen offensichtlich in Ermangelung von Sachaussagen zu Problemen, die die Menschen tatsächlich bewegen, wie Arbeitslosigkeit, Existenzangst u. a. a. m. nichts weiter übrig, als an der weiteren Entwicklung der Pogromstimmung mitzuwirken. Sie dürfen nicht ernsthaft erwarten, dass Mitarbeiter des ehemaligen MfS gemeinsam mit Ihnen auch noch daran mitzuwirken unter dem Deckmantel einer sogenannten Geschichtsaufarbeitung. Wenn sie an Informationen über die Arbeitsweise der Untersuchungsabteilung des MfS interessiert sind, empfehle ich Ihnen das Studium der Strafprozessordnung, der Strafgesetzbuches und der Untersuchungshaftvollzugsordnung der DDR. Dort finden Sie zu diesen Problemen erschöpfende Antworten. […] Ferner möchte ich Ihnen vorab mitteilen, dass ich die Ergebnisse Ihrer ,Geschichtsaufarbeitung' – sofern sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird - sehr genau dahingehend untersuchen werde, inwieweit sie in strafbarer Weise in geschützte Persönlichkeitsrechte eingreifen und werde als Jurist durchaus in der Lage sein, auf dem Rechtswege entsprechend zu reagieren.“

Informationen über das ehemalige Potsdamer Stadtgefängnis und seine neuere Geschichte sowie über ähnliche Haftanstalten quer durch das Land enthält die Dokumentation „Orte des Erinnerns – Gedenkzeichen, Gedenkstätten und Museen zur Diktatur in SBZ (Sowjetische Besatzungszone) und DDR“. Das 2004 von Anette Kaminsky herausgegebene Buch listet, nach Bundesländern gegliedert, Erinnerungsstätten an die deutsche Teilung sowie Einrichtungen des sowjetischen und des DDR-Geheimdienstes auf und schildert die Leidensgeschichte derer, die nach 1945 in ehemaligen Konzentrationslagern, aber auch in Gefängnissen, Zuchthäusern und an anderen Orten inhaftiert waren und zu Tode kamen. Erst nach der Wiedervereinigung war es möglich, dieses in der DDR zum Tabu erklärte Geschichtskapitel aufzuarbeiten und auch an markanten Orten des Volksaufstands vom 17. Juni 1953 oder an Stellen Gedenksteine aufzurichten, wo Flüchtlinge unter dem Kugelhagel von DDR-Grenzern ums Leben kamen.

Gefängnisse des sowjetischen Geheimdienstes

In Potsdam gab es mehrere Gefängnisse des sowjetischen Geheimdienstes KGB. Einer dieser Gedenkorte liegt in der Nauener Vorstadt nicht weit vom Neuen Garten und hat die Adresse Leistikowstraße 1. Hier wohnten einige Personen, die am Attentatsversuch gegen Hitler am 20. Juli 1944 teilgenommen hatten und dies mit ihrem Leben bezahlen mussten. Die Erinnerung an diese Seite des deutschen Widerstand war über ein halbes Jahrhundert verschüttet, denn das von der Roten Armee besetzte Viertel unterhalb des klassizistischen Belvederes auf dem Pfingstberg war hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt. Nach der Vertreibung der ursprünglichen Bewohner errichtete die sowjetische Besatzungsmacht hier ihr „Militärstädtchen Nr. 7“.

In den vornehmen Villen waren die Hauptverwaltungen der sowjetischen Geheimdienste sowie andere Kommandozentralen untergebracht. Von den etwa 15 000 in Potsdam stationierten sowjetischen Soldaten durften in diesem Areal, das von einer Mauer und Wachtürmen umgeben war, nur die höchsten Offiziere wohnen. Untergebracht war in der ehemaligen Villa des „Evangelisch-Kirchlichen Hülfsvereins“ die sowjetische Spionageabwehr. Dieses und weitere Gebäude dienten als Gefängnis und Verhörräume, hier mussten ab Frühjahr 1947 zum Tode verurteilte Menschen auf die Vollstreckung der im Minutentakt verkündeten Urteile warten. Wie im ehemaligen KGB-Gefängnis weiter zu erfahren ist, verfolgte die sowjetische Spionageabwehr weniger Kriegsverbrecher, sondern massenweise Bewohner der Sowjetischen Besatzungszone, die im Verdacht waren, in Nazi- und Kriegsverbbrechen verwickelt zu sein. Zeitzeugenberichte belegen Erschießungen auf dem Gelände am Rand von Potsdam. Allerdings fehlen bisher konkrete Untersuchungen sowohl über die Vorgänge in den Gefängnissen und an den Erschießungsständen als auch über das, was der KGB im „Militärstädtchen Nr. 7“ tat, das nach dem Abzug der Besatzer 1994 langsam aus dem Dornröschenschlaf erwacht und dessen Gebäude nach und nach aufwändig saniert und restauriert wurden. Basis der Verurteilungen durch die sowjetischen Militärjustiz bildeten oft durch Folter erpresste Geständnisse.

Erwähnt sei, dass es bis zu ihrer Auflösung im Frühjahr 1990 in Eiche-Golm bei Potsdam die „Juristische Hochschule des Ministeriums für Staatssicherheit“ (JHS) gab, eine der besonders geheimen Einrichtungen mit 30 Lehrstühlen und Instituten. Rund 10 000 Stasileute wurden hier in Fächern wie Kriminalistik und Politische Untergrundtätigkeit unterrichtet, während die juristische Ausbildung nur einen Umfang von ungefähr 20 Prozent hatten. Mehr als 4200 Angehörige schlossen das Studium mit dem akademischen Grad Diplomjurist ab (siehe oben Brief des Diplomjuristen L.), außerdem erwarben etwa 10 000 Stasi-Mitarbeiter den Abschluss als Fachschuljurist. Die Juristische Hochschule wurde in keinem offiziellen Hochschulführer der DDR erwähnt, die Abschlussarbeiten und weitere Materialien unterlagen strenger Geheimhaltung. Einige Exemplare werden im Stasi-Museum an der Ruschestraße in Berlin-Lichtenberg und im ehemaligen Untersuchungsgefängnis Hohenschönhausen gezeigt. Die Unterlagen konnten nirgendwo außerhalb des MfS eingesehen werden und wurden erst nach dem Zusammenbruch der DDR ausgewertet und veröffentlicht. Lehrfilme, in denen gezeigt wird, wie man „feindlich-negative Personen“ beobachtet und systematisch zersetzt, in ihren Wohnungen „Wanzen“ installiert oder wie man sich an Geheimnisträger im Westen heranmacht, sind ab und zu im Fernsehen und in Stasi-Gedenkstätten zu sehen. In dem Spielfilm „Das Leben der Anderen“ hält der Schauspieler Ulrich Mühe in der Rolle eines an sich und seinem Auftrag zweifelnder Stasi-Offiziers eine Vorlesung in einem der weitgehend original erhaltenen Hörsäle der JHS, deren Räumlichkeiten heute zur Universität Potsdam gehören.

22. Januar 2023

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