Max Liebermanns beste Kritikerin
Haus am Pariser Platz in Berlin erinnert an Martha Liebermann, die Ehefrau des berühmten Malers, die vor 80 Jahren in den Tod floh





Nach dem Fall der Mauer am 9. November 1989 und der wiedergewonnenen deutschen Einheit wurde das Liebermann-Haus nach Plänen von Josef Paul Kleihues neu gebaut. Es ist Sitz der Stiftung Brandenburger Tor der Berliner Sparkasse und wird als Erinnerungs- und Ausstellungsort rege besucht. Ein Fenster gewährt einen Blick auf das Reichstagsgebäude.



Vor dem Haus erinnert ein Stolperstein an die von den Nazis drangsalierte und um ihren Besitz, nicht aber ihre Würde gebrachte Martha Liebermann, die sich vor 80 Jahren durch Freitod ihrer Deportation nach Theresienstadt entzog.



Das von Anders Zorn gemalte Doppelporträt von Max und Martha Liebermann wurde vom schwedischen Zorn-Museum in Mora nach Berlin entliehen und findet im Liebermann-Haus viel Aufmerksamkeit.



Max Liebermanns ließ sich oft und gern in seiner häuslichen Umgebung fotografieren. Die Ausstellung zeigt Beispiele dafür.



Das mit Glas überdachte Künstleratelier ärgerte Wilhelm II. so sehr, dass er gerichtlich dagegen vorging, allerdings erfolglos. Martha Liebermann ist auf dem Bild vorn rechts zu sehen, sich selbst hat der Meister in einen Spiegel gemalt. Dem Kaiser, der die Häuser neben dem Brandenburger Tor am liebsten hätte abreißen lassen, um es für sich wirken zu lassen, soll der Maler zu verstehen gegeben haben, er werde sein Haus nur mit den Füßen nach vorn, also tot, verlassen.





Auf der Fotografie von 1909 ist der Maler rechts sitzend mit Zylinder im Kreis seiner Kollegen zu sehen. Käthe Kollwitz, hier im Gespräch mit dem Akademiepräsidenten, war eine der wenigen, die ihn 1935 zur letzten Ruhe geleitete.





Mit den Einraumausstellungen wie der über Martha Liebermann ergänzt die Stiftung Brandenburger Tor ihre Dauerpräsentation „Liebermanns Welt“, die sich dem Leben und Werk des berühmten Malers sowie der Geschichte des seit 1892 von ihm, seiner Familie und einigen Mietern bewohnten Hauses am Pariser Platz widmet. Zu sehen sind Bücher über Liebermann und wie die Nazis gegen so genannte entartete Kunst und damit auch gegen ihn gehetzt haben.



Auf dem Jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee in Berlin sind Max und Martha Liebermann und weitere Familienangehörige in einem Ehrengrab der Stadt Berlin bestattet. (Fotos/Repros: Caspar)

Er nannte sie seine beste Kritikerin, sie war eine wunderbare Mutter und Gastgeberin, und sie überlebte ihren Mann um acht Jahre – Martha Liebermann, die Frau des berühmten Meisters des Expressionismus Max Liebermann. Eine kleine, aber feine Ausstellung im Haus Liebermann am Pariser Platz in Berlin, gleich neben dem Brandenburger Tor, erinnert bis 24. September 2023 anlässlich ihres 80. Todestages an ihr Leben und tragisches Ende. Sie war eine vollendete Gastgeberin, engagierte sich in der Jüdischen Gemeinde und bei wohltätigen Projekten. Sie begleitete ihren zeitweilig als Maler des Hässlichen verunglimpften und später als Wegbereiter der Moderne gefeierten Mann durch die schwierige Anfangsphase seiner Laufbahn zu seinem Aufstieg als Akademiepräsident und stand an seiner Seite, als die Nazidiktatur ihn Vertreter der jüdischer Unkultur und als Inbegriff der entarteten Kunst verunglimpfte. Nachdem Max Liebermann starb am 8. Februar 1935. Der Beerdigung auf dem Jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee in Berlin blieben offizielle Vertreter der Stadt und der Akademie der Künste fern. Nur wenige Weggefährten des von den Nazis geächteten Künstlers wie Käthe Kollwitz, Hans Purrmann, Otto Nagel, Ferdinand Sauerbruch, Bruno Cassierer, Georg Kolbe und Max J. Friedländer folgten seinem Sarg.

Jetzt bekam Martha die Repressalien zu spüren, denen jüdische Bürgerinnen und Bürger aufgrund der Nürnberger Gesetze in Nazideutschland ausgesetzt waren. Ihr wurden die beiden Häuser am Pariser Platz 7 und am Großen Wannsee geraubt, sie verlor nach und nach ihren gesamten Besitz und musste, in einer kleinen Wohnung an der Graf-Spee-Straße (heute Hiroshimastraße) zurück gezogen und ärmlich wohnend, aber von mutigen Freunden umsorgt, um ihr Leben fürchten.

Flucht in den Tod

Lange zögerte Martha wie ihre Tochter und deren Familie ins Ausland zu gehen bis es zu spät war. Trotz der Unterstützung aus Schweden und der Schweiz bekam sie keine der mit erheblichen Abgaben aufgrund der zur Ausplünderung der Juden benutzten „Reichsfluchtsteuer“ verbundene Ausreisegenehmigung. Sie entzog sich der drohenden Deportation in das KZ Theresienstadt durch Einnahme einer Überdosis des Schlafmittels Veronal am 10. März 1943 durch Selbstmord oder, wie man auch sagt, durch Flucht in den Tod. Da der Jüdische Friedhof mit dem Grab ihres Mannes von den Nationalsozialisten beschlagnahmt war, wurde Martha auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee bestattet. Ihr sterblichen Überreste wurden am 11. Mai 1954 wurden zum Jüdischen Friedhof Schönhauser Allee überführt und an der Seite ihres Ehemannes beigesetzt. In den neunziger Jahren wurde das Ehrengrab der Stadt Berlin sorgsam restauriert.

Im Zentrum der neuen Ausstellung stehen zwei Porträts von Max und Martha Liebermann, die der mit ihnen befreundete schwedische Maler Anders Zorn in den 1890er Jahren schuf. Aus gutbürgerlichen jüdischen Haus stammen stand Martha ihrem Mann treu zur Seite, heißt es auf einer Tafel. Sie stützte ihn in den schwierigen Anfangsjahren seiner künstlerischen Laufbahn, hielt sich dezent im Hintergrund und als sich der große Erfolg ihres Mannes einstellte. Gebildet und von eher stillen Wesen ,war Martha der ruhende Pole der Familie, eine perfekte Gastgeberin und wohltätig wirksam, womit sie dem konservativen Frauenideal ihres Mannes entsprach.

„Apostel des Hässlichen“

Der Maler Anders Zorn war einer der bedeutendsten schwedischen Impressionisten. Er und Liebermann waren seit den späten 1880er Jahren befreundet. In den 1890er Jahren war Zorn ein international gefragter Porträtist, den Liebermann in die Berliner Sezession und die Königliche Akademie der Künste holte. 1896 beauftragte er Zorn, ein Bildnis seiner Frau zu malen. Als Honorar wurden 3000 Francs vereinbart. Zorn zeigt Martha Liebermann als kultivierte Dame in aufrechter Haltung sitzend und schwarz nach neuester Mode gekleidet . Ihr Mann ist ebenfalls sitzend in dunklem Anzug gekleidet. Wo die beiden Porträts im Haus am Pariser Platz 7 hingen, kann nicht gesagt werden. Martha Liebermann nahm sie bei ihrem Auszug 1935 in ihre kleine Wohnung in der Graf-Spee-Straße mit.

Max Liebermann begann nach kurzem Besuch der Berliner Universität seine künstlerische Ausbildung 1869 an der Akademie in Weimar, die als führendes Zentrum des Naturalismus und der Freilichtmalerei, den damals modernsten Richtungen in der Kunst, einen guten Ruf hatte. 1871 malte er in Weimar sein erstes großformatiges Bild „Die Gänserupferinnen“, das alsbald in der Berliner Akademieausstellung gezeigt wurde und einen Skandal provozierte. Fortan galt Liebermann als „Apostel des Hässlichen“. Nach seiner Weimarer Zeit unternahm er Studienreisen in die Niederlande, wo er die holländischen Meister eingehend studierte. Die damalige Presse ging mit ihm und den Sezessionisten, die sich vom akademischen Kunstbetrieb verabschiedet hatten, wenig fein um. Eine Karikatur in der Ausstellung nimmt ihn als „Berliner Sezessionswirt“, weil er nur noch Impressionismus ausschenkt. Hier wie auch anderswo ist die antifranzösische und antisemitische Tendenz unverkennbar.

Nazis verfügten Arbeitsverbot

Das Haus Pariser Platz 7 wurde 1844 nach Plänen von Friedrich August Stüler erbaut. Auf Wunsch von Königs Friedrich Wilhelm IV. durfte es das Brandenburger Tor nicht überragen. Wegen der Symmetrie erhielt das Brandenburger Tor vom selben Architekten auf der anderen Seite ein architektonisches Pendant. Zu den Nachbarn des Malers gehörten Mitglieder der preußischen Oberschicht. Der deutsch-jüdische Impressionist bewohnte nicht nur das Haus am Pariser Platz und empfing dort Gäste aus aller Welt, sondern arbeitete dort auch. Auf dem Dach ließ er sich von dem Architekten Hans Grisebach sein Atelier einrichten. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933, bei der Max Liebermann der berühmte Ausspruch „Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte“ widerfuhr, erhielt der bis dahin hoch geehrte Künstler Arbeitsverbot, worauf er aus der Preußischen Akademie der Künste austrat und die Präsidentschaft niederlegte.

Für Martha Liebermann begann nach dm Tod ihres Mannes 1935 eine achtjährige Leidenszeit. Sie wurde von den Nazis enteignet, musste sich von ihrem Besitz trennen, durfte ihr Haus am Pariser Platz nicht mehr betreten. Sammler und Händler machten sich an sie heran, um Bilder und Grafiken ihres Mannes billig zu ergattern und sie gewinnbringend gegen Devisen ins Ausland zu verkaufen. Derweil bedrängten Freunde aus der Solf-Gruppe sie zur Emigration ins Ausland. Als sie dazu endlich bereit war, konnte sie die Lösegeldforderungen der Nazis in Höhe von 50 000 Schweizer Franken nicht aufbringen. Die beiden von Anders Zorn gemalten Porträts brachten nicht den Erlös, den Martha Liebermann für ihre Ausreise benötigte. In dem Film „Martha Liebermann – Ein gestohlenes Leben“, in dem Thekla Carola Wied die Witwe des berühmten Malers in ihren letzten Lebensmonaten verkörpert, spielen die nach Schweden geschmuggelten und jetzt als Leihgabe im Liebermann-Haus gezeigten Bilder eine wichtige Rolle.

Echter König von Berlin

Zahlreiche Schrift- und Bildtafeln sowie in Vitrinen ausgelegte Bücher und Bilder rufen einen in der Dauerausstellung „Liebermanns Welt“ herausragenden Vertreter der Moderne und Kulturpolitik in der Kaiserzeit und Weimarer Republik in Erinnerung. Wilhelm Hausenstein hatte 1932 Liebermann den „echten König von Berlin" genannt. Der Schriftsteller, Kunstkritiker und Kulturhistoriker, Publizist und Diplomat wird in der Ausstellung so zitiert: „Sein Haus ein Palais - mit aller Diskretion des alten Berliner Stils. Sein Wohnen ist ein Residieren, seine Kunst und seine akademisch-organisatorische Arbeit sind ein Régime. Seine Zimmer - mit Weinrot und Braun - eher dunkel statt hell .[...] An den Wänden hängen Bilder großer Franzosen. [... ] Da hängt Césanne, Manet, Monet, Daumier. Man meint zu träumen."

Wie es bei Max Liebermann und seiner Frau Martha ausgesehen hat und wie das Stadtpalais des ebenso berühmten wie streitbaren und umstrittenen Malers und Präsidenten der ebenfalls am Pariser Platz residierenden Preußischen Akademie der Künste ausgesehen hat, wie seine Wohn- und Arbeitsräume möbliert und mit Gemälden und Skulpturen ausgestattet waren, wird den Besuchern in der Ausstellung und dann nach Aufsetzen einer Virtual-Reality-Brille wunderbar vor Augen geführt. Wenn man sich mit der Brille auf der Nase auf einen Rundgang durch das Haus Liebermann begibt, dann ist es, als würden jeden Augenblick Max und Martha Liebermann durch die Tür treten, sich ans Klavier setzen oder in einem Sessel Platz nehmen. In der Mitte eines Raums neben der mit zahlreichen Bild-Text-Tafeln versehenen Ausstellung stehend, blickt man in die Wohnräume und das Atelier des Künstlers. Man geht durch das Musikzimmer, Speisezimmer und Arbeitszimmer, um im berühmten Atelier anzukommen, in das von oben Licht durch ein gewölbtes Glasdach dringt.

Virtueller Rundgang

Da Kaiser Wilhelm II. dem Künstler diese Überwölbung nicht gönnte und sowieso etwas gegen Liebermann und die anderen „Rinnsteinmaler“ hatte, sah sich der Maler und Hausbesitzer genötigt, die Gerichte zu bemühen. Der sich als oberster Kunstrichter des Deutschen Reichs gebärdende Monarch ging nach dem jahrelangen Rechtsstreit als Verlierer vom Platz. Der virtuelle Rundgang macht eigenhändige Werke von Max Liebermann sowie seine eindrucksvolle, in der Nazizeit in alle Winde verstreute Kunstsammlung digital erlebbar. Da sie im Zweiten Weltkrieg teilweise verloren ging beziehungsweise über die ganze Welt verstreut wurde, hängen bei der am Computer erarbeiteten Rekonstruktion der Wohnräume nur leere Rahmen an den Wänden.



7. Juli 2023

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